4) KÖNNEN UND INGENIOSITÄT
Bewertet wird sehr häufig,
wie sicher der Autor bzw. die Autorin ist und mit welcher Anstrengung bzw.
Leichtigkeit das Werk geschrieben wurde. Zum Bild eines wahren Künstlers gehört
spätestens seit der Genieästhetik, daß sein ingenium so groß ist, daß es
ihn keine übermäßige Anstrengung kostet, sein Werk zu vollenden, bzw. daß man
dem Werk die Anstrengung zumindest nicht anmerkt.
4.1) Positiv wertend
4.1.1) Lexeme, Wortbildungen, Wortgruppenlexeme
Die sicherheit wird positiv bewertet mit folgenden Begriffen: auf
die Erfahrung anspielend erfahren,
versiert[1],
gewieft[2].
Man spürt: Eine erfahrene Erzählerin ist da am
Werk [...] (ZEIT 9.9.88, HAGE über ZELLER)
Derselbe Autor wird von zwei
Rezensenten ähnlich charakterisiert, einmal als versiert und einmal als gewieft:
Erzähltechnisch versiert und stilsicher wie er ist [...] (ZEIT 23.9.88, KÖRTE über HOFMANN)
Also, auf der ersten Seite seines Romans [...] stellt der
im Konstruieren so gewiefte Autor seinen Lesern das doppelte
Hauptpersonen-Ich vor. (SZ 13.8.88, AUFFERMANN über HOFMANN)
Nicht immer führen die durch
Erfahrung erworbenen Fähigkeiten (vgl. BÖHEIM 1987, 86) zu einer positiven
Gesamtbewertung, wie man am Beispiel der Kritiken zu Ulla Hahn sehen kann.
Routine und Versiertheit werden im Hinblick auf die Originalität teilweise auch
als negative Merkmale angeführt.
Das Geschick[3]
wird hervorgehoben von geschickt[4]
(fünf Belege), Geschick (zwei
Belege), Gewandtheit, Eleganz[5],
ebenso die Sicherheit durch sicher[6]
(zwei Belege), Sicherheit, stilsicher, Zuverlässigkeit, dezidiert[7],
traumwandlerisch, Instinkt[8],
souverän[9]
(zwölf Belege), Souveränität,
Überblick (zwei Belege), überlegen,
virtuos[10]
(sechs Belege), Virtuosität[11]
(zwei Belege), Virtuose.
[...] [er] setzt geschickt den Wechsel zwischen
Verlangsamung und Beschleunigung des Erzähltempos ein [...] (FAZ 13.6.88, SEGEBRECHT
über RÜCKER)
Daß die beiden Alten [...] liebenswerte, zumindest
liebenswürdige Zeitgenossen sind, spricht fürs erzählerische Geschick
der Autorin. (ZEIT 9.9.88, HAGE über ZELLER)
Sie kann beschreiben und erzählen, oft mit erstaunlicher
Präzision und Gewandtheit [...] (FAZ 22.9.88, WINTER über MOOG)
[Überschrift] Meisterschaft, Eleganz und Übermut
(SZ 15.11.88, KAISER über ENZENSBERGER)
Mit der Zuverlässigkeit und Gründlichkeit, wie wir
sie Bewohnern der Alpenrepublik zuschreiben, versorgt uns der Autor [...] (SZ
5.10.88, MANTHEY über WALTER)
Ransmayr schreibt [...] sicher im Ton [...] Es ist
erstaunlich, mit welcher Sicherheit der Autor in seinen zwei Romanen
eine literarische Methode entwickelt und zur Reife gebracht hat. (ZEIT 7.10.88,
HAGE über RANSMAYR)
Erzähltechnisch versiert und stilsicher wie er ist
[...] (ZEIT 23.9.88, KÖRTE über HOFMANN)
Über die ganze Länge des Buches hält Margit Baur diese
Beziehung unangestrengt, aber dezidiert in der Schwebe. (SZ 11.6.88,
MOSER über BAUR)
Diesem Dilemma hat sich Jürgen Becker [...] mit Instinkt
entzogen. (FAZ 22.10.88, HARTUNG über BECKER)
Möchel inszeniert das Milieu, das er mit mancherlei
Vorbildern wählte, souverän. (SZ 15.11.88, GRIMMINGER über MÖCHEL)
[...] aber diese ständigen Konjunktiv-Demonstrationen
erscheinen als bloße Stil-Gebärden, die erzählerische Souveränität
prätendieren wollen. (ZEIT 7.10.88, BRAND über KONEFFKE)
[...] aber zum großen Erzähler fehlt ihm noch ein wenig
der für die Handlungsführung nötige Überblick [...] (ZEIT 25.3.88,
TANTOW über THENIOR)
Und wo überlegene Ironie erwartet werden kann,
brachte er es nur zur Flachserei. (FAZ 17.5.88, HINCK über KANT)
Denn der schmale Band bietet mehr als nur eine
Talentprobe, nämlich ein [...] virtuos durchgeführtes Stück Prosa. (FAZ
15.10.88, JACOBS über KONEFFKE)
Uwe Saegers Prosa [...] eindrucksvoll durch die
erzählerische Virtuosität [...] (FAZ 29.3.88, GÖRTZ über SAEGER)
Ein Virtuose, von luzider Intelligenz. (ZEIT
16.9.88, LÜDKE über WALSER)
Nach KIENECKER (1989, 78) stellen
Bewertungen wie meisterhaft in seiner
Kategorisierung ein Leistungsurteil dar. Generell legen Ausdrücke wie meisterlich[12],
meisterhaft[13] (fünf
Belege), Meister[14]
(zwei Belege), Meisterschaft[15]
(drei Belege), Meisterstück[16],
Meisterwerk, Bravour[17]
Zeugnis ab vom sicheren Können eines Künstlers.
Der Roman, aus den verschiedensten erzählerischen
Elementen meisterlich zusammengesetzt, ist von einem einzigen Thema
beherrscht: der Gewalt [...] (SZ 5.10.88, MANTHEY über WALTER)
Meisterhaft, wie Enzensberger
am Anfang den Tiefsinn blamiert, mit dem „Interpreten“ [...] die verborgene
[...] Kraft bedeutender Dichtungen beschwören. (SZ 15.11.88, KAISER über
ENZENSBERGER)
Aber dann, Roth ist ein Meister im Auslegen
falscher Fährten [...] (SZ 17.9.88, LAEMMLE über ROTH)
[...] keine Spur von Dilettantismus [...] stört das Bild
sicherer Meisterschaft. (SZ 16.7.88, VON SCHIRNDING über NESTLER)
Der „Anhang“: Ein Meisterstück. (ZEIT 25.3.88,
KILB über HAHN)
[...] macht aus der „Geschichtenflucht“ ein Meisterwerk.
(SZ 11.6.88, MOSER über BAUR)
[...] und er spielt ihn [=den Dudelsack im bildhaften
Vergleich] mit eigenwilliger Bravour [...] (FAZ 4.10.88, GÖRTZ über
FELS)
Sicherheit im sprachlichen
Bereich wird dem Autor bescheinigt durch Sprachmächtigkeit,
sprachgewaltig, wortgewaltig, wortmächtig, beredt, Sprachkraft.
Es ist geradezu ein Genuß, sich der Sprach- und
Bildmächtigkeit des Erzählers Ransmayr zu überlassen. (ZEIT 7.10.88,
HAGE über RANSMAYR)
[Zweite Überschrift] Endlich ein neues Talent: Christoph
Ransmayr und sein sprachgewaltiger Einbildungsroman „Die letzte Welt“
(FAZ 17.9.88, SCHIRRMACHER über RANSMAYR)
Zwei verschiedene
Rezensenten sprechen also dem Autor Ransmayr das Kompliment aus, sprachmächtig
bzw. sprachgewaltig zu sein.
[...] wortmächtiges alter ego des nicht minder wortgewaltigen
Eddi „Pferdefuß“ Endler [...] (FAZ 21.1.88, BIELEFELD über ENDLER)
Uwe Dick, der wortmächtigste [...] bayerische
Dichter dieser Jahre [...] (ZEIT 7.10.88, HOHOFF über DICK)
Dank seiner Lakonik wirkt dieser Text ungemein beredt
und nicht redselig wie so viele andere heutzutage. (FAZ 17.12.88, WEINZIERL
über GSTREIN)
[...] ihnen entgegen stellen sich Gedichte [...] von
ebenso kontrollierter wie emphatischer Sprachkraft. (FAZ 4.10.88,
HIEBER über SOELLNER)
Sicherheit und Kraft werden
dem Autor zugesprochen durch die Begriffe Kraft[18]
(acht Belege) und kraftvoll (zwei
Belege).
In einigen Passsagen wird eine suggestive erzählerische Kraft
des Autors erkennbar, mit deren Hilfe er Bilder [...] zeichnet, die dem Leser so
leicht nicht aus dem Kopf gehen. (FAZ 29.3.88, WEGNER über GRÖPER)
Die Entscheidung der Jury war eine Anerkennung [...] für
[...] seine zugleich ingeniös verspielte wie kraftvolle Sprache. (FAZ
10.9.88, JACOBS über SPÄTH)
Ebenso wird bewertet, mit
welcher anstrengung bzw. leichtigkeit ein Werk vollendet wird.
Sicher noch aus dem Bild des Originalgenies des 18. Jahrhunderts herrührend,
sollte - den Rezensionen nach - ein Werk ohne Mühe und Anstregung gleichsam wie
von selbst entstehen. Die positiv wertenden Begriffe sind gelassen, unangestrengt[19]
(zwei Beispiele), glückliche Hand,
leicht[20]
(drei Belege), leichthändig,
Leichtigkeit, anmutig-leicht, leichthin erzählt wirkend, spielerisch, graziös,
Anmut[21],
Charme[22]
(zwei Belege), mühelos[23],
frei[24].
Das wäre ein schönes Thema gewesen - für einen geduldigen
und gelassenen, einen weisen und witzigen Geschichtenerzähler. (FAZ
17.9.88, GÖRTZ über WALSER)
Über die ganze Länge des Buches hält Margit Baur diese
Beziehung unangestrengt, aber dezidiert in der Schwebe. (SZ 11.6.88,
MOSER über BAUR)
Aus der angestrengten ist ein glückliche Hand
geworden, der die schwierigsten Kunststücke wie naturgemäß gelingen. (FAZ
1.10.88, UEDING über KROLOW)
Auch im letzten Beispiel
zeigt der Gegensatz zur angestrengten Hand
die positive Bewertung der Leichtigkeit.
Ransmayr schreibt wunderbar leicht [...]. (ZEIT
7.10.88, HAGE über RANSMAYR)
Doch die graziösen, leichthändigen
Miniaturen finden ihren Zusammenhang im Auseinanderdriften. (ZEIT 24.6.88,
LÜDKE über LETTAU)
Die Leichtigkeit und Gradlinigkeit dieser
Erzählung erinnert noch am ehesten an Vorbilder, an Else Lasker-Schüler [...]
(SZ 30.11.88, KÄSSENS über BERKÉWICZ)
Oder noch mehr jenes anmutig-leichte [...]
Reimgedicht [...] (FAZ 1.10.88, UEDING über KROLOW)
Einig waren sich indes alle, daß sie schon länger nichts
ähnlich Eindringliches [...] gelesen hätten wie diese so leichthin
erzählt wirkenden Geschichten. (ZEIT 11.3.88, IRRO über RÜCKER)
[...] und trotzdem [...] entsteht ein Klima der
Wachsamkeit, forciert [...] von Rothmanns spielerischen Pointen. (ZEIT
7.10.88, VON BECKER über ROTHMANN)
Wir danken für ein Buch voll Charme und Anmut
(FAZ 15.12.88, REICH-RANICKI über MOOG)
Fritz Rudolf Fries überredet den Leser mühelos zur
Teilhaberschaft an der Welt des „real maravilloso“ [...] (SZ 12.3.88, SCHOELLER
über FRIES)
Enzensberger sagt, was er zu sagen hat, frei und
leicht. (SZ 15.11.88, KAISER über ENZENSBERGER)
Einige Rezensenten betonen
in ihrer Bewertung, daß es ihnen wichtig ist, daß die kritisierte Arbeit kunstlos, zufällig etc. erscheint, auch wenn sicher Anstrengung
dahintersteckt.
Oder noch mehr jenes anmutig-leichte, fast kunstlos scheinende Reimgedicht, das sich aber bei näherem Hinsehen [...] als höchst raffiniertes Kunstprodukt erweist. (FAZ 1.10.88, UEDING über KROLOW)
Daß mehr hinter der
Leichtigkeit steckt, zeigt im vorangegangenen und im folgenden Beleg der
adversative Nebensatz mit der Konjunktion aber.
Das scheint sich zufällig, assoziativ
schön zu fügen, hat aber Maß und Ziel. (SZ 30.3.88, FRANKE über KIRSCH)
Ein Effekt [=daß das Werk spannend ist], der sich ganz spontan,
nämlich vom Autor scheinbar ungewollt, kundtut. Die Kunst der Naivität.
(SZ 8.12.88, KRAMBERG über BIENEK)
Zum Eindruck, daß die
Genieästhetik noch wirksam ist, trägt auch bei, daß das Verfassen kunstvoller
Werke gewissermaßen aus der Natur des Schriftstellers fließt.
Aus der angestrengten ist eine glückliche Hand geworden,
der die schwierigsten Kunststücke wie naturgemäß gelingen. [...] den
Altersstil nämlich, der durch einen sorglos-selbstverständlichen Umgang
mit der Form gekennzeichnet ist, weil das einst Beabsichtigte längst zur zweiten
Natur wurde und der Dichter sich in ihrer Haut auf souveräne und lässige
Art zu Hause fühlt. (FAZ 1.10.88, UEDING über KROLOW)
Die doppelt unterstrichenen
Wörter zeigen die Belegstellen für das gleichsam natürliche Entstehen des
dichterischen Werks an, die einfach unterstrichenen Wörter sind weitere Belege
für die Sicherheit und Unangestrengtheit des Autors.
4.1.2) Metaphern und Vergleiche
(1) Synästhetische Metaphern
und Vergleiche
- Literatur und
Hörempfindung
[Erzählen ist der Autorin] so leicht wie Musik
gelungen [...] (SZ 11.6.88, MOSER über BAUR)
[...] das virtuose Spiel [ist] an die Stelle
verkrampfter Etüden getreten. (FAZ 4.10.88, GÖRTZ über FELS)
Der vergleichende Negativbegriff verkrampfte Etüden macht den Bezug von Spiel zur Musik eindeutig.
(2) Eigennamen
In den Vergleichen werden
folgende Schriftsteller positiv und der mit ihnen verglichene Autor negativ
bewertet: Günter Grass; Prosper Merimée, Max Frisch, Botho Strauß; Heinrich von
Kleist; Uwe Johnson; Brigitte Kronauer, Elfriede Jelinek, Gisela von Wysocki,
Peter Handke; Hans Magnus Enzensberger, H.C.Artmann, Karl Krolow, Helmut
Heißenbüttel, Ernst Jandl, Oskar Pastior; Paul Celan; Alan Sillitoe; Lord
[Chandos].
Gerade deshalb aber frage ich mich, ob Hermann Kant gut beraten war, seine „Phantasie“ ausgerechnet neben die von Günter Grass zu „setzen“. Die Fallhöhe ist beträchtlich. Es hilft nichts, daß sich Kant auch noch in seiner Ausführung an Grass orientiert hat, dem „Treffen in Telgte“. Der Absturz war unvermeidlich. (ZEIT 25.3.88, LÜDKE über KANT)
Mit Fallhöhe und Absturz ist
der Niveauunterschied von Grass zu Kant deutlich bezeichnet.
Ransmayr konnte es auch nicht gelingen, zwischen dem
erzählten Vordergrund und den durchschimmernden, alles durchwirkenden
ovidischen Mythen eine Spannung herzustellen, so wie es Merimée manchmal
glückte, wie Max Frisch (homo faber = Ödipus) oder Botho Strauß
(Kalldewey-Farce = die Bacchen) es versuchten. (SZ 22.10.88, KAISER über
RANSMAYR)
Sollten jedoch diese altertümelnden Stilisierungen
zusammen mit ermüdenden Satzklammerkonstruktionen gar eine Hommage an Kleist
darstellen (dessen in der Erzählung wiederholt liebevoll gedacht wird), dann
kann man nur lapidar feststellen, daß solches Gestöpsel diesem nicht zur Ehre
gereichen würde. (SZ 5.10.88, HAUCK über MEINECKE)
[...] dieses so hochdiffizile Stilmittel [der Parataxe],
dem sich die Härte und Distanz Uwe Johnsons verdankt, ist hier neckisch,
weil ohne Funktion eingesetzt. [...] Ich bilde mir ein, begriffen zu haben,
warum Brigitte Kronauer im „Berittenen Bogenschützen“ Joseph Conrad, Elfriede
Jelinek mit „Krankheit“ Emily Bronte oder Gisela von Wysocki bei
„Abendlandleben“ Apollinaire paraphrasiert haben; bei Peter Handke, der
ja mit „Die Wiederholung“ nicht nur Kierkegaards Buchtitel des Jahres 1843
aufnahm, sondern dessen Grundthese von der Hoffnung als Fahrt ins Ungewisse,
ins Unglück, war es von großer Evidenz. Hier ist überhaupt nicht zu begreifen,
wozu die seitenlangen Montagen dienen sollen [...] (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über
KIRSCH)
Um zu zeigen, wie angestrengt
Sarah Kirsch ein Stilmittel einsetzt oder sich in Montagen versucht, bemüht der
Rezensent Raddatz nicht weniger als fünf Autoren zum Vergleich, meist mit ihren
entsprechenden Werken und weiteren philologischen Details erwähnt als ein
Zeichen der Belesenheit des Rezensenten, und dies soll die Rezension wohl hier auch sein.
Mein Gott, wie inspiriert und frech und geradezu
erotisiert von ihrer Liebe zum Wort haben in den letzten zwanzig Jahren etwa Enzensberger
oder Artmann, Krolow oder Heißenbüttel, Jandl oder Pastior
über Gedichte und ihr Schreiben Auskunft gegeben - und nun also die
Ausführungen von Ulla Hahn. (SZ 15.6.88, DREWS über HAHN)
Die Bewertung wird nicht
explizit geleistet, doch der Ton der abschließenden Ellipse nach der
begeisterten Aufzählung (Mein Gott, wie
...) der gelungenen Werke kann eine herablassende Ironie nicht verbergen,
die sich in der lakonischen Ankündigung und
nun also zeigt.
Oder ist das, was in diesen Versen wispert und flimmert und klingelt, nur ein böser Traum des „hermetischen“, unbegreiflichen Paul Celan? (ZEIT 25.3.88, KILB über HAHN)
Wieder trifft Ulla Hahn, die
angestrengt versucht, Traditionen aufzunehmen, und damit geradezu prädestiniert
ist für Vergleiche, ein Vergleich, der zu ihrem Nachteil ausfällt.
Surminskis Versicherungsangestellter hat leider keine
Ähnlichkeit mit Alan Sillitoes Langstreckenläufer. (FAZ 15.2.88, FRISÉ
über SURMINSKI)
Wortreich, nicht feinsinnig wie der Lord [=Chandos
in Hofmannsthals „Ein Brief“], eher geschwätzig kokettiert der Erzähler mit
seiner Verzweiflung an der Sprache [...] (FAZ 7.6.88, MEYHÖFER über MENASSE)
Folgende Schriftsteller
werden positiv und die verglichenen Autoren ebenfalls positiv bewertet:
W. H.
Auden, T. S. Eliot; Else Lasker-Schüler, Marieluise Fleisser.
Auch wer sich gelegentlich an ihm „ärgert“, [...] sollte
nicht übersehen, daß dieser Enzensberger ein spätes deutsches Gegenstück ist zu
W. H. Auden [...] und vielleicht sogar zu T. S. Eliot, der ein
großer Dichter und Kritiker war. (SZ 15.11.88, KAISER über ENZENSBERGER)
Die Leichtigkeit und Gradlinigkeit dieser Erzählung
erinnert noch am ehesten an Vorbilder, an Else Lasker-Schüler, oder an
die „Abenteuer aus dem englischen Garten“ der Marieluise Fleisser. (SZ
30.11.88, KÄSSENS über BERKÉWICZ)
Ein Beleg existiert für zwei
analoge Vergleiche: Die Bemühungen eines Schriftstellers und sein Ziel werden
mit dem Vergleich eines negativ bewerteten Malers mit einem positiv bewerteten
Maler gleichgesetzt: Giorgio de Chirico ist der positiv bewertete, Bele Bachem
der negativ bewertete Surrealist.
Manchmal landet eine poetische Bildlichkeit, die
verblüffend sein will, auch nur bei einem Mini-Surrealismus, der sich zu
richtigem Surrealismus verhält wie Bele Bachem zu Giorgio de Chirico.
(SZ 28.5.88, DREWS über ALLEMANN)
(3) Menschlicher Organismus
Sicherheit beweist ein
Autor, der sich wie ein Schlafwandler automatisch und unbewußt keinen Fehltritt
leistet:
[...] eine [...] Lektüre, die sich dauernd den Weg bahnen
muß durch Braves und Gewagtes, Mühseliges, traumwandlerisch
Selbstverständliches [...] (ZEIT 7.10.88, BAUMGART über WALTER)
Daß man körperlich keine
Anstrengung verspürt, ist daran erkennbar, daß man nicht schwitzt. Dasselbe
attestiert Joachim Kaiser mit dem Adjektiv unverschwitzt[25]
Beckers und Enzensbergers Prosa.
Viel Bildung wird in unverschwitzten Witzt
verwandelt. (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)
[...] um zu demonstrieren, wie heiter-radikal und unverschwitzt
Enzensberger schreibt [...] (SZ 15.11.88, KAISER über ENZENSBERGER)
(4) Handwerk/Berufe
speziell: Chirurg
Dem Chirurgen wird im
Idealfall nachgesagt, er arbeite sehr genau, penibel und - hoffentlich - sehr
sicher. Diese Vorstellung steckt hinter folgendem Vergleich:
Bei ihrer Absicht, „ins Wesen der Dinge einzudringen“,
arbeitet sie mit der Sicherheit eines Sprach-Chirurgen. (FAZ 18.7.88,
BIELEFELD über BURMEISTER)
Das tertium comparationis Sicherheit wird in der Kritik genannt;
ebenfalls deutlich wird die Veranlassung für den Rezensenten, gerade dieses
Bild zu wählen: „ins Wesen der Dinge einzudringen“ erinnert an sorgfältiges
Schneiden und Präparieren Schicht für Schicht, bis man zum Kern der Sache bzw.
zum eigentlichen Operationsgebiet gelangt.
4.2) Negativ wertend
4.2.1) Lexeme, Wortbildungen, Wortgruppenlexeme
Zunächst sei auf die
Gegenbegriffe zu den aufgeführten Wörtern und Wortgruppen, die sicherheit anzeigen, hingewiesen: Unsicherheit[26]
(drei Belege), unentschlossen,
erliegen mit Dat., entgleiten, sich verlieren, sich vergessen, sich
verirren, sich verzetteln, sich verläppern, herumtaumeln, sich verrennen,
unfreiwillig (vier Belege), beflissen,
Dilettantismus[27], Gestöpsel[28],
Kraftlosigkeit.
Bei einer Erzählung, die so demonstrativ die Schönheit
des Konjunktivs ausstellen will, fallen Unsicherheiten beim Gebrauch der
Konjuktivformen um so stärker ins Auge. (ZEIT 7.10.88, BRAND über KONEFFKE)
Sie sieht die Absurditäten des endenden 20. Jahrhunderts,
aber sie geht sehr unentschlossen mit ihnen um. (SZ 25./26.6.88,
AUFFERMANN über TECHEL)
Nie erliegt er dem exotischen Ambiente seines Stoffes.
(ZEIT 7.10.88, VON BECKER über ROTHMANN)
Die zu häufige Verwendung von toten kleinen Töchtern
[...] entgleitet ins Sentimentalische [...] (SZ 6.8.88, VON BECKER über
DUVANEL)
Die Erzählerin verliert oder vergißt sich
nicht in diesem Augen-Buch [...] (SZ 30.3.88, FRANKE über KIRSCH)
Naturgemäß schießt er dabei zuweilen übers Ziel hinaus, verirrt
sich in Gedankengängen, in die man ihm nicht zu folgen vermag. (FAZ
26.2.88, WEINZIERL über FRIED)
Verzettelt er sich
[...] (FAZ 12.8.88, HEINRICH-JOST über ASMODI)
Das Buch [...] verläppert sich in der
Literaturgeschichte. (ZEIT 7.10.88, LÜDKE über HÄRTLING)
[...] so haben wir es im vorliegenden Falle mit einem im
Garten seiner Einfälle herumtaumelnden Erzähler zu tun [...] (FAZ
28.1.88, ENGEL über KINDER)
Auffällig ist die Anspielung
für die gelehrte Leserschaft auf J. G. Schnabels Buch „Der im Irr-Garten der
Liebe herumtaumelnde Cavalier“ (1738).
Beyse läuft Gefahr, sich zu verrennen. (FAZ
28.9.88, HINCK über BEYSE)
Mangelnde Souveränität zeigt
sich auch im Adjektiv unfreiwillig,
das in allen Belegen mit Komik
gekoppelt ist.
Wenn er seinem Figurenensemble immer wieder zu den
merkwürdigsten Gefühlsausbrüchen verhilft, so zeugen die eher von unfreiwilliger
als einkalkulierter Komik [...] (ZEIT 7.10.88, STEINERT über SAEGER)
Beflissen ergeht sich Asmodi
in der Erörterung [...] (FAZ 12.8.88, HEINRICH-JOST über ASMODI)
Auch hier gilt wieder W.
HINCKs Feststellung, die gute Absicht zähle nur für den Autor, beim
literarischen Werk zähle deren Realisierung (HINCK 1985, 71).
[...] keine Spur von Dilettantismus [...] stört
das Bild sicherer Meisterschaft. (SZ 16.7.88, VON SCHIRNDING über NESTLER)
Sollten jedoch diese altertümelnden Stilisierungen [...]
gar eine Hommage an Kleist darstellen [...], dann kann man nur lapidar
feststellen, daß solches Gestöpsel diesem nicht zur Ehre gereichen
würde. (SZ 5.10.88, HAUCK über MEINECKE)
Die Sprache aber schwankt in ihrer bläßlichen Kraftlosigkeit
zwischen Niedlichem und Lächerlichem [...] (ZEIT 9.9.88, RADDATZ über BOOCK)
Ebenso lassen sich
Gegenbegriffe im Bedeutungsbereich von anstrengung
bzw. leichtigkeit der
künstlerischen Produktion finden. Negativ werten in dieser Bedeutungsgruppe: angestrengt[29]
(sieben Belege), Angestrengtes,
Anstrengung (drei Belege), überanstrengt[30]
(drei Belege), Überanstrengung;
verkrampft[31] (drei
Belege), krampfhaft[32],
krampfig[33]; Gequältes, überambitioniert[34],
sich übernehmen. Sie bilden eine
Gegengruppe zu den positiven Begriffen wie unangestrengt,
leicht, spielerisch, Anmut etc..
[...] denn sie [=die Sprache] begräbt alle Nuancen unter
einem zähen Kleister aus beliebig austauschbaren Metaphern und angestrengter
Originalität. (FAZ 31.5.88, KLESSMANN über ORTMANN)
Zu oft hängt dem ironischen Sprechen etwas Angestrengtes
und Gequältes an [...] (FAZ 29.3.88, HINCK über LETTAU)
Die Anstrengung, die den Autor das ganze
mythologische Unternehmen kostet, macht sich auch auf anderen Ebenen bemerkbar.
(FAZ 4.10.88, UEDING über WALTER)
Überanstrengt wird in zwei von drei
Belegen als Steigerung neben angestrengt
verwendet:
Es ist der Autorin gelungen, ihr in den letzten Texten
angestrengtes, ja überanstrengtes metaphorisches Erzählen in eine
schaubare, bildmächtige Fabel zu formen. (FAZ 29.3.88, KURZ über LEUTENEGGER)
Beyse beschreibt seine Annäherungs- und
Orientierungsversuche in einer angestrengten, manchmal überanstrengten
und zerebralen Prosa. (ZEIT 8.4.88, HORSTMANN über BEYSE II)
Koneffkes Prosa ist nicht frei von manieristischer Überanstrengung
[...] (ZEIT 7.10.88, BRAUN über KONEFFKE)
Was köstlich kapriziös wirken, vielleicht auch den
Eindruck autobiographischer Direktheit vermeiden soll, ist lediglich verkrampft.
(SZ 5.10.88, HAUCK über MEINECKE)
Die Anstrengung des
Künstlers erfährt ihren Ausdruck schon in dem Modalverb sollen, anschließend wird dies verstärkt durch die Feststellung,
die Anstrengung sei umsonst gewesen, eingeleitet durch das gradierende lediglich.
Und nicht selten schmückt sie ihre Texte mit krampfhaft
originellen Bildern [...] (FAZ 3.6.88, JACOBS über TECHEL)
Oder krampfig-komisch [...Beispiel] (FAZ 4.11.88,
HARTUNG über BERGER)
Zu oft hängt dem ironischen Sprechen etwas Angestrengtes
und Gequältes an [...] (FAZ 29.3.88, HINCK über LETTAU)
Das Ganze wirkt preziös und überambitioniert [...]
(ZEIT 14.10.88, WINKELS über HERMANN)
Da hat der Autor sich einfach übernommen.
(FAZ 15.3.88, HANK über DEAN)
Eine Wortgruppe, die den
Gegenpol zu den Begriffen mühelos und
frei bildet, ist mühselig, Mühseliges, bemüht (zwei Belege), Bemühtes, Ausdrucksbemühtheit, Mühe (haben).
Sie hangelt sich von Halbsatz zu Halbsatz, hangelt sich mühselig
weiter [...] (ZEIT 12.8.88, DOTZAUER über REICHART)
[...] eine [...] Lektüre, die sich dauernd den Weg bahnen muß durch Braves und Gewagtes, Mühseliges, traumwandlerisch Selbstverständliches und herzlich Bemühtes. (ZEIT 7.10.88, BAUMGART über WALTER)
Die Gegenüberstellung zeigt
deutlich das positiv (traumwandlerisch,
selbstverständlich) und negativ (mühselig,
bemüht) Bewertete unter dem Aspekt sicherheit
bzw. anstren-gung.
[...] ein albernes Gerangel, das durch den bemühten
Witz der Kommentare noch verlängert wird [...] (FAZ 17.5.88, HINCK über KANT)
Man hört und sieht vor lauter auffälliger Wortmalerei und
Ausdrucksbemühtheit so gut wie nichts, außer eben dies, die bemühte
Auffälligkeit. (SZ 13.7.88, MANTHEY über KONRAD)
[...] elf Erzählungen, die nicht die Mühe und
Anstrengung der Autorin verraten, wohl aber die Intensität der
Auseinandersetzung mit ihrem Thema, der Erinnerung. (ZEIT 23.2.88, HACKL über
TASSONI)
Nicht nur mit der Ökonomie seiner
sprachlichen Einfälle hat der Autor seine Mühe. (ZEIT 7.10.88,
STEINERT über SAEGER)
Gegenüber der positiven
Wertung, ein Werk sei wie von selbst gelungen, naturgemäß, scheinbar zufällig, spontan, dienen folgende Begriffe
der negativen Wertung: Beabsichtigtes,
absichtsvoll, absichtlich, mutwillig[35];
Mache, gemacht, gesucht, ertüftelt, konstruiert, Konstruktion, verkonstruiert,
„Arrangiertes“, zurechtgebogen, grotesk sein wollend, zwingen,
erzwingen, herbeigezwungen, hochgestemmt[36],
aufhalsen, schwergängig, herhalten müssen (zwei Belege), leisten müssen.
[...] weil das einst Beabsichtigte längst zur
zweiten Natur wurde [...] (FAZ 1.10.88, UEDING über KROLOW)
Und den Leser beschleicht der Verdacht, die Autorin wolle
mit all der absichtsvoll arrangierten Verwirrung kaschieren, daß sie im
Grunde nicht viel zu sagen hat. (FAZ 3.6.88, JACOBS über TECHEL)
Seine Männergeschichten sind absichtlich kunstvoll
und auf eine absterbende Art übertrieben [...] (ZEIT 25.3.88, AUFFERMANN über
KELTER)
Die Gedichte sind mutwillig chiffriert [...] (FAZ
9.7.88, WITTSTOCK über ANDERSON)
Die Bewertung durch mutwillig ist in zweierlei Hinsicht
negativ: einmal durch das Bewußte, das Gewollte und durch das Bedeutungselement
des Boshaften.
Doch darauf kommt es bei diesem Büchlein, das Mache
mit Rasse verbindet, nicht an. (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)
[...] nicht kostbar gemacht durch fremden Schmuck,
sondern ernst und echt und streng [...] (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über KIRSCH)
Auch wirkt vieles an Möchels Konstruktion recht gesucht
[...] (FAZ 2.12.88, WEINZIERL über MÖCHEL)
Also sucht und ertüftelt er lauter archimedische
Punkte weit weg vom Zentrum des Romans. (ZEIT 7.10.88, BAUMGART über WALTER)
Sie arbeitet hart, das merkt man ihren konstruierten
Texten an. Begegnungen, Begebenheiten werden zu Metaphern verkürzt. Das bekommt
ihnen selten. (SZ 25./26.6.88, AUFFERMANN über TECHEL)
Gekoppelt mit der negativen
Bewertung konstruiert ist das
Attribut durchsichtig oder offenkundig, jeweils noch mit der
Gradpartikel zu bzw. allzu kombiniert:
Allzu durchsichtig sind sie auf einen scheinbar
hintergründigen Effekt hin konstruiert [...] (FAZ 13.10.88, FULD über
HERMANN)
[...] [die Hauptfigur] notiert auch (etwas zu offenkundig
konstruierte) Träume. (SZ 13.3.88, LEDANFF über SEEHAUS)
Aber diese Dekonstruktion gegenständlichen Erzählens ist
als Konstruktion allzu durchsichtig. (FAZ 28.9.88, HINCK über
BEYSE)
Zu viel scheint da ertüftelt und verkonstruiert.
(ZEIT 7.10.88, BAUMGART über WALTER)
Sie [=die Personen] [...] haben [...] etwas „Arrangiertes“.
(SZ 5.10.88, STROMBERG über ZELLER)
[...] wenn man denn überhaupt Mitgefühl für diese nach
antikem Muster notdürftig zurechtgebogenen Figuren aufbringen kann. (FAZ
4.10.88, UEDING über WALTER)
Warum manche grotesk sein wollenden Auftritte der
Genervten [...], die [...] einfach nur überdreht sind? (SZ 30.4./1.5.88,
LEDANFF über THENIOR)
Grass will es zwingen. Er will denen daheim
Bescheid sagen und sie belehren. (ZEIT 26.8.88, HAGE über GRASS)
Lettaus Tendenz, literarische Qualität gewissermaßen zu erzwingen
[...] (SZ 30.3.88, KAISER über LETTAU)
[...] zu oft werden Pointen herbeigezwungen [...]
(FAZ 29.3.88, HINCK über LETTAU)
[...] da mißrät ihr jetzt der Text zur hochgestemmten
Bedeutsamkeit [...] (SZ 6.8.88, VON BECKER über DUVANEL)
Jedem Substantiv wird ein Adjektiv und jedem Adjektiv
möglichst noch ein Adverb aufgehalst [...] (SZ 13.7.88, MANTHEY über
KONRAD)
Auch die kleine Glühbirne muß einmal als
künstlicher Uterus, ein andermal als spätgeborener Homunkulus herhalten.
(FAZ 15.3.88, HANK über DEAN)
So muß der kumpelhaft beschworene Ahn [=Fontane]
auch für einen ersten schnellen Blick auf Stadt, Land und Leute herhalten.
(ZEIT 26.8.88, HAGE über GRASS)
[...] statt allzuoft ins Zitieren oder Collagieren auszuweichen (was der „Werther“ für Plenzdorf tat, müssen „Wilhelm Meister“ und ein Schnürboden, aus dem die Bildungsanspielungen sich munter in die Handlung senken, für Becker leisten) [...] (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)
4.2.2) Metaphern und Vergleiche
(1) Synästhetische Metaphern
(1.1) Literatur und
Sehempfindung
Mit den Adjektiven schräg und schief (sieben Belege) wird ein unpassendes, erzwungenes Bild, ein
Vergleich oder eine Metapher beschrieben.
[...] schräge Metaphern [...] (FAZ 4.10.88, GÖRTZ
über FELS)
Wer eine Phantasmagorie von diesem Ausmaß, dazu noch mit
einer so schiefen Motivkonstruktion als Rückgrat, über sich ergehen
lassen soll [...] (SZ 13.7.88, MANTHEY über KONRAD)
(1.2) Literatur und Hörempfindung
Die Unsicherheit und
Anstrengung eines Anfängers spiegelt das Bild eines Musikers, der seine Etüden, die wohl auch eher für ein
Pflichtprogramm stehen, verkrampft
absolviert.
[...] das virtuose Spiel [ist] an die Stelle verkrampfter
Etüden getreten. (FAZ 4.10.88, GÖRTZ über FELS)
[...] eine Gegenwelt [...], die sie [...] besingt,
und zwar auf einer etwas altmodischen, nicht immer tonsicher gestimmten
Leier. (FAZ 21.4.88, HINDERER über CÄMMERER)
Nicht auf, aber zu einer
Leier kann man singen. Die Leier steht für ein altmodisches Instrument, das hier in Ermangelung des sicheren
Könnens etwas verstimmt ist.
(2) Eigennamen
Negativ wertend wird nur ein
Name eines Schriftstellers und einer eines Malers angeführt. Der Vergleich mit
dem Expressionisten Kasimir Edschmid (1890 - 1966), der saloppe Alltagssprache
gebrauchte, ist von F. J. Raddatz für Sarah Kirsch nicht schmeichelhaft
gedacht.
Warum finde ich [...] einen „Gin-Tonic von Lufthauch“
geradezu wie von Kasimir Edschmid? Vielleicht gefällt es einem anderen
Leser. (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über KIRSCH)
Auf den Vergleich eines
zweitrangigen Surrealisten mit einem namhaften Surrealisten wurde in Teil 2,
Kap. 4.1.2 schon hingewiesen.
Manchmal landet eine poetische Bildlichkeit, die
verblüffend sein will, auch nur bei einem Mini-Surrealismus, der sich zu
richtigem Surrealismus verhält wie Bele Bachem zu Giorgio de Chirico.
(SZ 28.5.88, DREWS über ALLEMANN)
(3) Andere Textsorten
Ein Vergleich eines
literarischen Kunstwerks mit einem Drehbuch,
einem Feature[37],
der Lyrik eines Redakteurs oder
mit einem Reiseführer läßt an der
Sicherheit und dem Können des Autors zweifeln und einiges als gewollt
erscheinen.
Als ob eine Erzählerin von Angst vor Kurzatmigkeit
geplagt, sich auf Drehbuchgeschicklichkeiten und Feature-Tricks
zurückzöge, die sie eigentlich nicht nötig hat. (SZ 10.9.88, KAISER über
NADOLNY)
Denkgedichte wie „Bloch bleibt Bloch“ zähle ich eher zur
gehobenen Redakteurslyrik [...] (ZEIT 9.12.88, KILB über HENSEL)
Die Beschreibung der amerikanischen Hafenstadt Mobile
erinnert an Reiseführerprosa [...] (ZEIT 19.8.88, HORSTMANN über EIGNER)
(4) Menschlicher Organismus
Mangelnde Leichtigkeit und
Sicherheit legt jemand an den Tag, der plattfüßig
geht, der sich ungelenk[38]
(zwei Belege) und linkisch[39]
(zwei Belege) bewegt oder sich etwas verrenkt
hat.
[Zitat] Man mag es nicht glauben. Diesen plattfüßigen
Satz soll Asta Scheib geschrieben haben? (FAZ 16.3.88, MIEHE über SCHEIB)
Doch wird all dies [...] so unglaublich ungelenk protokolliert
[...] (FAZ 17.9.88, GÖRTZ über WALSER)
[...] bei dem [=Tempo] man Linkisches und Ungelenkes
übersieht. (ZEIT 9.9.88, RADDATZ über BOOCK)
[...] und einer bald klug, bald linkisch, aber
immer sympathisch mit dem Blick von unten dazuarrangierten Zeitgeschichte.
(ZEIT 7.10.88, BAUMGART über WALTER)
Wer eine Phantasmagorie von diesem Ausmaß [...] über sich
ergehen lassen soll, wird sich durch Stilblüten und eine verrenkte
Metaphorik nicht dazu ermutigen lassen. (SZ 13.7.88, MANTHEY über KONRAD)
(5) Psychologie: Hypnose
Der Vergleich mit einer
mißlungenen Hypnose zeigt ebenso das Gelungene eines Werks (die
Hypnoseabschnitte) wie das nicht Gelungene, das Gewollte, das aus der
Unsicherheit des Autors (bzw. Hypnotiseurs) herrührt und den Erfolg des gesamten
Werks (der Hypnose) zunichte macht.
„Das Gedicht von der wiedervereinigten Landschaft“
gleicht einer Hypnose, bei der einen der Hypnotiseur immer wieder aufweckt
und fragt, ob man auch wirklich hypnotisiert sei - was ich bei Beckers
neuem Band leider verneinen muß. (ZEIT 9.12.88, KILB über BECKER)
(6) Bestimmte Altersgruppen
Primaner sind die Schüler der beiden letzten Klassen
des Gymnasiums (12. und 13. Klasse). Diesen 18- bzw. 19jährigen wird im
folgenden Vergleich im Rahmen einer literarischen Produktion generell eher
Unsicherheit und Unerfahrenheit unterstellt, gepaart mit dem Willen zum
großartigen Ausdruck.
„Das Vermächtnis der Juliane Hall“ bleibt damit auf der
Stufe einer um Ausdruck bemühten Primanerprosa, deren Autor sich
überhoben hat. (FAZ 1.3.88, HEINRICH-JOST über BRUN)
(7) Sport
Hangeln ist mit Anstrengung verbunden und bedeutet,
daß man nur langsam und mühsam ans Ziel gelangt. Wer sich von Satz zu Satz hangeln muß, dem fehlt inspirierte
Leichtigkeit.
Sie hangelt sich von Halbsatz zu Halbsatz, hangelt
sich mühselig weiter [...] (ZEIT 12.8.88, DOTZAUER über REICHART)
(8) Handwerk allgemein
Wenn etwas zusammengebastelt ist, hat die
Konstruktion ein Laie ausgeführt, evtl. nur notdürftig mit selbst ersonnenen
Hilfsmitteln, so daß nichts Ganzes daraus entsteht - kein Kompliment für einen
Roman:
[...] die Teile sind [...] schlampig zusammengebastelt.
(ZEIT 25.3.88, KLIER über SCHOLTEN)
Wenn Sätze verschraubt[40]
sind, passen sie nicht harmonisch zusammen, sondern sind gewaltsam
zusammengefügt:
[...] verschraubte Sätze [...] (FAZ 9.7.88,
WITTSTOCK über ANDERSON)
(9) Handwerk: Metzger
Dem Metzgerberuf wird nicht
gerade Feinfühligkeit im Umgang mit dem „Material“ nachgesagt. Ebenso steckt
demnach in den Vergleichen der literarischen Arbeit mit Metzgerei und Wurstfabrik
der Vorwurf des gewaltsamen Umgangs mit dem Wort.
[...] absatzlos jagen die Buchstaben von Seite zu Seite,
ein Gesellenstück der Wortmetzgerei. [...] So wird aus dem Wortkraftwerk
eine Wurstfabrik. (SZ 5.10.88, HÖBEL über GOETZ)
(10) Technik
Wenn im Bereich der Technik
eine Maschine nicht leicht und leise läuft, sondern schwergängig[41]
ist, dann qualmt und rattert sie.
Der Humor wird immer schwergängiger. (FAZ
17.10.88, KOOPMANN über BRANDSTETTER)
[...] also alles [...] zu überlesen, was qualmt
und rattert wie eine Meinungsmaschinerie [...] (ZEIT 7.10.88,
BAUMGART über WALTER)
(11) Stoff und Bekleidung
Hätte sich der Dichter nicht besser beschieden und seinen Versen Raum gelassen, anstatt sie in ein Korsett zu zwängen, diese „Komödien der Hölle“ [Titel], diesen Hüftgürtel, der die schönen Stellen verdeckt und erstickt? (SZ 1.6.88, STADLER über MECKEL)
Das tertium comparationis
nennt der Rezensent jeweils selbst. Korsett
und Hüftgürtel bedeuten einerseits
Einengung bzw. Zwang und andererseits Verdecken des Schönen im literarischen
Werk. Der Kritiker bemängelt, daß der Autor gewaltsam und nicht der Kunst gemäß
vorgeht.
Nächstes
Kapitel: Teil 2 - 5) Originalität und Innovation
[1] DUDEN: „auf einem bestimmten Gebiet durch längere Erfahrung gut Bescheid wissend u. daher gewandt, geschickt“
[2] Etymologie-DUDEN: „(ugs. für) schlau, durchtrieben“
[3] HUNDSNURSCHER/SPLETT (1982, 36) führen in der Kategorie Geschicklichkeits-Adjektive als Untergruppe der verhaltensbezogenen Adjektive die Adjektive flink und unbeholfen an. BÖHEIM (1987, 85) sieht als Bedeutung von geschickt eine positive Bewertung des Könnens des Künstlers und seiner Qualifikation auf einem bestimmten Gebiet.
[4] DUDEN: „1.a) [körperlich] wendig, gewandt; bestimmte praktische Fertigkeiten beherrschend [...] b) gewandt im Umgang mit Menschen, im Erfassen u. Beherrschen komplizierter Situationen; klug; diplomatisch“
[5] DUDEN: „[...] c) Gewähltheit, Sicherheit [imAusdruck]“
[6] DUDEN: „ [...] 3. auf Grund von Übung, Erfahrung so beschaffen, daß man sich darauf verlassen, dem anvertrauen kann [...] 4. ohne Hemmungen zu zeigen, selbstbewußt“
[7] DUDEN: „<bildungsspr.>: bestimmt, entschieden; energisch“
[8] DUDEN: „[...] 3. sicheres Gefühl eines Menschen für etw., intuitives Wissen von etw [...]“
[9] DUDEN: „[...] <geh.> (auf Grund seiner Fähigkeiten) sicher u. überlegen (im Auftreten u. Handeln)“
[10] DUDEN: „eine souveräne, vollendete Beherrschung der betreffenden Sache, [künstlerische] Fähigkeit erkennen lassend“
[11] DUDEN: „meisterhaft-vollendete Beherrschung einer [künstlerischen] Technik“
[12] DUDEN: „svw. meisterhaft“
[13] DUDEN: „a) hervorragend, vollendet (in der Ausführung) [...]“
[14] BÖHEIM (1987, 136) stellt für Meister und Könner fest: „‘Meister’ und ‘Könner’ haben das Merkmal [gut können], das sowohl charakterisierende wie auch wertende Funktion hat [...]“
[15] Im Rahmen der Betrachtung der österreichischen Musikkritiken stellt BÖHEIM (1987, 141) für Bravour, Brillanz, Meisterschaft, Virtuosität und Perfektion fest, sie seien „die am häufigsten belegten Hochwertwörter, die sich auf das meisterhafte (technische) Können der Interpreten beziehen [...].“
[16] DUDEN: „[...] 2. etw., was von großer Könnerschaft zeugt, was meisterhaft ausgeführt ist o.ä. [...]“. BÖHEIM (1987, 194ff.) führt Meister- unter den präfixoidnahen Augmentationsmorphemen an, während sie Bravour- in Bravourstück im Rahmen der Musik nicht als Präfixoid einstuft, da damit ein Stück bezeichnet werde, das Bravour verlangt. Für die Literatur, die als produzierende Kunst und nicht - wie im Falle der Auf-führung von Musik - als reproduzierende Kunst einzustufen ist, gilt diese Unterscheidung nicht. Bravour- kann als präfixoidnahes Element bezeichnet werden, wie ein Beispiel aus dem Jahre 1989 zeigt:
Zweifellos ist „Der Weg nach Oobliadooh“ auch heute noch ein unübertroffenes Bravourstück [...] (SZ 22.3.89, SCHMITT über FRIES)
[17] DUDEN: „[...] 2.a) <o. Pl.> vollendete Meisterschaft, meisterhafte Technik [...]“. BÖHEIM (1987, 141f.) führt Bravour als Hochwertwort für meisterhaftes technisches Können an.
[18] DUDEN: „1. Energie, Vermögen, Fähigkeit zu wirken [...]“
[19] DUDEN: anstrengen: „1.a) <a. + sich> sich mit allen Kräften einsetzen, sich große Mühe geben, um etw. zu leisten“. Eigentlich klingt die Worterklärung des DUDEN positiv, doch im Rahmen der anscheinend immer noch geltenden Genieästhetik ist es ein noch größerer Wert, ein gutes literarisches Werk zu schaffen, ohne sich anzustrengen oder den Leser die Anstrengung spüren zu lassen.
[20] DUDEN: „[...] 2.a) keine große Anstrengung, keinen großen Einsatz erfordernd; nicht schwierig, einfach [...], unkompliziert [...] c) mühelos, spielend [...]“. Besonders Bedeutungsvariante 2 c) ist für die Belege relevant.
[21] DUDEN: „[...] Harmonie [der Bewegung] [...]“
[22] DUDEN: „[...] Anziehungskraft, die von jmds. gewinnendem Wesen ausgeht; Zauber [...]“
[23] DUDEN: „ohne Mühe; nicht die geringste Schwierigkeit bereitend“; Mühe: „mit Schwierigkeiten od. bestimmten Belastungen verbundene Anstrengung; zeitraubender [Arbeits]aufwand“
[24] DUDEN: „[...] 2.a) nicht behindert, nicht beeinträchtigt“
[25] DUDEN: verschwitzen: „1. durch-, naß schwitzen [...]“
[26] DUDEN: „[...] 3.a) einer bestimmten Situation nicht gewachsen, eine bestimmte Tätigkeit nicht vollkommen, nicht souverän beherrschend [...]“
[27] Fremdwörter-DUDEN: „(oft abwertend) Betätigung in Kunst od. Wissenschaft ohne Fachausbildung“; vgl. auch BÖHEIM (1987, 143).
[28] Vgl. FLEISCHER (41975, 186): pejorative Expressivität
[29] DUDEN: anstrengen: „1.a) <a.+ sich> sich mit allen Kräften einsetzen, sich große Mühe geben, um etw. zu leisten [...]“ Dies klingt positiv, es ist jedoch, wie schon oben erwähnt, im Rahmen der Genieästhetik nicht erwünscht, daß man diese Mühe dem Werk anmerkt.
[30] DUDEN: überanstrengen: “jmdm., sich eine zu große körperliche od. geistige Anstrengung zumuten [...]“. Dieses Verb gibt - ähnlich wie zu oder allzu - durch sein augmentatives Präfixoid über- an, daß etwas in zu hohem Maß erfolgt ist (vgl. BÖHEIM 1987, 205). Das DUDEN-Interpretament zeigt auch, was die Rezensenten mit diesem Ausdruck besonders bemängeln: der Autor habe sich eine zu hohe geistige Anstrengung abverlangt, d.h. er ist dem, was er sich vorgenommen hat, nicht gewachsen und hat das rechte Maß verloren. (Vgl. oben Kap. 5 die lexikalisch wertenden Begriffe, die ein allzu sehr angeben.)
[31] DUDEN: verkrampfen: „[...] 3. durch irgendwelche Einflüsse unfrei u. gehemmt werden u. dadurch gequält u. unnatürlich wirken“
[32] DUDEN: „[...] 2. alle Kräfte aufbietend; verbissen“
[33] DUDEN: „gequält u. unnatürlich [wirkend]“
[34] DUDEN: ambitioniert: „<geh.> ehrgeizig, strebsam“; auch hier ist die Bedeutung des augmentativen Präfixoids über- ‘in zu hohem Maß’ für die im Rahmen des vorliegenden Bewertungsaspekts verstärkend negative Bewertung verantwortlich (vgl. BÖHEIM 1987, 205).
[35] DUDEN: Mutwille: „absichtliche, bewußte, vorsätzliche, provozierende Boshaftigkeit, Leichtfertigkeit“; mutwillig: „a) aus Mutwillen geschehend [...] b) <veraltend> leichtsinnig, leichtfertig“.
[36] DUDEN: hochstemmen: „1. (in bezug auf etw. von großem Gewicht) in die Höhe stemmen [...]“
[37] Fremdwörter-DUDEN: „1. a) Sendung in Form eines aus Reportagen, Kommentaren u. Dialogen zusammengesetzten [Dokumentar]-berichtes b) zu einem aktuellen Anlaß herausgegebener, besonders aufgemachter Text- od. Bildbeitrag [...]“
[38] DUDEN: „<geh.>: steif u. unbeholfen, ungeschickt (bes. in den Bewegungen); ungewandt [...]“
[39] DUDEN: „(abwertend): (auf eine Art, die Hemmung, Scheu ausdrückt) unbeholfen u. ungeschickt in Benehmen, Bewegungen, Verrichtungen; ungewandt“
[40] DUDEN: verschrauben: „mit einer od. mehreren Schrauben befestigen“
[41] DUDEN: „<Adj.; Steig. ungebr.; nicht adv.> (Technik): sich schwer handhaben, bewegen, drehen lassend“