5) ORIGINALITÄT UND INNOVATION
Der Durchbruch der
Vorstellung des Dichters als Schöpfer erfolgt bei Goethe, als er auf der
Rückreise von der Schweiz im Juli 1775 in Straßburg angesichts des Straßburger Münsters
erkennt, daß in einem Künstler dieselbe Kraft, die in der großen Natur wirkt,
als Schöpfertum greifbar werde.
In der Antike gibt es noch
keinen Begriff für Schöpfertum. Dichter werden zum Kreis der „göttlichen
Männer“, wie z.B. Heroen, Könige, Priester und Seher, gezählt. Da die Dichter
„lügen“, gilt für sie das Mimesisgebot: Nach der aristotelischen Poetik sollen
sie die Dinge dar-stellen, wie sie sind, wie sie scheinen oder wie sie sein
sollen.[1]
Etwas völlig Neues zu erfinden, wird noch nicht positiv bewertet. Auch PETRARCA
versichert in einem Brief an Karl IV., er sage nihil novum (Epist. fam.
VI, 2), da er meint, Neuheit müsse immer Argwohn erwecken (Epist. fam. X, 1).[2]
Dennoch liegt im ausgehenden Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit die Wurzel
für die Aufwertung des Neuen bezüglich empirischer Forschung, aber auch
bezüg-lich der Einschätzung des Schöpferischen:
Die Aufwertung der mirabilia und meraviglia ist gegen die morphische Statik des Aristotelismus mit seiner Unterstellung der Möglichkeit eines definitiven Kompen-diums der Weltdinge gerichtet und öffnet weit den empirischen Horizont und die ihm entsprechende curiositas. Welche Wandlung der Erwartungen ist verknüpft mit dem Vorgang, daß das Prinzip des nihil impossibile, nihil incredibile jetzt aus einem theologischen Axiom, das als eine letzte, alles bedrohende Ungewißheit über dem Menschen hing, zu einem Postulat der Welterkenntnis geworden ist, das herausfordernd und lockend dem Geist eine neue und fruchtbare Unruhe aufzwingt. (BLUMENBERG 1960, 62)
Die mit Goethes Aufsatz zum
Straßburger Münster so markant akzentuierte Genieästhetik ist auch für die
Buchkritik in unserem Jahrhundert, das gekennzeichnet ist durch eine sich immer
stärker durchsetzende Individualisierung, maßgeblich. Das Individuelle,
Schöpferische und Innovative wird damals wie heute in den Vordergrund rückt. So
sind die Fragen, die die Be-wertenden an ein Buch stellen, an der Tradition,
die im 18. Jahrhundert begründet wurde, orientiert: Hat der Autor nur etwas nachgemacht, oder ist sein Werk etwas Eigenständiges? Geht er nach einem austauschbaren Schema vor oder beweist
er Individualität? Ist sein
Verfahren altbekannt oder neu? Bleibt das Werk im üblichen Rahmen oder ist es etwas Besonderes? Damit bezieht sich der Wertende
immer auf mehrere literarische Texte, denn der bewertete Text wird in Relation
zu früheren Texten gesetzt.
Der Wert des Neuen,
Originellen ist in Ansätzen schon im Barock vorhanden mit dem Ziel der
neuartigen Variation vorgegebener Muster, doch wird damit der Tradition immer
noch ein höherer Rang zugewiesen als der Entwicklung des Neuen. Erst im 18.
Jahrhundert bildet sich das Verständnis von ästhetischer Innovation heraus, weg
von der nur neuartigen Anwendung und Kombination bekannter Elemente hin zur
Forderung nach völlig neuen Erfindungen.
Das
früher selbstverständliche Imitieren von Mustern wird nun tabuisiert und als
Plagiat gebrandmarkt, die Dichter lernen ihre Rhetorik nicht mehr aus Büchern,
sondern folgen dem eigenen Kompositions- und Sprachempfinden. Allerdings dürfen
wir die Wirkung der fortdauernden Schulübung in Rhetorik nicht unterschätzen.
(VON HEYDEBRAND/WINKO 1996, 156)
MAYER (21956,
XVIf.) beschreibt den Wandel des dichterischen Selbstverständnisses und damit
auch der Wertungskriterien für ein literarisches Werk im Sturm und Drang wie
folgt:
Die entscheidende Wandlung, die sich zwischen 1730 und 1830 in den Auffassungen damaliger Ästhetiker und Kritiker über das Wesen der Literatur vollzog, bestand wohl darin, daß hier zum erstenmal, und zwar besonders im Sturm und Drang, die Forderung an die Literatur gestellt wurde, sie solle der Selbstaussage und Selbstverwirklichung [Herv. MAYER] des Dichters dienen.
Die Genieästhetik mit ihren
Schlagworten Natur, Kraft und Schöpfertum wird im Individualitätsideal der Klassik und ihrem
Konzept der Autonomie der Kunst fortentwickelt und in der Romantik noch
insofern radikalisiert, als die Forderung nach Selbstaussage und Selbstverwirklichung
des Dichters die Preisgabe der Allgemeinverständlichkeit in Kauf nimmt. Auch
SCHLAEGER (1972, 9) diagnostiziert in der Kritik des 18. Jahrhunderts nur noch
„die Einmaligkeit des elementar fühlenden Genies und die Subjektivität des
mit- bzw. einfühlenden Lesers“, da im 18. Jahrhundert die Verbindlichkeit der
überlieferten Normen auf den neuen Erfahrungsbegriff stößt, beides nicht in
Einklang zu bringen ist und dadurch die Instanz des Gefühls in den Vordergrund
rückt. Die daraus resultierenden Kriterien sind „Originalität des Dichters als
Zeichen seiner Spontaneität und Lauterkeit und die ‘Tiefe’ des vermittelten
Gefühls.“ (SCHLAEGER 1972, 10)
Im 19. Jahrhundert
entwickelt das Junge Deutschland das Kriterium der Innovation weiter und auch
im 20. Jahrhundert wirkt es fort:
Thomas MANN stellt an
Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ exemplarisch die innovative Wirkung
des „Romanciers als der eigentlichst
modernen Erscheinungsform des Künstlers überhaupt“ (zit. nach BAHR 1982, 356)
dar. Er ist durch sein kritisch-schöpferisches Bewußtsein ein innovativ
Erkennender (vgl. BAHR 1982, 356f.). Schon Goethe zeige dies durch „Vorwegnahme
deutschen Fortschreitens“ (vgl. BAHR 1982, 353).
HINCK (1985, 71) legt seine
Kriterien für literarische Wertung dar und bemißt den Rang eines literarischen
Werks u.a. nach seinem Innovationswert in der Bewußtseinsgeschichte und in der
Geschichte literarischer Formen. Darin sieht PERELMAN (1980, 36ff.) ein
grundsätzliches Phänomen: „Die Einmaligkeit eines Wesens herauszustellen,
bedeutet immer auch, es positiv zu bewerten. Alles Fungible und Austauschbare
ist eben dadurch schon abgewertet.“ In seiner These beruft er sich auf die
Rhetorik des ARISTOTELES, in der der Topos der Qualität ebenfalls schon
angesprochen werde in der Bedeutung, etwas sei vorzuziehen, weil es einzigartig,
selten, unersetzlich, nicht wiederkehrend ist.[3]
Dies versucht HÖRMANN (1976, 51) in Anlehnung an BERLYNE (1971) wiederum
psychologisch zu erklären: Die Aufmerksamkeit wird durch Intensität, Neuheit
und das Bedrohliche von Reizen forciert, so daß der Kritiker, auch wenn sein
Verhalten nicht durch Reize determiniert ist, eher auf diese Reize reagiert.
Die negativ bewertete Verwendung von Klischees
(s.u. Kap. 5.2.1) erläutert HÖRMANN (1976, 56f.) durch das auf die Kunst
angewandte Kommunikationsmodell, das einen intentionalen Akt des Künstlers,
einen Code und einen intentionalen Akt des Rezipienten[4]
beinhaltet:
Wird in der Kunst aber trotzdem versucht, Entstehung und Verlauf des intentionalen Aktes sicherzustellen dadurch, daß der Künstler Codiertes (und das heißt hier immer: Konventionelles) in das Kunstwerk einbezieht, so tritt die mögliche ästhetische Wirkung hinter einem ‘Verstehen der gemeinten Aussage’ immer mehr zurück.
TOBLER (1982, 166) erkennt
in dieser Betonung des Neuen geradezu das „Schlüsselmaß“ der Kritik: „Auf ein
gemeinsames Merkmal können sich die meisten Kritiker noch einigen: auf das des
Neuen. Es hat sich als Schlüsselmaß durchgesetzt. Was nicht Experiment ist,
fällt aus der Konkurrenz.“[5]
ADORNO jedoch, der eine
antiklassische und antirealistische Wertsprache entwickelt, betont für die
Moderne die Werte der Diskontinuität, des Fragmentarischen und der Allegorie
aus Versatzstücken, so daß für ihn Innovation keine schöpferische Erfindung von
völlig Neuartigem bedeutet, sondern neue Kombination tradierter, zum Teil
trivial gewordener Requisiten. In neuer „Konstellation“ werden sie zur
„Allegorie“ des alten zerbrochenen Ganzen. (ADORNO
1958a, 130, 124f.) Damit steht ADORNO dem Barock näher als der Klassik, hält aber dennoch
die Forderung nach Neuartigkeit aufrecht.
Auch von seiten der
ideologiekritischen Position, die z.B. LUKÁCS vertritt, wird Regression in der
Literatur verurteilt, Fortschrittliches hingegen positiv hervorgehoben, da
diese Art der Kritik an die Veränderbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse
durch Kritik glaubt.
Ebenso zeigt der
Strukturalist MUKAROVSKÝ (1970, 73) den Normbruch im literarischen Kunstwerk
als hohen Wert an. Übereinstimmend mit ihm und den russischen Formalisten
vertritt JAUß (1970, 188f.) „ein fortschreitendes Verstehen, das notwendig auch
Kritik der Tradition und Vergessen einschließt“. Eine neue Sichtweise kann die
automatisierte Wahrnehmung durchbrechen. Für den Rezeptionsästhetiker JAUß ist
das Werk am wertvollsten, das immer neue Rezeptionen ermöglicht und damit die
Konstitution immer neuer Bedeutungen. Damit umgrenzt er als Maß für den
ästhetischen Wert eines Werks die „Distanz zwischen Erwartungshorizont und
Werk“ (JAUß 1970, 178). Je größer die Distanz, die eine neuartige ästhetische
Erfahrung ermöglicht und Trivialisierung zu vermeiden hilft, desto wertvoller
ist das Werk. Innovation bezieht sich bei JAUß damit nicht nur auf das Werk,
sondern gerade auch auf die Rezeption.
Den Grund für die Betonung
des Kriteriums der INNOVATION sehen Theoretiker der zeitgenössischen
Literaturkritik im Warencharakter der Literatur. MECKLENBURG bezeichnet die
Literaturkritik als eine sekundäre, warenanpreisende Ware, die abhängig sei von
der primären Ware Literatur und der mit ihr zusammenhängenden „Warenrhetorik“[6].
„Am literaturkritischen Gebrauch des Kriteriums der Innovation und der auf ihm
basierenden Wertungsstrategie, dem ‘Zusammenhang von Innovationsethos und
Umsatzförderung’[7], ließe sich
das präzise belegen.“ (MECKLENBURG 1977, 43f.) Dem stimmen VON HEYDEBRAND/WINKO
(1996, 122) zu:
Der
Maßstab ‘Neuheit’ bewertet vor dem Hintergrund bereits bekannter, in ihrem Reiz
abgenutzter Inhalte und Formen das Neue als das Modische. Es ist das, was einem
Trend folgt, der wirtschaftlichen Erfolg oder gesteigertes Ansehen verspricht.
In bestimmten gesellschaftlichen Gruppen gilt am meisten, wer immer ganz ‘vorn
dran’ ist. Es ist nicht zu übersehen, daß die Wertmaßstäbe ‘Originalität’ und
‘Innovation’ als literaturinterne Varianten von ‘Neuheit’ - auch historisch -
wohl im Zusammenhang mit der Ausbildung von Konkurrenzverhältnissen in einer
auf kommerziellen Gewinn orientierten Gesellschaft stehen und an Bedeutung
gewinnen.
Andererseits wird das
Kriterium der INNOVATION (=Differenz zum Vorausgegangenen) zum letztmöglichen
Beurteilungskriterium, wenn die Annahme einer Bestimmung des ästhetischen Werts
durch gebildete ‘Kenner’ (ahistorisch) oder durch die Ableitung aus den
jeweiligen ästhetischen Diskursen (historisch) geleugnet wird.
5.1) Positiv wertend
5.1.1) Lexeme, Wortbildungen, Wortgruppenlexeme
Daß ein Autor fähig ist, ein
Werk als etwas Eigenständiges und
nicht Nachgemachtes entstehen zu
lassen, bezeichnen Rezensenten mit folgenden Begriffen: ingeniös[8], eigen[9]
(zwei Belege), eigenständig, originell[10]
(fünf Belege), Sprachschöpfung,
Erfindungsreichtum, Einfallsreichtum, Szeneneinfälle, Erzähleinfall.
Die Entscheidung der Jury war eine Anerkennung [...] für
[...] seine zugleich ingeniös verspielte wie kraftvolle Sprache.
Ebendiese Talente bestätigten sich in seinen späteren Büchern, bis hin zum
jüngsten, dem Roman „Barbarswila“. (FAZ 10.9.88, JACOBS über SPÄTH)
Beide Belege, die das
Adjektiv eigen verwenden, fügen eine
Gradpartikel davor[11].
Dies zeigt, daß die Verwendungsweise eine andere ist als z.B. in dem Satz Das ist ihr eigenes Fahrrad, der keine
Gradierung von eigen zuläßt: *Das ist ihr sehr/ganz eigenes Fahrrad[12].
[...] in einer sehr melodischen, sehr magischen,
bezaubernden und vor allem [...] sehr eigenen Prosa. (ZEIT 9.12.88,
HAMMERSCHMIDT über BEYSE)
Das ist kein geborgtes Märchen, das ist ein ganz eigener
Ton [...] (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über KIRSCH)
Dieser Autor ist, trotz einiger Manierismen, ein ganz eigenständiges,
ja beinahe unzeitgemäßes Talent. (FAZ 17.9.88, SCHIRRMACHER über RANSMAYR)
Als originellste Neuerung dürfte wohl der Plan
gelten, mit dem die „Geschwister“ mit ihren sprachlichen Bildern der
suggestiven Wirkung der Kinototale Konkurrenz machen wollen [...] (SZ 14.9.88,
LEDANFF[13]
über SCHERTENLEIB)
Daß jemand schöpferisch ist,
zeigt sich daran, daß er Einfälle
hat, bzw. daß diese Einfälle phantastisch
sind:
[...] bei einer Autorin, der oft genug subtile
Wahrnehmungen und Sprachschöpfungen gelingen. (SZ 19.11.88, VON BECKER
über SCHMIDT)
Zu einem größeren Erzählgestus jedoch scheinen Kraft und Erfindungsreichtum
der Autorin nicht auszureichen. (FAZ 2.12.88, OBERMÜLLER über SCHUTTING)
Wer zu lesen versteht hat viel Spaß an dieser
„Verabredung in Rom“; an ihrem Einfallsreichtum [...] (SZ 5.10.88,
BENDER über HEGEWALD)
Die Tatsache, daß nach der Lektüre vor allem manch gut
ausgespielte Szeneneinfälle in Erinnerung bleiben, beweist [...]. Wieder
erst am Ende des 11. Kurzkapitels gibt es einen neuen Erzähleinfall
[...] (SZ 30.4./1.5.88, LEDANFF über THENIOR)
Ankommen die Geschwister allenfalls in einem stereotypen „Reich der Sinne“ - wobei die Fahrt dorthin bei der Fülle der phantastischen Einfälle so langweilig nicht ist. (SZ 14.9.88, LEDANFF über SCHERTENLEIB)
Die Frage, ob der Autor ein austauschbares Schema benutzt oder Individualität beweist, wird
folgendermaßen mit einer positiven Wertung beantwortet: unverwechselbar (zwei Belege), einzigartig[14],
Figuren sind Individuen, der Autor
zeichnet sich aus durch reiche Phantasie,
Dialogphantasie, ist phantasievoll,
phantasiefreudig.
Gertrud Leutenegger, 1948 in Schwyz geboren, gelingt die
Phantasmagorie einer autarken, unverwechselbaren Erlebnislandschaft
[...] (SZ 18.5.88, VON SCHIRNDING über LEUTENEGGER)
[...] Vorzüge des Talents von Herta Müller: [...]
Geschichte und Geschichten zwischen den Zeilen zu erzählen, die einen unverwechselbaren
Ton haben [...] (FAZ 6.2.88, WEINZIERL über MÜLLER)
An diesem exzentrischen Ort gewinnt Enzensbergers Stimme
ihren im deutschen Essayismus einzigartigen Ton. (FAZ 4.10.88,
SCHIRRMACHER über ENZENSBERGER)
Statt dessen werden [...] die Figuren zu Typen statt zu Individuen
gemacht [...] (SZ 9.1.88, MOSER über PELTZER)
Leider verwendet die Autorin wenig von ihrer sonst reichen
Phantasie auf die Beschreibung der wissenschaftlichen Grundlagen des
Wundermittels [...] (ZEIT 25.3.88, KLIER über SCHOLTEN)
Mit einer ironischen Dialogphantasie, analytischer
Genauigkeit in den Beobachtungen und dramaturgischem Raffinement inszeniert er einen
heimlichen Tropenthriller [...] (ZEIT 7.10.88, VON BECKER über ROTHMANN)
Uwe Dick, der [...] phantasievollste bayerische
Dichter dieser Jahre [...] (ZEIT 7.10.88, HOHOFF über DICK)
[...] phantasiefreudige Erzählgedichte [...] (FAZ 25.5.88,
HINDERER über SCHENK)
Die Frage, ob Altbekanntes oder Neues in einem Werk zu verzeichnen ist,
beantworten die Begriffe neu (drei
Beispiele), das Neue, unverbraucht[15],
produktiv[16] mit
einer positiven Wertung.
In den Liebesgedichten des Bandes gewinnt das Pathos eine
wirklich neue und produktive Kraft [...] (FAZ 30.1.88, UEDING
über ECKART)
[...] dies ist das eindrucksvoll Neue in Jutta
Schuttings verdichteter Beschreibungskunst [...] (SZ 2.11.88, LEDANFF über
SCHUTTING)
Auch die Lust am überraschenden Stillagen-Wechsel wirkt
in den späteren Texten so unverbraucht wie in den früheren [...] (ZEIT
22.4.88, NEUMANN über AICHINGER)
Als Lob für etwas
Originelles ist es auch zu sehen, wenn ein Buch als schön abgeschmackt[17]
bezeichnet wird. Der Kontext zeigt, daß das lexikalisch negativ wertende Lexem abgeschmackt in folgender Rezension
positiv wertend gebraucht wird.
Alles in allem ein schön anarchistisches, [...] schön abgeschmacktes
Buch [...] (ZEIT 7.10.88, KLIER über KOFLER)
Entscheidet der Rezensent,
das Werk sei etwas Besonderes und
verlasse den üblichen Rahmen, so
ist dies als deutliches Lob bezüglich der Originalität zu werten. Ein Teil der
Begriffe wird bei HUNDSNURSCHER/SPLETT (1982, 37) unter der Rubrik „Normabweichungsadjektive“
zusammengefaßt, deren Wertungsrichtung - wie BÖHEIM (1987, 58, 94) bemerkt -
erst durch den Kontext deutlich wird. Die hier aufgelisteten Normabweichungen
sind jedoch alle positiv bewertet, da die Norm - das Übliche - negativ
eingeschätzt wird: außergewöhnlich[18]
(zwei Belege), ungewöhnlich[19],
außerordentlich, unvergleichlich[20],
unerhört.
[Zweite Überschrift] Der außergewöhnliche
Debüt-Roman der Ost-Berliner Romanistin Brigitte Burmeister. (SZ 10.9.88, WEISS
über BURMEISTER)
[...] und dennoch mangelt es ihr nicht an außerordentlicher
Poesie. (SZ 14.5.88, BEHAM über LANGE-MÜLLER)
[...] daß die Resonanz auf diese unvergleichlichen
Prosaarbeiten [...] (SZ 29.4.88, IRRO über HEGEWALD)
[...] und damit unerhörte Verse entstehen können
[...] (FAZ 1.10.88, UEDING über KROLOW)
Daß sich der Autor etwas
Besonderes ausgedacht hat, wird deutlich in folgenden Formulierungen: Kabinettstück[21],
Kabinettstückchen (zwei Belege), Trouvaille[22];
Wagnis[23],
Gewag-tes, Kühnheit[24]
(zwei Belege), experimentierfreudig[25],
eigenwillig[26], Eigenwilligkeit.
Ein Kabinettstück kunsthistorischer Essayistik
sind seine [...] Kommentare zu den Höhlenmalereien [...] (FAZ 28.9.88, HINCK
über BEYSE)
Zu den Kabinettstückchen des Bandes gehören zwei
Anagrammgedichte [...] (SZ 28.5.88, DREWS über ALLEMANN)
Die Diminutivform im
vorausgehenden Beispiel verleiht dem Lob expressiveren und emotionaleren
Charakter.
Dabei an keiner Stelle ein wirkliches Wagnis
gegenüber konventionellem Satzbau und Wortbestand [...] (SZ 13.7.88, MANTHEY
über KONRAD)
[...] eine [...] Lektüre, die sich dauernd den Weg bahnen
muß durch Braves und Gewagtes [...] (ZEIT 7.10.88, BAUMGART über WALTER)
Uwe Saegers Prosa gehört in diesem Frühjahr zu den
überraschendsten, den bemerkenswertesten Importen aus der DDR: überraschend der
Kühnheit und Entschlossenheit wegen, mit der er die neue Melodie, die in
Moskau von den Dächern gepfiffen wird, in einleuchtende Geschichten umsetzt
[...] (FAZ 29.3.88, GÖRTZ über SAEGER)
[...] weisen ihn als einen experimentierfreudigen,
mitunter spröden Lyriker aus. (FAZ 9.7.88, WITTSTOCK über ANDERSON)
[...] und er spielt ihn [=den Dudelsack] mit eigenwilliger
Bravour [...] (FAZ 4.10.88, GÖRTZ über FELS)
Zwar läßt sich ohne Schwierigkeiten die zuweilen
reizvolle Eigenwilligkeit seiner Prosa bemerken [...] (SZ 15.11.88,
FALCKE über BEYSE)
5.1.2) Metaphern und Vergleiche
Die positiv wertenden
Metaphern und Vergleiche stammen aus den Bildbereichen Hör- und
Geschmacksempfindung (Synästhesien), Zirkus, Spiel und Natur. Unter den
Eigennamen wird positiv wertend bezüglich der Originalität Jean Paul genannt.
(1) Synästhetische Metaphern
und Vergleiche
(1.1) Literatur und
Hörempfindung
Denn nicht die Harfe, sondern der Dudelsack ist das genuine Instrument des Lyrikers Ludwig Fels, und er spielt ihn mit eigenwilliger Bravour: ohne die mindeste Furcht vor Dissonanzen, ohne die geringste Angst davor, aus dem Takt zu geraten. (FAZ 4.10.88, GÖRTZ über FELS)
Die Harfe wird als das dem „normalen“
Dichter eigenes Instrument genannt, wohl abgeleitet aus der griechischen
Tradition, deren Mythologie Apoll - dem Gott der Dichtkunst - die Lyra zuweist.
Generell sind Saiteninstrumente - z.B. auch die Kithara - der gehobenen
Dichtung gemäßer als Blasinstrumente, wie z.B. der Aulos, die der
dionysisch-ekstatischen Kunst zugeordnet werden. Vergleichbar damit ist der in
der Rezension genannte Dudelsack; die Zuordnung dieses Instruments zu einem
Lyriker (vgl. Lyra) sagt aus, daß er nicht in den üblichen Rahmen paßt und
Eigenständiges, Ungewöhnliches produziert.
(1.2) Literatur und
Geschmacksempfindung
Ich stelle mir vor, daß Koflers maulende Mißgunst, bildlich gesprochen, das Ventil eines Papinschen Topfs [=Dampfkochtopf] sei, in welchem ein famoses Gemisch aus Galle und Herzblut, Alkohol und Tristitia brodelt. Mir schmeckt diese Suppe. (SZ 14.9.88, KRAMBERG über KOFLER)
Die ungewöhnliche Mischung
der Zutaten der Suppe belegt, daß der
Künstler etwas Eigenes, Besonderes geschaffen hat.
(2) Eigennamen
Positiv wertend bezüglich
Originalität wird Jean Paul genannt; der Vergleich mit dem Autor Dick fällt
insgesamt ebenfalls positiv aus.
[...] sie [=die „Sauwaldprosa“] ist wie die Jean Pauls
ein großer Monolog aus Einfällen und Einreden [...] (ZEIT 7.10.88, HOHOFF über
DICK)
(3) Zirkus
Das Wagnis des Neuen,
Ungewöhnlichen, das die Autorin Ulla Hahn nicht eingehen will, wird im
folgenden Zirkusbild mit den Seiltänzern
umschrieben, die sich in die dünne Luft
in der Höhe des Seiles erheben und abstürzen
können.
Den Beifall der Kritiker hat sie [=die Autorin] sich
redlich verdient: wo die Seiltänzer fehlen, da muß man eben den
Jongleuren applaudieren. In der lyrischen Manege sind sie die neuen Herren:
Wort-Artisten, die die dünne Luft der freien Rhythmen meiden,
freundliche, bodenständige Handwerker mit kleinen Zaubertricks, Pausenclowns
als Galanummern. Weil sie sich keinen Versbreit übers Gewohnte erheben,
können sie auch nicht abstürzen. (ZEIT 25.3.88, KILB über HAHN)
(4) Natur
Eine grüne Weide ist frisch und nährstoffreich, daher ist ein Drama, das
so bezeichnet wird, sicher nicht alt und ohne Ideen.
Selbst wenn das Stück von 1986 demnächst auf dem Theater
ein bißchen zu spät kommt, ist es für seine Adressaten immer noch eine grüne
Weide. (FAZ 7.12.88, WIRSING über HACKS)
(5) Spiel
Ein Joker[27] stellt eine besonders wertvolle, vielseitig
einsetzbare Spielkarte dar; dies Besonde-re und Außergewöhnliche ist das
tertium comparationis zur literarischen Figur.
Wenn Uwe Saeger seine repräsentativen Protagonisten mehr
zu literarischen Jokern machte, würde seine Prosa noch um einiges
interessanter. (SZ 12.3.88, SCHMITT über SAEGER)
5.2) Negativ wertend
5.2.1) Lexeme, Wortbildungen, Wortgruppenlexeme
Gelobt wird das Eigenständig-individuelle, getadelt
wird das Nachgemachte mit
folgenden Wörtern: Klischee[28]
(15 Belege), Klischeebilder,
klischeehaft, Klischee-haftigkeit, sich in die Tradition der ... stellen,
epigonal[29], Epigonales
(zwei Belege), Pastiche[30],
abgekupfert[31], geborgt
(zwei Belege), fremd (zwei Belege), einfallslos.
Daher bleibt [...] der Winter-Clan das Klischee
eines sagenhaften Geschlechts [...] (FAZ 4.10.88, UEDING über WALTER)
[...] und die Situationen des Scheiterns sind meist Klischeebilder
[...] (SZ 5.10.88, HAUCK über MEINECKE)
Die Einseitigkeiten und Übersteigerungen bei der
Personendarstellung sind derart groß, daß sie zuweilen bloß
witzig-karikaturistisch oder klischeehaft wirken [...] (ZEIT 14.10.88,
LÜTZELER über SPÄTH)
Der Autor stattet sie nun mit Einsichten aus, die an Klischeehaftigkeit
schwer zu überbieten sind [...] (FAZ 7.4.88, FULD über EISENDLE)
Deutlich, oft allzu deutlich stellt sich der Roman in die
Tradition der großen Anti-Utopien von Samjatin, Huxley [...] (ZEIT
25.3.88, KLIER über SCHOLTEN)
[...] urbanes Parlando, bisweilen epigonal,
preziös, witzig und bildungsgeschmückt. (SZ 10.2.88, KNODT über ASMODI)
Was nötig wäre: die große, drängende Form, die die Mauer
des Epigonalen endlich durchbräche. (ZEIT 25.3.88, KILB über HAHN)
[...] dieses [sic!] Pastiche ist uneinleuchtend
[...] (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über KIRSCH)
Daran muß es liegen, daß auch die Sätze, die von ihm
[=der Hauptfigur] berichten, mitunter reichlich abgekupfert klingen
[...] (SZ 6.7.88, HÖBEL über DOBLER)
Elisabeth Reicharts zweites Buch „Komm über den See“
entlehnt seinen Titel einem Gedicht von Sarah Kirsch. Auch sonst ist alles geborgt
[...] (ZEIT 12.8.88, DOTZAUER über REICHART)
Doch spricht er [=der Autor] mit fremden Zungen,
immer wieder. Thomas Bernhard ist da zu hören [...] (ZEIT 14.10.88, CRAMER über
ROTH)
Viele dieser Eintragungen sind ganz einfach einfallslos
[...] (FAZ 30.4.88, SCHIRRMACHER über BURGER)
Daß ein Werk nur nach einem
vorhandenen Schema und nicht individuell geschrieben wurde, zeigen
Ausdrücke wie stereotyp[32],
Stereotyp[33], Typ[34],
Schablone[35],
schematisch[36],
mechanisch, Routine[37],
Versiertheit[38],
phantasielos, beliebig austauschbar, Versatzstück (zwei Beispiele), Versatzkasten.
Ankommen die Geschwister allenfalls in einem stereotypen
„Reich der Sinne“ [...] (SZ 14.9.88, LEDANFF über SCHERTENLEIB)
Schade, daß hier die Selbstanrede auf das Stereotyp
[...] setzt [...] (SZ 24.2.88, KURZ über HANNSMANN)
Statt dessen werden die Geschichten mit Schablonen
erzählt, die Figuren zu Typen statt zu Individuen gemacht [...] (SZ
9.1.88, MOSER über PELTZER)
Allerdings wirken die Darstellungen flüchtig und nicht
selten schematisch. (FAZ 2.8.88, BIELEFELD über HENISCH)
Solche Redeweise bringt Widersprüche auf den Punkt. Doch
versagt sie die erhellende Wirkung, sobald sie nur noch mechanisch
gehandhabt wird [...] (FAZ 29.3.88, HINCK über LETTAU)
Die Routine ist abgetan, die Versiertheit vergessen. (FAZ 16.4.88, HARTUNG über HAHN)
Versiert weist in der DUDEN-Erklärung keine
abwertende Komponente auf, doch ist Versiertheit
hier in ähnlichem Sinne gebraucht wie Routine
in der DUDEN-Bedeutung b).
Doch wird all dies [...] so furchtbar phantasielos
in Szene gesetzt [...] (FAZ 17.9.88, GÖRTZ über WALSER)
[...] denn sie [=die Sprache] begräbt alle Nuancen unter
einem zähen Kleister aus beliebig austauschbaren Metaphern und
angestrengter Originalität [...] (FAZ 31.5.88, KLESSMANN über ORTMANN)
[...] hiesige Versatzstücke des intellektuellen
Diskurses über die allgemeine Befindlichkeit wie „am Rande des Nichts“ oder
andere Gefühlsplakate [...] (SZ 24.12.88, FELDES über SÖLLNER)
Da überrascht die enttäuschende Romanze mit dem
Journalisten genausowenig wie der Versatzkasten psychosomatischer
Beschwerden. (SZ 11.6.88, LEDANFF über REICHART)
Ein Verdikt über den Autor
und sein Werk bedeutet es ebenfalls, wenn dem Werk bescheinigt wird, es
enthalte nichts Neues, d.h. wenn
das Rezensionsobjekt oder Elemente daraus folgendermaßen bezeichnet werden: betagt[39],
Platitüde[40] (zwei
Belege), abgedroschen, abgeschmackt
(zwei Belege), abgestanden[41],
abgegriffen[42], abnutzen[43],
abgenutzt (zwei Belege), von
vorgestern, altbacken[44]
(zwei Belege), altmodisch, längst
Gedachtes, sattsam bekannt (drei Belege), sich neu gerierend, überkommen, Anekdote[45].
Wenn Christine Brückner doch erkannt hätte, daß
Lebensweisheiten manchmal nur betagte Platitüden sind. (FAZ
2.8.88, MEYHÖFER über BRÜCKNER)
[...] keine Persiflage [ist ihm dabei] zu abgedroschen
[...] (ZEIT 25.3.88, SCHMICKL über MAURER)
Sogar das von Ovid inspirierte Leitmotiv [...] wirkt
immer abgeschmackter, je länger man darüber nachsinnt. (SZ 22.10.88,
KAISER über RANSMAYR)
Interessant ist die
kontextuell auch mögliche positive Wertung durch das Adjektiv abgeschmackt im Sinne eines ‘originellen
Einfalls’, wie es der Beleg in Kap. 5.1.1 zeigt.
Eine Prosa, die sich bei einer derart abgestandenen
Parallele zu beruhigen vermag [...] (SZ 15.11.88, FALCKE über BEYSE)
[...] mit oft abgegriffenen oder sogar schiefen
Bildern garniert [...] (FAZ 4.10.88, UEDING über WALTER)
Es kann nicht ausbleiben, daß auch im Werk Dürrenmatts
die fortwährende Beschwörung der Menschheits-katastrophe den Warnruf abnutzt
[...] (FAZ 2.7.88, HINCK über DÜRRENMATT)
Er schiebt die abgenutzte, expressionistische
Metaphorik seiner frühen Texte beiseite [...] (FAZ 9.7.88, WITT-STOCK über
ANDERSON)
Das sieht schließlich aus wie Gegenwartsliteratur - und
ist von vorgestern. (ZEIT 12.8.88, DOTZAUER über REICHART)
Eingerahmt von gleich zwei Herausgeberfiktionen, diesem
treuherzig-altbackenen Trick [...] (ZEIT 11.3.88, MODICK über
DIEDERICHSEN)
[...] eine Gegenwelt [...], die sie [...] besingt, und
zwar auf einer etwas altmodischen, nicht immer tonsicher gestimmten
Leier. (FAZ 21.4.88, HINDERER über CÄMMERER)
Mit feierlichem Tremolo wird längst Gedachtes oder
schon im Satzbau Zweifelhaftes vorgetragen [...] (FAZ 20.9.88, MIEHE über
BLATTER)
Der wortkarge Held in Ulrich Peltzers erstem Roman „Die
Sünden der Faulheit“ ist mit den sattsam bekannten Eigenschaften der
desillusionierten und abgeklärten Großstadt-Generation der achtziger Jahre
ausgestattet [...] (ZEIT 4.3.88, BRAUN über PELTZER)
Diese sich neu gerierende, doch sattsam
bekannte „Wildheit“ [...] (ZEIT 11.3.88, MODICK über DIEDE-RICHSEN)
Berger dichtet in überkommenen Formen: Lied, Ode,
Sonett. (FAZ 4.11.88, HARTUNG über BERGER)
[...] und [sie] reiht [...] Anekdoten und Insider-Anspielungen für Theaterleute aneinander. (SZ 30.11.88, KÄSSENS über BERKÉWICZ)
Die DUDEN-Erläuterung zu Anekdote enthält zwar keinen Hinweis auf
ein Bedeutungselement ‘alt’ oder ‘bekannt’, doch in diesem Kontext ist die
negative Wertung bezüglich der Originalität offensichtlich; Bekanntes oder
nichts Besonderes wird aneinandergefügt und ergibt keine herausragende
künstlerische Leistung.
Das Gegenteil zur positiven
Wertung produktiv (s.o. Kap. 5.1.1)
wird durch unproduktiv[46]
(zwei Belege) bzw. unfruchtbar
ausgedrückt:
Man kann sie nicht mehr hören, diese ewigen, unproduktiven
Bekenntnisse über die neue Sprache, die nie eine eigene Sprache finden. (FAZ
30.4.88, SCHIRRMACHER über BURGER)
Entsprechend unfruchtbar ist auch die Annahme, die
den Titel begründet: Die Menschen seien [...] zu vergleichen mit den Tieren.
(SZ 15.11.88, FALCKE über BEYSE)
Daß ein Werk im üblichen Rahmen bleibt und nichts Besonderes darstellt, zeigen
Ausdrücke wie üblich[47],
naheliegend[48],
vorhersehbar:
Sie [=biographische Nachrichten über Dichterlesungen und
den Kulturbetrieb] kommen über die übliche Selbstbespiegelung nicht
hinaus [...] (SZ 30.4./1.5.88, HÜFNER über HAUFS)
Es fallen ihm [=dem Autor] höchstens die naheliegenden
Adjektive und Verben ein, so daß ein Radio stets „plärrt“ und die Augen
aufblitzen. (FAZ 1.3.88, HEINRICH-JOST über BRUN)
Auch nur kurz sei darüber nachgedacht, warum die
weiblichen Biographien, gerade wenn sie allgemeine Zeitprobleme transportieren,
mit soviel vorhersehbaren Episoden und Bildern ausstaffiert werden. (SZ
11.6.88, LEDANFF über REICHART)
Richtig
gemacht, aber
nichts Besonderes ist ein Gesamturteil,
das gemäßigt negativ ausfällt (vgl. BÖHEIM 1987, 74) und sprachlich realisiert
wird durch Braves[49],
korrekt[50],
gepflegt, konventionell.
Was für eine lähmende, was für eine aufregende Lektüre,
die sich dauernd den Weg bahnen muß durch Braves und Gewagtes,
Mühseliges, traumwandlerisch Selbstverständliches [...] (ZEIT 7.10.88, BAUMGART
über WALTER)
Er [=der Autor] dichtet korrekt, gewissermaßen in gepflegter
Sprache. Aber hatte Benn nicht recht mit der Behauptung, es gebe „gepflegte
Biere“, doch keine „gepflegte“ Sprache? (FAZ 4.11.88, HARTUNG über BERGER)
Dabei an keiner Stelle ein wirkliches Wagnis gegenüber konventionellem
Satzbau und Wortbestand [...] (SZ 13.7.88, MANTHEY über KONRAD)
Daß nichts Ungewöhnliches
produziert wurde, sondern nur Zeitgemäßes, zeigen die Adjektive schick[51]
bzw. modisch an.
Ganz uneinsehbar aber ist der fast schicke Gebrauch der Parataxe. (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über KIRSCH)
[...] vielleicht weil seine ruhige und genaue Sprache nur
modische Klischees vermeidet [...] (SZ 30.3.88, BONDY über LANGE)
[...] spätestens da kippen ihre ätzend-bösen Geschichten
ins Modisch-Unverbindliche ab. (FAZ 13.12.88, OBERMÜLLER über WOHMANN)
5.2.2) Metaphern und Vergleiche
Die Bildbereiche für negativ
wertende Metaphern und Vergleiche bezüglich des Aspekts ORIGINALITÄT/INNOVATION
sind: Sehempfindung, Geschmacksempfindung (Synästhesien), andere Textsorten,
andere Kunstepoche, Film, Zirkus, Psychologie, Schule, Sport, Technik, Büro,
Handel, Stoff und Bekleidung, Material (Papier). Als negativ bewerteter
Eigenname wird Kristiane Allert-Wybranietz angeführt.
(1) Synästhetische Metaphern
und Vergleiche
(1.1) Literatur und
Sehempfindung
(1.1.1) Malerei, Graphik
Nicht individuell, sondern
klischeehaft schreibt der kritisierte Autor:
Statt dessen werden die Geschichten mit Schablonen
erzählt [...] (SZ 9.1.88, MOSER über PELTZER)
(1.1.2) Bildhauerei,
Architektur
Es [=das Gedicht] paßt zur Gegenwart wie die renovierte
Römerbergzeile zu Frankfurt. Es ist Fachwerk, abgeriegelt von Zeitgenossenschaft.
(ZEIT 25.3.88, KILB über HAHN)
Altmodisch und nicht
zukunftsweisend oder innovativ - dies ist der Kritikpunkt, der sich aus dem
Vergleich ergibt.
(1.1.3) Fotografie
[...] das macht den Rang und den Reiz dieses Buches aus, auch wenn gelegentlich familiäre Postkartenansichten stören. (SZ 5.10.88, SCHMITT über MOOG)
Auch hier stört den Kritiker
der Mangel an Individualität und Einzigartigkeit einzelner Szenen des Buches.
(1.2) Literatur und
Geschmacksempfindung
Mir schmeckt diese Suppe. In den Gebräuchen des ästhetischen Nihilismus ein braves Eintopfgericht. Ihr gleichwohl unleugbarer Mangel an literarischer Delikatesse erwächst nicht aus [...] (SZ 14.9.88, KRAMBERG über KOFLER)
Delikatesse ist in diesem Kontext delexikalisiert
und eindeutig auf den kulinarischen Zusammenhang bezogen mit der Bedeutung
‘nichts Besonderes, nichts Feines, Erlesenes’.
(2) Eigennamen
Negativ wertend bezüglich
individueller Sprache wird Kristiane Allert-Wybranietz genannt, die gefällige
Lyrikbändchen zum Verschenken schreibt, veröffentlicht im Lucy-Körner-Verlag,
mit Titeln wie: „Trotz alledem. Verschenktexte von Kristiane
Allert-Wybranietz.“ (Fellbach 1980), „Liebe Grüße“ (Fellbach 1982), „Die Farben
der Wirklichkeit“ (Fellbach 1983). Ulla Hahn, die mit der genannten Autorin
verglichen wird, wird durch diesen Vergleich stark abgewertet.
Aber ihr kokettes Insistieren [...] ist [...] peinlich,
[...] weil Ulla Hahn eben an Sprache nicht viel mehr einfällt als Kristiane
Allert-Wybranietz. (SZ 15.6.88, DREWS über HAHN)
(3) Andere Textsorten
Der Vergleich mit Kalendersprüchen belegt keine große
Einfallskraft des rezensierten Autors.
Was aber bei Kierkegaard und noch bei Kafka in Formen der
revolutionären Verzweiflung sich äußert, nimmt bei Burger die friedliche Blässe
von Kalendersprüchen an. (FAZ 30.4.88, SCHIRRMACHER über BURGER)
[...] so daß die Botschaft Frieds [...] zu neuestzeitlicher Kalenderspruchweisheit verkümmert. (FAZ 26.2.88, WEINZIERL über FRIED)
(4) Andere Kunstepochen
Gegen die Fähigkeit,
Innovationen in die Literatur einzuführen, spricht es, wenn einem Autor
nachgesagt wird, er benutze die Sprache des 19.
Jahrhunderts oder seine Einfälle seien neoromantisch;
das Nachgemachte ist deutlicher hervorgehoben als das Eigene.
Er will der Literatur neue Horizonte abstecken, dem
menschlichen Verständnis neue Ufer erobern. Doch als Sprache benutzt er dazu
die des 19. Jahrhunderts. (SZ 13.7.88, MANTHEY über KONRAD)
Das ist neoromantisches Klischee. (FAZ 30.4.88,
SCHIRRMACHER über BURGER)
(5) Film
Nicht besonders originell
und individuell sind Szenen eines Werkes, die an Filmklamotten erinnern.
Leider tauchen in einigen Fällen auch Filmklamotten
auf [...] (SZ 10.2.88, KNODT über ASMODI)
(6) Zirkus
Das folgende Beispiel wurde schon
unter den positiv wertenden Belegen abgedruckt. Es zeigt, welche Figuren aus
der Zirkuswelt für ein Wagnis, für den Versuch, etwas Neues zu schaffen, stehen
und welche nicht. Die Jongleure, die
sich nicht vom sicheren Boden wegbegeben wie die Seiltänzer, und bodenständige
Handwerker mit kleinen Zaubertricks beweisen einiges Können, das jedoch
nicht über das Gewohnte hinausgeht. Die Künste der Pausenclowns sind so wenig originell, daß sie es nicht zu einem
eigenen großen Auftritt gebracht haben.
Den Beifall der Kritiker hat sie [=Ulla Hahn] sich
redlich verdient: wo die Seiltänzer fehlen, da muß man eben den Jongleuren
applaudieren. In der lyrischen Manege sind sie die neuen Herren: Wort-Artisten,
die die dünne Luft der freien Rhythmen meiden, freundliche bodenständige
Handwerker mit kleinen Zaubertricks, Pausenclowns als Galanummern.
Weil sie sich keinen Versbreit übers Gewohnte erheben, können sie auch nicht
abstürzen. (ZEIT 25.3.88, KILB über HAHN)
(7) Psychologie
Seine Hannah agiert wie ein Modell aus der
Küchenpsychologie [...] (FAZ 7.4.88, FULD über EISENDLE)
Ähnlich wie in der
Zusammensetzung Küchenlatein ist das
präfixoidnahe Küchen- abwertend mit
der Bedeutung ‘unwissenschaftlich’. Der Vergleich mit einem Modell aus der Küchenpsychologie zeigt,
wie schablonenhaft, laienhaft und einfallslos die Psyche der Hauptfigur
aufgebaut ist.
(8) Schule
Daß etwas schulmäßig ausgeführt wird, heißt, daß
es - wie es erlernt wurde - korrekt, aber ohne eigene Ideen durchgeführt wird.
Der Vergleich einer Romanfigur mit einer Hausaufgabe
zeigt, daß die Figur wie eine brave Pflichtübung wirkt, ohne daß der Autor
etwas Neues ausprobiert.
Dann und wann ein paar rasche Schnitte wie im Kino, gut
gemacht, aber schulmäßig. (SZ 9.1.88, MOSER über PELTZER)
[...] es ist gerade der Eindruck des Schulmäßigen,
der unseren Jubel in Grenzen hält. (ZEIT 14.10.88, STEINERT über KRAUSS)
Kein Wunder, daß eine solche Figur aussieht wie eine
leibhaftige Hausaufgabe. (ZEIT 7.10.88, BAUMGART über WALTER)
(10) Sport
Ebenfalls als erzwungene Pflicht und nicht als phantasievolle Kür
mit eigenen Ideen wird ein Element aus Bergers Roman bewertet. Man könnte Pflichtübung auch analog zu Hausaufgabe dem Bildspender ‘Schule’
zuordnen.
Erotik - auch Sprach-Erotik - als Pflichtübung. (FAZ
4.11.88, HARTUNG über BERGER)
(11) Technik
Aus dem Bereich der
Recycling-Technik stammen die Begriffe Altlasten[52],
Wiederverwertung und Recycling-Verfahren[53]
der folgenden Belege, die mit ihren Metaphern deutlich machen, daß auf etwas
Altes, Bekanntes zurückgegriffen wird und der Autor nicht etwas Neues versucht.
Die schriftstellerischen Altlasten Christine
Brückners [...], [die Autorin], die sich nur an die bewährte Praxis der Wiederverwertung
hält. [...] Keineswegs können ihrer Textversammlung „Hat der Mensch Wurzeln?“
die Unvollkommenheiten dieses literarischen Recycling-Verfahrens
vorgeworfen werden. (FAZ 2.8.88, MEY-HÖFER über BRÜCKNER)
Diese sich neu gerierende [...] „Wildheit“ [...] gehört
in den Altpapier-Container. (ZEIT 11.3.88, MODICK über DIEDERICHSEN)
Der Gegensatz von neu und alt im vorausgehenden Beleg
zeigt Modicks Einschätzung des Romans: eigentlich gehöre er auf den Müll.
(12) Büro
Für das korrekte, aber gegen
das innovatorische Bemühen eines Autors spricht auch, wenn er bürokratisch schreibt, besonders im
Zusammenhang mit Erotik, ebenso wenn
er den Kanzleistil pflegt.
Erotik - auch Sprach-Erotik - als Pflichtübung: Mal eher bürokratisch
[...] Oder krampfig-komisch [...] (FAZ 4.11.88, HARTUNG über BERGER)
[Zitat des Autors]. Kommentarton, Kanzleistil. (ZEIT 26.8.88, HAGE über GRASS)
(13) Handel
Im schnellebigen Handel
zählt nur das neueste Produkt; was liegenbleibt, hat sich nicht verkaufen
lassen, taugt nichts und ist veraltet.[54]
[...] Marionetten, denen Walser [...] halbseidene
Konfektionsware übergeworfen hat - liegengebliebene Restposten aus den
späten siebziger, den frühen achtziger Jahren [...] (FAZ 17.9.88, GÖRTZ über
WALSER)
(14) Stoff und Bekleidung
Das Beispiel der Görtz-Rezension
über Walser belegt neben einer Metapher aus dem Bereich des Handels ebenfalls
eine Metapher aus dem Bereich Stoff und Bekleidung: Konfektionsware zeigt ebenso wie das folgende Beispiel Von-der-Stange- , daß die Ideen im
üblichen Rahmen bleiben, daß sie nach einer Norm bzw. Schablone vorgefertigt
wurden und nicht individuell „zugeschnitten“ sind.
Doch die Anstrengung, dem Unrat der Wirklichkeit mit
Worten den Garaus zu machen, läßt das Von-der-Stange-Geplauder
journalistischer Spiegelfechter nicht zu. (SZ 14.9.88, KRAMBERG über KOFLER)
(15) Material
Nicht originell, neu und
spontan, sondern auf dem Papier entworfen - so wird das Histörchen im folgenden Beleg metaphorisch bewertet.
Papieren knistert das
schelmische Histörchen mit den Dolmetscherinnen [...] (FAZ 17.5.88, HINCK über
KANT)
Nächstes Kapitel:
Teil 2 - 6) Spannung und Unterhaltung
[1] Vgl. CURTIUS 51965, 400
[2] Vgl. BLUMENBERG 1960, 61f.
[3] Bei der für uns selbstverständlichen positiven Bewertung des Individuellen, Einzigartigen ist immer zu berücksichtigen, daß diese Werte nur in der Geistesgeschichte und politischen Geschichte des Abendlandes und darauf aufbauend in der der Neuen Welt positiv eingeschätzt wurden und werden; ein Blick auf Denken, Philosophie und Staatsbegriff der asiatischen Welt relativiert diese Auffassung.
[4] Im intentionalen Akt des Rezipienten konvergiert jedoch nicht das vom Künstler Gemeinte mit dem vom Betrachter Verstandenen, sondern „die vom Betrachter (durch das Kunstwerk [...] veranlaßt) realisierte Denk- oder Erlebnismöglichkeit einerseits und der Horizont dieser Möglichkeiten andererseits.“ (HÖRMANN 1976, 57)
[5] Vgl. den Beleg zu experimentierfreudig Kap. 5.1.1
[6] Den Begriff „Warenrhetorik“ übernimmt MECKLENBURG von KOPPERSCHMIDT (1973, 179f.).
[7] MECKLENBURG zitiert hier LÄMMERT (1973, 116).
[8] Fremdwörter-DUDEN: „erfinderisch, kunstvoll erdacht; scharfsinnig, geistreich“
[9] DUDEN: eigen: „1. <o. Komp.; Sup. selten; meist attr.> jmdm. selbst gehörend; einer Sache zugehörend [...] 2. <nicht adv.> a) <o. Steig.> jmdm., einer Sache zugehörend u. dabei typisch, charakteristisch, kennzeichnend [...] b) (veraltend) seltsam, eigentümlich, sonderbar, eigenartig, merkwürdig [...]“
[10] DUDEN: originell: „1. voller Originalität [...]“, Originalität: „[...] 2. [auffällige] auf bestimmten schöpferischen Einfällen, eigenständigen Gedanken o.ä. beruhende Besonderheit; einmalige Note [...] (Einfallsreichtum) [...]“
[11] Vgl. DUDEN-Bedeutung eigen 2.a)
[12] Vgl. DUDEN-Bedeutung eigen 1.; die DUDEN-Bedeutung 2.b) ist für die Belege auszuschließen, da sie negativ wertet.
[13] Zwei weitere der fünf Belege für originell stammen von derselben Rezensentin.
[14] DUDEN: „unvergleichlich in seiner Art; einmalig (2), unbeschreiblich [...]“; vgl. BÖHEIM 1987, 59.
[15] DUDEN: „noch frisch [u. kraftvoll], nicht verbraucht [...]“
[16] DUDEN: „a) viel (konkrete Ergebnisse) hervorbringend, ergiebig [...] b) schöpferisch, leistungsstark [...]“
[17] DUDEN: „[...] dem Empfinden zuwider, fade, geistlos, töricht, albern“
[18] DUDEN: „a) nicht in, von der gewöhnlichen, üblichen Art; vom Üblichen, Gewohnten abweichend; ungewöhnlich [..]“
[19] DUDEN: „1. vom Üblichen, Gewohnten, Erwarteten abweichend; selten vorkommend [...]“
[20] DUDEN: „1. nicht zu vergleichen; unvergleichbar [...] 2. (emotional) in seiner Einzigartigkeit mit nichts Ähnlichem zu vergleichen [...]“
[21] DUDEN: „1. (veraltet) besonders wertvoller, in seiner Art einmaliger Gegenstand, Prunkstück 2. besonders geschicktes erfolgreiches Vorgehen, Handeln [...]“
[22] In einer Rezension von 1987 beweist Joachim Kaiser sein sprachliches Spektrum, indem er dem neutralen Begriff Funde positiv wertend wahre Trouvaillen gegenüberstellt. DUDEN: Trouvaille: „(bildungsspr. veraltet): glücklicher Fund [...]“ Natürlich werden auch ihr nicht alle Funde zu Trouvaillen [...] (SZ 3.12.88, KAISER über AICHINGER)
[23] DUDEN: „a) gewagtes, riskantes Vorhaben [...]“
[24] DUDEN: kühn: „[...] b) eigenwillig, in seiner Art weit über das Übliche hinausgehend [...]“
[25] DUDEN: Experiment: „[...] 2. [gewagter] Versuch, Wagnis; gewagtes, unsicheres Unternehmen [...] (Gestaltungsversuch unter Einsatz ungewöhnlicher Mittel) [...]“. Das Suffixoid -freudig zum Basisverb experimentieren hat nach KÜHNHOLD u.a. (1978, 484) die Bedeutung „‘X tut BS/BV gern, oft/viel’“.
[26] DUDEN: „1. sich im Verhalten u. Gestalten stark vom Eigenwillen leiten lassen, den eigenen [Gestaltungs]-willen nachdrücklich zur Geltung bringend [...]“
[27] Fremdwörter-DUDEN: „für jede andere Karte einsetzbare zusätzliche Spielkarte mit der Abbildung eines Narren“
[28] DUDEN: „[...] 2. (bildungsspr. abwertend) a) unschöpferische Nachbildung; Abklatsch [...] b) eingefahrene, überkommene Vorstellung c) etw., was durch häufigen Gebrauch abgegriffen wirkt; abgedroschene Redewendung [...]“
[29] DUDEN: „(bildungsspr.): unschöpferisch, nachahmend“; Epigone: „(bildungsspr.): jmd., der in seinen Werken schon vorhandene Vorbilder verwendet od. im Stil nachahmt, ohne selbst schöpferisch, stilbildend zu sein [...]“ STRAUSS, HASS u. HARRAS (1989, 621) führen zu epigonal folgendes aus: „Das Adjektiv epigonal ist eine Ableitung aus dem Substantiv Epigone (zu griech. ‘epigonos ‘Nachkomme’), mit dem Künstler, Philoso-phen und Literaten als bloße Nachahmer von bekannten Vorbildern negativ charakterisiert werden; in dieser Verwendungsweise ist der Ausdruck durch Karl Immermanns Roman „Die Epigonen“ (1836) geprägt worden. [...] Mit epigonal charakterisiert man Denkweisen von Personen (sowie die Personen selbst), philosophische, künstlerische und literarische Tätigkeiten und deren Produkte, die negativ bewertet werden als bloße Nachah-mungen eines bestimmten Denkmusters eines künstlerischen, philosophischen oder literarischen Vorbilds, ohne erkennbare schöpferische Eigenleistung des jeweiligen Künstlers oder Autors.“
[30] Fremdwörter-DUDEN: Pastiche: „1. franz. Form von: Pasticcio. 2. (veraltet) Nachahmung des Stiles u. der Ideen eines Autors.“ Pasticcio: „1. Bild, das in betrügerischer Absicht in der Manier eines großen Meisters gemalt wurde. 2. aus Stücken verschiedener Komponisten mit einem neuen Text zusammengesetzte Oper.“
[31] DUDEN: „(salopp landsch., abwertend): unerlaubt übernehmen, abschreiben [...]“
[32] DUDEN: „1. (bildungsspr.) (meist von menschlichen Aussage-, Verhaltensweisen o.ä.) immer wieder in der gleichen Form [auftretend], in derselben Weise ständig, formelhaft, klischeehaft wiederkehrend [...]“
[33] DUDEN: „([sozial]psych.): oft vereinfachtes, generalisiertes, stereotypes (1) Urteil eines Menschen [als Angehöriger einer Gruppe]) [...]“
[34] Fremdwörter-DUDEN: „[...] 2. [...] b) als klassischer Vertreter einer bestimmten Kategorie von Menschen gestaltete, stark stilisierte, keine individuellen Züge aufweisende Figur (Literaturw., bildende Kunst). [...]“
[35] Fremdwörter-DUDEN: [...] 2. vorgeprägte, herkömmliche Form, geistlose Nachahmung ohne eigene Gedanken.“
[36] DUDEN: „[...] 2. (meist abwertend) routinemäßig, mechanisch [...] u. ohne eigene Überlegung [...]“
[37] Für die negative Wertung trifft die Bedeutungserklärung b) zu: DUDEN: „a) durch längere Erfahrung erworbene Fähigkeit, eine bestimmte Tätigkeit sehr sicher, schnell u. überlegen auszuführen b) (meist abwertend) [technisch perfekte] Ausführung einer Tätigkeit, die zur Gewohnheit geworden ist u. jedes Engagement vermissen läßt.“ Vgl BÖHEIM 1987, 143f.
[38] DUDEN: versiert: „auf einem bestimmten Gebiet durch längere Erfahrung gut Bescheid wissend u. daher gewandt, geschickt [...]“
[39] DUDEN: „(geh.): (von Menschen) schon ziemlich alt [...]“
[40] DUDEN: „(geh. abwertend): nichtssagende, abgedroschene Redewendung; Plattheit [...]“ Aus dem Bedeutungselement ‘abgedroschen’ geht die Einordnung in die Wörtergruppe hervor, die bezüglich der originalität negativ wertet.
[41] DUDEN: „[...] 2. fade, nichtssagend [...]“
[42] DUDEN: abgreifen: „1. durch häufiges Greifen abnutzen <meist nur in den Vergangenheitsformen u. bes. im 2. Part.> [...]“; vgl. BÖHEIM 1987, 117.
[43] DUDEN: „a) durch Gebrauch, Beanspruchung im Wert, in der Brauchbarkeit mindern [...] b) <a. + sich> durch Benutzung an Wert und Brauchbarkeit verlieren.“
[44] DUDEN: „[...] 2. (abwertend) altmodisch, überholt, veraltet [...]“
[45] Fremdwörter-DUDEN: „Kurze, oft witzige Geschichte (zur Charakterisierung einer bestimmten Persönlichkeit, einer bestimmten sozialen Schicht, einer bestimmten Zeit usw.).“
[46] DUDEN: „a) (wirtsch.) keine Güter produzierend, keine Werte schaffend [...] b) nichts erbringend, unergiebig [...]“
[47] DUDEN: „den allgemeinen Gewohnheiten, Gebräuchen entsprechend; in dieser Art immer wieder vorkommend [...]“
[48] DUDEN: „jmdm. sogleich in den Sinn kommen, sich beim Überlegen sogleich einstellen, anbieten [...]“
[49] DUDEN: „[...] 2.b) ordentlich, aber ohne besonderes Format [...]“
[50] DUDEN: „a) richtig, einwandfrei [...] b) angemessen; bestimmten Normen, Vorschriften od. [moralischen] Grundsätzen entsprechend [...]“
[51] Fremdwörter-DUDEN: „[...] 3. (ugs.) in Mode, modern.“
[52] STRAUSS,HASS u. HARRAS (1989, 423ff.) bemerken zu Altlasten, daß der Begriff zunächst durch giftige Rückstände schwer verseuchte Bodenflächen oder das im Boden befindliche Gift selbst bezeichnet. „Altlasten wird häufig metaphorisch in [...] und zunehmend auch außerhalb der Umweltdiskussion [...] verwendet, um ein Problem oder eine empfundene Belastung der Gegenwart als in der Vergangenheit verursacht zu charakterisie-ren und zwar in der Weise, daß in der Vergangenheit eigennützig anstatt vorausschauend, abwägend und ver-antwortungsbewußt gehandelt wurde. Mit der metaphorischen Verwendung von Altlasten werden Personen und Handlungen eines vergangenen Zeitpunkts moralisch negativ bewertet.“ (STRAUSS, HASS, HARRAS 1989, 426)
[53] Nach STRAUSS, HASS, HARRAS (1989, 508) ist bezüglich des Begriffs Recycling zu beobachten, daß er „erst sehr vereinzelt metaphorisch [...] verwendet“ werde.
[54] Ein Beispiel von 1989 beweist ähnlich, daß in Literatur und (Auto-)Handel nur das Neue zählt: Muß man sich da wundern, wenn der Leser sich weigert, einer solchen Autorin einen Gebrauchtwagen-Satz abzukaufen? (FAZ 4.10.89, BURGER über ZELLER)