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Das Leiden Christi in Farbe: Zur Funktion der Bühnenanweisungen im ‚Donaueschinger Passionsspiel’.
(2011)
Unter den geistlichen Spielen des späten Mittelalters zeichnet sich das ‚Donaueschinger Passionsspiel’ durch den Umfang und die Detailliertheit seiner Regieanweisungen aus. Sie ergänzen den im Dialog abgefassten Haupttext um epische Partien, die bei der Lektüre das imaginäre Bühnengeschehen illustrieren und bei einer Inszenierung in Bewegung umgesetzt werden. Gebärden und Körperhaltungen der Darsteller werden ebenso beschrieben wie ihre Ausstattung, Kostüme und Requisiten, bis hin zu farblichen Einzelheiten. Anknüpfend an die neuere Forschungsdiskussion über die Medialität geistlicher Spiele fragt die Autorin nach der spezifischen Funktion farblicher Regieanweisungen. Wie die Gattung des Spiels zwischen Textualität und Performativität, Theatralität und Ritualität changiert, kommt auch der Farbe ein eigener medialer Status zu, so die These. Die farblichen Regieanweisungen sollen Leser dazu anregen, zunächst einzelne Details, dann konkrete Bilder und schließlich das gesamte Passionsspiel zu imaginieren.
Ein spätmittelalterliches Passionsspiel als tragisch zu bezeichnen, widerspricht nicht nur den Konventionen der Fachliteratur, sondern wirkt geradezu anachronistisch. Tragik im Mittelalter könne es nicht geben, lautet die communis opinio, da das christliche Weltbild keinen Raum dafür lasse. Das vollständige Fehlen der Gattung der Tragödie scheint diese These zu bestätigen. Dennoch beruht sie nicht auf einer Auseinandersetzung mit den theoretischen Aussagen oder den literarischen Spielen der Zeit, sondern auf dem in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert dominierenden metaphysischen Tragikkonzept. Wird der Blick hingegen von der Philosophie des Tragischen wieder zu einer Poetologie der Tragödie gerichtet, können tragische Handlungsstrukturen in der Literatur des Mittelalters sichtbar werden, wie am ‚Frankfurter Passionsspiel’ von 1493 unter Berücksichtigung der Wirkung, der Handlungskonstellation und der Figurenkonzeption gezeigt wird. Compassio und Schrecken der Zuschauer, die Hamartia des Judas und der Antagonismus zwischen göttlicher und menschlicher Natur Jesu erlauben, die Passion Christi als tragisches Spiel zu verstehen.