TEIL 2: EMPIRISCHER TEIL
1) VORBEMERKUNG:
SPRACHE UND WERTUNG
Seit HARE (1952)[1]
beschäftigt sich die Linguistik mit dem BEWERTEN und untersucht die
sprachlichen Ausdrücke, die Sprachhandlung als Ganzes und das BEWERTEN als Teil
eines komplexen Handlungsschemas.[2]
Der empirische Teil unserer Arbeit konzentriert sich nur auf die sprachlichen
Ausdrücke, nicht auf die Sprachhandlung, die z.B. bei ZHONG (1995)[3]
im Zentrum seiner Betrachtung steht.
Bewertungen können
sprachlich auf die verschiedenste Weise ausgedrückt werden, auf Wortebene, auf
morphologischer und stilistischer Ebene (Stilfärbung und Stilfiguren), auf
Satzebene.
Der Satz Goethes „Faust“ ist gut, ein wahrer
Leckerbissen, aber vielleicht doch etwas kompliziert enthält nicht nur im
ersten Satzteil eine Bewertung durch das lexikalisch wertende Adjektiv gut, sondern weitere Bewertungen durch
die kulinarische Metapher Leckerbissen
und den Nebensatz, der durch seine adversative Konjunktion aber und das Adverb mit adversativer Bedeutung doch dem lexikalisch nicht wertenden Adjektiv kompliziert negativ wertende Wirkung verleiht, wobei die negative
Wertung durch das Modalitätsadverb vielleicht
und die Gradpartikel etwas
modifiziert wird.
BAYER (1982, 17) zeigt an
einem Beispielsatz (Diese Gruppe macht
sehr gute Musik, aber auch sehr gute Texte.), daß die Konjuktion aber nach einem Hauptsatz mit einer gut-Prädikation nicht unbedingt eine
negative Wertung einleiten muß. Zu bemerken ist jedoch, daß die Konjunktion aber in BAYERs Beispielsatz durch die
Partikel auch in der Bedeutung
„Hinzufügung zu anderen gleichartigen Tatbeständen“ (HELBIG/BUSCHA 71981,
435) er-gänzt wird, im Gegensatz zum ergänzenden adversativen Adverb doch im vorausgehenden Beispielsatz. Der
Unterschied zwischen einer Prädikation mit gut
und mit kompliziert ist, daß durch gut nur die Erfüllung eines oder
mehrerer Sollwerte ohne einen Hinweis auf Art der Sollwerte und
Vergleichshinsicht angegeben wird, durch kompliziert
jedoch die Ver-gleichshinsicht und eine Ordnung angegeben werden ohne Hinweis
auf die Erfüllung eines Sollwertes. Da unsere begrifflichen Ordnungen meist von
Rangordnungen überlagert sind, können wir die fehlenden Informationen aus dem
Zusammenhang ergänzen. Für die Be-trachtung der sprachlichen Mittel zum
Ausdruck von Bewertungen heißt dies jedoch, daß in jeder Äußerung eine
Bewertung enthalten sein kann,[4]
daß Bewertungen oft unvollständig formuliert sind und daß man daher nicht nur
nach expliziten Bewertungsausdrücken suchen sollte.
BAYER (1982, 18) geht zu
recht von der Überlegung aus, „daß es sinnvoll ist, von einem in menschlicher
Kommunikation durchgängig vorhandenen Bewertungsaspekt zu sprechen“. Dennoch
gibt es einen - wenn auch nur graduellen - Unterschied „zwischen dem täglichen
Wetterbericht im Radio und einer Äußerung wie [...] Dieses Dreckswetter ist zum Kotzen!“ (BAYER 1982, 18) Entscheidend
für das Ziel, mit einer Äußerung möglichst nur Tatsachen festzustellen oder
auch Wertungen zuzulassen, ist die Kommunikationssituation; dies zeigt sich in
der Forderung nach Trennung von Nachricht und Kommentar, nach sachlicher
Diskussions-leitung etc.
Auf Wortebene ist zu
unterscheiden zwischen Wörtern, deren wertende Bedeutung lexikalisch verbrieft
ist, d.h. die auf langue-Ebene wertende Bedeutung (gut, hervorragend; wertende Modewörter wie klasse, irre) oder einen wertenden Bedeutungsanteil (groß) haben und die ausdrücken, daß der
bewertete Gegenstand einen Sollwert erfüllt oder nicht, ohne die Hinsicht der
Bewertung zu explizieren, und deskriptiven Wörtern, die aufgrund des Kontexts
eine wertende Funktion erhalten und eine vergleichsbestimmende Hinsicht und
eine Ordnung deutlich machen.[5]
Welche beschreibenden Wörter auf Kontextebene wertende Funktion übernehmen,
kann ein kompetenter Textrezipient/-produzent nur intuitiv entscheiden (s.o.
Teil 1, Kap. 3); die Entscheidung hängt z.T. von den Normvorstellungen im
Hinblick auf die außersprachlichen Bezugsgrößen ab. Oft dienen die ebenfalls
vorhandenen lexikalisch wertenden Wörter als Signal oder z B. auch Verben, die
den Akt des Bewertens ausdrücken (etwas
einschätzen als, etwas ... finden, etwas als ... ansehen).
Zusätzlich kommt vielen
Wörtern „neben ihrer begrifflichen Bedeutung ein Komplex emotionaler und/oder
wertender Begleitvorstellungen, sogenannter Konnotationen
[Herv. BAYER] zu.“ (BAYER 1982, 19) Diese drücken ein spezifisches Wertsystem
eines Individuums, einer Gruppe oder einer Gesellschaft aus, das sich im Lauf
der Zeit ändern kann. Die Begleitvorstellungen werden im empirischen Teil
unserer Arbeit nur erfaßt, wenn sie durch einen Lexikoneintrag belegt und
klassifiziert werden können.[6]
Einen sehr großen Anteil an
den wertenden Wörtern in der Sprache haben die Adjektive, mit denen „eine der
Haupt-Wortarten im Deutschen erfaßt [ist], die beim Aufbau der Satzbedeutung
eine wesentliche Rolle spielt.“ (HUNDSNURSCHER/SPLETT 1982, 17)
Als Adjektive werden Adjektive
und wie Adjektive gebrauchte Partizipien bezeichnet. Sie haben folgende
Funktion:
Durch den attributiven und prädikativen Gebrauch des Adjektivs kann der Sprecher/Schreiber die mit Substantiven genannten Wesen, Dinge, Begriffe u.ä. charakterisieren, und zwar im Hinblick auf Merkmale und Eigenschaften, Art und Beschaffenheit, Verfassung und Zustand u.ä. (DUDEN 1984, 266)
Durch diesen Gebrauch [= den adverbialen Gebrauch beim Verb] des unflektierten Adjektivs [...] kann der Sprecher/Schreiber ein mit Verben genanntes Geschehen oder Sein näher charakterisieren (Zustände, Vorgänge, Tätigkeiten, Handlungen) [...] (DUDEN 1984, 269)
Durch den attributiven Gebrauch des unflektierten Adjektivs kann der Sprecher/ Schreiber Eigenschaften und Umstände charakterisieren, die mit Adjektiven oder Adverbien genannt sind, und zwar im Hinblick auf Art und Grad u.ä. (DUDEN 1984, 270)
Adjektive bestimmen Merkmale
und Eigenschaften der Bezugsgröße näher, sie können als Attribut zu Adjektiven
oder Adverbien auch graduierend wirken, z.B. um eine Wertung zu differenzieren
(s.u.).
Bei der Betrachtung
sprachlicher Bewertungsmöglichkeiten muß - wie oben angedeutet - unterschieden
werden zwischen wertenden und beschreibenden Lexemen. Wertende Lexeme weisen
eine Semstruktur auf, die eine positive oder negative Wertbedeutung enthält.
(LUDWIG 1976, 11) Sie dienen zum Einstufen des Bewertungsgegenstandes (SANDIG
1979, 141) innerhalb einer Wert- oder Normenskala (UNTERFORSTHUBER 1982, 28),
wie z.B. die Adjektive gut, mittelmäßig, schlecht
oder etwas differenzierter bewundernswert,
großartig, mustergültig, perfekt, vortrefflich, wundervoll gegenüber abscheulich, mangelhaft, miserabel,
schlimm, undiskutabel. Diese Adjektive drücken aus, daß der bewertete
Gegenstand einen Sollwert erfüllt hat oder nicht, ohne die Hinsicht der
Bewertung zu explizieren. Sie können „weitgehend in allen in Frage kommenden
Sachbereichen zum Ausdruck einer positiven bzw. negativen Bewertung dienen“.
(HUNDSNURSCHER/SPLETT 1982, 39)
Mies oder klasse
haben zusätzlich neben ihrer Wertbedeutung einen emotionalen Bedeutungsanteil
(SANDIG 1979, 142), geben aber ebenfalls kein Bewertungskriterium an.
Im Gegensatz dazu können
z.B. deskriptive Adjektive wie zart, behaglich, gemütlich aufgrund ihres Gefühlswertes (SCHIPPAN 1975, 81) positiv
wertend wirken: Gefühle und Bewertungen bezüglich des Denotats werden auf die
Bezeichnung übertragen (Konnotation).
Bei richtig/falsch, geeignet/ungeeignet,
zweckmäßig/unzweckmäßig und nützlich/nutzlos er-folgt eine Einstufung
hinsichtlich des Bewertungszwecks. (SANDIG 1979, 141)
Intelligent, mutig, töricht oder auch lecker,
wohlschmeckend, schmackhaft, delikat werten und charakterisieren die
außersprachliche Bezugsgröße, sie machen die „vergleichsbestimmende Hinsicht
und eine Ordnung deutlich“ (BAYER 1982, 19), wobei die
Kommunikations-teilnehmer den Sollwert setzen.
Andere Lexeme, wie z.B. das
Adjektiv kompliziert in unserem
Beispielsatz, erhalten nur kon-textuell wertende Bedeutung (s.u.).
Für die empirische Untersuchung
der Rezensionen werden daher die Lexeme mit rein wertendem Charakter[7],
d.h. ohne Zusatzinformation über das Bezugsobjekt und das Bewertungskriterium,
gesondert betrachtet;[8]
die kontextuell wertenden Lexeme oder die Lexeme mit wertender und beschreibender
Bedeutung sind Kriterien der Kritik zugeordnet, zu denen sie durch ihren
beschreibenden Bedeutungsanteil gehören.[9]
Bei der Entscheidung, ob ein lexikalisch beschreibendes Adjektiv kontextuell
Wertbedeutung erhält, muß intuitiv vorge-gangen werden, weil Wertprobleme
nicht durch einen bloßen Rekurs auf die Bedeutungen von Wörtern beigelegt werden [können], da sich Werturteile stets auf mehr als nur eine Bedeutungsregel gründen: Auf Standards und Prinzipien. (GREWENDORF 1978, 160)
Die Vorgehensweise ähnelt
der von HUNDSNURSCHER/SPLETT (1982, 52), die innerhalb der deutschen Adjektive
Synonymengruppen mit Orientierungslesarten erstellen, die durch „‘im
Sinne-von’-Relationen“ untereinander verbunden sind und auch Material
beinhalten, das auf Wortbildungsprozesse zurückgeht.[10]
Da es kaum echte Synonyme gibt, soll eher von „thema-tischen Gruppen“ (SCHIPPAN
21975, 31)[11]
gesprochen werden.
Der Leser/Hörer unseres
Beispielsatzes zu Goethes „Faust“ schätzt intuitiv auch den zweiten Satzteil
als Bewertung ein: Es liegt
· eine Bewertung des
„Faust“ vor und damit
· ein impliziter
Vergleich von Goethes „Faust“ mit anderen literarischen Werken
· unter dem Aspekt der
Verständlichkeit; daraus ergibt sich
· eine Ordnung, in der
der „Faust“ leichter zu verstehenden Werken gegenübersteht.
· In der Rangordnung
ist mehr Verständlichkeit und weniger Kompliziertheit erstrebenswert.
· Der Istwert
entspricht nicht dem Sollwert, daher erfolgt ein - in diesem Falle sehr
herabgemilderter - Tadel, eine negative Bewertung.
Damit wird derselbe Gegenstand
in unterschiedlicher Hinsicht verschieden bewertet; um eine gut-Prädikation vorzunehmen, ist es für
den Verfasser des Satzes anscheinend jedoch nicht nötig, daß in der Rangordnung
‘Verständlichkeit’ der Sollwert erreicht wird.
Neben Adjektiven mit ihrer
charakterisierenden Funktion können ebenso abgeleitete und nicht abgeleitete
Substantive, Verben und Wortgruppen lexikalisch und kontextuell werten, wie
folgende Beispiele zeigen:[12]
Das kann seinen Reiz haben; auf die Dauer wirkt es
ermüdend und leise langweilig. (FAZ 2.12.88, OBER-MÜLLER über SCHUTTING
Lettaus Tendenz, literarische Qualität
gewissermaßen zu erzwingen [...] (SZ 30.3.88, KAISER über LETTAU)
Großspurigkeit? Ja, aber eine, die durch das scharfe
Bild, die genaue Metapher, den künstlerischen Kalkül eingelöst ist. (SZ
16.7.88, VON SCHIRNDING über NESTLER)
Tempo und jeden Hintersinn vermißt man in dem
ausgedehnten Rahmen [...] (SZ 30.4/1.5.88, LEDANFF über THENIOR)
Dem Größenwahn ist Ironie, die Erkenntnis voraussetzte,
fremd [...] (FAZ 7.6.88, MEYHÖFER über MENASSE)
[...] das allerdings ist poetischer Dünkel der
düsteren Art [...] (ZEIT 14.10.88, WINKELS über HERMANN)
Verben:
[...] mit [...] Gedichten, die zählen [...] (SZ
29.5.88, DREWS über ALLEMANN)
[...] jedes Detail stimmt. (ZEIT 9.9.88, RADDATZ
über BOOCK)
Walser, das zeichnet ihn auch aus, [...]
(ZEIT 16.9.88, LÜDKE über WALSER)
[...] aber diese ständigen Konjunktiv-Demonstrationen
erscheinen als bloße Stil-Gebärden, die erzählerische Souveränität prätendieren
wollen. (ZEIT 7.10.88, BRAND über KONEFFKE)
[...], um das eigene Erleben [...] zur Bedeutsamkeit aufzublähen
[...] (FAZ 7.6.88, MEYHÖFER über MENASSE)
Wortgruppe:
Aber bei einem Prosastück, das [...] sich mit
Bedeutsamkeit geriert, [...] (SZ 19.11.88, VON BECKER über SCHMIDT)
Wesentlich sind für das
Bewerten die sprachlichen Differenzierungsmöglichkeiten, d.h. wie man
unterscheiden kann zwischen einer äußerst positiven/negativen, einer
positiven/negativen und einer gemäßigt positiven/negativen Bewertung. Eine
Möglichkeit der Differenzierung ist die Graduierung, die immer einen Vergleich
enthält.[13] Generell
dienen zur Gradabstufung neben Komparativ und Superlativ (synthetische
Komparation) Gradadverbien und Adjektive, Interrogativpronomen (was für ein, welch), das
Interrogativadverb wie und das
Demonstrativ-pronomen solch[14] (analytische
Komparation).
Auf morphologischer Ebene
bedeutsam ist die Fähigkeit der Adjektive zur Steigerung:
Mit der Grundleistung des Beiworts, zu charakterisieren, abstufend-wertend zu kennzeichnen, hängt seine potentielle ‘Graduierbarkeit’ zusammen. Das Beiwort ist die Wortklasse mit ‘Steigerungsmorphemen’ und der grundsätzlichen Kombinier-barkeit mit davortretenden Gradbezeichnungen. (ERBEN 1972, 170)
Einstufungsausdrücke im Komparativ oder Superlativ enthalten - morphemisch in der Sprache verfestigt - die Berücksichtigung des Vergleichens von Gegenständen, das zum Bewerten gehört. (SANDIG 1979, 142f.)
Das vergleichende Werten ist die eigentümliche Leistung der sogenannten Steigerungsformen. Nur beim Adjektiv gibt es diese Formen, weil nur das Adjektiv im Haushalt der Sprache die Stellungnahme des Menschen ausdrückt. Alle menschlichen Werte (gut, schön, recht) sind zunächst als Adjektive da. (BRINKMANN 1962, 213)
Die komparativische
Verwendung eines Adjektivs für die Eigenschaft einer Bezugsgröße bedeutet, daß
die Eigenschaft bei der Bezugsgröße in höherem oder niedrigerem Grad vorliegt
als bei einer Vergleichsgröße, die genannt wird oder kontextuell zu erschließen
ist. Eine negative Wertung kann durch den Komparativ verstärkt oder abgemildert
werden.
Neben dem Komparativ dient
der Superlativ zur differenzierten Versprachlichung von Bewertungen; durch ihn
wird die Bezugsgröße
aus einer Gruppe von mehr als zwei Größen als diejenige [...] [hervorgehoben], welcher - innerhalb des gegebenen ‘Vergleichsrahmens’ [...] - die in Rede stehende ‘Eigenschaft’ im höchsten Grade zuerkannt wird. (ERBEN 1972, 185)
Die Bezugsgrößen der
superlativisch gebrauchten Adjektive sind Teile des rezensierten Werks
(Romanausschnitte, ein Gedicht, eine Erzählung) im Vergleichsrahmen des
gesamten rezen-sierten Bandes, das rezensierte Werk im Vergleichsrahmen des
Gesamtwerks des Autors, das rezensierte Werk im Vergleichsrahmen einer
speziellen Sparte der Literatur (z.B. ‘Ausländer-literatur’) oder auch der
Autor im Vergleich mit anderen (z.B. bayerischen) Autoren.
Drei Arten des
Superlativgebrauchs sind zu unterscheiden (BÖHEIM 1987, 184f.):
1. „[...] der durch das
Adjektiv bezeichnete Wert [ist], innerhalb des Vergleichsrahmens, bei der
Bezugsgröße in höchstmöglichem Grade gegeben [...].“ (BÖHEIM 1987, 184)
2. Hier „signalisiert
der unbestimmte Artikel, daß die durch das Adjektiv bezeichnete Eigenschaft bei
mehreren außersprachlichen Größen in derselben Vollkommenheit gegeben ist.“
(BÖHEIM 1987, 184f.)
3. „Der Elativ, der
absolute Superlativ, stimmt in der Form mit dem Superlativ überein. Mit ihm
wird außerhalb eines Vergleichs ein sehr hoher Grad bezeichnet“. (DUDEN 1984,
309)
In den untersuchten
Rezensionen finden sich überwiegend Superlative des ersten Typs, wobei die
Superlative positiv wertender Adjektive häufiger sind als die negativ wertender
Adjektive.
1.1) DARSTELLUNG DES
SEHR HOHEN GRADES
Mit Hilfe des Superlativs werten
die Rezensenten in folgenden Beispielen sehr positiv:
Die ausführlichen Passagen, in denen Hegewald die Ausreise Oberlins beschreibt [...] gehören zu den eindrucksvollsten Partien des Romans. (SZ 29.4.88, IRRO über HEGEWALD)
Und das, wie ich finde, schönste Gedicht des
Bandes [...] bringt Eros und Thanatos so zusammen: [...] (FAZ 16.4.88, HARTUNG
über HAHN)
[...] die Polarität, aus der sich sein bisher wohl dichtester
Text entwickelt. (SZ 16.7.88, BOGNER über HENISCH)
Am schönsten vielleicht in der kritischen Huldigung „Für Karl Kraus“, [...] (FAZ 26.2.88, WEINZIERL über FRIED)
[...] am zweiten und wohl eindrucksvollsten
„Woher“-Kapitel [...] (SZ 15.11.88, HAGESTEDT über ACHTERNBUSCH)
Die vier letzten Beispiele
zeigen auch, daß die Rezensenten den Superlativ teilweise sprachlich sofort
wieder abschwächen und ihre Einschätzung als subjektiv kennzeichnen durch den
Einschub wie ich finde und die
Modalitätsadverbien wohl und vielleicht. Doch die Modal-wörter werden
auch verstärkend gebraucht:
Chiellinos Gedichte gehören sicher zu den besten
der Ausländerliteratur. (SZ 13.4.88, TANTOW über CHIELLINO)
Zur Unterstreichung des sehr
positiven Urteils ist in manchen Rezensionen eine Häufung von Superlativen zu
beobachten, im dritten Beispiel wieder mit einem einschränkenden
Modalitäts-adverb (vielleicht):
Hier [=in der letzten Erzählung] gibt es die sprachlich dichtesten, in den Reduktionen und Brüchen bildintensivsten Momente. (SZ 30.11.88, KÄSSENS über BERKÉWICZ)
[...] Uwe Dick, der wortmächtigste und phantasievollste
bayerische Dichter dieser Jahre [...] (ZEIT 7.10.88, HOHOFF über DICK)
Vielleicht die tollste - geglückteste, überzeugendste
- Erfindung Allemanns [...] (SZ 29.5.88, DREWS über ALLEMANN)
Daß sich ein Rezensent nicht
auf eine absolute Höchstwertung festlegen will, beweist neben der Verwendung
der abschwächenden Modalitätsadverbien auch die Verwendung des unbestimmten
Artikels zusammen mit dem Superlativ (=Typ 2):
[...] in einem der brillantesten Aufsätze dieses
Buches [...] (FAZ 4.10.88, SCHIRRMACHER über ENZENSBERGER)
[...] im Gedicht „Sterbenswort“, einem der
eindrucksvollsten dieses Bands [...] (FAZ 4.10.88, GÖRTZ über FELS)
[...], daß einem der bedeutendsten Lyriker der vergangenen
Jahrzehnte Ressentiments [...] vorgeworfen werden, [...] (ZEIT 9.12.88, GREINER
über BRINKMANN)
[Bücher], die ihn in seiner Heimat zu einem der
bekanntesten und meistgelesenen Autoren gemacht haben. (SZ 9.11.88, BÖHMER
über BLATTER)
Neben einfachen Adjektiven
im Superlativ finden sich auch Komposita, deren erste Konstituente ein
Superlativ ist, wie im zuletzt angeführten Beispiel bei meistgelesen.
Durch Augmentativmorpheme
wird ebenfalls eine sehr positive Wertung erreicht. Die Gegen-gruppe zu den
Diminutiva läßt sich dadurch charakterisieren, daß sie
in erster Annäherung [...] durch semantische Merkmale wie ‘groß’ oder ‘stark’ bestimmt sind und sich oft mit zusätzlichen Komponenten einer Stellungnahme, Einschätzung, Bewertung oder Beteiligung verbinden. (WELLMANN 1975, 136)
Nicht sehr groß ist die Zahl
der im Korpus aufgefundenen Augmentativmorpheme. Sie beschränken sich auf das
präfixoidnahe Glanz- (BÖHEIM 1987,
206) in Glanzstück[15]
und das Präfixoid hoch- in hochbegabt und hochentwickelt.[16]
Auch die zahlenmäßig
geringeren Beispiele einer sehr negativen Wertung mit Hilfe des Superlativs des
Typs (1) weisen Formulierungen mit und ohne abschwächende Modalpartikel auf:
Dies letzte Zitat wiederholt die spontansten und
vielleicht schwächsten anderthalb Zeilen in dem neuen Gedichtband von
Ludwig Fels. (SZ 5.10.88, VORMWEG über FELS)
Eher zum Elativ läßt sich
folgender Beleg rechnen, da eine Vergleichsbasis für den Superlativ fehlt:
[...] steckten in ihr nicht die trübsten, fatalsten
Männerphantasien. (ZEIT 11.3.88, MODICK über DIEDERICHSEN)
Superlativischen Sinn erhält
die Verbindung mehr als + Adjektiv,
daher wird im folgenden Fall auch die negative Wertung verstärkt:
Mehr als dick aufgetragen sind
schließlich die mythisch raunenden Hinweise : [...] (FAZ 15.3.88, HANK über
DEAN)
Sehr positive bzw. sehr
negative Wertungen werden ebenfalls erreicht durch den Einsatz verschiedenster
„Gradbestimmungen“. Die analytische Komparation wird durch Gradpartikeln,
unflektierte Adjektive und Adverbien geleistet, die hier als „Gradbestimmungen“
(ERBEN 1972, 182) zusammengefaßt betrachtet werden, insofern sie die Funktion
der graduellen Ab-stufung der durch das übergeordnete Beiwort bezeichneten
Eigenschaft übernehmen. Sie werden in fünf Untergruppen nach dem Grad geordnet
aufgeführt; in Klammern wird nach jedem Wort angemerkt, in welcher
Wertungsrichtung es im Korpus nachgewiesen ist.[17]
(1) Höchster Grad:[18] die
Intensivpartikeln höchst (+), vollkommen (+)
Diese selbst noch im Ungefähren höchst penible
Präzision (ein weiteres Qualitätsmerkmal) [...] (SZ 5.10.88, BUCHKA über
BECKER)
Oder noch mehr jenes anmutig-leichte, fast kunstlos
scheinende Reimgedicht, das sich aber bei näherem Hinsehen [...] als höchst
raffiniertes Kunstprodukt erweist. (FAZ 1.10.88, UEDING über KROLOW)
Das ändert nichts an der Tatsache, daß dies ein höchst
bemerkenswertes Debüt ist, ja eine literarische Entdeckung. (SZ 4.6.88, CRAMER
über SCHMIDT)
Dies alles [= Stillagen-Wechsel] auf engstem Raum, oft in
einem Satz, aber ohne Gedränge, in vollkommen gestischer Rede. (ZEIT
22.4.88, NEUMANN über AICHINGER)
Auffällig ist, daß im
Textkorpus für diese Partikeln nur positiv wertende Beispiele zu finden sind.
(2) Sehr hoher Grad:[19] die Intensivpartikeln
ungeheuer (-), unglaublich (-), unmäßig
(-), furchtbar (-), aufregend (+), unheimlich (+)
[Wörter], die Ungeheures andeuten und ungeheuer
wenig ausdrücken. (ZEIT 25.3.88, KILB über HAHN)
Der
Rezensent spielt hier mit der Verwendung des Wortes ungeheuer als substantiviertes Adjektiv in seiner ursprünglichen Bedeutung und
als Mittel zur Gradierung.
Doch wird all dies [...] so furchtbar phantasielos
in Szene gesetzt, so unglaublich ungelenk protokolliert, [...] ( FAZ
17.9.88, GÖRTZ über WALSER)
Der Text wirkt so unmäßig abgesichert, so mutlos
klug verwoben ins Legendenhafte [...] (SZ 30.3.88 KAISER über LETTAU)
[...] aufregend gute, vor Lebendigkeit sprühende
[...] Gedichte. (SZ 28.5.88, DREWS über ALLEMANN)
[...] unheimlich präzise Dialoge (SZ 11.6.88,
MOSER über BAUR)
(3) Hoher Grad:[20] sehr (+), besonders (+), außerordentlich
(+), ganz (-, + mit Verb), sattsam[21]
(-), gründlich (- mit Verb), ein hohes Maß an (+ mit Substantiv), groß (+ mit Substantiv)
[...] gelungen ist das sehr schön in der Novelle
„Der Aufklärungsmacher“ [...] (SZ 15.11.88, FALCKE über BEYSE)
Das ist das Spannende, auch sehr Kunstvolle an
Sarah Kirschs kleiner „Chronik“. (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über KIRSCH)
So ist sehr geschickt die Beschreibungsebene
durchgehalten [...] (ZEIT 8.1.88, STÄNNER über AMANN)
[...] in einer sehr melodischen, sehr
magischen, bezaubernden und vor allem [...] sehr eigenen Prosa [...]
(ZEIT 9.12.88, HAMMERSCHMIDT über BEYSE)[22]
Unter den DDR-Schriftstellern ist er einer der besonders
gebildeten. (SZ 12.3.88, SCHOELLER über FRIES)
In einem besonders schönen Kapitel [...] schreibt
Christa Moog [...] (FAZ 15.12.88, REICH-RANICKI über MOOG)
Seiner literarischen Qualität nach ist es [=das Debüt des
Autors] außerordentlich vielversprechend. (FAZ 15.10.88, JACOBS über
KONEFFKE)
Ganz uneinsehbar aber ist der
fast schicke Gebrauch der Parataxe. (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über KIRSCH)
[...] ganz schwache Gedichte [...] (SZ 28.5.88,
DREWS über ALLEMANN)
[...] die schlechteren (manchmal ganz fahrigen,
tonlosen) [Verse] (ZEIT 5.8.88, VON BECKER über SCHMIDT)
Etwa ganz sinnlose Zeitüberblendungen [...] (ZEIT
9.9.88, RADDATZ über BOOCK)
Viele dieser Eintragungen sind ganz einfallslos
[...] (FAZ 30.4.88, SCHIRRMACHER über BURGER)
[...] daß Allemann [...] ganz enorm viel kann (SZ
28.5.88, DREWS über ALLEMANN)
Diese sich neu gerierende, doch sattsam bekannte
„Wildheit“ (ZEIT 11.3.88, MODICK über DIEDERICHSEN)
Er ist an seinen zu hohen Ansprüchen ziemlich gründlich
gescheitert. (FAZ 28.1.88, ENGEL über KINDER)
Beyse greift in seiner neuen Erzählung [...] auf einen
kulturgeschichtlichen Bildbestand zurück, der seiner Prosa ein hohes Maß an
Anschaulichkeit hätte vermiteln können [...] (FAZ 28.9.88, HINCK über BEYSE)
Die Geschichte dieses „Abgangs“ [...] hat große
Überzeugungskraft. (ZEIT 9.9.88, RADDATZ über BOOCK)
Eva Schmidts Beobachtungen sind von großer
Empfindsamkeit [...] (SZ 19.11.88, VON BECKER über SCHMIDT)
(4) Zu hoher Grad:[23] zu, allzu, gar zu
Das Objekt wird negativ
beurteilt, weil es eine Eigenschaft im Übermaß besitzt oder das Maß des noch
Akzeptierbaren überschritten hat. Es kann
(a) eine ursprünglich
deskriptive Aussage modifiziert werden (zu
lang) oder
(b) eine negative Bewertung
ergänzt werden (zu schlecht).
(c) Auch wenn das Objekt
etwas Positives im Übermaß besitzt, kann es durch die übertriebene
Werterfüllung eine negative Bewertung erfahren (allzu sicher).
(a) zu + wertneutrale Aussage:
In dieser Kategorie
verbreitet ist die Kombination von zu
mit einer weiteren Häufigkeits- oder Gradangabe wie oft/selten oder viel/wenig:
Ein Dauerfeuer der Reflexionen und Bilder prasselt auf
den Leser ein, nur leuchtet zu selten ein Zusammenhang auf. (FAZ
28.9.88, HINCK über BEYSE)
Amann muß wohl selbst gespürt haben, daß dies alles
vielleicht doch zu wenig ist. (FAZ 6.11.88, KLESSMANN über AMANN)
[...] dann läßt sich sogar einwenden, daß bei aller dem
Autor zugestandenen Subjektivität wohl doch zu wenig solche Typologie
bedacht worden ist [...] (FAZ 15.10.88, SCHULZ über HÄRTLING)
Auch als Parallelismus mit
entgegengesetzter oder gleichsinniger Aussage:
Zu wenig Schriftsteller, zu
sehr Leser [...] (FAZ 30.4.88, SCHIRRMACHER über BURGER)
Zu oft hängt dem ironischen
Sprechen etwas Angestrengtes und Gequältes an, zu oft werden Pointen
herbeigezwungen [...] (FAZ 29.3.88, HINCK über LETTAU)
[...] statt allzuoft ins Zitieren oder Collagieren
auszuweichen [...] (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)
Sie [=Isabella Nadolny] fügt allzu oft
Literarisches hinzu [...] (SZ 10.9.88, KAISER über NADOLNY)
Als Einwand bleibt jedoch: Diese Notizen zu Macht und
Ohnmacht [...] sind zu oft zu sehr nur Notizen [...] (SZ 15.6.88,
REINHARDT über FUCHS)
Passagenweise zieht der Text in seinen Bann, aber zu
oft verheddert er sich im Zuviel [...] (SZ 10.9.88, WEISS über
BURMEISTER)
Die zu häufige Verwendung von toten kleinen
Töchtern und blinden Söhnen [...] (SZ 6.8.88, VON BECKER über DUVANEL)
Ein Wust aus Bildern, filmischen Schlüsselszenen und
personaler Vervielfältigung verwickelt die Lektüre in viel zu viele
Details [...] (SZ 10.9.88, WEISS über BURMEISTER)
[...] und sich zuweilen auch im Bad des sauren Kitsches -
entschieden zu viele Krähen! - ergeht. (ZEIT 4.3.88, SCHMID über
KURZECK)
Kinder will auf den dreihundert Seiten einfach zuviel
[...] (FAZ 28.1.88, ENGEL über KINDER)
Zuviel mutet er [=der Autor]
den Grenzgängern [=Novellenfiguren] an Problembewußtsein zu. (ZEIT 7.10.88,
STEINERT über SAEGER)
Die zweite Novelle [...] überzeugt eher [...]. Zum einen,
weil sie [...] den Autor nicht dazu verleitet, zuviel aufs dürre
Handlungsgerüst zu laden [...] (ZEIT 7.10.88, STEINERT über SAEGER)
Weitere Kombinationen mit
wertneutralen Adjektiven, z.B. mit Adjektiven der Schreibweise:
[Untertitel:] „Der Flötenton“ - ein zu langer
Roman von Gabriele Wohmann (FAZ 22.10.88, MIEHE über WOHMANN)
Sein Bericht - eine viel zu lang geratene
Reportage [...] (FAZ 23.6.88, FULD über HERBURGER)
[...] bis in historisch allzu ausführliche [...]
Exkurse [...] (SZ 29.6.88, KÄSSENS über EIGNER)
Im ersten Fall soll er [=der Ring] das Scheitern einer
Liebe versinnbildlichen (er landet deswegen etwas allzudeutlich im
„Mülleimer“) [...] (FAZ 21.4.88, HINDERER über CÄMMERER)
Deutlich, oft allzu deutlich stellt sich der Roman
in die Tradition der großen Anti-Utopien von Samjatin, Huxley [...] (ZEIT
25.3.88, KLIER über SCHOLTEN)
Koneffke inszeniert etwas zu ostentativ die
Schizophrenie seines Helden [...] (ZEIT 7.10.88, BRAUN über KONEFFKE)
Allzu durchsichtig sind sie
auf einen scheinbar hintergründigen Effekt hin konstruiert [...] (FAZ 13.10.88,
FULD über HERMANN)
Aber diese Dekonstruktion gegenständlichen Erzählens ist
als Konstruktion allzu durchsichtig. (FAZ 28.9.88, HINCK über BEYSE)
[Die Hauptfigur] erinnert sich nicht nur an vergangene
Lebensbilder, sondern notiert auch (etwas zu offenkundig konstruierte)
Träume. (SZ 13.3.88, LEDANFF über SEEHAUS)
[...] vor allem wenn die assoziative Metaphorik an
einigen Stellen allzu absichtsvoll verallgemeinert [...] (SZ 13.3.88,
LEDANFF über SEEHAUS)
[... er] schreitet gar zu vielfältig die
Möglichkeiten von Gedichten ab [...] (SZ 28.5.88, DREWS über ALLEMANN)
Das ist vielleicht schon zu griffig. (SZ 3.12.88,
KAISER über AICHINGER)
[...] aber er verschenkt dieses Motiv des Seiltänzers,
das er viel zu früh abbricht. (ZEIT 8.1.88, STÄNNER über AMANN)
Da macht er [=der Autor] es sich zu leicht, führt
beide [Figuren] zu eindimensional vor [...] (SZ 13.8.88, AUFFERMANN über
HOFMANN)
(b) zu + negativer Bewertungsausdruck:
Nichts ist ihm dabei zu abgeschmackt, keine Metapher
zu schief, keine Persiflage zu abgedroschen [...] (ZEIT 25.3.88,
SCHMICKL über MAURER)
Ransmayrs Erzähl-Vordergrund bleibt dafür zu
trübe. (SZ 22.10.88, KAISER über RANSMAYR)
Doch bei der Trennung von Insel-Engländern und Auslands-Engländern bleibt die Ironie allzu flach in der Schlußbilanz [...] (FAZ 29.3.88, HINCK über LETTAU)
Zu viel [s.o.], zu
laut, zu ungenau [...] (SZ 13.7.88, MANTHEY über KONRAD)
[...] allzu erlauchte Worte. (SZ 22.10.88, KAISER
über RANSMAYR)
(c ) zu (+ Häufigkeits- bzw. Gradangabe) + positiver Bewertungsausdruck:
Andererseits tut Maurer manchmal des Guten zuviel
[...] (FAZ 22.3.88, WEINZIERL über MAURER)
Ulrich Peltzers allzu sicherer Debüt-Roman „Die
Sünden der Faulheit“ [SZ 9.1.88, MOSER über PELTZER)
[...] manches wirkt zu geschickt arrangiert, zu
elegant erweitert. (SZ 10.9.88, KAISER über NADOLNY)
[...] gekonnt, aber etwas zu routiniert [...]
(ZEIT 23.9.88, KÖRTE über HOFMANN)
Das huscht vielleicht manchmal vielleicht etwas zu
glatt und geschmeidig dahin [...] (ZEIT 9.12.88, HAGE über NIEDERHAUSER)
Polytickis Problem [...]: Er kann einfach zu viel,
und dieses Können erdrückt nicht nur den Leser, sondern auch das Werk. (ZEIT
22.4.88, RATHJEN über POLITYCKI)
Peltzer kann viel. In seinem Erstling vielleicht einfach
ein bißchen zuviel. (SZ 9.1.88, MOSER über PELTZER)
Die einzige positive
Bewertung liegt vor in der Kombination Konjunktiv II im vorausgehenden Satz + zu + positiver Bewertungsausdruck:
Wie billig wäre es, die zwei schon älteren Menschen
zusammenkommen oder auseinandergehen zu lassen. Dazu ist Margit Baurs Buch zu
intelligent. (SZ 11.6.88, MOSER über BAUR)
(5) gemäßigter/
mäßig hoher Grad:[24] recht (+, -), ziemlich (-), reichlich
(-), gehörig (-), hübsch (+), ganz (+)
[...] liest sich Hofmanns neues Werk [...] recht
spannend [...] (FAZ 13.8.88, BRODE über HOFMANN)
Bei solchen Sprach-Leistungen kann der recht
schlichte Sprach-Optimismus schon nicht mehr verwundern [...] (FAZ 4.11.88,
HARTUNG über BERGER)
Auch wirkt vieles an Möchels Konstruktion recht
gesucht. (FAZ 2.12.88, WEINZIERL über MÖCHEL)
[...] ein recht geschwätziges Buch also [...] (FAZ
18.10.88, MEYHÖFER über HEINZEN)
Er ist an seinen zu hohen Ansprüchen ziemlich
gründlich gescheitert. (FAZ 28.1.88, ENGEL über KINDER)
Im letzten Beispiel wird
eine Gradpartikel des hohen Grades (s.o. gründlich)
durch eine weitere Gradpartikel gemäßigt.
Lauter ziemlich perfekte Sätze. (SZ 30.3.88,
KAISER über LETTAU)[25]
Daran muß es liegen, daß auch die Sätze, die von ihm [=
der Hauptfigur] berichten, mitunter reichlich abgekupfert klingen [...]
(SZ 6.7.88, HÖBEL über DOBLER)
[...] was bisweilen ganz lustig ist, zumeist aber gehörig
nervt. (ZEIT 25.3.88, SCHMICKL über MAURER)
[...] eine hübsch deftige Sprache [...] (SZ
28.5.88, DREWS über ALLEMANN)
[...] was bisweilen ganz lustig ist [...] (ZEIT
25.3.88, SCHMICKL über MAURER)
1.2) DARSTELLUNG DES
NORMALEN GRADES
Eine nicht gesteigerte
positive Bewertung ist u.a. auch durch Komparation möglich, z.B. durch den
Komparativ mehr in Verbindung mit
gemäßigt negativ bewerteten oder neutralen Vergleichsobjekten.
Und so ist dieser Roman mehr als die ernste,
schöne Kindergeschichte, die er auch ist: Ein Ehe- und Liebesroman, [...] Weit mehr
als eine Anfängerarbeit. (ZEIT 9.12.88, HAGE über NIEDERHAUSER)
Positiv wertend wird der
Komparativ immer unter Angabe des Vergleichsgegenstandes verwendet, teils auch
als Doppelform:
Eine sinnfälligere Darstellung eines
Illusionsverlustes als durch das Weglassen des Wortes „neue“ ist kaum denkbar:
[Zitat] (SZ 13.8.88 FELDES über HENSEL)
Anrührender, auch faszinierender
freilich sind einige Gedichte, in denen der Tod an diese Lebensmitte rührt.
(FAZ 16.4.88, HARTUNG über HAHN)
Noch nie ist knapper und gnadenloser dieser
ganze postmoderne Muff [...] geschildert worden, [...] (ZEIT 6.5.88, EYRING
über ERDHEIM)
Erfahrungen mit den
Bewertungsskalen in Rezensionen und die Kenntnis des Kontextes zeigen, daß
folgende Komparative ebenfalls positiv wertend verstanden werden müssen:
Der Humor in den späteren Texten ist rauher, verzweiflungsstärker,
närrischer geworden; [...] (ZEIT 22.4.88, NEUMANN über AICHINGER)
Ebenfalls der positiven
Wertung dient im folgenden Beispiel die Kombination Komparativ + Konjunktiv II:
Der Rezensent gibt einen nicht wünschenswerten Grad an, der jedoch nicht
erreicht wurde.
Wäre es ihm nur darum gegangen, Ärgernis zu erregen, hätte er ein anderes Buch schreiben müssen, eine einfacher strukturierte, weniger ambitionierte, kurz: plattere und dümmere Geschichte, [...] (FAZ 24.9.88, WITTSTOCK über GOETZ)
Die Implikation, die dieser
positiven Bewertung zugrundeliegt, lautet: ‘Das Buch ist nicht einfach
strukturiert, es ist ambitioniert, nicht platt und nicht dumm’.
Der Kombination Komparativ +
Konjunktiv II in positiver Wertungsrichtung ähnlich in der Aussage ist die
Negierung einer negativen Wertung: Auch hier zeigt der Rezensent einen
möglichen Fehler auf, der dem betreffenden Autor jedoch nicht unterlaufen ist.
Allgemein können z.B. durch Negationswörter
negativ oder positiv wertende Wörter bzw. Sätze negiert und damit positive oder
negative Urteile gefällt werden. Im Falle einer Negierung einer positiven
Wertung legt der Rezensent seine Kriterien bzw. seine Erwartungsnorm offen und
zeigt, wie es hätte sein sollen, wie es aber nicht ist.[26]
Im Falle einer Negierung einer negativen Wertung weist der Rezensent auf einen
möglichen Fehler hin, den der Autor vermieden hat (s.o.).
Die DUDEN-Grammatik (41984,
640ff.) unterscheidet Negationspronomen, die Subjekt oder Objekt oder auch ein
Attribut vertreten können, wie z.B. kein(er),
niemand, nichts, von Negationspartikeln wie nicht, nie, nie und nimmer, niemals, nirgends, nirgendwo, nirgendwoher,
nirgendwohin, keinesfalls, keineswegs, die alleine eine syntaktische Stelle
einnehmen können und auch zu anderen Satzgliedern hinzutreten können.[27]
Beispiele für
Negationspronomen in positiven Wertungen liefert das Korpus für kein bzw. keinerlei und nichts:
In den Beispielen zum
Negationspronomen kein wird u.a. eine
negative Aussage negiert: Der Rezensent weist auf einen möglichen Fehler hin,
der dem rezensierten Autor jedoch nicht unterlaufen ist (s.o.).
Dick ist kauzig und schreibt vertrackt, aber er ist
beileibe kein folkloristischer Gaudibursch. (ZEIT 7.10.88, HOHOFF über
DICK)
Chiellino schreibt keinen Zierat für Feuilletons
[...] (SZ 13.4.88, TANTOW über CHIELLINO)
Die Chuzpe, mit welcher der Autor sich auf seine
Schlagfertigkeit verläßt, hat zwar gelegentlich Patzer und Pannen zur Folge,
aber keine Pausen, keine Pedanterie. (SZ 16.1.88, KAISER über
BECKER)
Ebenso führen Verneinung
eines Fehlers mit nicht und doppelte
Verneinung einer positiven Wertung auch zu positiven Gesamtbewertungen, die
jedoch wiederum weniger stark positiv wertend erscheinen als die positive
Wertung alleine (witzig, interessant):[28]
Fuchs schwelgt nicht in Adjektiven und
schwadroniert nicht mit flachen Tiefsinnigkeiten. (ZEIT 1.4.88, BIERMANN
über FUCHS)
Beckers modernes Märchen ist kühl angeberhaft, aber nicht
langweilig geschrieben. (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)
Goetz ist aufs Ganze aus. Für Kunst und Literatur kann
diese Haltung nicht falsch sein. (FAZ 24.9.88, WITTSTOCK über GOETZ)
Er [=der Autor] macht auch mal, nicht unwitzig,
eine Kopie [...] (FAZ 4.11.88, HARTUNG über FRIES)
Dies Spiel mit dem Licht und seinen Schattenseiten wäre nicht
uninteressant [...] (FAZ 15.3.88, HANK über DEAN)
Auch für nie und keineswegs
finden sich negative und positive Gesamtbewertungen. Beispiele für positive Gesamtbewertungen
(Verneinung eines möglichen Fehlers) sind:
Er wird, darin fast Sartre vergleichbar, nie zum
Sklaven dessen, was er gestern für richtig hielt. (SZ 15.11.88, KAISER über
ENZENSBERGER)
Ihre Naturgedichte waren bei aller Heimatsuche nie
idyllisch gemeint, sondern (das ist keine Tautologie) natural und politisch.
(SZ 24.2.88, KURZ über HANNSMANN)
Doch Talent und Ton [...] lassen [...] Thorsten Becker
immer noch als Vielversprechenden erscheinen und keineswegs als
Versager. (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)
1.3) DARSTELLUNG DES
GEMÄßIGTEN GRADES
Kombinationen der
Negationspartikel nicht mit un-Präfigierungen führen zu gemäßigt
positiven bzw. gemäßigt negativen Bewertungen (s.u.): Abgeschwächt positive Bewertungen
ergeben sich aus der doppelten Verneinung eines positiv wertenden Adjektivs:
Er [=FRIES] macht auch mal, nicht unwitzig, eine
Kopie - [...] (FAZ 4.11.88, HARTUNG über FRIES)
Auch gemäßigt negative
Urteile lassen sich z.B. durch Komparation erreichen:
Ein literarisches Werk oder
Teile daraus als schwach zu
bezeichnen bedeutet, ein hartes negatives Urteil zu fällen. Wird in diesem
Zusammenhang der Komparativ schwächer
ohne konkrete Vergleichsbasis benutzt, mildert der Rezensent sein Urteil ab.[29]
Allemann [...], verführbar auch zu schwächeren
Pointen [...] (ZEIT 5.8.88, VON BECKER über ALLEMANN)
Im folgenden Beispiel ist
wohl ebenfalls eher die abmildernde Funktion des Komparativs zu vermuten, auch
wenn eine Vergleichbasis (nämlich die anderen Gedichte des betreffenden Bandes)
genannt wird:
Natürlich gibt es auch einige schwächere Gedichte
in diesem Band. (SZ 13.8.88, FELDES über HENSEL)
Schwächer findet sich ebenso in rein vergleichender
Funktion:
Gemessen an „Fassonschnitt“ [=das erste Werk des Autors]
ist „Das Ende einer Feigheit“ die schwächere Doublette. (SZ 15.6.88,
REINHARDT über FUCHS)
Innerhalb der negativen
Wertungen trifft man auch auf die „Steigerung in umgekehrter Richtung“ (ERBEN
1972, 187) mit weniger:
Gelungen ist das sehr schön in der Novelle „Der
Aufklärungsmacher“ [...]; weniger gut in „Ultima Thule. Eine Rückkehr“.
(SZ 15.11.88, FALCKE über BEYSE)
Die Bewertung fällt mit weniger gut immerhin noch besser aus als
mit der Komparativform schlechter.
[...] „und sind uns ziemlich nah und doch sehr fern.“ Ein
köstliches „ziemlich“ [...]. Zwei Sonette später heißt es, schon weniger
köstlich: [...] (FAZ 4.11.88, HARTUNG über BERGER)
Eine Prosa, die [...], ist womöglich weniger durchdacht
als sie erscheinen möchte. (SZ 15.11.88, FALCKE über BEYSE)
Die schon oben erwähnte
Negierung ist für die gemäßigt negative Wertung noch wichtiger als für die
gemäßigt positive Wertung.
Die Verneinung eines positiv
wertenden Wortes erzeugt oft eine gemäßigt negative Wertung und verweist auf
eine bewußt oder unbewußt präsupponierte Norm. Der DUDEN (1984, 485) nennt das
Präfix un- den „Hauptträger der
Negationsbildung“. Wenn Antonyme zu einfachen Adjektiven vorhanden sind,
„können die un-Bildungen der
(wertenden) Differenzierung des Gegensatzes dienen (richtig - falsch/unrichtig; gut - schlecht/ungut[30];
schön - häßlich/un-schön).“ FLEISCHER (1975, 290) und SCHIPPAN (21975,
81) verweisen auf den wertenden Charakter des Präfixes un- und darauf, daß es häufiger mit Lexemen verbunden ist, die
positiv werten: Insgesamt ergibt sich aus solchen un-Präfigierungen daher eine negative Wertung. In unserem
Textkorpus finden sich neben un-Bildungen
wie unangebracht, unnötig,
Unkorrekt-heit, Untugend auch ungewöhnliche Wendungen wie das gemäßigt
negativ wertende unblen-dend[31],
daneben auch das positiv wertende unverbraucht
und Kombinationen der Negations-partikel nicht
mit un-Präfigierungen:
Der Konjunktiv II bewirkt im
nächsten Beispiel eine negative Wertung, zusammen mit der doppelten Verneinung
ergibt sich eine gemäßigt negative Wertung:
Das Spiel mit dem Licht und seinen Schattenseiten wäre
nicht uninteressant, [...] (FAZ 15.3.88, HANK über DEAN)
Einen Hinweis auf das
Bewertungskriterium ‘Spannung’ verrät
folgender durch die doppelte Negation gemäßigt negativ wertender Beleg:
[...] ein recht geschwätziges Buch also, an Pointen nicht
sparsam und voll der nicht unerwarteten Wendungen. (FAZ 18.10.88,
MEYHÖFER über HEINZEN)
Das Beispiel zeigt auch, daß
SANDIGs Feststellung zu „Einstufungen mittels negiertem Bewertungsausdruck“ -
sie „enthalten einen Hinweis auf Kriterien (Eigenschaften, Handlungen), die der
Fall sein sollten aber ‘nicht’ der Fall sind, d.h. auch einen impliziten
Vergleich“ (SANDIG 1979, 143) - differenziert werden muß. Erwartete Wendungen sind unter dem Kriterium der ‘Spannung’ negativ
zu bewerten, unerwartet steht damit
für einen positiven Wert, der jedoch im obigen Zitat wiederum negiert ist;
damit wird eine abgeschwächt negative Wertung des Buches erreicht.
Die doppelte Verneinung mit nicht und dem Negationspräfix un- führt im folgenden Beispiel unseres
Korpus zu einer negativen Gesamtbewertung, die jedoch schwächer negativ urteilt
als das Adjektiv strapaziös alleine:
Allerdings gehört Jochen Beyses polynesisches Grönland nicht
eben zu den unstrapaziösen Reisezielen. (ZEIT 8.4.88, HORSTMANN über
BEYSE)
Abgeschwächt wird die
Negierung in manchen Beispielen durch weitere sprachliche Mittel und verliert
dadurch ihre Schärfe: nicht sehr, nicht
wirklich, nicht sonderlich
verneinen in den folgenden Beispielen kontextuell positiv wertende Lexeme bzw.
Wortgruppen. Dies führt zu einem gemäßigt negativ wertenden Gesamturteil.
[...] Erörterung tiefer, aber nicht sehr
origineller Gedanken [...] (FAZ 20.9.88, MIEHE über BLATTER)
Ulla Berkéwizc schreitet hier das Spannungsfeld zwischen
Theater und Wirklichkeit, Gestern und Morgen, vorwärts- und rückwärtsgewandter
Utopie nicht wirklich aus. (SZ 30.11.88, KÄSSENS über BERKÉWICZ)
[...] wenngleich das Sujet [...] nicht sonderlich
originell ist. (FAZ 17.10.88, KOOPMANN über BRANDSTETTER)
Ebenso ist es natürlich
möglich, durch Gradbestimmungen des geringen Grades:[32]
wie z.B. mäßig (-), kaum (-) eine gemäßigt negative Wertung
zu erreichen. Im ersten Beispiel ist u.a. die Fokuspartikel nur für die
negative Wertungsrichtung verantwortlich.
[...] er habe es mit [...] Büchern zu tun gehabt, von
denen einige auch nur mäßig interessant sind. (FAZ 28.1.88, ENGEL über
KINDER)
[...] so enttäuschend ist denn doch, daß die Erfahrungen
eines gelebten Lebens kaum eingingen in die Mini-Texte. ( SZ 30.3.88,
KAISER über LETTAU)
1.4) WEITERE MODIFIZIERUNG: ANNÄHERUNG, EINSCHRÄNKUNG
Alle Gradangaben - die des
hohen, des normalen und des gemäßigten Grades in positiver und negativer
Wertungsrichtung - lassen sich nochmals modifizieren durch die Hinzufügung
eines annähernden[33]
fast (-, +), beinahe (-), nahezu (-), hart an der Grenze zu (-). Der jeweilige
Wertungsgrad wird dadurch abgemildert:
Das [=Zitat eines Gedichtteils] ist natürlich
pseudo-konkret und fast so peinlich, wie eine Genitiv-Metapher aus der
Lyrik der fünfziger Jahre meist ist. (SZ 29.5.88, DREWS über ALLEMANN)
Fast unfreiwillig komisch an
anderer Stelle [Zitat] (ZEIT 26.8.88, HAGE über GRASS)
Ganz uneinsehbar aber ist der fast schicke
Gebrauch der Parataxe. (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über KIRSCH)
In eine „allgemeine Trübnis“ will uns der Autor auf diese
Weise einstimmen [...] Fast verdirbt er uns die Laune damit. Aber eben nur:
fast. (FAZ 20.8.88, HIEBER über KURZECK)
Eigners Prosa, die etwa norddeutsche Wolkenlandschaften
mit fast überirdischer Sprachmagie vor unserem inneren Auge
heraufzubeschwören vermag. (ZEIT 19.8.88, HORSTMANN über EIGNER)
[...] und hier [=in der Sprache] wird das Buch beinahe
ungenießbar. (SZ 5.10.88, HAUCK über MEINECKE)
Souverän durchkonstruierte Texte wie diejenigen Lettaus
sind nahezu unangreifbar. (SZ 30.3.88, KAISER über LETTAU)[34]
Und nun so etwas, das leider hart an der Grenze zur
Schnulze entlangschrammt? (FAZ 16.3.88, MIEHE über SCHEIB)
Ebenfalls beliebt bei den
Rezensenten sind sprachliche Mittel, mit denen das gefällte Urteil
eingeschränkt werden kann,:[35]
wie z.B. durch die Gradpartikeln etwas
(-), ein bißchen (-), ein wenig (-), leise (-) und die Fokuspartikeln nur (-), nurmehr (-), lediglich (-), bloß (-), ebenso durch allenfalls
(-), allerhöchstens (-), eher (-).
Die ersten drei Beispiele
verbinden die einschränkende Gradpartikel etwas mit der Partikel des zu
hohen Grades zu:
Das huscht manchmal vielleicht etwas zu glatt und
geschmeidig dahin [...] (ZEIT 9.12.88, HAGE über NIEDERHAUSER)
Koneffke inszeniert etwas zu ostentativ die
Schizophrenie seines Helden [...] (ZEIT 7.10.88, BRAUN über KONEFFKE)
Im ersten Fall soll er [=der Ring] das Scheitern der
Liebe versinnbildlichen (er landet deswegen etwas allzudeutlich im
„Mülleimer“). (FAZ 21.4.88, HINDERER über CÄMMERER)
[...] und [er] schreibt eine dichte, wenn auch
gelegentlich etwas manierierte Prosa [...] (FAZ 24.9.88, WITTSTOCK über
GOETZ)
Peltzer kann viel. In seinem Erstling vielleicht einfach ein
bißchen zu viel. (SZ 9.1.88, MOSER über PELTZER)
Eingeschränkt wird hier der allzu hohe Grad
Typ (4 a) (s.o.).
[...] ein bißchen kitschig beschrieben. (FAZ
1.7.88, MIEHE über BIANCHI)
Für einen Lyriker vom Range Erich Frieds scheint das ein
bißchen dürftig. (FAZ 26.2.88, WEINZIERL über FRIED)
[...] daß mich dieser letzte Lettau-Band [...] ein
wenig enttäuscht. (SZ 30.3.88, KAISER über LETTAU)
Das kann seinen Reiz haben; auf die Dauer wirkt es
ermüdend und leise langweilig. (FAZ 2.12.88, OBERMÜLLER über SCHUTTING)
Nur mit Adjektiv: Die einschränkende Fokuspartikel nur
erzeugt zusammen mit einem (kontextuell) positiv wertenden Adjektiv eine
negative Wertung.
Einige Bilder scheinen mir nur originell zu sein.
(SZ 13.8.88, FELDES über HENSEL)
[...] wo [...] der Sprach- und Realismus-Zweifel sich
einmal mehr nur erkenntnissicher selbst bespricht. (ZEIT 5.8.88, VON
BECKER über ALLEMANN)
Und was da „gemacht“ wird, ist keineswegs nur
technisch oder „experimentell“, verrät vielmehr schon auch ein vertracktes
Lebensgefühl [...] (SZ 28.5.88, DREWS über ALLEMANN)
Im vorausgehenden Beispiel
ist die Wertung durch die Negation keineswegs
positiv.
Eine der Stärken von „Fassonschnitt“ [=das erste Werk des
Autors], die Kommiß-Dialoge, findet sich hier nur in ausgedünnter Form:
als Schnellregistratur. (SZ 15.6.88, REINHARDT über FUCHS)
Selbst Mela und die Tochter verfügen zur Beschreibung
ihrer Gefühle meist nur über abgegriffene Sätze. (FAZ 25.9.88,
HEINRICH-JOST über FRISCHMUTH)
Seine Prosa glänzt auch hier mit Intelligenz, doch oft in
Form einer nur noch koketten Aphoristik. (FAZ 28.9.88, HINCK über BEYSE)
Die
Fokuspartikel nur wertet negativ zusammen
mit einem Substantiv, das die Bedeutungs-komponente
´klein´/´wenig´/´uneindeutig´ enthält.
Das Buch gibt von allemdem immer nur Ansätze.
Ansätze, die Eindruck machen, aber bloß Vorwand bleiben [...] (SZ 22.10.88,
KAISER über RANSMAYR)
Die Hindernisse [...] sind wiederum nur Auslöser
mäßig witziger Pointen. (SZ 5.10.88, HAUCK über MEINECKE)
Härtlings „Wanderer“ ist leider nur ein Zwitter
geworden. (ZEIT 7.10.88, LÜDKE über HÄRTLING)
Als Einwand bleibt jedoch: Diese Notizen zu Macht und Ohnmacht
[...] sind zu oft zu sehr nur Notizen [...] (SZ 15.6.88, REINHARDT über
FUCHS)
Manchmal landet eine poetische Bildlichkeit, die
verblüffend sein will, auch nur bei einem Mini-Surrealismus [...] (SZ
28.5.88, DREWS über ALLEMANN)
Die
Fokuspartikel nur wertet ebenso negativ mit an sich wertneutralen Verb(verbindung)en:
Denn Adelheid Duvanel mischt die Bestandteile ihrer
literarischen Skizzen nur immer wieder neu auf. (SZ 6.8.88, VON BECKER
über DUVANEL)
[...] all die gesellschaftlichen Außenseiter, die den
Roman bevölkern, haben nur die Funktion, diesem Großstadt-Krimi ein
wenig mehr farbenprächtige Dekoration [...] zu verleihen. (ZEIT 4.3.88, BRAUN
über PELTZER)
Die
Fokuspartikel lediglich bewirkt eine
negative Wertung, einmal mit wertneutralem und einmal mit wertendem Adjektiv:
Es sind lauter Standbilder, die lediglich flott
aneinandergereiht sind [...] (ZEIT 25.3.88, SCHMICKL über MAURER)
Was köstlich kapriziös wirken [...] soll, ist lediglich
verkrampft. (SZ 5.10.88, HAUCK über MEINECKE)
Alle
weiteren Beispiele zeigen Verbindungen von Partikeln und (kontextuell)
wertenden Wörtern bzw. Wortgruppen.
Lediglich mit Verb:
Barbara Frischmuth kokettiert lediglich mit ihrer
Zeitgenossenschaft. (FAZ 25.9.87, HEINRICH-JOST über FRISCHMUTH)
Lediglich mit Substantiv:
[...] in Henischs Text gerinnt seine Beschreibung lediglich
zum Klischee. (FAZ 2.8.88, BIELEFELD über HENISCH)
[...] und verbreitet damit von den ersten Kapiteln an lediglich
Langeweile. (FAZ 2.3.88, HEINRICH-JOST über SCHOLTEN)
Die Sprachskepsis etwa eint diese Autoren, auch wenn sie
anfangs nicht selten zur klischeehaften, bloß rhetorisch bekundeten
Attitude wird [...] (FAZ 4.10.88, HIEBER über SOELLNER)
Allzuviel klingt hier bloß gutgemeint [...] (FAZ
26.2.88, WEINZIERL über FRIED)
Gespräche der handelnden Personen, in denen Aufklärung
vermittelt werden soll, klingen dann allenfalls gut gemeint. (FAZ
16.3.88, MIEHE über SCHEIB)
Archaisierende Wendungen [...] zielen wohl auf komische
Effekte ab, nur werden die Bilder dabei so schief [...], daß man allenfalls
von unfreiwilliger Komik sprechen kann. (SZ 5.10.88, HAUCK über MEINECKE)
Denn dieser „moderne“ Möchtegernroman ist allerhöchstens
postmoderne Mickey-Mouse-Sprechblasen-Rhetorik. (ZEIT 11.3.88, MODICK über
DIEDERICHSEN)
Was aber herauskommt, ist ein eher
undurchsichtiges Erzählen. (FAZ 3.5.88, HINCK über KELTER)
[...] so manches poetische Bild wirkt eher
sentimental. (FAZ 26.7.88, KROLOW über BURKART)
„Woran wir beide ziemlich gerne denken.“ Im Ernst: an
Bergers Gedichte denkt man eher ungern. Aber dafür auch nicht lange.
(FAZ 4.11.88, HARTUNG über BERGER)
Denkgedichte wie „Bloch bleibt: Bloch“ zähle ich eher
zur gehobenen Redakteurslyrik [...] (ZEIT 9.12.88, KILB über BECKER)
Mit ihnen [=Erich Kästner, Hans Scholz] verglichen ist
Thorsten Becker einstweilen eher eine Art Thomas Gottschalk der
Literatur. (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)
[...] ist „Mitten entzwei“ wohl eher ein
Longdrink. (ZEIT 19.8.88, HORSTMANN über EIGNER)
[...] und der inflationäre Gebrauch des Wortes „echt“
sollte das eher Unechte vertuschen helfen. (FAZ 31.5.88, KLESSMANN über ORTMANN)
1.5) STELLUNGNAHME
ZUM GELTUNGSGRAD DER ÄUßERUNG
Um die Bewertungen zu
differenzieren und z.B. den Geltungsgrad der Äußerungen zu verdeutlichen,
bedienen sich die Rezensenten verschiedenster sprachlicher Mittel. Sie können
ihre Äußerung bekräftigen, z.B. durch die Fokuspartikel sogar, die der Kennzeichnung der Hervorhebung (DUDEN 1984, 350)
bzw. der Bekräftigung dient, ohne den Wahrheitsgehalt der Äußerung zu verstärken
(BÖHEIM 1987, 173f.):
[...] dann könnte er sogar zum Kult-Autor werden
[...] (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)
Die Gültigkeit der Aussage
wird bekräftigt durch Modalitätsadverbien wie wahrhaftig, wirklich, die in den folgenden Beispielen eine ähnliche
Funktion wie Gradbestimmungen innehaben (vgl. ERBEN 1972, 186; BÖHEIM 1987,
164):
Ärgerlich daran und wahrhaftig obszön sind nicht
allein die Geschmacklosigkeiten, die der Autor sich gestattet. (FAZ 4.10.88,
GÖRTZ über FELS)
Eine wirklich faszinierende Reflexion bieten die
acht Textstücke [...] (SZ 1.6.88, SCHMITT über HERBUR-GER)
[...] zwei wirklich starke Heimat-Verse [...]
(ZEIT 9.12.88, KILB über HENSEL)
Ein den Geltungsgrad der
Äußerung leicht abschwächendes Modalitätsadverb der Ein-schätzung oder
Beurteilung (DUDEN 1984, 351) ist wohl.
Wie die ersten drei Beispiele zeigen, unterstreicht es gerade in Kombination
mit dem Superlativ die Subjektivität des Rezensenten (BÖHEIM 1987, 188), der
den benutzten Superlativ als seine persönliche Meinung herabmildern will:
[...] am zweiten und wohl eindrucksvollsten
„wohin“-Kapitel [...] (SZ 15.11.88, HAGESTEDT über ACHTERNBUSCH)
[...] die Polarität, aus der sich sein bisher wohl
dichtester Text entwickelt. (SZ 16.7.88, BOGNER über HENISCH)
[...] denn „Balzapf“ ist wohl einer der sprachlich
funkelndsten Romane der siebziger Jahre gewesen [...] (SZ 17.9.88, FISCHER über
SPÄTH)
Amann muß wohl selbst gespürt haben, daß dies
alles vielleicht doch zu wenig ist. (FAZ 6.11.88, KLESSMANN über AMANN)
Gegen dieses [...] hochprozentige Sprachelixier ist das
Nachfolgeprodukt [...] wohl eher ein Longdrink. (ZEIT 19.8.88, HORSTMANN
über EIGNER)
[...] daß bei aller [...] Subjektivität wohl doch
zu wenig solche Typologie bedacht worden ist [...] (FAZ 15.10.88, SCHULZ über HÄRTLING)
Es gibt wohl kaum einen anderen deutschsprachigen
Autor, der ein Konfetti von Genres und Stilmitteln so kunstvoll zu einem
Hausschatz literarischer Satire häufen kann wie Adolf Endler. (ZEIT 22.4.88,
STEINERT über ENDLER)
Ambiguität und Vagheit im
Ausdruck verrät die Verwendung der den Geltungsgrad stärker einschränkenden
Modaladverbien vielleicht, vermutlich
und womöglich. Der Schreiber stellt
seine eigene Aussage in Frage. Vielleicht
wird bezeichnenderweise u.a. mit Gradbestimmungen des zu hohen Grades und in
Kombination mit dem Superlativ benutzt:
Das ist vielleicht schon zu griffig. (SZ 3.12.88,
KAISER über AICHINGER)
Das huscht manchmal vielleicht etwas zu glatt und geschmeidig dahin [...] (ZEIT 9.12.88, HAGE über NIEDERHAUSER)
Typisch für die häufig
anzutreffende vorsichtige Formulierungsweise in Rezensionen ist im
vorausgehenden Zitat die Verwendung eines Temporaladverbs zur Angabe der
Häufigkeit (manchmal s.u.), eines Modalitätsadverbs
zur Kennzeichnung der Einschätzung (vielleicht)
und zweier Gradbestimmungen (etwas zu).
Peltzer kann viel. In seinem Erstling vielleicht
einfach ein bißchen zuviel. (SZ 9.1.88, MOSER über PELTZER)
Amann muß wohl selbst gespürt haben, daß dies alles vielleicht
doch zu wenig ist. (FAZ 6.11.88, KLESSMANN über AMANN)
Vielleicht mit Superlativ in den folgenden beiden
Beispielen:
Und in „Siestri Levante, Winterstrand“, der vielleicht
dichtesten der Momentaufnahmen [...] (SZ 2.11.88, LEDANFF über SCHUTTING)
Vielleicht die tollste -
geglückteste, überzeugendste - Erfindung Allemanns [...] (SZ 29.5.88, DREWS
über ALLEMANN)
Mir gehört es [=das Buch] zu denen [=den Büchern], die
langsam zu ihren Lesern kommen, vielleicht um zu bleiben. (ZEIT 22.4.88,
NEUMANN über AICHINGER)
Vielleicht ist
„Allerleih-Rauh“ ein Beispiel der Frauen-Literatur, die [...] bleiben wird. (SZ
30.3.88, FRANKE über KIRSCH)
[...] daß dieser Enzensberger ein spätes deutsches
Gegenstück ist zu W.H. Auden [...] und vielleicht sogar zu T.S. Eliot
[...] (SZ 15.11.88, KAISER über ENZENSBERGER)
Vermutlich:
[...] und just in diesem Verfahren [=literarische
Anspielungen; MK] liegt vermutlich das Problem des Textes. (SZ 15.11.88,
FALCKE über BEYSE)
Womöglich:
Eine Prosa, die [...], ist womöglich weniger
durchdacht als sie erscheinen möchte. (SZ 15.11.88, FALCKE über BEYSE)
Zahlreiche Belege finden
sich im Textkorpus für das Modalitätsadverb der Einschätzung bzw. Beurteilung leider (DUDEN 1984, 351). Die negative
Emotion des Bedauerns, die dieses lexikalisch wertende Modalitätsadverb
ausdrückt, ist - so möchte man meinen - immer gekoppelt mit einer negativen
Wertung und verstärkt in den Rezensionen den Gestus der persönlichen
Enttäuschung des Rezensenten über Teile des Buches, das gesamte Buch bzw. den
Autor. Dennoch gelingt es Joachim Kaiser in einem Beispiel aus dem Jahr 1987,
die negative Wertung ‘Der Text ist unverständlich’ so zu neutralisieren, daß
das Urteil einmal mehr verschleiert wird:
Darum nimmt man auch weniger ihr [=Aichinger] als sich
selber übel, wo man leider nicht versteht. (SZ 3.12.87, KAISER über
AICHINGER)
Alle weiteren Beispiele
weisen jedoch eindeutig eine negative Wertungsrichtung auf und zeigen, daß leider u.a. auch als kontextuell wirksames
Wertungssignal für lexikalisch nicht wertende Wörter verstanden werden kann:
Leichtigkeit ist leider auch der Gewichtslosigkeit
verwandt. (SZ 30.3.88, KAISER über LETTAU)
[...] die Geschichten [nehmen] einen deutlich lyrischen
Grundton an. Dies ist leider nicht immer zu ihrem Vorteil. (FAZ 9.7.88,
WITTSTOCK über ANDERSON)
[...] was ich bei Beckers neuem Band leider
verneinen muß. (ZEIT 9.12.88, KILB über BECKER)
Burger ist nicht Schriftsteller oder Philosoph, er ist
schreibender Leser, jener Typus, der sich leider seit einiger Zeit in
der Literatur immer aufdringlicher zu Wort meldet. (FAZ 30.4.88, SCHIRRMACHER
über BURGER)
Soweit zum Trefflichen. Leider enthält der Band
aber zudem ein paar Gelegenheitsgedichte, die ob ihrer Unsäglichkeit keineswegs
geeignet sind, den Ruhm des Sprachkünstlers Fried zu fördern. (FAZ 26.2.88,
WEINZIERL über FRIED)
Allzu durchsichtig sind sie auf einen scheinbar
hintergründigen Effekt hin konstruiert: auf das leider hohle Pathos der
letzten Sätze. (FAZ 13.10.88, FULD über HERMANN)
Härtlings „Wanderer“ ist leider nur ein Zwitter
geworden. (ZEIT 7.10.88, LÜDKE über HÄRTLING)
Leider vertraut Grass nicht
der Anschauung, den Szenen, den eigenen Augen. (ZEIT 26.8.88, HAGE über GRASS)
Aber leider versagt da die Kraft der Erzählerin.
(FAZ 17.2.88, FRISÉ über GEHLHOFF-CLAES)
Leider aber hält nur ein Teil
der neuen Prosastücke den besonderen Erwartungen stand. (FAZ 29.3.88, HINCK
über LETTAU)
Surminskis Versicherungsangestellter hat leider keine
Ähnlichkeit mit Alan Sillitoes Langstreckenläufer. (FAZ 15.2.88, FRISÉ über
SURMINSKI)
Und nun so etwas, das leider hart an der Grenze
zur Schnulze entlangschrammt? (FAZ 16.3.88, MIEHE über SCHEIB)
Mit ironischem Unterton
durch die Bezugnahme auf ein Zitat aus dem rezensierten Werk wird leider im letzten Beispiel verwendet:
„Du hast hier in Gedanken wieder und wieder jedes
einzelne Haus, jeden Stein, jeden störrischen Pfahl beschrieben [...]“ Es
bleibt, leider, bei Gedanken nicht. (FAZ 20.8.88, HIEBER über KURZECK)
Als lexikalisch nicht
wertende Adverbien, die zur Kennzeichnung der Einschränkung (restriktiv) bzw.
des Gegensatzes (adversativ) dienen (DUDEN 1984, 350), finden sich im
Textkorpus freilich und doch in der Bedeutung von ‘dennoch’[36]:
Ein Kabinettstück kunsthistorischer Essayistik sind seine
- freilich in die Anmerkung verwiesenen - Kommentare [...] (FAZ 28.9.88,
HINCK über BEYSE)
[Hermann Burger]: jemand, der tatsächlich über besondere
Artikulationsfähigkeiten verfügt und mit ihnen doch nur Lese-Erfahrungen
abschreiben kann. (FAZ 30.4.88, SCHIRRMACHER über BURGER)
Amann muß wohl selbst gespürt haben, daß dies alles
vielleicht doch zu wenig ist. (FAZ 6.11.88, KLESSMANN über AMANN)
Aber Lyrik ist vielleicht doch das Gegenteil von Gutgewußtem
[...] (ZEIT 9.12.88, KILB über BECKER)
Um das Urteil zu
differenzieren werden außerdem oft Temporaladverbien, die einen Grad der
Häufigkeit angeben, eingesetzt, wie z.B. manchmal,
zuweilen, bisweilen, gelegentlich, nicht immer, (zu)meist, häufig(er). Die
angeführten Temporaladverbien haben zum einen die Funktion, ein negatives
Gesamturteil abzuschwächen und weniger hart erscheinen zu lassen (2, 3, 5, 7,
11-20), zum anderen die Funktion, den Stellenwert von Einwänden im Rahmen eines
positiven Gesamturteils (1, 6, 8, 9, 10) und deren Relativierung (21) oder von
positiven Aspekten innerhalb einer negativen Kritik anzuzeigen (4).
(1) Das huscht manchmal vielleicht etwas
zu glatt und geschmeidig dahin; [...] (ZEIT 9.12.88, HAGE über NIEDERHAUSER)
(2) [...] und [sie] reiht in einer [...] manchmal
flapsigen [...] Sprache Anekdoten [...] aneinander. (SZ 30.11.88, KÄSSENS über
BERKÉWICZ)
(3) Dazu kommt eine auffallende Neigung [...]
zu Metaphern von zuweilen fragwürdiger Überzeugungskraft. (FAZ 6.2.88, WEINZIERL
über MÜLLER)
(4) Zwar läßt sich ohne Schwierigkeiten die zuweilen
reizvolle Eigenwilligkeit seiner Prosa bemerken [...] (SZ 15.11.88, FALCKE über
BEYSE)
(5) Der Witz gerät [...] bisweilen in
die Nähe des Kalauers [...] (FAZ 1.7.88, MIEHE über BIANCHI)
(6) Weltbetrachtung [...] wird philosophisch
vertieft, verflacht aber gelegentlich zu philosophischer Gespreiztheit
[...] (FAZ 28.9.88, HINCK über BEYSE)
(7) [...] und [sie] reiht in einer [...] gelegentlich
rührselig sentimentalen Sprache Anekdoten [...] aneinander. (SZ 30.11.88,
KÄSSENS über BERKÉWICZ)
(8) [...] und [er] schreibt eine dichte, wenn
auch gelegentlich etwas manierierte Prosa. (FAZ 24.9.88, WITTSTOCK über
GOETZ)
(9) Gelegentlich verführen die historischen
Bezüge den Autor zu langatmig unterrichtenden Exkursen [...] (SZ 2.3.88, HÜFNER
über RADDATZ)
(10) [...] auch wenn gelegentlich
familiäre Postkartenansichten stören. (SZ 5.10.88, SCHMITT über MOOG)
(11) Die Annahme aber, daß Beyses Sprachbilder nicht
immer zwingend sind, leidet an Beispielen jedenfalls keinerlei Not. (SZ
15.11.88, FALCKE über BEYSE)
(12) Und auch die Abfolge der Textteile wirkt nicht
immer zwingend. (SZ 19.11.88, VON BECKER über SCHMIDT)
(13) Nicht immer trifft Bieler den Nerv der
Sache [...] (FAZ 8.6.88, HINCK über BIELER)
(14) [...] die Geschichten [nehmen] einen
deutlich lyrischen Grundton an. Dies leider nicht immer zu ihrem Vorteil
[...] (FAZ 9.7.88, WITTSTOCK über ANDERSON)
(15) [...] bis in historisch allzu ausführliche
und deshalb nicht immer kurzweilige Exkurse [...] (SZ 29.6.88, KÄSSENS
über EIGNER)
(16) Aber zumeist zerbröselt dem Leser
sofort wieder, was er als Eindruck aufgenommen hat. (FAZ 28.9.88, HINCK über
BEYSE)
(17) Selbst Mela und die Tochter verfügen zur
Beschreibung ihrer Gefühle meist nur über abgegriffene Sätze. (FAZ
25.9.87, HEINRICH-JOST über FRISCHMUTH)
(18) [...] und die Situationen des Scheiterns
sind meist Klischeebilder [...] (SZ 5.10.88, HAUCK über MEINECKE)
(19) [...] was bisweilen ganz lustig ist,
zumeist aber gehörig nervt. (ZEIT 25.3.88, SCHMICKL über MAURER)
(20) [...] und [sie] reiht in einer häufig
geschraubten [...] Sprache Anekdoten [...] aneinander. (SZ 30.11.88, KÄSSENS
über BERKÉWICZ)
(21) [...] häufiger jedoch bringt er
Schwarzmarktzeit und forcierten Neubeginn anschaulich ins Bild. (SZ 2.3.88,
HÜFNER über RADDATZ)
Hingewiesen sei nur kurz auf
die ebenfalls im Textkorpus zu findenden affektivischen Abtönungspartikeln, wie
z.B. doch oder nur. Sie sind nach
HELBIG (1977, 39) Zeichen einer Bestätigung, die der Sprecher auf den Hörer
übertragen will.
[Lettaus alte Gewohnheit,] Leute rufen zu lassen, was sie eigentlich doch wohl nur sagen. [Hervorhebungen von Kaiser] (SZ
30.3.88, KAISER über LETTAU)
Je absoluter, pur ästhetischer, künstlicher Dichtung
[...] sich gibt [...], desto wichtiger wird doch, daß innerhalb ihrer
Form irgendeine Passion oder Betroffenheit vibriert. (SZ 30.3.88, KAISER über
LETTAU)
Dieselbe
Funktion hat die Abtönungspartikel nur mit Konjunktiv II
(Wunsch) und weiteren Gradpartikeln:
[...] wüßte er nur ein wenig selbständiger die
Handlung zu führen [..] (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)
Würde Thorsten Becker nur ein bißchen strenger
konstruieren. (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)
Die Darstellung der
sprachlichen Bewertungsmittel geht nur auf die wichtigsten Möglichkeiten im
schriftlichen Sprachgebrauch ein. Die Reihe der Bewertungsmittel ließe sich
fortsetzen: BAYER (1982, 19f.) verweist auf Intonationsphänomene in
gesprochener Sprache, einleitende Verben beim Zitieren, Art des Zitierens,
Layout, Kombination unterschiedlicher Texte, Text-Bild-Koppelungen, Ironie,
Aufbauen von Gegensätzen[37],
Wechsel der Stilebene, Artikel- und Pronominagebrauch, Ellipsen,
Passivformulierungen, Nominalisierungen etc..
VON HEYDEBRAND/WINKO (1996,
100) nennen in diesem Zusammenhang den Stil (ernsthaft vs. ironisch) und
Außersprachliches, wie z.B. Länge und Aufmachung der Rezension, d.h. die
Plazierung der Kritik oder die Möglichkeit, ein Foto des Autors mit
abzudrucken. Dies alles ist jedoch für das Ziel der vorliegenden Arbeit weniger
wichtig als die Untersuchung der Frage, wie die Bewertenden mit Hilfe von
Metaphern und Vergleichen hinsichtlich eines bestimmten Bewertungskriteriums
urteilen können.
1.6) METAPHERN UND VERGLEICHE[38]
Daß in bewertenden Texten wie Rezensionen Metaphern gebraucht werden, überrascht nicht, denn
neben
[...] Funktionen wie Personifizierung, Entpersönlichung, Generalisierung,
Spezifizierung oder Pejorisierung (bzw. Meliorisierung) ist die Metapher ein
wichtiger Faktor im Bereich des (Be)wertens, also im Bereich des evaluativen
Sprachgebrauchs überhaupt [...]. (STRAUSS 1991, 153)
Zwischen
Metapher und Vergleich wird im folgenden nicht unterschieden, da die Wirkungen
von Gleichnis, Vergleich und Metapher nur einen graduellen Unterschied
aufweisen (vgl. THÖMING 31975, 195) und die bildspendenden Felder
sowie die Bildfelder der einzelnen Sprachgebilde im Mittelpunkt des Interesses
stehen. Neben den Metapherelementen Bildspender, Bildempfänger, tertium
comparationis und einer Gleichsetzungsrelation kommt beim Vergleich ein
explizites Signal hinzu, das auf den Vergleich hinweist, wie z.B.
Vergleichspartikeln (wie, als, so wie),
Adverbien (gewissermaßen, gleichsam,
sozusagen, quasi, förmlich), Verben (gleichkommen,
gleichen, scheinen), Suffixoide (-ähnlich,
-artig, oder -förmig) und Suffixe
(-ig, -haft).
Eine Metapher
wird mit WEINRICH (1976, 311) in semantischer Hinsicht aufgefaßt als „ein Wort
in einem Kontext, durch den es so determiniert wird, daß es etwas anderes
meint, als es bedeutet“ oder „als ein Wort in einem konterdeterminierenden
Kontext“ (WEINRICH 1976, 320), das eine weitere Isotopieebene eines Textes[39]
eröffnen kann, wie es z.B. gerade die kulinarischen Metaphern (s.u. Kapp. 2-11)
beweisen. Gegenüber der umstrittenen Sub-stitutionstheorie[40],
die schon der klassischen Rhetorik zugrundeliegt und die den Kontext
vernachlässigt, wird hier die Bildfeld- oder Interaktionstheorie vertreten, wie
sie Weinrich im Anschluß an Jost Trier und analog zu den liguistisch bekannten
Begriffen des Wortfeldes und des Bedeutungsfeldes geprägt hat. Er unterscheidet
in extensionaler Betrachtung der Metapher ein bildspendendes von einem
bildempfangenden Feld. Beide Felder zusammen ergeben das Bildfeld der
jeweiligen Metapher. (WEINRICH 1976, 284)
Im Maße, wie das Einzelwort in der Sprache keine isolierte
Existenz hat, gehört auch die Einzelmetapher in den Zusammenhang ihres
Bildfeldes. [...] In der aktualen und scheinbar punktuellen Metapher vollzieht
sich in Wirklichkeit die Koppelung zweier sprachlicher Sinnbezirke. (WEINRICH
1976, 283)
Metaphern ist zu
eigen, daß sie, „im Unterschied zu Normalwörtern, unter keinen Umständen von den
Kontextbedingungen entbunden werden können“, ja sie stellen „ein - wenn auch
kleines - Stück Text“ (WEINRICH 1976, 319) dar.[41]
Die Bedeutung
der Herkunftsbereiche der Einzelwörter erkannte schon W. PORZIG (51971,
122), denn das einzelne „Wort bringt gleichsam die Luft seiner eigentlichen
Umgebung mit“. Kombiniert zu einem metaphorischen Kompositum, wie z.B. Staatsschiff, enthält „jede Metapher
[...] einen Widerspruch zwischen ihren beiden Gliedern und enthüllt ihn, wenn wir
sie beim Wort nehmen.“ (WEINRICH 1976, 303) Vom Standpunkt der Logik aus
bezeichnet WEINRICH (1976, 308) die Metapher als eine „widersprüchliche
Prädikation“ und lehnt damit den alten Erklärungsversuch, die Metapher sei ein
verkürzter Vergleich[42],
ab. Dabei gilt: Je kühner die Metapher, d.h. - nach WEINRICH - je geringer die
Bildspanne zwischen den beiden Bildbereichen ist (z.B. bei einer contradictio
in adiecto oder einem Oxymoron), desto leichter findet sich das tertium
comparationis, je größer die Bildspanne zwischen beiden Bildbereichen,
desto schwieriger wird es, ein tertium comparationis zu benennen.
(WEINRICH 1976, 309)[43]
Folgende
bildspendende Bereiche sind im Untersuchungsmaterial zu unterscheiden,[44]
wobei nicht alle Wertungskriterien alle bildspendenden Felder aufweisen:[45]
(1)
Synästhetische Metaphern und Vergleiche:
(a) Wahrnehmung durch das Auge:
Künste wie Malerei, Bildhauerei, Architektur, Photographie
(b) Wahrnehmung durch das Auge:
unbelebte Natur (Feuer)
(c) Wahrnehmung durch das Auge: Licht
und Leuchten allgemein
(d) Wahrnehmung durch das Ohr: Kunst
der Musik
(e) Wahrnehmung durch den
Geschmackssinn: Essen und Trinken
(f) Wahrnehmung durch den
Geruchssinn: Parfüm
(2) Eigennamen
(meist andere Künstler, häufig Schriftsteller)
(3) Andere
Textsorten
(4) Andere
Kunstepochen
(5) Theater,
Spiel1
(6) Film
(7) Zirkus
(8) Unbelebte
Natur
(9) Menschlicher
Organismus
(10) Psychologie
(Hypnose)
(11) Bestimmte
Altersgruppen
(12) Schule
(13) Sport,
Spiel2, Fortbewegung
(14) Handwerk
allgemein
(15) Handwerk/Berufe
speziell: Friseur, Metzger; Chirurg
(16) Technik
(17)
Büro(kratie), Beamtentum
(18) Handel
(19) Stoff und
Bekleidung (Weben, Knüpfen)
(20) Materialien
(Pappe, Papier, Seifenschaum, Gips, Gold, Glas)
Synästhetische Metaphern
und Vergleiche stellen ebenso wie die Eigennamen, die zu metaphorischen oder
Vergleichszwecken genannt werden, eine Sonderform der Metaphern und Vergleiche
dar.[46]
Zu (1)
Synästhetische Metaphern und Vergleiche
Synästhesie
(griech. synaisthesis = Zugleichempfinden) bedeutet
Doppelempfinden oder sekundäres Empfinden, Verschmelzung
verschiedenartiger (Geruchs-, Gesichts-, Gehörs- und Tast-)Empfindungen, indem
die Reizung des einen Sinnesorgans nicht nur die ihm eigene Empfindung, sondern
auch e. Erregung und Mitempfindung e. anderen Sinnesgebietes hervorruft, daher
Zuordnung von Farben und Tönen oder Bewegungsempfindungen u.ä. Sinneseindrücke
[...] (WILPERT 61979, 808)
Bei
synästhetischen Metaphern stehen „die Metaphernglieder [...] einander begrifflich
relativ nahe, denn der Oberbegriff ‘Sinneseindruck’ liegt nicht fern. Die
Metaphern sind kühner als manche andere [...]“. (WEINRICH 1076, 309) Dies
bedeutet auch, daß keinesfalls sachbezogene, sondern eindrucksbezogene
Ähnlichkeiten der Bezeichnungsbereiche vorliegen.
Für Synästhesien
ist wahrscheinlich noch häufiger als für andere Metaphernarten der Grund in der
„bewußten und beabsichtigten Übertragung zu ästhetischen Zwecken“ (ULLMANN
1972, 206) zu suchen. Dies bestätigt Hans MAYER (1965, 15) aus der Sicht der
Kunstkritik:
Feuilletonistische Kritik versuchte immer wieder, das
Spezifische einer Kunst mit spezifischen Fachausdrücken einer Nachbarkunst zu
erfassen. Da gibt es den „Bildrhythmus“ und die „Klangfarbe“ [...].
Zu (1a) und (1d)
Kunstwissenschaft und Musik
FRICKE (1977,
85f.) konstatiert Übertragungen musikwissenschaftlicher und kunstgeschichtlicher
Begriffe auf die Literaturwissenschaft und - dies ist zu ergänzen - auch auf
die Literaturkritik. Die Begriffe sind teils umgangs- und fachsprachlich
lexikalisiert, teils werden sie reaktualisiert und erhalten damit
metaphorischen Sinn.
Der Grund für
die Übertragung musikwissenschaftlicher Begriffe ist in den grundsätzlichen
Analogien zwischen Musik und Dichtung zu sehen, doch bleibt im literarischen
Bereich oft unklar, was mit den musikalischen Bezeichnungen gemeint ist.
FRICKE (1977,
84) verweist auf die Tradition der Übertragung kunstgeschichtlicher Begriffe
seit Heinrich WÖLFFLINs und Oskar WALZELs Arbeiten.[47]
Es fehle jedoch meist an einer theoretischen Reflexion der Übertragung
Zu (1d) Musik
Die Parallelen
zur Musik sind durch die Ursprünge der Dichtkunst zu erklären, in denen Dichter
immer zugleich auch Sänger waren (Aoiden und Rhapsoden z.B. in HOMERs „Odyssee“).
Viele Bezeichnungen für Dichter und Dichten sind gleichzeitig Bezeichnungen für
Sänger und Singen: lat. cantor und canere, cantare, prov. trobador
und trobar, ahd. leodscaffo (carminum conditor), mhd. minnesinger
und singen, tihtaere und tihten, kelt. bard
(Dichter, Sänger) (vgl. BICKERT 1988, 4).
Zu (1e)
Wahrnehmung durch den Geschmack: Essen und Trinken
Bezüglich der
kulinarischen Metapher stellt MECKLENBURG (1977, 35) kritisch „das Neben- und
Ineinander von religiöser und kulinarischer Metaphorik in der nachromantischen
bürgerlichen Literaturkritik“ fest und folgt damit Hans Mayer (1971, 52), der
nach dem Zusammenbruch der Gruppe 47 feststellt:
Immer noch las man die Produkte eines kulinarischen
Reagierens auf Bücher und Theaterabende [...]. Kritiker waren geblieben und
sogar nachgewachsen, die den Grad des allgemeinen Vergnügens zu testen wußten:
ausgebildet gleichzeitig als Gastronomen und als Didaktiker.
MAYER tadelt mit
seinem immer noch, daß sich die
Einstellung der Kritiker im Laufe der Entwicklung der Kritik nicht gewandelt
habe,[48]
und verweist gleichzeitig darauf, daß es eine lange Tradition der Synästhesien
von Geschmacksempfindung und Literatur gibt. Dies hängt sicher mit der
Anwendung des Begriffs Geschmack
nicht nur auf die Wahrnehmung von Essen und Trinken, sondern auch von
ästhetischen Objekten zusammen.[49]
CURTIUS (51965,
144f.) leitet die Speisemetaphern für Dichtung von der Antike her: Pindar lobt
seine Dichtung, sie bringe etwas zum Essen, Aischylos nennt seine Tragödien
„Schnitten von den großen Gastmählern Homers“ (nach ATHENAIOS VIII 3470),
Plautus und Cicero gebrauchen epulae metaphorisch, Quintilian (II 4, 5)
hat Milchnahrung für Anfänger, und die Wurzel des Begriffs Satire ist ebenfalls kulinarischen Ursprungs, denn satura lanx
bedeutet ‘mit vermischten Speisen gefüllte Schüssel’. Im Mittelalter setzt sich
diese Tradition fort: Augustinus vergleicht den Lernenden mit einem Essenden
und meint daher, die Nahrung müsse durch Würze schmackhaft gemacht werden.
Gregor d. Gr. wiederum nennt Augustins Schriften Weizenmehl, seine eigenen
seien dagegen nur Kleie.[50]
Eine reiche Speisemetaphorik findet sich auch bei Dante: Das „Convivio“ ist ein
Gastmahl für alle, die nach Wissen, dem „Brot der Engel“ dürsten. Dante sitzt zwar
nicht selbst an dem „seligen Tisch“, aber er nimmt die Brosamen auf, die davon
abfallen (I 1, 6-10). Er tischt Kanzonen auf, zu denen der Kommentar als
Gerstenbrot (Joh. 6, 13) gereicht wird.
Später dann, im
18. Jahrhundert, bildet sich der Geschmacksbegriff im Rahmen der
Ge-schmacksdebatte heraus, die, von England und Frankreich und der dortigen
philosophischen Richtung des Sensualismus ausgehend, auch in die gelehrten
Kreise Deutschlands Eingang findet. Wegbereiter für diese Debatte ist die
Aufklärung, die das Prinzip der Kritik auf möglichst viele Bereiche anzuwendet
versucht - natürlich zunächst unter Betonung der ratio. Dennoch wird
bald erkannt, daß die Regelpoetik zur Begründung von Werturteilen gegenüber
ästhetischen Objekten nicht ausreicht. Die ‘niederen’ Erkenntniskräfte
(Geschmack) sind z.B. in Gottscheds Theorie noch den ‘höheren’
Erkenntniskräften (Verstand) unterworfen, doch schon bei Lessing zeigt die
sensualistische Wirkungsästhetik ihre Folgen, und in Kants „Kritik der
Urteilskraft“ (1791) werden die Erkenntniskräfte Geschmack und Verstand
gleichberechtigt, bzw. ist der Geschmack im Kunsturteil die maßgebliche
Instanz.
Auffällig ist,
daß im selben Maß, wie die Geschmacksdebatte fortschreitet, kulinarische
Metaphern für die Literatur in Prosa und Theorie der Kritik einfließen. Henry
Fielding beginnt das erste Kapitel seines „Tom Jones“ (1749):
Ein Schriftsteller sollte sich nicht als einen Mann
betrachten, der andere zu intimem Schmause oder zum Freitisch lädt, sondern
eher als den Wirt eines öffentlichen Speisehauses, das jedem für sein Geld
offensteht. Im ersteren Fall tischt der Gastgeber bekanntlich auf, was ihm
beliebt; und sollte auch die Kost sehr mäßig sein und ganz und gar nicht nach
dem Geschmack seiner Gäste, so dürfen sie dennoch nichts an ihr aussetzen; im
Gegenteil, der gute Ton zwingt sie, nach außen alles gutzuheißen und zu loben,
was man ihnen vorsetzt. Dem Speisewirt geht es gerade umgekehrt. Leute, die für
ihr Essen zahlen, verlangen, daß man ihren Gaumen zufriedenstellt, wie verwöhnt
und launisch er immer sei; und wenn nicht alles nach ihrem Geschmack ist, so
nehmen sie für sich das Recht in Anspruch, über ihr Essen nach Herzenslust zu
mäkeln, zu schimpfen und zu fluchen.
Um nun nicht die Gäste mit einer solchen Enttäuschung zu
verärgern, ist es üblich, daß der ehrliche und wohlmeinende Wirt einen
Speisezettel aushängt, den sich alle Leute gleich beim Betreten des Hauses
durchlesen können; und haben sie sich auf die Weise vertraut gemacht, welche
Kost sie erwartet, so können sie entweder bleiben und sich an dem gütlich tun,
was man für sie bereitet, oder in ein anderes Gasthaus gehen, das ihrem
Geschmack besser entspricht. (Zit. nach MÜLLER 1991, 6)
Im Klartext
bedeutet dieser Anfang: Dadurch daß der Leser ein Buch kauft, erwirbt er sich
das Recht, Kritik nach Maßgabe seines Geschmacks zu üben.
Auch Lessing,
der die Rolle des Kritikers eigenwertig zwischen Autor und Leser etabliert,
benutzt in seiner Schrift „Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können,
was er tadelt“ (1767/68) eine kulinarische Metapher.
Tadeln heißt überhaupt, sein Mißfallen zu erkennen geben.
Man kann sich bei diesem Mißfallen entweder auf die bloße Empfindung berufen,
oder seine Empfindung mit Gründen unterstützen. Jenes tut der Mann von Geschmack;
dieses der Kunstrichter. Welcher von ihnen muß das, was er tadelt, besser zu
machen verstehn? Man ist nicht Herr von seinen Empfindungen! Aber man ist Herr,
was man empfindet, zu sagen. Wenn einem Manne von Geschmack in einem Gedicht
oder Gemälde etwas nicht gefällt, muß er erst hingehen und selbst Dichter oder
Maler werden, ehe er es heraussagen darf: das gefällt mir nicht? Ich finde
meine Suppe versalzen: darf ich sie nicht eher versalzen nennen, als bis ich
selbst kochen kann? [Herv. M. K.] Was sind die Gründe
des Kunstrichters? Schlüsse, die er aus seinen Empfindungen, unter sich selbst
und mit fremden Empfindungen verglichen, gezogen und auf die Grundbegriffe des
Volkommenen und Schönen zurückgeführt hat. (Zit. nach MÜLLER 1991, 7)
Der Kritiker,
dessen Funktion von der des Autors völlig getrennt wird, soll demnach weder von
subjektiven Eindrücken noch von Regeln ausgehen, sondern vom Vergleich seines
subjektiven Eindrucks mit anderen Kunstwerken und Eindrücken anderer und der
daraus resultierenden Begründung seiner Empfindung.
Goethes
berühmtes Gedicht über den Rezensenten benutzt ebenfalls das gastronomische
Bild. Im Vergleich zu Fielding kehrt er es jedoch um, gemäß der Tradition des
Sturm und Drang, der das Schöpfertum in den Mittelpunkt stellt und Kritiker,
die zu schöpferischen Leistungen nicht fähig sind, verachtet.
Da hatt’ ich einen Kerl zu Gast.
Er war mir eben nicht zur Last.
Ich hatt’ just mein gewöhnlich Essen.
Hat sich der Mensch pumpsatt gefressen:
Zum Nachtisch, was ich gespeichert hatt’.
Und kaum ist mir der Kerl so satt,
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen.
Über mein Essen zu räsonieren:
Die Supp’ hätt’ können gewürzter sein,
Der Braten brauner, firner der Wein. -
Der Tausendsackerment!
Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent. (Zit. nach
MÜLLER 1991, 9)
MÜLLER (1991, 9)
bemerkt zu Goethes Gasthausbild:
Ein Wirt wider willen ist der Schriftsteller hier, das
öffentliche Speisehaus ist zum Privathaus geworden, das kritische Räsonnement
zur üblen Nachrede und der Gast zum Schmarotzer. Liest man im Essen die
geistige Nahrung, also die Metapher fürs Lesen mit, so wird in dieser
polemischen Attacke der Rezensent in doppeltem Sinne zur parasitären Existenz.
Materiell wie intellektuell lebt er von dem, was der Schriftsteller ihm
vorsetzt. [...] Mit dem Auftauchen des Hundes im Assoziationsbereich der
versalzenen oder zu wenig gewürzten Suppe erhält die Essensmetaphorik, die hier
als Leitfaden einer literarischen Charakterologie des Rezensenten dient, eine
unbehagliche Färbung. Man hat sich darauf gefaßt zu machen, daß Zähne nicht nur
zum Kauen, sondern auch zum Zerreißen und Zerfetzen taugen.
Zu (2)
Eigennamen
Innerhalb der
Unterscheidung zwischen Eigennamen, deiktischen Ausdrücken und Kenn-zeichnungen,
die alle ihrerseits auf etwas referieren, stellt HERINGER (1977, 117) für die
sinnvolle Verwendung eines Eigennamens fest,
daß der erfolgreiche referentielle Gebrauch eines
Eigennamens das Wissen voraussetzt, daß der verwendete Eigenname tatsächlich
der Name des gemeinten Namensträgers ist, wobei es sich hier um ein Wissen
handelt, das nicht im engeren Sinne sprachlich ist, sondern eher
situationsgebunden, insofern es mit speziellen Kenntnissen über
Namensgebungsregeln und Namensgebungsakte in einer je begrenzten
Sprechergemeinschaft zusammenhängt.
Hierbei gilt für
den Erfolg des Referierens als einer speziellen Handlung eines Sprechers:
Ein Referenzakt eines Sprechers A kann dann als erfolgreich
bzw. als gelungen gelten, wenn alle an der betreffenden Kommunikation
Beteiligten nach A’s Äußerung eines zum Referieren geeigneten Ausdrucks B
wissen, wen oder was A mit B meint. (HERINGER 1977, 119)
Gerade am
Beispiel der Eigennamen zeigt sich, daß ein Rezensent nicht immer vom Erfolg
seines Referenzaktes ausgehen kann, wenn er mit Eigennamen wie John Fante
(siehe Teil 2, Kap. 6) oder Bele Bachem (siehe Teil 2, Kap. 2) auf eine
bestimmte - positiv oder negativ zu bewertende - Eigenschaft eines
literarischen Werks referieren möchte. Voraussetzung ist in jedem Fall, daß den
Lesern der Kritik die Eigennamen und die Inhalte, für die die Namen stehen,
bekannt sind.
Wie im Einzelfall eine kommunikative Bestimmtheit dessen,
worüber gesprochen wird, am besten zu erreichen ist, hängt im wesentlichen
davon ab, welches kommunikativ relevante Wissen die Beteiligten mitbringen und
welche Annahmen über das Wissen des je anderen die Beteiligten machen können.
(HERINGER 1977, 119)
Von Inhalten
eines Eigennamens darf sicher gesprochen werden, denn er verallgemeinert zwar
nicht wie andere Bezeichnungen,
aber er kann, wenn das notwendige Sachwissen über die
benannte Erscheinung in der Sprachgemeinschaft vorhanden ist, zum
bedeutungstragenden Zeichen werden [...]. (SCHIPPAN 21975, 120)
Neben der Benennung einer bestimmten Person oder Sache kann er
„Nebenvorstellungen und emotionale Reaktionen hervorrufen“ (SCHIPPAN 21975,
120), wie z.B. eine negative Wertung durch die Nennung des Namens Friederike Kempner oder in der
Genitivmetapher eine Art Thomas Gottschalk
der Literatur (siehe Teil 2, Kap. 3). In diesen beiden Beispielen zeigt
sich auch, daß in der Literaturkritik Eigennamen nicht nur ostensiv[51]
mit dem Schwerpunkt auf ihrem Bezug gebraucht werden (Friederike Kempner), sondern auch als Klassennamen, die eine Klasse
von Dingen mit der Eigenschaft X bezeichnen; dies belegt der unbestimmte
Artikel ein im zweiten Beispiel.
Auf die metaphorische Wirkung des unbestimmten und auch des
bestimmten Artikels bei Eigennamen weist ebenfalls WEINRICH (1976, 322) hin: Eigennamen
sind „Wörter mit notorisch engem Bedeutungsumfang“, aber reicher Intension. Da
die Determinationserwartung sehr präzise ist, fällt die Konterdetermination
besonders leicht. WEINRICH erwähnt als Beispiel die Antonomasie Balzacs le Napoléon des lettres und führt als
gleichwertigen Kontext für die Metaphorisierung von Napoléon das frz. Morphem un
an. Damit ist sein Beispiel parallel zu unserem Rezensionsbeleg eine Art Thomas Gottschalk der Literatur
zu sehen. Traditionell wird dieses Phänomen Gattungsname (nomen commune)
genannt, doch WEINRICH betont, „daß dieser Gattungsname nichts anderes ist als
die Metapher des Eigennamens.“ Ein Beleg sei, „daß es keinen solchen
Gattungsnamen als Einzelwort gibt. Dieser Typus Gattungsname [...] ist also,
wie die Metapher überhaupt, ein Stück Text.“ (WEINRICH 1976, 322f.)
Zu (14) Handwerk
allgemein
BICKERT verweist
in seinem Aufsatz „Der Dichter als Handwerker. Zur Herkunft und Bedeutung
einiger Begriffe der Dichtungstheorie“ (1988) auf zwei voneinander abweichende
abendländische Traditionen des Dichterbildes. Man betrachtet den Dichter
einerseits als Sprachrohr einer höheren Macht („Mund der Musen“) und sein Werk
damit als göttliche Offenbarung, andererseits als autonomen Schöpfer
künstlerischer Werke bis hin zur Vorstellung des „alter deus“ z.B. bei
Scaliger.
Vertreter der
ersten Gruppe sind die - oft blinden - Sänger (aiodós) der Homerischen
Epen, die ihr Lied von der Muse empfangen und noch eigenes hinzufügen (Od. 8,
45). Eine weitere Bezeichnung für diese Sänger, die im Unterschied zu den
Rhapsoden ihren Text produzieren und vortragen, ist „Diener für die
Allgemeinheit“ (demiourgoi) wie Arzt, Seher und Zimmermann (Od. 13,
382ff.) und „Handwerker“ (epistaménos = verständig, geschickt;
kennzeichnet handwerkliches Können; Od. 11, 368).
Die Technik, wie
man ein dichterisches Werk erschafft, wird in der antiken Literatur ausführlich
dargelegt. In diesem Zusammenhang wird das Bild des selbst schöpferisch tätigen
Dichters erläutert. Die Schöpfer (poietai = im engeren Sinne die
Dichter) erzeugen durch den Akt der poiesis künstlerische Produkte (poiemata).
Da Handwerker (téchnai) ebenfalls etwas erschaffen, kann man auch die
Schöpfer von Dichtung als Handwerker betrachten, lat. factor (Scaliger),
engl. maker (Puttenham).
Wie im
Griechischen zwischen aiodos und poietes wird im Lateinischen
zwischen vates, dem Wahrsager und inspirierten Dichter, und poeta,
dessen technische Leistung hervorgehoben wird, unterschieden. Neben der
Begabung (ingenium, frz. génie) ist für den Dichter immer auch
technisches Können (ars) nötig, ebenso gemäß mancher Dichtungstheorie
gelehrtes Wissen (doctrina). Es ist die Aufgabe des Dichters, sich
Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen und in seiner Tätigkeit Vorschriften (praecepta,
regula) umzusetzen. Damit hat er mit dem Handwerker (artifex, faber,
opifex) vieles gemeinsam.
Wegen der Unabdingbarkeit technischen Könnens auch in der
Poesie meinen es die älteren Theoretiker durchaus nicht abschätzig, wenn sie
den Dichter auch demiourgos, technítes, artifex, faber
oder opifex nennen. [...] Mhd. steht wercmeister für alle drei
lat. Substantive. Das Wort bezeichnet den Schöpfer eines Werks sowohl im Sinne
des Urhebers oder Verfassers als auch des lediglich ausführenden Handwerkers.
So bleibt es bis ins 18. Jahrhundert. K.W. Ramler tituliert den Epiker als
„Werkmeister“, J.M.R. Lenz nennt den Dramatiker „Garnweber“, und der Philologe
G.I. Vossius [...] definiert: „Poeta est condendi carminis artifex“. (BICKERT
1988, 4)
Je nachdem, welche
Produkte hergestellt werden (Bauwerke, Gewebe, Schmiedearbeiten, Reden oder
Gedichte), werden die Techniken (ars aedificatoria, ars textrina,
ars ferraria, ars rhetorica oder ars poetica) und die
Produzenten unterschieden, wobei aufgrund der gemeinsamen theoretischen Basis
der artes „Begriffe für die Produktion sprachlicher Werke mit dem
technischen Vokabular des Handwerks, speziell der Garn-, Holz- und Metallverarbeitung“
(s.u. zu (19)) übereinstimmen. (BICKERT 1988, 5)
Eine notwendige
und allgemein anerkannte, sogar geforderte Voraussetzung für die Dichtkunst ist
die „Lehre“ bei einem anerkannten Autor, das Studium von Musterautoren, wie
z.B. für den griechischen Bereich Aristophanes und Sophokles oder im
Lateinischen Plautus, Terenz und Seneca für Komödie und Tragödie, und von
theoretischer Literatur, z.B. den Poetiken von Aristoteles und Horaz. Das
Dichten gilt daher zum Großteil als erlernbar.
Seit der Ablösung der doctrine classique ist die normative
Poetik außer Kurs, der formale Aspekt des Dichtens findet nicht mehr die früher
übliche Aufmerksamkeit, und mit dem Wort Poet wurde seit dem 18.
Jahrhundert auch die Terminologie des Handwerks „verächtlich“[52],
ohne freilich ganz vergessen zu werden. Dafür sorgte auch die „Montage“-Technik
moderner Autoren. [...] Hierzulande sieht eine ansonsten von der Technik
faszinierte Öffentlichkeit im Schriftsteller den olympischen Dichter, „den man
lieber auf einen mythenumwobenen ‘Pegasus’ als auf die Schulbank setzt“[53].
(BICKERT 1988, 11f.)
Zu (19) Stoff und
Bekleidung (Weben, Knüpfen)
BICKERT (1988,
5) führt an, daß nach WACKERNAGEL (1872, I 48)[54]
die Germanen die Dichtung u.a. als „Gewandtbereitung“ aufgefaßt hätten, weshalb
sie Fertigkeiten im Nähen (von Häuten) bzw. Spinnen und Weben (der Wolle)
brauchten. Die Metapher des Nähens ist nach DURANTE (1960, 241ff.)[55]
durch die Verwandtschaft des Substantivs rhapsodos mit dem Verb rhaptein
(nähen) in die Poetik gelangt. Das Verb stamme aus der ars sustrina
(Tätigkeit eines Schusters, der einen Schuh mit Tiersehnen vernäht) und sei
verwandt mit der Tätigkeit der Rhapsoden, den Faden eines Epos weiterzuspinnen
und dadurch eigene Erzählungen hervorzubringen. Ähnlich heißen bei Pindar die
Aioden „Sänger genähter Lieder“.
Auf frühe
Parallelen zwischen Spinnen und Dichten verweisen die Ableitungen aus ducere
lenas (Wollfäden spinnen) und filum deducere (einen Garnfaden
spinnen) bei Horaz: versus deducere (Verse spinnen), deducere poemata
(Dichtwerke ausspinnen), epos deducere (ein Epos spinnen).
Der Vorgang des Webens
(idg. *uebh-: weben; flechten, knüpfen) und Flechtens (idg. *tek’s-:
flechten, das Flechtwerk eines Hauses zusammenfügen, zimmern) wird schon früh
mit der Kunst des Dichtens in Verbindung gebracht. Verwandt mit der zweiten
idg. Wurzel sind Wörter wie: gr. tékton: Zimmermann, Baumeister, gr. téchne:
Kunst, Kunstfertigkeit; Handwerk, lat. texere: weben; flechten; bauen;
zimmern, lat. textus/textura: Gewebe. Abgeleitet von den genannten handwerklichen
Vorgängen werden zusammenhängende Schriftwerke als Text, Gewebe oder Geflecht
bezeichnet. Die Übertragung der Berufsbezeichnung des Webers auf den Dichter
ist jedoch nicht sehr häufig.[56]
BICKERT (1988, 6-10) vergleicht die in der ars textrina und ars
poetica angewandten Arbeitstechniken und verzeichnet eindeutige Parallelen.
Die Textilherstellung gliedert sich in drei Abschnitte: die Vorbereitung (die
Anlage des Gewebes, das Spannen der Kettfäden), das Weben und das Abweben. Das
Verfassen eines dichterischen Textes gliedert sich allgemein - nach VOSSIUS
(1647 I 1, 1)[57] - in die
Phasen der Beschäftigung mit res, ordo und dictio, die
Herstellung eines Dramas in Vorbereitung, Verwicklung und Katastrophe (frz. exposition,
noeud, dénouement).
Teil 1: Die
Handlung muß in eine Fabel verwandelt werden, die einen ‘roten Faden’ (lat. filum)
enthält. „Der einleitende Abschnitt, in dem der Dramatiker Intrigen anzettelt
wie der Weber Garnfäden, wird wie der erste Redeteil auch als exordium
bezeichnet.“ (BICKERT 1988, 8) Das Verb exordiri ist in der ars
textrina und in der ars poetica gebräuchlich; die deutsche
Übersetzung für exordiri lautet anzetteln,
für exordium als Exposition eines Dramas „Zettel des Gewebes“
(WACKERNAGEL 1873, 188)[58].
Teil 2: Es
erfolgt eine Ordnung der Fäden, je nach gewählter Web- oder Flechtart (lat. textura).
Zerrissene Fäden müssen „geschürzt“ werden. Die Fäden müssen wie die
Handlungsteile verknüpft werden (lat. nexus: Zusammenknüpfung,
Verwicklung, Verbindung; ligatio: Bindung; nodus: Band, Knoten,
Schlinge; Verknüpfung, Verwicklung; vgl. frz. noeud). Kanevas,
der geköperte Stoff, „ist in der Commedia dell’arte das Szenarium, das die
Grundlage für die Aufführung jeder im allgemeinen dreiaktigen Stegreifkomödie
abgibt.“ (BICKERT 1988, 9)
Teil 3: Der
Webvorgang endet mit dem Abweben, dem Kappen der Fäden, so daß der fertige
„Text“ präsentiert werden kann wie das literarische Werk nach der lat. evolution
nodi, dem frz. dénouement, der Lösung.
Zu (20)
Materialien: Gold
WEINRICH (1976,
286) verweist in seinem Aufsatz zum Bildfeld der Wortmünze[59]
auf die „Bildstelle der goldenen Worte (aurea
dicta). Diese gehört außerdem noch zu einem anderen, offenbar älteren
Bildfeld Sprachmetall, aus dem man besonders in den biblischen Büchern viele Metaphern
findet“. Als Beispiel nennt er das Alte Testament (Jesus Sirach: Eccli 21 und
29).
Zusammenfassend
lassen sich vielfältige Gründe für die Verwendung von Metaphern (und
Vergleichen) in den Kritiken finden. FRICKE (1977, 81f.) nennt den ästhetischen
Eigenwert der Metaphern. Sie sind sicher sprachlich origineller und
eindrucksvoller als andere Bezeichnungen und verstärken - auch in z.T. nur
schmückender Funktion - den sprachästhetischen Effekt, der seit Schlegels
romantischer Forderung, die Kritik solle ein dichterisches Kunstwerk
darstellen, in die Tradition Eingang gefunden hat.
Auch ein
„Streben nach einer dem sprachästhetischen Niveau des Gegenstandes angemessenen
Ausdrucksweise“ (FRICKE 1977, 82) ist zu erkennen. Damit bestätigt sich der
unter stilistischem Aspekt von SANDIG (1986, 208) konstatierte
Ähnlichkeitstypus (s.o. Teil 1, Kap. 2).
Einen dritten
Grund sieht FRICKE im Mangel einer ausgearbeiteten Terminologie in der Sprache
der Literaturwissenschaft: „Bezeichnenderweise entstammen die metaphorisch
gebrauchten Ausdrücke in diesen Fällen sehr oft der besser ausgebildeten
Terminologie [...] der Musikwissenschaft und der Kunstgeschichte.“ (FRICKE
1977, 83f.) Dies zeigt sich bei den synästhetischen Metaphern (s.o.), doch
beweist die Übersicht der bildspendenden Felder auch, daß zumindest für die
Literaturkritik eine viel breitere Basis an Bildspendern vorliegt.
Die Auswirkungen
der literaturwissenschaftlichen Metaphorik sieht FRICKE sehr negativ und
kritisiert die Einbuße an Verständlichkeit zugunsten semantischer
Unverbindlichkeit und damit systematischer Vagheit. Die Metaphern dienten als
Mittel der Beglaubigung, um der Kritikbereitschaft des Lesers den Boden zu
entziehen. (FRICKE 1977, 87-90) Dies stimmt sicher auch für die
Literaturkritik, wenn die Vergleiche oder Metaphern unreflektiert verwendet und
sehr weit hergeholt erscheinen.[60]
Dennoch ist nicht global der Gebrauch von Metaphern zu verwerfen, wie dies seit
der Existenz von Metaphern kontinuierlich geschieht mit dem Argument, man könne
das ‘uneigentliche’ Sprechen leicht durch das ‘eigentliche’ Sprechen ersetzen.
Dies trifft so allgemein formuliert nicht zu, wie der Verteidiger der -
reflektiert gebrauchten - Metaphern, Harald WEINRICH, ausführt:
Es ist daher unberechtigt, der Sprache ihre Bildlichkeit
vorzuwerfen und in dieser nur das Indiz eines unklaren Denkens zu sehen. Es ist
unnötig, im Namen der Wahrheit die Vertreibung der Metaphern aus dem Haus der
Sprache zu fordern. Das ist eine Sprachkritik, welche die Sprache nicht kennt
und wohl auch nicht liebt. [...] Die Sprachkritik im Namen der Eigentlichkeit
vergißt den Kontext. [...] Ob die Rede metaphorisch ist oder nicht, der Kontext
kann immer so gewählt werden, daß auf der semantischen Skala aufs genaueste die
Bedeutungswerte ‘eingestellt’ werden, die der Sprechintention entsprechen.
[...] Wer daher um jeden Preis ohne Metaphern auszukommen sucht, schreibt nur
langweiliger, nicht richtiger. (WEINRICH 1976, 324)
Die
Voraussetzung für einen gewinnbringenden Metapherngebrauch ist deutlich
bestimmt durch den Verweis auf eine eindeutige Kontextualisierung der
verwendeten Metapher. Die Kritik hat somit gerade bei einem Mangel in diesem
Bereich anzusetzen, wenn eine unbedachte Aneinanderreihung von Metaphern die
Klarheit der Aussage doch verschleiert.
Der Wert der
Metaphern liegt in der Möglichkeit, komplexe Sachverhalte anschaulich
darzustellen durch Rückgriff auf vertraute Vorstellungswelten des Lesers, in
der Chance zu ökonomischem Sprachgebrauch, d.h. in ihrer Fähigkeit, Gedanken in
verdichteter Form darzulegen, ebenso in ihrem Appellcharakter, der zur
Auflösung der Verrätselung anregt und damit - wie auch WEINRICH andeutet - das
Interesse des Lesers wachhält. (THÖMING 31975, 188)
ARNTZEN (1980,
76f.) bemängelt allgemein den Umstand, daß Journalisten ihren Metapherngebrauch
nicht reflektierten und bloße rhetorische variatio anstrebten mit der
Folge, daß gerade verblaßte Metaphern zunehmend gebraucht würden und damit das
exemplifiziert würde, was Karl KRAUS „die Phrase“ genannt hat, das selbstverständlich
gewordene bewußtlose Sprechen. Gekoppelt mit dem unreflektierten Gebrauch ist
teilweise auch der fehlerhafte Gebrauch der Metapher, indem eine Kombination
weit auseinanderliegender oder unverträglicher Bildfelder stattfindet, die aus
einer bloßen Denkschwäche oder Täuschungsabsicht resultiert, mit dem Ergebnis
einer Katachrese[61], die
THÖMING (31975, 190) als wichtigstes Stilmerkmal der
Propagandasprache in Wirtschaft, Politik und Massenmedien hervorhebt.
Gegenüber der
globalen Verwerfung des Metapherngebrauchs faßt THÖMING in Anlehnung an
WEINRICH die Vorzüge des ‘uneigentlichen’ Sprechens wie folgt zusammen:
Die Wirkung der Metapher, die eines der wichtigsten Mittel
eines kritischen und kreativen Sprachgebrauchs ist, beruht auf der Spannung
zwischen der Normalbedeutung ihrer Einzelteile und der jeweiligen
Bedeutungsablenkung sowie auf dem latenten Beziehungssystem der
aufeinanderfolgenden Metaphern im Text, denn durch Wiederholung und Variation
werden Textstrukturen gebildet. (THÖMING 31975, 199)
[1] Vgl. Teil 1, Kap. 3.2.2.1
[2] Vgl. Teil 1, Kap. 3.3
[3] Vgl. Teil 1, Kap. 2.1
[4] „[...] Vielmehr - und das hat zu logischer Verwirrung geführt - kann fast jedes Wort in unserer Sprache gelegentlich als Wertwort verwendet werden [...]; und gewöhnlich müssen wir den Sprecher ins Kreuzverhör nehmen, wenn wir herausfinden wollen, ob er ein Wort so gebraucht.“ (HARE 1972, 109)
ZILLIG (1982a, 82) bestätigt die Unmöglichkeit, klare Grenzen zwischen wertenden und nicht-wertenden Wörtern zu ziehen: „Es konnte so gezeigt werden, daß die Unterscheidung zwischen wertenden und nicht-wertenden Wörtern immer einer Setzung des Linguisten entspringt, der, gestützt auf sein Vorwissen über die Wortverwendung, auf diese Weise angibt, ob ein Wort in erster Linie in deskriptiven oder in evaluativen Sprechakten verwendet wird.“
[5] S.o. der Unterschied zwischen gut und kompliziert.
[6] Umstritten ist das Verhältnis von Wertungskomponente und Wortbedeutung. LUDWIG (1976) ist der An-sicht, es gebe lexikalische Einheiten, deren Bedeutung für alle Sprachbenutzer gleich eine positive oder nega-tive Wertung enthalte, von der eine emotionale Wirkung ausgehe, die nicht Element der Wortbedeutung sei. SCHIPPAN (1975) trennt die Wortbedeutung in begrifflichen Kern und Konnotationen, zu denen sie die Wer-tung zählt. Diese extreme Trennung ist sicher nicht für alle Wertwörter (z.B. gut) haltbar.
[7] „Bewertungsadjektive“ (HUNDSNURSCHER/SPLETT 1982, 39)
[8] Vgl. Teil 2, Kap. 2
[9] Vgl. Teil 2, Kapp. 3-11
[10] Auch HUNDSNURSCHER/SPLETT (1982, 53) bemerken die Problematik der Grenzziehung zwischen den Synonymengruppen, wie das Nebeneinander der Gruppen EIFRIG und ARBEITSAM, bzw. TRÄGE und FAU-LENZERISCH belegt.
[11] SCHIPPAN (21975, 31) verweist darauf, daß jedes Wort mit anderen lexikalischen Einheiten paradigmatisch zu „Feldern“, thematischen Gruppen oder Reihen verbunden ist und somit semantische Nachbarn hat, deren Bedeutungsunterschiede wiederum bei Gegenüberstellung deutlich werden (gehen vs. rennen).
[12] Unterstreichungen in den Textbeispielen der untersuchten Rezensionen sind - wenn nicht anders vermerkt - durch die Verfasserin der Arbeit vorgenommen.
[13] LYONS (1980, 284f.) weist darauf hin, daß die Bedeutung aller graduierbaren Adjektive immer - explizit oder implizit - einen Vergleich mit einer Norm beinhaltet.
[14] Vgl. LUDWIG 1976, 150
[15] Seine Essays gehören zu jenen Glanzstücken zeitgenössischer Prosa [...] (FAZ 4.10.88, SCHIRRMACHER über ENZENSBERGER)
[16] Vgl. die Ausführungen zu hoch- in Teil 2, Kap. 2
[17] Die folgenden Ausführungen widerlegen ZHONG (1995, 145), der im Anschluß an nur vier (!) Belege zu Gradpartikeln behauptet, sie würden viel weniger als das Adjektiv gebraucht, da sie u.a. den Eindruck von einseitigen und extremen Wertungen entstehen ließen.
[18] BÖHEIM (1987, 164f.) zeigt für Musikkritiken eine größere Bandbreite von Begriffen auf (äußerst, höchst, vollkommen, völlig, vollends, gänzlich, restlos, absolut, schlechthin, schlichtweg, einmalig, unvergleichlich), die die Funktion haben, daß mit ihnen „der Sprecher einen Vorgang oder ein Ereignis, seien diese fiktiv oder real, eine Eigenschaft oder einen Zustand als außergewöhnlich und bedeutend hinstellt, sich selbst von dieser Ungewöhnlichkeit betroffen zeigt und dadurch seiner Rede den Charakter von Wichtigkeit zu geben sucht.“ (LATOUR 1974, 84 nach BÖHEIM 1987, 16)
[19] BÖHEIM (1987, 166f.) führt an: überaus, ungemein, ungeheuer, unerhört, unendlich, unbeschreiblich, unglaublich, atemberaubend, fabelhaft, fulminant, traumhaft, wundervoll, wunderbar, herrlich und zitiert GROSSE (1969, 205): Diese Wörter geben eine „erhebliche Abweichung von der Norm [an] [...], ohne das Recht auf Einmaligkeit zu beanspruchen“.
[20] BÖHEIM (1987, 168f.) nennt: sehr, besonders, ganz, durchaus, ausgesprochen, ausgesucht, ausnehmend, außergewöhnlich, außerordentlich, beachtlich, bemerkenswert, erstaunlich, zauberhaft.
[21] Der DUDEN (1984, 349) rechnet sattsam zu den Adverbien, die einen hohen Grad angeben.
[22] Durch die Häufung der Gradpartikel sehr erreicht der Rezensent eine intensivierte Graduierung.
[23] BÖHEIM (1987, 169f.): zu, allzu, gar zu.
[24] BÖHEIM (1987, 170): ziemlich, recht, reichlich, relativ, ganz
[25] Die negative Wertung geht aus dem weiteren Kontext hervor.
[26] Vgl. SANDIG (1979, 143): „Hinweis auf Kriterien, die der Fall sein sollten, aber ‘nicht’ der Fall sind.“
[27] In der Funktion ähnlich wie nicht bei Sondernegationen ist die kopulative Konjunktion weder - noch: Burgers Einfall, von jenseits des Todes zu schreiben, ist literarisch weder neu noch gelungen. (FAZ 30.4.88, SCHIRRMACHER über BURGER)
Auch durch die Konjunktion „zur Kennzeichnung des fehlenden [...] Umstands“ (DUDEN 41984, 378) ohne daß und die Infinitivkonjunktion ohne zu, die ausdrückt, „daß etwas Erwartetes nicht eintritt, sondern fehlt“, (DUDEN 41984, 377) kann positiv oder negativ bewertet werden. „Im Nebensatz wird eine Handlung, ein Sachverhalt oder dgl. als gerade nicht zusammen mit der im Hauptsatz genannten Handlung usw. vorkommend charakterisiert [...]“ (DUDEN 41984, 709):
Positive Wertung: Sie [=die Gedichte] präsentieren sich, ohne viel Aufhebens zu
machen, präzise, sehr sorgfältig und kunstvoll gearbeitet. (SZ 13.8.88, FELDES
über HENSEL) Dicks „Sauwaldprosa“ kommt aus der Provinz, ohne
provinziell zu sein [...] (ZEIT 7.10.88, HOHOFF über DICK).
So
ist sehr geschickt die Beschreibungsebene durchgehalten, ohne daß die
Erzählung in Selbstmitleid oder Ge-fühlsduselei versinkt. (ZEIT 8.1.88, STÄNNER
über AMANN)
Vergleichbar ist im folgenden Beispiel die Funktion der Präposition ohne: Daß es ihr ohne jede Simplifizierung [...] gelungen ist [...] (SZ 11.6.88, MOSER über BAUR) Dies alles auf engstem Raum, oft in einem Satz, aber ohne Gedränge, in vollkommen gestischer Rede. (ZEIT 22.4.88, NEUMANN über AICHINGER)
Negative Wertung: Der Autor verleiht seiner Hauptfigur Züge eines Dandy, eines Schelms, ohne je an die kurz herbeigerufenen Vorbilder heranzureichen. (FAZ 12.8.88, HEINRICH-JOST über ASMODI)
[28] Vgl. u. die Ausführungen zu den gemäßigt positiven Wertungen
[29] Vgl. dazu die Beispiele des DUDEN (1984, 306): ein älterer Herr, ein jüngerer Herr. „In diesen und den folgenden Beispielen hat der Komparativ nicht steigernde, sondern abschwächende, mindernde, einschränkende Bedeutung: seit längerer Zeit, eine größere Zahl; das Buch ist schon länger vergriffen; diese Schreibungen treten häufiger auf.“
[30] Vgl. Teil 2, Kap. 2: Das [=ein Höchstmaß an Authentizität zu fordern] ist ungut, gefährlich. (FAZ 30.4.88, SCHIRRMACHER über BURGER)
[31] Vgl. Teil 2, Kap. 2: [...] ein überraschend unblendender Essay. (ZEIT 30.9.88, BAUMGART über ENZENS-BERGER)
[32] BÖHEIM (1987, 171): leidlich, wenig, minder
[33] BÖHEIM (1987, 171f.): fast, beinahe, geradezu, nahezu, schier, so gut wie, überwiegend, durchwegs, mehr oder weniger
[34] Im Kontext wird deutlich, daß der Rezensent damit negativ wertet.
[35] BÖHEIM (1987, 172f.): ein wenig, etwas, leicht, bloß, nur, eher
[36] im Unterschied zur Abtönungspartikel doch
[37] Vgl. KLEINs Beispielsatz: Wir wollen keinen Job, sondern einen Beruf erlernen. (KLEIN 1976, 22)
[38] Dieses Kapitel liefert die theoretische Grundlegung für die Behandlung der Metaphern und Vergleiche in den Kapiteln 2-11, in die die vielfältigen Beispiele eingegliedert sind.
[39] Vgl. GREIMAS (1971, 60ff.)
[40] Zur Kritik an der Substitutionstheorie vgl. z.B. NIERAAD (1977, 12ff.)
[41] Dies macht das an dieser Stelle nicht zu diskutierende Problem deutlich, das Metaphern für die Lexikologie darstellen. Für unsere Arbeit ist maßgeblich, ob die kontextuelle Bedeutung des betreffenden Wortes im DUDEN gar nicht, bzw. mit der Zusatzkennzeichnung ‘übertragen’ oder ‘bildhaft’ existiert (=Metapher) oder unmarkiert im DUDEN erläutert wird (=keine Metapher).
[42] QUINTILIAN: Institutio Oratoria 8, 6, 8: „metaphora brevior est similitudo“ (zit. nach WEINRICH 1976, 308, Anm. 31).
[43] STRAUSS (1991, 133) führt zur Semantik der Metapher Ähnliches wie WEINRICH aus: „Mit einer Meta-pher wird etwas (indirekt) über etwas anderes ausgesagt, und dafür müssen zumindest zwei Instanzen (a’, P) ins Spiel gebracht werden. Dabei ist a’, das ‘Subjekt der Metapher’, eine gegenständliche, außersprachliche Größe, dasjenige, das metaphorisch charakterisiert wird; P ist jedoch eine sprachliche Größe, ein Prädikat. D.h., die beiden Instanzen befinden sich auf verschiedenen Ebenen.“ Dabei werden dem Bezugsobjekt nicht alle Eigenschaften des Prädikats P zugeschrieben, sondern nur eine oder einige. Metaphorik bzw. die semanti-sche Struktur von Metaphern bestimmt STRAUSS (1991, 154) folgendermaßen: „Metaphorik ist eine spezielle Art der Prädikation in natürlichen Sprachen und zwar eine trotz ihrer Widersprüchlichkeit ‘sinnvolle’ Prädika-tion, die zugleich immer indirekt und implizit vollzogen wird. Eine Ausdrucksweise ist dann als metaphorisch zu kennzeichnen, wenn einem (individuellen) Gegenstand vermittels eines Ausdrucks ein Prädikat zugeschrie-ben wird, obwohl dieser Gegenstand nicht Element der Extension des Ausdrucks (als kontextlosem Ausdruck) ist, und wenn der Ausdruck in seinem Zuschreibungskontext trotzdem sinnvoll ist bzw. einen bestimmten kom-munikativen Sinn ergibt und von den Sprachteilhabern akzeptiert werden kann, weil (in intensionaler Hinsicht) bestimmte Eigenschaften, die mit dem Prädikatsausdruck zugeschrieben werden, auch Eigenschaften des be-treffenden Gegenstandes sind, oder weil (in extensionaler Hinsicht) bestimmte Kennzeichen der Elemente der Extension des Prädikats auch Kennzeichen des Gegenstandes sind [...].“
[44] Vgl. die Unterkapitel zu jedem Wertungskriterium und die Übersicht in Teil 3 der Arbeit
[45] Metaphern und Vergleiche werden für positive und negative Bewertungen eingesetzt und nicht nur für nega-tives Bewerten, wie ZHONG (1995, 91) fälschlicherweise behauptet.
[46] WEINRICH (1976, 303) bemerkt zu Synästhesien: „Synästhesien sind nur eine besondere Klasse Meta-phern“.
[47] WÖLFFLIN, H. (1915): Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. München. - WALZEL, O. (1917): Wechselsei-tige Erhellung der Künste. Berlin
[48] Vgl. Brechts Polemik gegen die kulinarische Kritik der Rezensenten (Teil 1, Kap. 4)
[49] SCHIPPAN (21975, 97f.) geht den Ursachen der Polysemie nach und verweist auf die Bezeichnungsübertra-gung (metaphorischer, metonymischer Gebrauch), die Bedeutungsentlehnung (aus lat. casus wird dt. Fall) und den elliptischen Gebrauch, der durch häufigen Gebrauch in bestimmten Kontexten hervorgerufen werde. Für den zuletzt genannten Fall verwendet sie das Beispiel Geschmack, dessen Wortbedeutung sich aufspaltet in ‘Geschmacksempfindung’ (guter, süßer Geschmack), ‘Urteilsfähigkeit’ (guter, altmodischer Geschmack), ‘guter Geschmack’ (sie hat keinen Geschmack).
[50] MGH Epist II 251, 30ff. - Vgl. dazu die Belege aus Teil 2, Kap. 2.4.1: Oder um es mit einem Bild aus der ländlichen Welt seines Helden zu sagen: eine Handvoll Körner unter einem Haufen Stroh. (FAZ 29.3.88, WITTSTOCK über NEUMEISTER) Man würde sich allerdings wünschen, daß sie es dem Leser bei ihren zu-künftigen Publikationen etwas leichter macht und selbstkritischer den Weizen von der Spreu sondert. (FAZ 21.4.88, HINDERER über CÄMMERER)
[51] Vgl. dazu KUTSCHERA (1975, 45-51), der am Beispiel der ostensiven Eigennamen Sokrates, München, Die Zugspitze deren primäre semantische Funktion in ihrem Bezug sieht (KUTSCHERA 1975, 50), wobei er unter Bezug die Bezeichnung (reference) versteht im Unterschied zur Bedeutung (meaning). Als Beleg verweist KUTSCHERA (1975, 51, Anm. 43) auf G. RYLE (1966: The theory of meaning, in: MACE, C.A. (Hg.) 1966: British Philosophy in the Mid-Century. A Cambridge Symposium. London, 237-264), der feststellt, daß ostensive Eigennamen in Wörterbüchern, in denen die Wortbedeutungen angegeben werden, nicht aufgeführt sind und daß es keine Übersetzungen von solchen Namen gibt. Dies stellt für KUTSCHERA einen weiteren Beweis dar, daß deren primäre semantische Funktion in ihrem Bezug und nicht in ihrer Bedeutung liegt. Man frage nicht ‘Was bedeutet Salvador Dalí?’, sondern ‘Wer ist Salvador Dalí?’.
[52] Vgl. ADELUNG, J.Ch. (21798): Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Leipzig, Sp. 799. Nach BICKERT (1988, 13)
[53] Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 178 vom 5.8.1987, 21. Nach BICKERT (1988, 13)
[54] WACKERNAGEL, W. (1872): Kleine Schriften, Bd. I. Leipzig
[55] DURANTE, M. (1960): Ricerche sulla preistoria della lingua poetica greca. La terminologia relativa alla creazione poetica. In: Atti della Accademia Nazionale dei Lincei. Serie ottava. Rendiconti. Classe di Scienze morali, storiche e filologiche 15, 231 - 249. (Nach BICKERT 1988, 5 u. 14)
[56] Vgl. BICKERT 1988, 6
[57] VOSSIUS, G.I. (1642): De Artis Poeticae Natura ac Constitutione Liber, Amsterdam. Nach BICKERT (1988, 7 u. 14)
[58] Zit. nach BICKERT (1988, 8)
[59] WEINRICH nennt lexikalisierte Metaphern wie Wortreichtum, Sparsamkeit mit Worten, mit Worten geizen, neue Ausdrücke prägen, abgegriffene Ausdrücke, Schätze der Literatur, eine Antwort schulden, kursieren, außer Kurs kommen einer Redensart etc.
[60] Ein Beispiel hierfür ist der Beleg: sozusagen auf geschnitzte Löwentatzen (Teil 2, Kap. 3)
[61] Der heutige Gebrauch des Begriffs Katachrese weicht von der klassischen rhetorischen Bedeutung, wie sie LAUSBERG (21973, §178) darlegt, ab. Die Unterscheidung zwischen kühnen Metaphern und Katachresen fällt oftmals schwer und kann - wie THÖMING (31975, 198) bemerkt - häufig nur durch Poetizitätsvergleiche und innerhalb der Stilformen des Kontextes vorgenommen werden.