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1. Forschungsproblem
Heterogene wie normative Orientierungsmuster im Kontext individueller Lebensverläufe bilden den Ausgangspunkt der qualitativ-empirischen Studie zur Lebensgestaltung von Frauen mit ländlich-katholischer Herkunft. Während innerhalb der pädagogischen Biographieforschung gegenwärtige Lebensführung als biographische Eigenleistung gefasst wird (vgl. Alheit, 1990), werden von der soziologischen Lebenslaufforschung vor allem Verflechtungsprozesse hervorgehoben, die den Lebenslauf offen oder verdeckt strukturieren (vgl. Born/Krüger/Lorenz-Meyer, 1996). Gegenwärtige Lebensführung ist im Kontext vervielfältigter und zugleich normativer Orientierungsmuster zu sehen.
Angesichts ländlich-religiöser Beharrungsstrukturen (vgl. Becker, 1997a/b) wie geschlechts- und generationsspezifischen Strukturierungsprozesse (vgl. Dausien, 1996; 1997) tritt das Verflechtungspotential über Struktur und Norm im Lebensverlauf zweier Frauengenerationen mit ländlicher und katholischen Herkunft verstärkt zu Tage, weshalb die hier untersuchte biographische Eigenleistung in der Auseinandersetzung mit ländlicher, intergenerativer und kirchlich-religiöser Traditionenverhaftung untersucht wird.
2. Fragestellung
In der Studie wird der Forschungsfrage nachgegangen, wie Frauen zweier Generationen mit ländlich-katholischer Herkunft ihre Lebensgestaltung im Kontext heterogener und normativer Orientierungsmuster bewerkstelligen. Dabei wird sowohl die Rolle geschlechtsspezifischer, ländlicher, intergenerativer sowie religiös konnotierter Orientierungsmuster im Kontext gegenwärtiger Lebensführung erforscht als auch nach biographischen Ressourcen gefragt.
3. Methode
Die Studie verwendet ein qualitativ-empirisches Verfahren, das auf leitfadengesteuerten Interviews beruht und in der Auswertung dem methodischen Vorgehen der `Revised Grounded Theory´ (Strauss/Corbin, 1996) folgt. Die Befragung umfasst vierzehn Frauen mit ländlicher und katholischer Herkunft zweier Generationen. Dabei wurden sieben Mutter-Tochter-Paare jeweils getrennt voneinander interviewt.
Die qualitative Erhebung individueller Lebensführung im Kontext heterogener wie normativer Orientierungsmuster wurde über Erzählungen biographischer Diskrepanzerfahrungen eingeholt. Die Konzeptualisierung biographischer Eigenleistungen im Kontext sozialer Strukturierung erfolgte mit Hilfe handlungstheoretischer und soziologischer Konzepte, die im Auswertungsprozess zur Typenbildung biographischer Organisation geführt wurden.
Die Rolle ländlich- oder religiöskonnotierter sowie geschlechtsspezifischer oder intergenerativer Orientierungsmuster wurde über die Rekonstruktion verflechtender Prozesse im Umgang mit Diskrepanzerfahrungen ermittelt.
4. Empirische Erkenntnisse
Biographische Eigenleistungen der Befragungsgruppe lassen sich in vier verschiedene Formen differenzieren (selbstbestimmt, rational, vereinfacht, zufallshaft), wobei die subjektive Einstellung zur Handlungs- oder Lösungsorientierung eine maßgebliche Rolle bei der Ausgestaltung spielt. Die ermittelten Typen unterscheiden sich über das zugrunde liegende Selbstkonzept, die subjektiv wahrgenommene Handlungskapazität sowie über verschiedene zum Tragen kommende biographische Gestaltungsmodi.
Die Rekonstruktion relevanter Orientierungsmuster ergab sowohl in Form von subjektiven Wertmaßstäben als auch über die Relevanz sozialer Beziehungen zum Teil eine strukturwirksame Rolle in den untersuchten Lebensverläufen. Ebenso nehmen vor allem geschlechtsspezifisch konnotierte Orientierungsmuster in biographischen Entscheidungssituationen mitunter eine diskrepanzbehaftete Rolle ein.
5. Einordnung in den Forschungskontext
Angesichts der ermittelten Selbstkonzepte, die biographischen Eigenleistungen zugrunde liegen, liefert die Studie empirisches Anschauungsmaterial vielfältiger und variabler Selbstbilder, von denen in der gegenwärtigen Selbstkonzeptforschung ausgegangen wird.
Darüber hinaus konnten subjektive Einstellungen zur Handlungs- und Lösungsorientierung als wesentliche Parameter biographischer Eigenleistungen für die Biographieforschung identifiziert werden.
Ebenso leisten die Ergebnisse einen Beitrag zur Diskussion biographischer Ressourcen gegenwärtiger Lebensführung. Im Umgang mit biographischen Diskrepanzerfahrungen wurden ein authentisches Selbstkonzept, die Arbeit am Selbst sowie die Fähigkeit zur diskursiven Reflexivität als biographische Ressourcen ermittelt.
Im Kontext der Geschlechterforschung weisen die vier Typen biographischer Organisation auf reproduzierende wie modifizierende Prozesse gesellschaftlicher Verhältnisse über den Lebensverlauf hin.