7) INTELLEKT

 

 

Jede Wertungstheorie, die nicht nur die formale Seite der Literatur beachtet, erwartet die Vermittlung von ethisch-moralischer, theologischer, philosophischer o.ä. Wahrheit und einen durch die Literatur ausgelösten Reflexions- und Erkenntnisprozeß.

Bezüglich des intellektuellen Anspruchs, den das Werk eines Autors bietet oder fordert, lassen sich fünf verschiedene Untergruppen voneinander trennen. Wichtig ist,

·      wieviel Information ein Werk anbietet,

·      welches Wissen, welche Bildung oder Intelligenz des Autors deutlich wird,

·      ob das Konzept, die Planung durchdacht ist,

·      ob der Autor besonders geistreich oder raffiniert schreibt und

·      ob das Buch für den Rezensenten plausibel und verständlich ist.

Damit schließt sich dieses Kriterium der traditionellen (Barock-)Rhetorik und ihrem Anspruch auf docere, d.h. auf lustvolle Belehrung in theoretischen und praktischen Bereichen, an, ebenso der Tradition der Aufklärung mit ihrem Ziel der Vermittlung belehrender, vernünftiger Einsichten in klarer, angemessener Sprache.[1]

 

 

7.1) Positiv wertend

 

7.1.1) Lexeme, Wortbildungen, Wortgruppenlexeme

Die gebotene Information wird positiv charakterisiert durch das Verb erhellen, bzw. davon abgeleitet erhellend.

 

 

Einige große Aufsätze [...] erhellen kritisch die Tätigkeit der Weltbank. (SZ 15.11.88, KAISER über ENZENSBERGER)

Solche Redeweise bringt Widersprüche auf den Punkt. Doch versagt sie die erhellende Wirkung, sobald sie nur noch mechanisch gehandhabt wird [...] (FAZ 29.3.88, HINCK über LETTAU)

 

Eine positive Wertung im Hinblick auf Wissen, Bildung und Intelligenz des Autors vollziehen folgende Wörter: kenntnisreich, breites Wissen, gebildet, intelligent (drei Belege), Intelligenz (drei Belege), gescheit, blitzgescheit[2], klug (drei Belege), weise (zwei Belege), geistreich, Denklust, Tiefblick[3], vertiefen.

 

 

[...] kenntnisreiches Erfassen der Drückebergerei des Dichters angesichts seiner Schreibmaschine [...] (FAZ 16.3.88, MIEHE über SCHEIB)

Wieder schöpft Beyse aus breitem geistesgeschichtlichem Wissen [...] (FAZ 28.9.88, HINCK über BEYSE)

Unter den DDR-Schriftstellern ist er einer der besonders gebildeten. (SZ 12.3.88, SCHOELLER über FRIES)

[...] immer wieder wird der Leser herausgerissen aus lyrischen Träumen und merkt erstaunt, wie genau nicht nur intelligentes Wahrnehmen, sondern auch politische Realität in diesen Gedichten eingefangen ist. (SZ 24.12.88, FELDES über SÖLLNER)

[...] entworfen von einem ebenso verwundbaren wie rebellischen Schriftsteller, der die Frechheit und Intelligenz mitbringt, die der deutschen Gegenwartsliteratur so oft fehlt. (FAZ 24.9.88, WITTSTOCK über GOETZ)

Ein gelungener Roman also? Ein hervorragend komponiertes, gut beobachtetes, gescheit inszeniertes Stück Literatur. (ZEIT 9.12.88, HAGE über NIEDERHAUSER)

Eine gleichermaßen bodenständige und blitzgescheite Nicht-Aggressivität der Sprechweise [...] (SZ 5.10.88, BUCHKA über BECKER)

Sein [=der Roman] erster Absatz ist klug wirkungsbewußt kadenzierend auf den verhängnis­vollen Ortsnamen gesteigert [...] (SZ 22.10.88, KAISER über RANSMAYR)

 

 

Das Adjektiv klug wertet lexikalisch positiv, dennoch ist es Joachim Kaiser möglich, das negativ wertende Adjektiv mutlos damit zu kombinieren, so daß die Aussage sehr kryptisch und vage erscheint. Was er eigentlich meint, weiß wohl nur - vielleicht - er selbst. Letztendlich überwiegt eher die negative Wertung und belegt wiederum eine Umwertung (HANNAPPEL/ MELENK 1979, 215) in der hier okkasionellen Bedeutung (SCHIPPAN 21975, 98) von klug:

 

 

Der Text wirkt so unmäßig abgesichert, so mutlos klug verwoben ins Legendenhafte [...] (SZ 30.3.88, KAISER über LETTAU)

 

Jürgen Becker wird weise. (SZ 5.10.88, BUCHKA über BECKER)

[...] Ralf Rothmann hat es ganz offensichtlich ein diebisches Vergnügen gemacht, eine Geschichte voller [...] geistreichem Witz und Sprachlust zu erfinden. (ZEIT 7.10.88, VON BECKER über ROTHMANN)

[...] hingerissen zwischen Sprachwitz und Denklust wird die Lektüre zum Ereignis. (ZEIT 25.3.88, WEISS über KIESERITZKY)

In Ilse Aichingers kleiner Kafka-Rede kommt ein solcher Tiefblick zur Sprache. (ZEIT 22.4.88, NEUMANN über AICHINGER)

Weltbetrachtung [...] wird philosophisch vertieft, verflacht aber gelegentlich zu philo­sophischer Gespreiztheit [...] (FAZ 28.9.88, HINCK über BEYSE)

 

 

Auf ein durchdachtes Konzept oder eine gute Planung weisen folgende Wörter hin: kalkulieren[4], kalkuliert, einkalkuliert, Kalkül[5]; Konzept (zwei Belege), Formstrenge, gebaut, gedacht, durchdacht (zwei Belege), überlegt[6], reflektiert, Maß und Ziel haben, Stringenz, konsequent, zwingend (zwei Belege), schlüssig, Zusammenhang, stimmig (drei Belege), Nicht-Stimmiges, klarsichtig, analytisch, kühl, wach[7], Konzentration[8], Sinn haben / hinterlassen, sinnvoll.

 

 

[...] sie [=die Autorin] weiß ihre Mittel zu kalkulieren. (ZEIT 9.9.88, HAGE über ZELLER)

Jan Koneffkes exakt kalkulierte Erzählung „schauspielert“ vor allem in den Landschaftsbeschreibungen mit der Sprache einer vergangenen Zeit [...] (SZ 5.10.88, AUFFERMANN über KONEFFKE)

Wenn er seinem Figurenensemble immer wieder zu den merkwürdigsten Gefühlsausbrüchen verhilft, so zeugen die eher von unfreiwilliger als von einkalkulierter Komik [...] (ZEIT 7.10.88, STEINERT über SAEGER)

Großspurigkeit? Ja, aber eine, die durch das scharfe Bild, die genaue Metapher, den künstlerischen Kalkül eingelöst ist. (SZ 16.7.88, VON SCHIRNDING über NESTLER)

Solche [...] Passagen vermögen aber Kinders Roman nicht zu retten, denn sie sind in kein Konzept eingebunden, das sich zu einem schlüssigen Bild zusammenlesen läßt. (FAZ 28.1.88, ENGEL über KINDER)

Aber es beeindruckt doch die Konzentration und Formstrenge, mit der der achtundzwanzigjährige Autor in seinem literarischen Debüt zu Werke geht. (ZEIT 7.10.88, BRAUN über KONEFFKE)

Mir schienen [...] veritable, gebaute, gedachte, gelungene Gedichte vorzuliegen. (ZEIT 9.9.88, RADDATZ über BOOCK)

Ralf Rothmann spannt diesen politischen Ereignisrahmen ein in ein feingewebtes Netz aus politisch-lyrischen Bildern, reflexiven Stimmungen und durchdachten, pointierten Dialogen. (SZ 8.10.88, REINHARDT über ROTHMANN)

[...] mit dem überlegten Spiel mit Sprache [...] (SZ 28.5.88, DREWS über ALLEMANN)

Er selbst aber hat sich von einem forschen sozialistischen Sprüchemacher zu einem reflektierten, skeptischen und furchtlosen Lyriker entwickelt. (FAZ 26.3.88, SEGEBRECHT über CZECHOWSKI)

Das scheint sich zufällig, assoziativ schön zu fügen, hat aber Maß und Ziel. (SZ 30.3.88, FRANKE über KIRSCH)

So sehr sie [=die Prosa] sich in ihrer Ästhetik auch am Kino orientiert, so wenig gelingt ihr die Stringenz einer Handlung. (ZEIT 25.3.88, SCHMICKL über MAURER)

Die Erzählung schwankt konsequent zwischen Ich-Erzähler, allwissendem Erzähler und monologischer Selbstpräsentation und hält so die dargestellte Handlung immer in der Schwebe. (SZ 17.9.88, FISCHER über SPÄTH)

Und auch die Abfolge der Textteile wirkt nicht immer zwingend. (SZ 19.11.88, VON BECKER über SCHMIDT)

 [...] nur leuchtet zu selten ein Zusammenhang auf. (FAZ 28.9.88, HINCK über BEYSE)

Der Fall Laura D. ist psychologisch stimmig [...] (SZ 13.3.88, LEDANFF über SEEHAUS)

 

 

Wiederum Joachim Kaiser, der klug in einen negativ wertenden Zusammenhang brachte (s.o.), bringt es in einer Rezension aus dem Jahr 1987 fertig, auch mit dem Gegenteil von stimmig, mit nicht-stimmig, eine positive Wertung auszusprechen und somit wieder eine Umwertung (HANNAPPEL/MELENK 1979, 215) vorzunehmen. Mit den Präfixen un- bzw. miß- wäre eine positive Wertung nur schwerlich möglich gewesen, doch die Zusammensetzung mit nicht- erlaubt auch einen positiv wertenden Kontext.

 

 

[...] dann läßt sie das herrlich Nicht-Stimmige unberichtigt, unbelästigt [...] (SZ 3.12.87, KAISER über AICHINGER)

 

Aber wo die Autorin früher [...] Ängste, Vereinsamung [...] übersetzt hat [...] in klarsichtige Metaphern [...] (SZ 6.8.88, VON BECKER über DUVANEL)

Uwe Saeger hätte so pointiert und analytisch schreiben müssen, wie ihm das im Anfang und im Schluß gelungen ist. (SZ 12.3.88, SCHMITT über SAEGER)

[sie] beobachtet kühl und genau [...] (SZ 11.6.88, MOSER über BAUR)

Überzeugen kann dieser Text besonders dann, wenn [...] kritisch wache Beobachtung und scheinbar naive Spekulation zusammentreffen. (FAZ 1.7.88, MIEHE über BIANCHI)

Aber es beeindruckt doch die Konzentration und Formstrenge [...] (ZEIT 7.10.88, BRAUN über KONEFFKE)

Diese Anlage der Erzählung [...] hat jedoch ihren guten Sinn [...] (FAZ 15.10.88, JACOBS über KONEFFKE)

Die beziehungslos aneinander gehängten Assoziationen verlieren sich, ohne einen Sinn zu hinterlassen. (SZ 25./26.6.88, AUFFERMANN über TECHEL)

Auch innerhalb der beiden Lebensgeschichten, insbesondere in der Martins, vermißt man den sinnvollen Zusammenhang. (FAZ 22.6.88, JACOBS über SCHERTENLEIB)

 

 

Daß ein Autor sein Werk geistreich oder raffiniert aufgebaut und verfaßt hat, darauf geben folgende Wörter einen Hinweis: tückisch über Kreuz gedacht, listig, Hintersinn, abgründig, gewitzt (zwei Belege), Witz[9], Sprachwitz,; ausgeklügelt (zwei Belege), Raffine-ment[10] (zwei Belege), Raffinesse[11] (zwei Belege), raffiniert[12]  (drei Belege).

Jan Koneffkes Erstling ist so etwas wie eine vorsichtige Annäherung an die Gegenwart, [...] genau und immer wieder tückisch über Kreuz gedacht. (SZ 5.10.88, AUFFERMANN über KONEFFKE)

Eine Operation [=der Hauptdarsteller verdreifacht sich], die lustig und listig, aber ganz und gar nicht lächerlich wirkt. (SZ 10.2.88, KRAMBERG über SAHL)

Tempo und jeden Hintersinn vermißt man in dem ausgedehnten Rahmen [...] (SZ 30.4/1.5.88, LEDANFF über THENIOR)

Denn in diesem Roman zeigt Stefan Schütz [...], daß er eine streckenweise glänzende Prosa schreiben kann, spannend und anspruchsvoll, komisch und abgründig zugleich. (FAZ 25.6.88, FULD über SCHÜTZ)

 

 

Die Belege zeigen, daß gewitzt, Witz und Sprachwitz eher in der alten Bedeutung von Witz (vgl. Anm. 9: DUDEN-Bedeutung 2.b) gebraucht werden.

 

 

[...] in solch gewitzten Formulierungen [...] (FAZ 16.4.88, HARTUNG über HAHN)

[...] Beobachtungen [...], die sich Seiten später [...] erst [...] in ihrer gewitzten Konstruktion zu erkennen geben. (ZEIT 7.10.88, VON BECKER über ROTHMANN)

Der kritische Witz des Romans liegt darin [...] (SZ 16.7.88, BOGNER über HENISCH)

[...] hingerissen zwischen Sprachwitz und Denklust wird die Lektüre zum Ereignis. (ZEIT 25.3.88, WEISS über KIESERITZKY)

 

Ein schmales, ein ausgeklügelt’ Buch [...] (FAZ 17.12.88, WEINZIERL über GSTREIN)

Das Konzept [...] ist ohne Zweifel eines der ausgeklügeltsten der zeitgenössischen Sprach­kunst [...] (ZEIT 22.4.88, RATHJEN über POLITYCKI)

 

 

Raffinement ist in beiden Belegen mit dem Adjektiv dramaturgisch gekoppelt.

 

 

Sein Trauerspiel vereint die vollendete Rhetorik [...] mit dem dramaturgischen Raffinement. (FAZ 7.12.88, WIRSING über HACKS)

Mit ironischer Dialogphantasie, analytischer Genauigkeit in den Beobachtungen und dramaturgischem Raffinement inszeniert er einen heimlichen Tropenthriller [...] (ZEIT 7.10.88, VON BECKER über ROTHMANN)

Hübsche kleine Raffinesse, auf den großen Schatten [=Thomas Mann] hinzuweisen. (SZ 15.11.88, GRIMMINGER über MÖCHEL)

Oder noch mehr jenes anmutig-leichte, fast kunstlos scheinende Reimgedicht, das sich aber bei näherem Hinsehen [...] als höchst raffiniertes Kunstprodukt erweist. (FAZ 1.10.88, UEDING über KROLOW)

 

 

Auf den Rezipienten bezogen finden sich unter dem Aspekt INTELLEKT folgende bewertenden Wörter: verständlich, einsehbar, einleuchtend (drei Belege), plausibel (drei Belege), Plausibilität, Glaubwürdigkeit, nachvollziehbar, zum Nach-Denken zwingen, seinen Intellekt gebrauchen.

 

 

[...] die transparente Schönheit der Sprache Enzensbergers ist so verständlich wie erregend [...] (ZEIT 4.3.88, MODICK über ENZENSBERGER)

Gar nicht einsehbar ist die Langatmigkeit mancher Passagen [...] (SZ 30.4/1.5.88, LEDANFF über THENIOR)

[...] überraschend der Kühnheit [...] wegen, mit der er die neue Melodie, die in Moskau von den Dächern gepfiffen wird, in einleuchtende Geschichten umsetzt [...] (FAZ 29.3.88, GÖRTZ über SAEGER)

Der Fall Laura D. ist psychologisch stimmig: Plausibel der obsessive Gedanke, mit der Pistole in den bösen Film hineinzuschießen [...] (SZ 13.3.88, LEDANFF über SEEHAUS)

Dem im Roman geschilderten Verhältnis zwischen Sandra und Anton mangelt es zwar nicht an gefühlslogischer Plausibilität [...] (ZEIT 4.3.88, LÜTZELER über WOHMANN)

[...] Chiffren, die Söllner [...] durch übersteigerte, pathetische Bilder und Vergleiche bisweilen um ihre Glaubwürdigkeit bringt [...] (FAZ 4.10.88, HIEBER über SOELLNER)

In der porträthaften Ausweitung des „Falls“ ist gar noch die versöhnliche Schlußwende [...] nachvollziehbar. (SZ 13.3.88, LEDANFF über SEEHAUS)

Die Frage, warum uns manche erzählerischen Arbeiten Hartmut Langes so fesseln und zum Nach-Denken zwingen [...] (SZ 30.3.88, BONDY über LANGE)

[...] zumal der aphoristisch knappe Stil Ingomar von Kieseritzkys dem Leser das Vergnügen läßt, seinen Intellekt zu gebrauchen. (FAZ 2.4.88, FULD über KIESERITZKY)

 

 

 

7.1.2) Metaphern und Vergleiche

Die Bildbereiche für die positiv wertenden Metaphern und Vergleiche hinsichtlich des Aspekts INTELLEKT beschränken sich auf die Geschmacksempfindung (Synästhesie) und Eigennamen wie Patricia Highsmith und Ernst Jandl.

(1) Synästhetische Metaphern und Vergleiche

- Literatur und Geschmacksempfindung

 

 

Der „Anhang“: Ein Meisterstück. Ein Festmahl des Geistes mit immergrünen ewigfrischen Zutaten. Biß für Biß ein Genuß. (ZEIT 25.3.88, KILB über HAHN)

 

 

Die kulinarische Genitivmetapher wertet positiv bezüglich des INTELLEKTs (Festmahl des Geistes), ebenso wertet das gesamte Bild auch positiv bezüglich der ORIGINALITÄT (immergrüne, ewigfrische Zutaten).

 

 

 

(2) Eigennamen

Positiv wertend werden die rezensierten Autoren im Vergleich mit folgenden ebenfalls positiv bewerteten Autoren verglichen: Patricia Highsmith und Ernst Jandl.

 

 

[...] und ihrem [=Patricia Highsmith] jungen Berliner Kollegen Ralf Rothmann hat es ganz offensichtlich ein diebisches Vergnügen gemacht, eine Geschichte voller [...] geistreichem Witz und Sprachlust zu erfinden. (ZEIT 7.10.88, VON BECKER über ROTHMANN)

 

 

Der Name von Patricia Highsmith, 1921 in Fort Worth/Texas geboren, steht hauptsächlich für Kriminalromane, in deren Mittelpunkt der Titelheld Tom Ripley agiert. Ihren psychologisch raffiniert aufgebauten Krimis

 

 

geht es jedoch teilweise um eine das bloße kriminalistische Rätselinteresse transzendierende Thematik: Unter der Oberfläche kreist die stets im realistisch-lakonischen Stil und strikt aus der Erlebnisperspektive des Helden erzählte Handlung immer wieder um die psychischen Probleme von Identitätszerfall und Ichfindung. (KINDLER Bd. 7 1996, 838)

 

 

Doch als derart harmlose Gewitztheit sieht sich das eben nur auf jenen ersten Blick an, mit dem man die meist sehr kurzen, epigrammatischen Texte schon zu überschauen meint (und leichthin übersieht). Die Kunst und manchmal gar die Jandl-Klasse steckt im Detail [...] (ZEIT 5.8.88, VON BECKER über ALLEMANN)

 

 

Der Vergleich mit Ernst Jandl ehrt Allemann insofern, als der 1925 in Wien geborene Autor, studierter Anglist und Germanist, als experimenteller Lyriker international Anerkennung gefun­den hat aufgrund seines reflektierten Umgangs mit der Sprache.

 

 

7.2) Negativ wertend

 

7.2.1) Lexeme, Wortbildungen, Wortgruppenlexeme

Negativ wertend im Hinblick auf Wissen, Bildung und Intelligenz des Autors sind die Begriffe bildungsgeschmückt (das Adjektiv kritisiert ein Zuviel an demonstrierter Bildung), Halbbildung, schlicht[13]; töricht, blödsinnig, Doofheit, hanebüchen[14], Allotria[15], banal[16] (drei Belege), Banalität[17] (vier Belege), seicht, flach[18] (vier Belege), verflachen (zwei Belege), platt[19] (zwei Belege), Plattheit[20] (zwei Belege), Blackout[21].

 

 

[...] urbanes Parlando, bisweilen epigonal, preziös und bildungsgeschmückt. (SZ 10.2.88, KNODT über ASMODI)

[...] Triumph einer entfesselten Halbbildung [...] (ZEIT 11.3.88, MODICK über DIEDERICHSEN)

Bei solchen Sprach-Leistungen [=die vorangehenden Zitate] kann der recht schlichte Sprach-Optimismus schon nicht mehr verwundern [...] (FAZ 4.11.88, HARTUNG über BERGER)

Das ist törichtes Geschwätz, ohne ernsthafte Anstrengung in eine Vielzahl schmuckloser Verse [...] gegossen [...] (FAZ 4.10.88, GÖRTZ über FELS)

[...] labert konturlos und sterbenslangweilig bis zum blödsinnigen Ende. (ZEIT 11.3.88, MODICK über DIEDERICHSEN)

Mühelos wären ein paar Derbheiten, Doofheiten tadelnd aufzuspüren [...] (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)

[...] oder gelegentlich hanebüchene Plattheiten [...] (ZEIT 9.9.88, RADDATZ über BOOCK)

Aha, kann man zu solchem Allotria nur sagen [...] (FAZ 4.10.88, SEGEBRECHT über WICHNER)

Warum finde ich [...] eine „leuchtende Hostie“ banal [...]? (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über KIRSCH)

Lange Infinitivreihungen statt schlichter Aussagesätze laden Banalitäten mit einer unerträglichen Bedeutung auf. (ZEIT 12.8.88, DOTZAUER über REICHART)

Herbert Asmodi beherrscht die Mischung an Figuren, Szenen und deren entsprechendem Ambiente, die die Höhepunkte der abendlichen seichten Fernsehunterhaltung ausmacht. Auf der Mattscheibe ist das schwer erträglich, zwischen Buchdeckel gepreßt und nachlesbar, wirkt es noch viel peinlicher. (FAZ 12.8.88, HEINRICH-JOST über ASMODI)

Doch bei der Trennung von Insel-Engländern und Auslands-Engländern bleibt die Ironie allzu flach in der Schlußbilanz [...] (FAZ 29.3.88, HINCK über LETTAU)

Das episch Auslandende dagegen verflacht ihm unter der Hand. (FAZ 7.4.88, GÖRNER über EIGNER)

Eisendle versteht Hannahs Konflikt nicht als psychische Störung, sondern er reduziert ihn aufs platt Soziologische [...] (FAZ 7.4.88, FULD über EISENDLE)

[...] es ging mir nur eben bei der Lektüre auf, daß diese Gedichte einfach von erlesener Plattheit und ausgepichter Substanzlosigkeit sind [...] (SZ 15.6.88, DREWS über HAHN)

[...] und was zur Allegorie hätte geraten können für die Vergeblichkeit hilfreicher Bücher, endet mit einem unfrohen Blackout. (SZ 30.3.88, KAISER über LETTAU)

Eine negative Bewertung bezüglich der Frage, ob der Autor ein durchdachtes Konzept oder eine durchdachte Planung nachweisen könne, geben folgende Begriffe: beliebig[22] (zwei Belege), Beliebigkeit (zwei Belege), planlos (zwei Belege), Planlosigkeit; Unregelmäßigkeiten im Verfolgen des Erzählfadens, gedankenlos, unmotiviert (drei Belege), beziehungslos, Konglomerat[23], sinnlos.

 

 

Statt dessen stellt er im hohen Ton eine Art Stimmung her, die Ovid, Cotta und die Leute von Tomi nicht wirklich näherrückt, gleichwohl das Welthistorische oder modellhaft Allgemeine nur als beliebige Zitate vorführt [...] (SZ 22.10.88, KAISER über RANSMAYR)

Das Bewußtsein über den Täuschungscharakter von Sprache und Kunst ist zur Lizenz für Beliebigkeit geworden [...] (SZ 1/2.10.88, FALCKE über WALSER)

Zu vermuten, daß das Scene-Buch einfach nur zu nachlässig und planlos zusammengestellt ist. [...] Wenn es [=das Buch] [...] fragen läßt, ob die zu enthüllenden Trends tatsächlich mit genügender Schärfe und Provokationslust im Mittelpunkt stehen, liegt das an einer allzu saloppen Planlosigkeit des Runtererzählens. [...] Vielleicht sollte man sich auch nicht über die Unregelmäßigkeiten ärgern, die im Verfolgen des Erzählfadens auftauchen. (SZ 30.4/1.5.88, LEDANFF über THENIOR)

Wenn er Parolen ausgibt [...], sind es Pausenfüller [...], so gedankenlos wie seine Auskünfte über den sozialen Wandel [...] (FAZ 4.10.88, GÖRTZ über FELS)

So ein Kabinettstück ist etwa der Singsang eines unmotiviert auftauchenden Mannes auf einem ebenso unmotiviert ins Bild gerückten verfallenen jüdischen Friedhof [...] (FAZ 28.1.88, ENGEL über KINDER)

Die beziehungslos aneinander gehängten Assoziationen verlieren sich, ohne einen Sinn zu hinterlassen. (SZ 25./26.6.88, AUFFERMANN über TECHEL)

Das Konglomerat von Erzählpartien, bei denen der verbindende rote Faden nur mühsam in der Thematik des Sehens zu verfolgen ist [...] (FAZ 28.1.88, ENGEL über KINDER)

Etwa ganz sinnlose Zeitüberblendungen [...] (ZEIT 9.9.88, RADDATZ über BOOCK)

 

 

Negative Urteile gegenüber dem geistreich-raffinierten Vorgehen des Autors sprechen folgende Ausdrücke aus: Ein Zuwenig bemängeln durchsichtig (zwei Belege) und Naivität, ein Zuviel kritisieren zerebral[24], verhirnt, bodenlos tiefsinnig.

 

 

Allzu durchsichtig sind sie [...] auf einen scheinbar hintergründigen Effekt hin konstruiert [...] (FAZ 13.10.88, FULD über HERMANN)

Das ist törichtes Geschwätz [...], Ausfluß beängstigender Naivität. (FAZ 4.10.88, GÖRTZ über FELS)

Beyse beschreibt seine Annäherungs- und Orientierungsversuche in einer angestrengten, manchmal überan-strengten und zerebralen Prosa. (ZEIT 8.4.88, HORSTMANN über BEYSE)

So gewinnt die Geschichte eine visuelle Dichte, eine Eindrucksfülle und Farbigkeit, von der sich die verhirnte und entstofflichte Reflexionsprosa manches Arrivierten eine Scheibe abschneiden könnte. (ZEIT 25.3.88, HORSTMANN über PRAESENT)

Zum Glück rettet ein Hauch von Ironie aus dieser bodenlos tiefsinnigen Geschichte. (FAZ 8.10.88, HANK über SCHNEIDER)

Speziell auf den Rezipienten bezogen werten folgende Begriffe negativ: nicht schlau werden aus, Unverständlichkeit, Verständnislosigkeit, uneinsehbar (zwei Belege), uneinleuchtend, unglaubwürdig[25], uninteressant[26], ratlos.

 

 

[...] weder [...] noch wird man so recht schlau aus der mißglückten Liebesbeziehung Dills [...] (FAZ 15.3.88, HANK über DEAN)

Hier wie fast überall in ihrem Buch scheint Sabine Techel in der Unverständlichkeit schon eine poetische Qualität zu sehen. (FAZ 3.6.88, JACOBS über TECHEL)

Und sie [=die Erzählung] ruft Verständnislosigkeit und Ablehnung hervor, wo Symbol und Mythisierung die Wirklichkeit verstellen [...] (SZ 30.11.88, KÄSSENS über BERKÉWICZ)

Die Hemmnisse, die der Liebesleidenschaft im Wege stehen, bleiben allerdings psychologisch uneinsehbar [...] (SZ 5.10.88, HAUCK über MEINECKE)

[...] dieses [sic!] Pastiche ist uneinleuchtend [...] (ZEIT 12.8.88, RADDATZ über KIRSCH)

Esther als Liebende ist unglaubwürdig [...] (FAZ 17.2.88, FRISÉ über GEHLHOFF-CLAES)

Allzuviel [...] bleibt sprachlich uninteressant [...] (FAZ 26.2.88, WEINZIERL über FRIED)

Sie bedient sich dabei meist einer verrätselnden, alle Zusammenhänge verwischenden Rede, die den Leser immer wieder ratlos macht. (FAZ 3.6.88, JACOBS über TECHEL)

 

 

 

7.2.2) Metaphern und Vergleiche

Die negativen Wertungen benutzen die Bildbereiche Eigennamen (J. M. Simmel), andere Textsorten und Film.

 

(1) Eigennamen

Schon an anderer Stelle (Teil 2, Kap. 6: UNTERHALTUNG) wurde der Vergleich mit Johannes Mario Simmel als Beleg angeführt, der bezüglich des Unterhaltungswertes recht positiv eingeschätzt wird, im Gegensatz zu dem bewerteten Autor Otto F. Walter. Dieselbe Rezension bewertet jedoch Simmel und Walter negativ bezüglich ihrer intellektuellen Qualitäten (tiefsinnig, banal).

 

 

[...] außer der Lektüre von 616 Seiten, die saurer fallen als bei jedem Simmel, der zwar ebenso tiefsinnig und banal zugleich auftritt, aber selbst im schlimmsten Falle noch leidlich unterhaltsam. (FAZ 4.10.88, UEDING über WALTER)

 

 

(2) Andere Textsorten, (3) Film

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit eines Romans zeigt der Vergleich mit einem Märchen oder mit dem Kintopp die negative Wertung an. Es wird sicher bewußt nicht der Begriff Kino, sondern der des Kintopp[27] verwendet, da der zweitgenannte Begriff eine abwertende Kom­ponente hinsichtlich der Qualität der Filme enthält.

 

 

Derart ergiebige Zufälle häufen sich sonst nur - im Kintopp oder im Märchen. (SZ 16.1.88, KAISER über BECKER)

 

 

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[1] Auch Wolfgang KAYSER (1958b, 60) nennt als eine Wirkung eines literarischen Kunstwerks die „Freiheit [...], im Abstand sich über die Realität zu erheben und ihr Eigentliches richtig mit der Sprache zu bannen und zu fassen“, also einen Erkenntnisgewinn durch Distanz.

[2] Das augmentative Präfoxoid blitz- hat die Funktion einer „Ausdrucksverstärkung“ (DUDEN 41984, 487) wie die Gradpartikeln sehr, überaus, äußerst (vgl. BÖHEIM 1987, 203).

[3] DUDEN: tiefblickend: „tief (6) in das Wesentliche der Dinge blickend“; tief: „[...] 6. nicht oberflächlich, vordergründig, sondern zum Wesentlichen vordringend“

[4] Fremdwörter-DUDEN: „1. [be]rechnen, veranschlagen. 2. abschätzen, überlegen“

[5] Fremdwörter-DUDEN: „[...] Berechnung, Überlegung. [...]“

[6] DUDEN: „sorgfältig abwägend; bedacht, besonnen“

[7] DUDEN: „[...] 2. geistig sehr rege, von großer Aufmerksamkeit, Aufgeschlossenheit zeugend; aufgeweckt“

[8] Fremdwörter-DUDEN: „[...] 2. [...] geistige Sammlung, Anspannung, höchste Aufmerksamkeit. [...]“

[9] DUDEN: „[...] 2.a) <o. Pl.> Gabe, sich geistreich, witzig, in Witzen zu äußern b) <o. Pl.> (veraltend) Klugheit; Findigkeit“

[10] Fremdwörter-DUDEN: „1. durch intellektuelle Geschicklichkeit erreichte höchste Verfeinerung [in einem kunstvollen Arrangement] [...]“

[11] Fremdwörter-DUDEN: „1. besondere künstlerische, technische o.ä. Vervollkommnung, Feinheit [...]“ STRAUSS, HASS, HARRAS (1989, 698ff.) führen zu Raffinement und Raffinesse folgendes aus: „Raffine-ment, Raffinesse wurden im 18. Jh. aus dem Französischen übernommen bzw. gebildet. Raffinement wurde direkt übernommen aus frz. raffinement, zu raffiner ‘verfeinern’; Raffinesse ist eine französisierende Bildung - vermutlich in Analogie zu finesse - ohne französische Entsprechung. [...] 1a) Mit Raffinement, Raffinesse (ohne Plural) charakterisiert man Handlungsweisen, die aus der Sicht des Sprechers vom Handelnden taktisch besonders geschickt, für die Handlungspartner unauffällig, eingesetzt werden und besonders geeignet sind, das Handlungsziel zu erreichen. [...] 1b) Mit Raffinement, Raffinesse charakterisiert man Verhaltensweisen, die Beschaffenheit künstlerischer und literarischer Tätigkeiten und deren Produkten sowie künstlerischer Darbie-tungen positiv wertend als besonders ausgeklügelt auf ästhetische Wirkung bedacht und den sinnlichen und in-tellektuellen Genuß anregend, ohne vordergründig und aufdringlich zu sein.“ Der Rezensent zeigt sich durch diese Bewertung als kompetenter Beurteiler.

[12] Fremdwörter-DUDEN: „[...] 2. von Raffinement (1) zeugend, mit Raffinement (1) od. Raffinesse (1) erdacht, ausgeführt.“

[13] DUDEN: „I. 1. [...] b) nicht besonders gebildet, geistig nicht sehr aufgeschlossen“

[14] DUDEN: „(geh., veraltend): (in bezug auf eine Handlung, Handlungsweise) so geartet, daß man darüber ent­rüstet, empört ist; unglaublich, unerhört; unverschämt“. Im WDG ist zusätzlich vermerkt „salopp abwertend“, wobei die Stilebene ‘salopp’ dem ‘gehoben’ des DUDEN widerspricht.

[15] Fremdwörter-DUDEN: „mit Lärm, Tumult o.ä. ausgeführter Unfug, Dummheiten“

[16] DUDEN: „1.a) (bildungsspr.): a) (abwertend) abgedroschen, nichtssagend, fade, platt, geistlos [...] b) ein­fach, alltäglich, gewöhnlich [...]“; Fremdwörter-DUDEN: „[in enttäuschender Weise] nichts Besonderes dar­stellend, bietend.“

[17] DUDEN: „1.a) (abwertend) Abgedroschenheit, Fadheit, Plattheit, Geistlosigkeit [...] 2. [...] b) banaler (b) Satz; Gemeinplatz“

[18] DUDEN: „[...] 4. (abwertend) ohne [gedankliche] Tiefe u. daher nichtssagend, unwesentlich, oberflächlich, banal [...]“

[19] DUDEN: „[...] 2. (abwertend) oberflächlich u. geistlos, trivial [...]“

[20] DUDEN: „(abwertend): svw. Flachheit (2)“; Flachheit: „[...] 2. (abwertend) a) Geistlosigkeit, Gedankenar­mut, geistige Oberflächlichkeit b) geistlose, oberflächliche Bemerkung, Äußerung [...]“

[21] DUDEN: „[...] 3. [...] b) plötzlich auftretender, kurz dauernder Verlust des Bewußtseins, Erinnerungsvermö­gens o.ä.“

[22] DUDEN: „a) nach Belieben herausgegriffen o.ä., irgendein ... b) nach Belieben, nach Gutdünken“

[23] Fremdwörter-DUDEN: „1. Zusammenballung, Gemisch [...]“

[24] DUDEN: „[...]3. (bildungsspr. selten) intellektuell; geistig“

[25] DUDEN: glaubwürdig: „so [geartet], daß man dem betreffenden Menschen Vertrauen entgegenbringen, der betreffenden Sache glauben schenken kann; vertrauenswürdig“

[26] Fremdwörter-DUDEN: interessant: „1. geistige Teilnahme, Aufmerksamkeit erweckend; fesselnd. [...]“ Auch hier ist gegenüber BÖHEIM (1987, 94), die für interessant als Normabweichungsadjektiv feststellt, der Kontext lege die Wertungsrichtung fest, zu bemerken, daß die Normabweichungsadjektive wie außergewöhnlich oder interessant - wenn sie nicht in Kombination, sondern alleine als Adjektive werten - immer positiv wertend sind. Für die negierten Formen gilt demgemäß das Gegenteil.

[27] DUDEN: „[...] (ugs. oft scherzh. od. abwertend): Kino“