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Das Multiple Myelom (MM) zeichnet sich durch eine krankhafte Entartung der Plasmazellen im Knochenmark aus und gilt heute trotz zahlreicher Behandlungsfortschritte immer noch als unheilbar. Als attraktive Zielstrukturen für neue Therapiemöglichkeiten haben sich in den vergangenen Jahren „Heat-Shock“-Proteine etabliert. Diese liegen häufig überexprimiert vor und sind bei der Stabilisierung mehrerer onkogener Signalwege des MM von zentraler Bedeutung. Zunächst wurden von Pharmaunternehmen verschiedene Inhibitoren von HSP90 entwickelt, die sich in präklinischen MM-Studien als erfolgreich herausstellten, in klinischen Studien jedoch nur eine begrenzte Wirksamkeit zeigten, da eine Inhibition von HSP90 zu einer schnellen HSF-1-vermittelten Hochregulation der HSP70- Expression führt. Dies kompensiert die Inhibition von HSP90 und führt damit zu einer Abschwächung der Anti-Tumoraktivität. Eine duale Hemmung von HSP90 und des HSF-1/HSP70-Systems wird daher als vielversprechende Strategie für eine wirksame Behandlung des MM betrachtet.
Die vorliegende Arbeit, die im Rahmen der klinischen Forschergruppe 216 erstellt wurde, befasst sich daher mit der Entwicklung von Inhibitoren des HSF-1/HSP70-Systems. Hierzu wurden zwei unabhängige Strategien verfolgt. Neben einem indirekten Ansatz, der auf einer blockierten HSP70-Expression via Inhibition des HSF-1-Signalwegs beruht, stand die direkte Inhibition von HSP70 im Fokus.
Die erzielten Ergebnisse im Einzelnen:
1) In Anlehnung an den HSF-1-Inhibitor NZ28 (12) sollte untersucht werden, ob das dort enthaltene Tetrahydroisochinolin-Gerüst eine Leitstruktur für die Entwicklung von Hemmstoffen des HSF-1-Signalwegs darstellt. Hierzu wurde eine Reihe unterschiedlich substituierter Tetrahydroisochinolinon-Derivate hergestellt. Die Synthese erfolgte über eine sequenzielle Ugi-Heck-Reaktion, da hierbei drei Substituenten des Tetrahydro- isochinolin-Gerüsts hochflexibel und unabhängig voneinander variiert werden können und sich so leicht ein breites Spektrum verschiedener Tetrahydroisochinolinon-Derivate aufbauen lässt. Eine Bioaktivitätsanalyse zeigte jedoch, dass keine der so erhaltenen Verbindungen (26) die HSF-1-vermittelte HSP70-Expression zu inhibieren vermochte.
Um den Einfluss des spezifischen Substitutionsmusters der via Ugi-Heck-Reaktion erhaltenen Produkte zu untersuchen, wurde außerdem eine Auswahl der als HSP70- Inhibitoren synthetisierten Tetrahydroisochinolinone (24 und 36) im HSF-1-Assay getestet. Da auch für diese Verbindungen keine Inhibition des Signalwegs beobachtet werden konnte, besteht Grund zur Annahme, dass substituierte Tetrahydroisochinolin-Derivate nicht als Leitstruktur für die Entwicklung von HSF-1-Inhibitoren geeignet sind.
2) Im Gegensatz zu den synthetisierten Tetrahydroisochinolinonen zeigten einige der als Zwischenprodukte der Ugi-Heck-Reaktion isolierten α-Acylaminocarboxamide, die durch ein Michael-System charakterisiert sind, eine Inhibition der HSF-1-vermittelten HSP70- Expression. Zwar konnten keine eindeutigen Struktur-Wirkungsbeziehungen bezüglich einzelner Substituenten abgeleitet werden, aber es zeigte sich, dass die beobachtete Bioaktivität nicht vom enthaltenen Michael-System abhängig ist. Dem Wirkprinzip der α-Acylaminocarboxamide scheint somit keine kovalente Bindung mit nukleophilen Seitenketten von Proteinen zugrunde zu liegen, was das Potenzial unspezifischer Interaktionen reduziert.
3) Bei der Ugi-Multikomponentenreaktion wurden als Carbonsäurederivate auch β-Acyl-substituierte Acrylsäuren eingesetzt. Dabei wurde beobachtet, dass dieser Austausch zur Bildung von pharmakologisch interessanten 2,5-Diketopiperazinderivaten (35) führt. Die in nur einem Reaktionsschritt erhaltenen 2,5-DKPs zeigten eine spezifische und dosisabhängige antiproliferative Wirkung auf aktivierte T-Zellen, was sie als potenzielle Wirkstoffkandidaten für die Behandlung von unbeabsichtigten T-Zell-vermittelten Autoimmunantworten interessant macht (AG Topp).
Eine Analyse der Struktur-Wirkungsbeziehungen zeigte unter anderem eine Präferenz für trans-konfigurierte 2,5-DKPs. Die Aktivität der potentesten Verbindungen der syntheti- sierten Serie lag in derselben Größenordnung wie die der Positiv-Kontrolle 17-Dimethoxyaminoethylamino-17-demethoxygeldanamycin (17-DMAG, 4b).
4) Ausgangspunkt für die Entwicklung neuartiger HSP70-Inhibitoren war das Ergebnis eines virtuellen Screenings (AG Sotriffer), das darauf abzielte die Proteinfunktion durch eine Interaktion mit dem Interdomänen-Interface von HSP70 zu blockieren. Im ersten Schritt wurde eine diastereoselektive und hochflexible Reaktionssequenz zum virtuelle Screening-Hits (trans-24a) etabliert, mit der im zweiten Schritt eine Bibliothek verwandter Substanzen aufgebaut wurde. Gezielte strukturelle Modifikationen erlaubten dabei wesentliche Strukturelemente zu identifizieren sowie Informationen für die Generierung von Derivaten mit höherer Aktivität zu gewinnen. Die wichtigsten Erkenntnisse dabei waren:
- Ausschließlich trans-konfigurierte Tetrahydroisochinolinon-Derivate sind wirksam.
- Carboxamide (Pos. 4) sind aktiver als analoge Carbonsäuren.
- Die Methoxyfunktion am Phenylsubstituenten in Pos.3 ist für die Aktivität wichtig, dagegen führt das Entfernen der OCH3-
Gruppe am Phenylring in Pos. 2 zu einer Aktivitätssteigerung.
- Eine aliphatische MeNH-Einheit am exozyklischen Amid reduziert die Aktivität gegenüber Arylamidsubstituenten um eine Zehnerpotenz. Darüber hinaus führt ein tertiärer Dimethylcarboxamid-Rest zum vollständigen Aktivitätsverlust.
Zur Falsifizierung der postulierten Bindetasche wurden zusätzlich gezielt Derivate mit sterisch anspruchsvollen Substituenten (Tetrahydronaphthyl, Phenoxyphenyl) hergestellt, die nicht in der Lage sein sollten im berechneten Bindemodus am Interdomänen-Interface zu binden. Dabei stand das so ermittelte verfügbare Platzangebot in Einklang mit den aufgrund der Docking-Analysen getroffenen Annahmen.
Um die Enantioselektivität der Aktivität der trans-Verbindungen zu prüfen, wurde für zwei repräsentative Carboxamide (24a und 24i) eine Enantiomerentrennung mittels chiraler HPLC durchgeführt und die Enantiomere einzeln getestet. Dabei erwiesen sich die R,R-Derivate als Träger der Anti-MM-Wirksamkeit.
Zur Abschätzung der Permeabilität wurden die PSA-Werte der Carboxamide (24) berechnet. Mit Ausnahme der hydroxylsubstituierten Verbindung 24r lagen die Werte aller Derivate (24a-q) in einem Bereich von 65–88Å2, was einen akzeptablen Resorptionsanteil von 55–90% erwarten lässt. Die Bestimmung der Lipophilie der hergestellten Carboxamide mittels HPLC ergab einen logD-Bereich von 1–3, in dem Wirkstoffe einen ausgewogenen lipophilen Charakter besitzen. Die Effizienz der hergestellten Inhibitoren wurde darüber hinaus anhand der ermittelten LE- (engl. ligand efficiency) und LLE-Werte (engl. ligand lipophilic efficiency) beurteilt. Die günstigste Kombination aus LE und LLE wurde für Verbindung 24j (EC50 = 0.20 μM) ermittelt. Dieses Derivat zeichnet sich durch einen Phenylsubstituenten in Position2 des Tetrahydroisochinolin-Gerüsts, einen Methoxyphenylrest in Position3 und einen Pyrimidinsubstituenten am exozyklischen Amid aus.
Zur Beurteilung unspezifisch toxischer Effekte wurde neben der Wirksamkeit an MM-Zellen auch der Einfluss der Tetrahydroisochinolin-Derivate auf die Viabilität von mononukleären Zellen des peripheren Blutes (PBMCs) untersucht (AG Chatterjee). Während die aktivsten Carboxamide an MM-Zellen im submikromolaren Bereich wirksam waren, zeigte mit Ausnahme des phenolsubstituierten Derivats trans-24r keine der getesteten Verbindungen toxische Effekte an PBMCs (EC50 > 100 μM). Darüber hinaus legen detaillierte Westernblot-Analysen einen HSP70-spezifischen Wirkmechanismus nahe. Außerdem führte eine duale Hemmung von HSP70 und HSP90 durch gleichzeitige Inkubation mit trans-24i und NVP-AUY922 (5) zu einem additiven pro-apoptotischen Effekt bei MM-Zellen.
Aufgrund der vielversprechenden In-vitro-Ergebnisse und seiner guten Löslichkeit wurde trans-39c in vivo untersucht. Zu diesem Zweck wurden zunächst die physikochemischen Parameter pKa, logP und Löslichkeit sowie die Plasma-Proteinbindung ermittelt (in Kooperation mit AG Meinel). Auf Basis einer im Anschluss durchgeführten Pharmakokinetik-Simulation wurden zwei unterschiedliche Dosierungen gewählt. Toxizitätsuntersuchungen von trans-39c zeigten keine Hämolyseaktivität und keinen Effekt auf die Viabilität von Leber- und Nierenzellen (H. Bruhn).
Für die In-vivo-Studie wurde ein murines MM-Modell verwendet, das auf MOPC-315.BM-Luciferase+-Zellen basiert und eine nicht-invasive In-vivo-Bestimmung der Tumorentwicklung via Biolumineszenz ermöglicht (AG Beilhack). Über einen Zeitraum von zehn Tagen wurde zwei Gruppen mit jeweils fünf Tieren behandelt. Dazu wurde trans-39c (4 bzw. 40 μg) im Abstand von 12 h intraperitoneal appliziert. Alle Versuchstiere tolerierten die Behandlung und die mit einer Dosis von 40 μg therapierte Gruppe zeigte eine signifikante Reduktion des Tumorwachstums gegenüber einer unbehandelten Kontrollgruppe. Dieses Ergebnis konnte zusätzlich durch eine im Anschluss durchgeführte Ex-vivo-Untersuchung bestätigt werden, bei der die Tumorlast in verschiedenen Knochen und Geweben ermittelt wurde.
Die Tetrahydroisochinolinon-Derivate haben sich damit als ausgezeichnete Leitstruktur für die Weiterentwicklung als HSP70-Inhibitoren erwiesen und könnten in Zukunft zu einem deutlichen Fortschritt bei der Behandlung des Multiplen Myeloms beitragen.
Avemar ist ein fermentierter Weizenkeimextrakt mit einem hohen Gehalt an 2,6-Dimethoxy-1,4-benzochinonen. Der ungarische Nobelpreisträger Albert Szent-Györgyi zeigte in den 1980er Jahren für diese Benzochinone, dass sie langlebige Semichinonradikale mit starker zytotoxischer Wirkung in Gegenwart geeigneter Elektronendonoren wie Ascorbinsäure bilden. Weizenkeime stellen eine natürliche Quelle für Benzochinone dar, zudem ist eine zytotoxische Wirkung von Avemar auf Tumorzellen belegt. Ebenso wurde die supportive Wirkung von Avemar für onkologische Patienten gezeigt. In der Literatur wird die zelltoxische Wirkung von Avemar als Ergebnis des hohen Anteils an Benzochinonen diskutiert, wobei dies bislang experimentell nicht eindeutig bestätigt ist.
Die Wirkung von Avemar wurde an 12 malignen und 3 benignen Zelllinien in vitro untersucht. Dazu wurden Konzentrationen von 0,1; 1; 10 und 50 mg/mL Avemar nach einer Inkubationszeit von 24 Stunden untersucht. Der Anteil vitaler Zellen wurde mit dem Kristallviolett-Assay bestimmt. Um Aussagen zur Dauer der Avemarwirkung machen zu können, wurde ebenfalls die Vitalität der Zellen in Avemar-freiem Medium nach einer weiteren Kultivierung für 24 bzw. 48 Stunden bestimmt.
Die zytotoxische Wirkung von Benzochinonen als Rein- bzw. Referenzsubstanz und als Bestandteil von Avemar wurde miteinander verglichen. Während die Referenzsubstanz für sämtliche getesteten Zelllinien stark zytotoxisch war, wies Avemar unterschiedliche Effekte auf. Der Einfluss von Avemar auf die unter-schiedlichen Zelllinien wurde mit Hilfe der effektiven Konzentration quantifiziert. Dieser EC50-Wert ist die Konzentrationan Avemar, die nach einer Inkubation von 24 Stunden zu einem Effekt bei 50 % der Zellen führt. Eine Konzentration von 50 mg/mL Avemar war für nahezu sämtliche getesteten Zelllinien zytotoxisch, während eine Konzentration von 10 mg/mL Avemar bei 6 von 15 Zelllinien zytotoxisch, bei 8 von 15 Zelllinien zytostatisch und bei 1 von 15 Zelllinienwachstumsverzögernd wirkte. Zu den Zelllinien mit den niedrigsten EC50-Werten von unter 10 mg/mL Avemar gehören die beiden Pankreaskarzinomzelllinien ASPC-1 und BxPC-3 sowie die beiden Mammakarzinomzelllinien MDA-MB-231 und MDA-MB-468. Der zytostatische Effekt von Avemar wurde bei EC50-Werten zwischen 6 und 32 mg/mL Avemar beobachtet. Bei diesen Zellen stagnierte der Anteil vitaler Zellen in der Nachbeobachtung oder nahm kontinuierlich weiter ab. Der wachstumsverzögernde Effekt von Avemar wurde bei der Zelllinie HRT-18 mit einem EC50-Wert von 10,23 mg/mL Avemar beobachtet.
Zusätzlich zu den zwölf malignen Zelllinien wurden auch die drei benignen Zelllinien HUVEC, NHDF-p und J 774.3 untersucht. Während HUVEC und NHDF-p einen EC50-Wert von weit über 10 mg/mL aufweisen, reagieren die Zellen der murinen Makrophagenzelllinie J 774.3 mit einem EC50-Wert von 4,9 mg/mL Avemar weitaus empfindlicher auf die Inkubation mit Avemar. Die Wirkung von Avemar auf benignen Zelllinien ist somit nicht eindeutig abzuschätzen. Umso bemerkenswerter sind Daten verschiedener klinischer Studien, die bisher über keine toxischen Nebenwirkungen berichten.
Das Wirkmolekül von Benzochinonen sind Semichinonradikale bzw. reaktive Sauerstoffspezies. Um die Bildung von Semichinonradikalen auszulösen, sind Elektronendonoren wie Ascorbinsäure notwendig. Dies gilt für Benzochinone als Referenzsubstanz, nicht aber für Benzochinone in Avemar. Die zytotoxische Wirkung der Benzochinone als Referenzsubstanz wurde durch Zugabe von Katalase bzw. N-Acetylcystein nahezu vollständig aufgehoben. Katalase und N-Acetylcystein zerstören Wasserstoffperoxid, was bestätigt, dass an der zytotoxischen Wirkung von Benzochinonen Wasserstoffperoxid beteiligt ist. Für Benzochinone in Avemar wurde dies nicht beobachtet. Somit wurde erstmals gezeigt, dass Benzochinone mit großer Wahrscheinlichkeit nicht für die zytotoxische Wirkung von Avemar verantwortlich sind. Die Suche nach dem Hauptwirkmechanismus von Avemar darf deshalb als noch nicht abgeschlossen gelten.