@phdthesis{Molitor2016, author = {Molitor, Sebastian}, title = {Stabilisierung und Reaktivit{\"a}t carbenoider Verbindungen}, url = {http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:20-opus-137607}, school = {Universit{\"a}t W{\"u}rzburg}, year = {2016}, abstract = {Ziel der vorliegenden Doktorarbeit war die Stabilisierung und Isolierung von Alkalimetall-Carbenoiden sowie die Entwicklung neuer Anwendungsgebiete dieser Verbindungen. Dabei konzentrierte sich der erste Teil auf die thermische Stabilit{\"a}t und die Kontrolle der Reaktivit{\"a}t dieser Verbindungen, w{\"a}hrend der zweite Teil die Stabilit{\"a}ts-Reaktivit{\"a}ts-Beziehung der Verbindungsklasse beinhaltet. Stabilit{\"a}t von M/X-Carbenoiden Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Synthese, den Eigenschaften und der Reaktivit{\"a}t Silyl-substituierter Carbenoide. Diese wurden durch Deprotonierung der Fluor- und Chlorvorstufen mit einer geeigneten Alkalimetall-Base zun{\"a}chst in situ erzeugt (Abb. 4.1), da sie trotz stabilisierender Gruppen thermisch instabil waren und sich meist bei Temperaturen {\"u}ber -40 °C zersetzten. Durch die Einf{\"u}hrung der Thiophosphoryl- und Silylgruppe konnten erstmals systematische Studien zu den Eigenschaften und Stabilit{\"a}ten der Carbenoide mit unterschiedlichen M/X-Kombinationen durchgef{\"u}hrt werden. Hierbei gelang es neben dem Einfluss der Abgangsgruppe auch den Einfluss der unterschiedlichen Alkalimetalle zu untersuchen, welcher in der Literatur bisher nahezu unbeachtet geblieben war. Abb. 4.1. (oben) Synthese von 52-M und 53-M; (unten) Molek{\"u}lstrukturen der Carbenoide 53-Na und 53-K im Festk{\"o}rper. Durch NMR-spektroskopische Untersuchungen konnte die erfolgreiche Synthese der Fluor- bzw. Chlor-Carbenoide 52-M und 53-M (mit M = Li, Na, K) nachgewiesen werden. Diese zeigten im 31P{1H}-NMR-Spektrum nur eine geringe Verschiebung verglichen mit den protonierten Vorstufen, allerdings best{\"a}tigte das Fehlen des Signals f{\"u}r das Br{\"u}ckenwasserstoffatom im 1H-NMR-Spektrum die erfolgreiche Synthese der Verbindungen. Das Signal des carbenoiden Kohlenstoffatoms im 13C{1H}-NMR-Spektrum zeigte bei den Chlor-Carbenoiden nur eine geringe {\"A}nderung verglichen mit der protonierten Ausgangsverbindung. Die um etwa 35 Hz erh{\"o}hte 1JCP-Kopplungskonstante ließ jedoch auf einen erh{\"o}hten s-Charakter der P-C-Bindung und damit auf ein sp2-hybridisiertes Kohlenstoffatom schließen. Durch VT-NMR-Messungen konnte die thermische Instabilit{\"a}t der Carbenoide best{\"a}tigt und die genauen Zersetzungstemperaturen bestimmt werden. Dabei zeigte sich, dass 53-Li mit einer Zersetzungstemperatur von TD = 0 °C thermisch am instabilsten ist. Durch das Ersetzten von Lithium durch Natrium konnte die Stabilit{\"a}t des Carbenoids drastisch erh{\"o}ht werden, was sich in einer Zersetzungstemperatur von TD = 30 °C widerspiegelt. Diese Beobachtung ist entgegen des Trends der Stabilit{\"a}t von einfachen Alkalimetallorganylen und hebt die Besonderheit der Alkalimetall-Carbenoide hervor. Es konnte dabei auch gezeigt werden, dass durch Kalium keine weitere Stabilisierung erzielt werden konnte. Allgemein {\"a}hneln sich die beobachteten Natrium- und Kalium-Carbenoide 53-Na und 53-K sowohl in ihrer thermischen Stabilit{\"a}t als auch in ihren NMR-spektroskopischen Eigenschaften. 53-Na und 53-K konnten - im Gegensatz zur Lithiumverbindung - in sehr guten Ausbeuten als gelbe Feststoffe isoliert und kristallographisch untersucht werden (Abb. 4.1). Damit stellen 53-Na und 53-K die ersten isolierten Carbenoide der schweren Alkalimetalle dar. 53-Na bildet ein Monomer, 53-K ein zentrosymmetrisches Dimer im Festk{\"o}rper. Beide Carbenoide bilden sogenannte Carben-Donor-Komplexe mit einem M-Cl-Kontakt, aber keinerlei Wechselwirkung zwischen dem Metall und dem carbenoiden Kohlenstoffatom aus. Die beobachtete C1-Cl-Bindungsverl{\"a}ngerung um Δd = 0.05 {\AA} (53-Na) bzw. Δd = 0.03 {\AA} (53-K) best{\"a}tigt die erh{\"o}hte Polarisierung der C1-Cl-Bindung, was typisch f{\"u}r den carbenoiden Charakter ist. Durch elektrostatische Wechselwirkungen und negativer Hyperkonjugation wird die negative Ladung am carbenoiden Kohlenstoff stabilisiert, was sich in einer Verl{\"a}ngerung der C1-P- bzw. C1-Si-Bindung und einer Verk{\"u}rzung der P-S-Bindung {\"a}ußert. Die erh{\"o}hte Stabilit{\"a}t von 53-Na und 53-K verglichen mit der Lithiumverbindung wurde auf die erh{\"o}hte Polarit{\"a}t, geringere Lewis-Acidit{\"a}t und den erh{\"o}hten ionischen Charakter der M-C-Wechselwirkung zur{\"u}ckgef{\"u}hrt. Diese Vermutung f{\"u}hrte zur Annahme, dass eine Manipulation der M-C-Wechselwirkung die M{\"o}glichkeit bietet, die Stabilit{\"a}t von Carbenoiden zu kontrollieren. Durch die Koordination starker Donorliganden wie 12-Krone-4 im Fall von Lithium bzw. 18-Krone-6 f{\"u}r Kalium konnten die entsprechenden Carbenoide synthetisiert und strukturell charakterisiert werden. Dabei bildeten sich durch die Koordination des Kronenethers separierte Ionenpaare im Festk{\"o}rper, was zur gew{\"u}nschten thermischen Stabilisierung f{\"u}hrte. So zeigte 53-Li•(12-Krone-4)2 eine erh{\"o}hte Zersetzungstemperatur von TD = 20 °C im Vergleich zum THF-Addukt [(53-K)2•(18-Krone-6): TD = 40 °C]. Die f{\"u}r die Chlor-Carbenoide 53-M durchgef{\"u}hrten Untersuchungen wurden im Anschluss auf die Fluor-Carbenoide 52-M erweitert. Dabei belegten NMR-spektroskopische Studien die erwartungsgem{\"a}ß geringere thermische Stabilit{\"a}t der Fluor-Systeme. Im Fall von 52-Li konnte eine Zersetzungstemperatur von TD = -70 °C bestimmt werden, w{\"a}hrend sich 52-Na und 52-K mit Zersetzungstemperaturen von TD = 10 °C (52-Na) bzw. 30 °C (52-K) - analog zu den Chlor-Carbenoiden - als thermisch deutlich stabiler erwiesen. Das carbenoide Kohlenstoffatom erf{\"a}hrt im 13C{1H}-NMR-Spektrum eine f{\"u}r Carbenoide typische Tieffeldverschiebung im Vergleich zur protonierten Vorstufe. Diese f{\"a}llt im Fall von 52-Li (ΔC = 33 ppm) etwas gr{\"o}ßer aus als f{\"u}r 52-Na (ΔC = 32 ppm) bzw. 52-K (ΔC = 30 ppm). Neben der Bestimmung der Zersetzungstemperatur der Carbenoide gelang es ebenfalls, die Zersetzungsprodukte der M/Cl- und M/F-Carbenoide aufzukl{\"a}ren und zu charakterisieren. So konnte gezeigt werden, dass sich die Chlor-Carbenoide selektiv zur sesselartigen Verbindung 57 zersetzen (Abb. 4.2). Bei den Fluor-Carbenoiden 52-M kommt es hingegen zur Bildung unterschiedlicher Verbindungen. Diese werden jedoch vermutlich alle {\"u}ber das Thioketon-Intermediat TK gebildet, das durch Wanderung des Schwefels der Thiophosphorylgruppe zum carbenoiden Kohlenstoffatom entsteht und durch Abfangreaktion mit Methyllithium zum lithiierten Thioether 60 nachgewiesen werden konnte. In Abh{\"a}ngigkeit vom Metall und Abgangsgruppe werden anschließend unterschiedliche Reaktionswege durchlaufen. Gem{\"a}ß des HSAB-Konzepts erfolgt im Fall des Lithium-Carbenoids der Angriff am Schwefelatom des Thioketons, wobei die zyklische Verbindung 57 gebildet wird. Beim weicheren Kalium-Carbenoid 52-K kommt es selektiv zur Bildung des Thioenolats 65, w{\"a}hrend f{\"u}r 52-Na ein Gemisch aus 57 und 65 beobachtet wird. Abb. 4.2. (oben) Zersetzungsreaktionen der M/X-Carbenoide 52-M und 53-M; (unten) Molek{\"u}lstrukturen der Verbindungen 60 und 65 im Festk{\"o}rper. Die zu 52 analogen bromierten und iodierten Ausgangsverbindungen eigneten sich nicht zur Darstellung von Carbenoiden. Hier gelang es nicht durch Deprotonierung die Carbenoide zu synthetisieren. Le Floch und Mitarbeiter konnten bereits 2007 zeigen, dass durch eine zweite stabilisierende Thiophosphorylgruppe das Li/Cl-Carbenoid 14 bis zu einer Temperatur von 60 °C keine Zersetzungsreaktionen zeigt. Basierend auf diesen {\"U}berlegungen wurden - analog zu den Silyl-substituierten Carbenoiden - der Einfluss der unterschiedlichen Alkalimetalle und Halogene auf die Eigenschaften und die Stabilit{\"a}t der entsprechenden Carbenoide untersucht. Zur Darstellung der Carbenoide wurden die protonierten Vorstufen 69-71 mit einem leichten {\"U}berschuss an Alkalimetallhexamethyldisilazan umgesetzt. Die Fluor-Carbenoide 69-M zeigten dabei wieder die f{\"u}r Carbenoide typische Tieffeldverschiebung des carbenoiden Kohlenstoff-atoms im 13C{1H}-NMR-Spektrum verglichen mit der protonierten Vorstufe. Im Fall der Chlor- und Brom-Carbenoide 70-M bzw. 71-M sind {\"a}hnliche Signalverschiebungen zu beobachten, allerdings fallen diese schw{\"a}cher aus. Erneut sind starke spektroskopische {\"A}hnlichkeiten zwischen den Natrium- und Kalium-Vertretern festzustellen, w{\"a}hrend die Lithium-Carbenoide eine gewisse Ausnahmestellung einnehmen. Abb. 4.3. (oben) Synthese von 69-M, 70-M und 71-M; (unten) Molek{\"u}lstrukturen der Bis(thiophosphoryl)-substituierten Carbenoide 69-Na•PMDTA, 70-Na und 70-K im Festk{\"o}rper. Durch VT-NMR-Messungen konnte gezeigt werden, dass alle Carbenoide bis Temperaturen von 60 °C keine Zersetzungsreaktionen eingehen. So gelang es, alle Carbenoide als gelbe Feststoffe zu isolieren. Einzig das Li/F-Carbenoid erwies sich bei Raumtemperatur als instabil und wies eine Zersetzungstemperatur von TD = 0 °C auf. Damit ist es das bis heute stabilste Li/F-Carbenoid das in der Literatur bekannt ist. Durch r{\"o}ntgenkristallographische Untersuchungen konnten alle Chlor- bzw. Brom-Carbenoide 70-M bzw. 71-M sturkturell charakterisiert werden. Dabei ist es gelungen, zus{\"a}tzlich zu den bereits bekannten Strukturen schwerer Alkalimetall-Carbenoide, einige Metall-Halogen-Kombinationen erstmalig strukturell zu charakterisieren. Durch den Zusatz von PMDTA gelang es auch das erste Na/F-Carbenoid zu charakterisieren. Abbildung 4.3 zeigt exemplarisch einige Vertreter der neuen Strukturen. Auff{\"a}llig ist dabei, dass in Abh{\"a}ngigkeit des Metalls {\"a}hnliche Strukturen erhalten wurden. So bilden die Kalium-Vertreter 70-K und 71-K wieder ein zentrosymmetrisches Dimer aus, w{\"a}hrend die Natrium-Vertreter 69-Na•PMDTA, 70-Na, 71-Na und 71-Li als Monomere vorliegen. Bei den beschriebenen Carbenoiden ist nur bei 69-Na•PMDTA und 70-Na die f{\"u}r Carbenoide typische C1-X-Bindungsverl{\"a}ngerung beobachtbar, was auf deren erh{\"o}hten carbenoiden Charakter im Vergleich mit den anderen Systemen schließen l{\"a}sst. Zusammenfassend l{\"a}sst sich folgender allgemeiner Trend formulieren: Der carbenoide Charakter f{\"a}llt in der Gruppe der Halogene von F zu I und in der Gruppe der Alkalimetalle gem{\"a}ß Li > Na ≥ K. Die thermische Stabilit{\"a}t zeigt gleichzeitig einen inversen Trend (Abb. 4.4). Reaktivit{\"a}t, carbenoider Charakter Thermische Stabilit{\"a}t Abb. 4.4. Tendenzen in den Eigenschaften von Carbenoiden. Reaktivit{\"a}t und Anwendung Nachdem die Carbenoide auf ihre Stabilit{\"a}ten, NMR-spektroskopischen und strukturellen Eigenschaften untersucht wurden, stand in weiteren Studien die Reaktivit{\"a}t der Carbenoide im Vordergrund. Hierbei lag der Fokus vor allem auf E-H-Bindungsaktivierungsreaktionen, da es bislang nur wenige Beispiele f{\"u}r Carbenoide mit Hauptgruppenelementverbindungen gibt. Zun{\"a}chst sollte die Reaktivit{\"a}t von 53-Li gegen{\"u}ber Boranen untersucht werden. Hierbei kommt es zur selektiven Bildung des Lithiumborats 79 (Abb. 4.5). An das ehemalige carbenoide Kohlenstoffatom ist dabei eine BH3-Einheit und ein weiteres Wasserstoffatom gebunden. Durch theoretische und experimentelle Untersuchungen konnte der Reaktionsmechanismus zu 79 aufgekl{\"a}rt werden, der als schrittweise B-H-Aktivierung beschrieben werden kann. So kommt es zun{\"a}chst zur Boratbildung und anschließend zum Cl/H-Austausch mit Hilfe eines weiteren Boran-Molek{\"u}ls. Dies konnte durch Deuterierungsexperimente mit BD3•THF experimentell best{\"a}tigt werden. Die Lithiumboratbildung zeigte sich dabei abh{\"a}ngig von der Stabilit{\"a}t der Lewis-Basen-Addukte, da mit den stabileren Amin- bzw. Phosphan-Boran-Addukten keine Umsetzung zu 79 beobachtet werden konnte. Abb. 4.5. (links) B-H-Aktivierung durch Carbenoid 53-Li; (rechts) Molek{\"u}lstruktur des Lithiumborats 79 im Festk{\"o}rper. Im n{\"a}chsten Schritt wurde die Reaktivit{\"a}t gegen{\"u}ber Phosphanen getestet. Dabei kam es interessanterweise nicht zu einer analogen P-H-Bindungsaktivierung, sondern vielmehr zu einer Dehydrokupplung der sekund{\"a}ren Arylphosphane zu den entsprechenden Diphosphanen unter Bildung der zweifach protonierten Vorstufe (Abb. 4.6). Diese Reaktion ist bisher einzigartig in der Chemie der Carbenoide und hebt deren großes Potenzial f{\"u}r weitere Anwendungen hervor. Das entwickelte Syntheseprotokoll stellt eine sehr selektive und effektive Methode dar, Phosphane zu Diphosphanen zu kuppeln. Es war so m{\"o}glich die Diphosphane nach der Abtrennung der zweifach protonierten Vorstufe, die anschließend recycelt werden kann, in sehr guten Ausbeuten von {\"u}ber 90\% zu isolieren. Dabei erlaubte das Syntheseprotokoll die Gegenwart funktioneller Gruppen, z.B. Methoxy-, Dimethylamino- oder Trifluoromethyl-Substitutenten. {\"U}berraschenderweise zeigten die Umsetzungen der Lithium-Carbenoide mit Chlorsubstituierten Arylphosphanen keinerlei Substitutionsreaktionen am Aromaten sondern f{\"u}hrten ebenfalls selektiv zu den Diphosphanen. Einzig das sterisch anspruchsvolle sekund{\"a}re Arylphosphan Mes2PH oder aliphatische Phosphane wie tBu2PH oder Cy2PH eigneten sich nicht zur Dehydrokupplung. Im Fall des 3,5-Dichlorsubstiuierten Phosphans war es m{\"o}glich neben dem Diphosphan das entsprechende P-H-Aktivierungsprodukt zu beobachten und in einer Ausbeute von 22\% zu isolieren. Diese Aktivierung zeigte sich abh{\"a}ngig von der Konzentration der Reaktionsl{\"o}sung und konnte durch hohe Verd{\"u}nnung unterdr{\"u}ckt werden. Abb. 4.6. (links) Carbenoid-vermittelte Dehydrokupplung von Ar2PH; (rechts) Molek{\"u}lstruktur von (p-C6H4Me)4P2 im Festk{\"o}rper. Bemerkenswerterweise zeigten quantenchemische Studien, dass die einfachen und nicht-stabilisierten Carbenoide, wie beispielsweise LiC(H)Cl2, nicht f{\"u}r die Dehydrokupplung von Phosphanen geeignet sind und eine ausreichende elektronische Stabilisierung f{\"u}r selektive Ums{\"a}tze erforderlich ist. So ist zwar im Experiment f{\"u}r alle untersuchten Carbenoide die Diphosphan-Bildung beobachtbar, allerdings f{\"u}r unstabilisierte Systeme nur als Nebenreaktion. Mechanistische Studien zeigten, dass der erste Schritt der Reaktion die Deprotonierung des Phosphans und die Bildung einer Phosphid-Spezies ist. Dieser Schritt ist im Fall der stabilisierten Carbenoide bevorzugt. Bei den nicht-stabilisierten Carbenoiden stellt die Bildung des Carbens unter Salzeliminierung den ersten Reaktionsschritt dar, was im Anschluss zu unselektiven Folgereaktionen f{\"u}hrt. Die synthetisierten Diphosphane besitzen großes Potenzial f{\"u}r weitere Anwendungen, beispielsweise als Liganden in der {\"U}bergangsmetallkatalyse. Basierend auf diesen {\"U}berlegungen wurden in anf{\"a}nglichen Studien die Diphosphane an Gold(I)-Fragmente koordiniert (Abb. 4.7). Es gelang dabei die Diphosphan-Bisgold-Komplexe in nahezu quantitativen Ausbeuten als farblose Feststoffe zu isolieren und mittels Multikern-NMR-Spektroskopie und hochaufgel{\"o}ster Massenspektrometrie zu charakterisieren. Einzig die Chlor-substituierten Diphosphane zeigten nach der Zugabe von Gold(I) bereits Kupplungsreaktionen mit sich selbst. R{\"o}ntgenkristallographische Untersuchungen zeigten, dass die beiden Gold-Zentren eine trans-Stellung zueinander einnehmen, in der keine intramolekulare Au•••Au-Wechselwirkung beobachtet werden konnte. Auch in der Kristallpackung zeigte sich, dass die Bildung der Festk{\"o}rperstrukturen von C-H•••X- und π•••π-Wechselwirkungen dominiert wird. Studien zum Einsatz in der Katalyse stehen noch aus. Da die Komplexe in allen gel{\"a}ufigen L{\"o}sungsmitteln schwer l{\"o}slich sind, besteht weiter Optimierungsbedarf, um die L{\"o}slichkeit, z.B. durch Einf{\"u}hrung von Alkylgruppen, zu erh{\"o}hen. Abb. 4.7. (links) Syntheseweg zu Diphosphan-Bisgold-Komplexen; (rechts) Molek{\"u}lstruktur des Bisgold-Komplexes von (p-C6H4Me)4P2 im Festk{\"o}rper. Neben der einzigartigen Reaktivit{\"a}t Silyl-substituierter Carbenoide gegen{\"u}ber element-organischen Verbindungen wie Boranen oder Phosphanen wurde auch die Reaktivit{\"a}t gegen{\"u}ber sp{\"a}ten {\"U}bergangsmetallkomplexen, hier exemplarisch [Pd(PPh3)4] untersucht. Ziel sollte es sein mit Carbenoiden als selektiven Carbentransferreagenzien Zugang zu Carbenkomplexen zu erhalten, die schwer {\"u}ber alternative Routen zug{\"a}nglich sind. Bei Verwendung der Silyl-substituierten Systeme kam es dabei jedoch zun{\"a}chst nicht zur selektiven Synthese des Carbenkomplexes C, sondern vielmehr zu Produktgemischen aus Thioketon-komplex T und Carbenkomplex C. Die Verh{\"a}ltnisse erwiesen sich jedoch als abh{\"a}ngig vom Metall, Halogen und der Silylgruppe des Carbenoids sowie von der Reaktionstemperatur. Tabelle 4.1 zeigt eine {\"U}bersicht. Je tiefer die Temperatur und je gr{\"o}ßer die Substituenten der Silylgruppe desto mehr Carbenkomplexbildung kann beobachtet werden. Theoretische Berechnungen der Trimethylsilyl- bzw. Triphenylsilyl-Systeme konnten die experimentellen Befunde best{\"a}tigen. Der Thioketonkomplex T stellt so das thermodynamisch stabilere Produkt dar, w{\"a}hrend der Carbenkomplex C kinetisch bevorzugt ist. Erfreulicherweise gelingt bei Verwendung der im Vergleich zum Lithiumsystem stabileren Natrium- bzw. Kalium-Carbenoide die selektive Synthese des Palladium-Carbenkomplexes C (Eintr{\"a}ge 3 und 4). Durch die Stabilisierung des Li/Cl-Carbenoids durch Kronenether kann ebenfalls die Carbenkomplex-bildung forciert werden (Eintrag 5). Je stabiler die Carbenoide, desto selektiver wird der Carbenkomplex C gebildet. Das zeigt auch die Reaktion des sehr reaktiven Li/F-Carbenoids, das vollst{\"a}ndig zum Thioketonkomplex T reagiert (Eintrag 11). Bei den Kalium-Carbenoiden der sterisch anspruchsloseren Silyl-Systeme tritt noch ein weiteres Reaktionsprodukt auf, das als das Ylid Y identifiziert wurde. Dieses tritt auch bei Kristallisationsversuchen des Carben-komplexes auf und wurde r{\"o}ntgenkristallographisch untersucht. Tabelle 4.1. Reaktivit{\"a}t unterschiedlicher Silyl-substituierter Carbenoide gegen{\"u}ber [Pd(PPh3)4]. Eintrag Metall Halogen Silylgruppe Temperatur Thioketon-komplex [\%]a Carben-komplex [\%]a Ylid [\%]a 1 Li Cl SiPh3 RT 80 20 - 2 Li Cl SiPh3 -78 °C 48 52 - 3 Na Cl SiPh3 RT - >99 - 4 K Cl SiPh3 RT - >99 - 5 Li•(12-Krone-4) Cl SiPh3 RT - 93 - 6 K•(18-Krone-6) Cl SiPh3 RT - 75 25 7 K Cl SiMePh2 -40 °C - 71 29 8 K Cl SiMe2Ph -40 °C - 43 57 9 K Cl SiMe3 -10 °C 70 30 - 10 K Cl SiMe3 -40 °C 40 33 26 11 Li F SiPh3 -78 °C >99 - - [a] Verh{\"a}ltnis der Produkte durch 31P{1H}-NMR-Spektroskopie bestimmt. Trotz selektiver Synthese des Carbenkomplexes 119 erwies sich die Aufreinigung als problematisch, da das gebildete Triphenylphosphan vermutlich aufgrund der Koordination an das Metallsalz schwer abgetrennt werden konnte. {\"U}berraschenderweise zeigte sich beim Erw{\"a}rmen des Gemisches auf 80 °C die Bildung einer neuen Verbindung, die als Diphosphanphosphonium-Komplex 121 identifiziert wurde. Dieser konnte mittels NMR-spektroskopischer Untersuchungen und hochauf-gel{\"o}ster Massenspektrometrie charakterisiert werden. Studien zur Strukturanalyse und zur Reaktivit{\"a}t stehen hier allerdings noch aus. Da der Carbenkomplex zun{\"a}chst nicht selektiv dargestellt werden konnte, wurde eine alternative Syntheseroute entwickelt. Diese beinhaltete die oxidative Addition der halogenierten Liganden an das {\"U}bergangsmetall und anschließende Dehydrohalogenierung. Hierzu wurden analog Abbildung 4.9 zuerst die Palladium-Komplexe in einer oxidativen Additionsreaktion synthetisiert. Dabei gelang es sowohl unterschiedliche Halogenatome als auch unterschiedliche Silyl-Reste in der Synthese der Palladium-Komplexe zu etablieren. Die luftstabilen Verbindungen 129-134 konnten in moderaten bis guten Ausbeuten (52-91\%) als gelbe Feststoffe isoliert und durch Multikern-NMR-Spektroskopie, hochaufgel{\"o}ste Massen-spektrometrie und R{\"o}ntgenstrukturanalyse charakterisiert werden. Sie besitzen in allen F{\"a}llen das sehr {\"a}hnliche Strukturmotiv eines nahezu quadratisch-planar koordinierten Palladium-atoms. Zur Dehydrohalogenierung wurden die Komplexe 129-134 mit verschiedenen Basen umgesetzt. Mit Hilfe der Alkalimetallhexamethyldisilazan-Basen gelang die gew{\"u}nschte HX-Eliminierung, jedoch nicht unter Bildung des Carbenkomplexes, sondern biscyclo-metallierter Produkte. Beim Triphenylsilyl-substituierten System 129 konnte nach der Aufarbeitung Verbindung 135 isoliert werden, bei der ein an das Siliciumatom gebundener Phenylring metalliert wurde. Bei den Methyl-substituierten Vertretern 131 und 133 fand hingegen selektiv die Metallierung einer Methylgruppe unter Ausbildung ungew{\"o}hnlicher Palladacyclobutane statt. Dies konnte im Fall von 137 eindeutig durch R{\"o}ntgenstrukturanalyse best{\"a}tigt werden (Abb. 4.9). Abb. 4.9. (links) Syntheseweg zu den Palladium-Komplexen 129-138; (rechts) Molek{\"u}lstrukturen der Palladium-Komplexe 130 und 137 im Festk{\"o}rper. Da cyclometallierte Palladium-Komplexe als effektive Katalysatoren in C-C-Kn{\"u}pfungs-reaktionen eingesetzt werden, sollte auch das Potenzial der synthetisierten Komplexe getestet werden. Dabei zeigte sich, dass alle Komplexe eine h{\"o}here Aktivit{\"a}t als [Pd(PPh3)4] in der Suzuki-Miyaura-Kupplung von 4-Bromanisol mit Phenylborons{\"a}ure aufweisen. Aus Tabelle 4.2 wird aber auch ersichtlich, dass die zweite Cyclisierung einen negativen Effekt auf die Aktivit{\"a}t hat. Verbindung 129, das Produkt der einfachen oxidativen Addition, zeigte bereits nach vier Stunden nahezu vollst{\"a}ndigen Umsatz. Dabei konnten TON's von etwa 17000 bei nahezu gleichbleibendem Umsatz erzielt werden (Eintrag 5). Tabelle 4.2. Palladium-katalysierte Suzuki-Miyaura-Kupplung von 4-Bromanisol und Phenylborons{\"a}ure. Eintrag Katalysator Katalysator-Ladung [mol \%] Reaktionszeit [h] NMR-Ausbeute [\%]a 1 [Pd(PPh3)4] 0.5 2 25 2 129 0.5 1.75 79 3 129 0.5 4 95 4 129 0.5 8 98 5 129 0.005 3 85 6 137 0.5 4 71 7 137 0.5 8 87 8 137 0.5 10 92 9 135 0.5 8 92 [a] Ausbeuten bestimmt durch NMR-Spektroskopie bezogen auf 4-Bromanisol. Insgesamt konnten in dieser Doktorarbeit zahlreiche neue Erkenntnisse im Bereich der Carbenoidchemie erarbeitet werden. Diese lassen sich wiefolgt zusammenfassen: • Anhand von Silyl- und Thiophosphoryl-stabilisierter Carbenoide konnte erstmals systematisch der Einfluss der M/X-Kombination auf die Stabilit{\"a}t und Reaktivit{\"a}t von Carbenoiden untersucht werden. • Erstmals konnten Na- und K-Carbenoide isoliert und strukturell charakterisiert werden. • Mit Hilfe der Stabilisierung konnten neue Anwendungsgebiete im Bereich der element-organischen Chemie erschlossen werden, darunter die B-H-Bindungsaktivierung am carbenoiden Kohlenstoffatom und die Kupplung von Phosphanen. • Beim Einsatz von Carbenoiden als Carbentransferreagenzien zur Darstellung ungew{\"o}hnlicher Carbenkomplexe konnte gezeigt werden, dass Selektivit{\"a}ten von zahlreichen Faktoren abh{\"a}ngen und beeinflusst werden k{\"o}nnen. Mit diesen Studien konnte folglich ein Kreis von der Stabilisierung und Isolierung der normalerweise hochreaktiven Carbenoide zu deren Anwendungen geschlossen werden. Die Studien zeigen zudem das Potenzial dieser Verbindungsklasse und lassen vermuten, dass durch ein weiteres Einstellen von Stabilit{\"a}t und Reaktivit{\"a}t noch bisher unbekannte Reaktionsmuster erm{\"o}glicht werden k{\"o}nnen.}, subject = {Carbenoide}, language = {de} }