546 Anorganische Chemie
Refine
Has Fulltext
- yes (17)
Is part of the Bibliography
- yes (17)
Year of publication
- 2016 (17) (remove)
Document Type
- Doctoral Thesis (9)
- Journal article (6)
- Preprint (2)
Keywords
- Boron (5)
- Bor (3)
- Diborane (3)
- Multiple bonds (3)
- Aromaticity (2)
- Biradicals (2)
- Cycloaddition (2)
- Heterocyclische Verbindungen (2)
- Koordinationslehre (2)
- Lewis-Addukt (2)
Institute
EU-Project number / Contract (GA) number
- 669054 (5)
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit wurde in drei Teilbereiche untergliedert. Der erste Teil beschäftigte sich mit der Untersuchung des anionischen Systems K[(OC)3M(PMe3)(SiR3)] (M = Fe, Ru, Os; R = Me, Et, Ph) und dessen Reaktivität gegenüber Dihalogenboranen. Der zweite Teil widmete sich der Untersuchung der Reaktivät des Eisenbis(borylen)komplexes 45 gegenüber verschiedenen Lewis-Basen und Lewis-Säuren. Im letzten Teil der Arbeit wurde die Insertion von Metallfragmenten der Übergangsmetalle der Gruppe 8 in die M=B-Doppelbindung des Borylenkomplexes 28 untersucht.
Durch Umsetzungen der anionischen Osmiumverbindung 64 mit Cl2BDur und Br2BDur konnten die Borylkomplexe 67 und 68 erhalten werden (SCHEMA 56). Die Untersuchungen zum sterischen Einfluss des Silylsubstituenten zeigten, dass die Osmiumkomplexe 65 und 66 mit SiEt3- bzw. SiPh3-Substituenten in die entsprechenden Borylkomplexe überführt werden können, wobei diese Spezies nicht analysenrein isoliert werden konnten.
Der Borylkomplex 68 konnte nachfolgend weder unter thermischen Bedingungen, noch unter Verwendung der Lewis-Base Pyridin bzw. des Halogenabstraktionsmittels Na[BArCl4] in einen terminalen Osmiumborylenkomplex umgewandelt werden (Schema 57).
Anfängliche Studien zur Reaktivität der anionischen Rutheniumverbindungen 81-83 gegenüber Dihalogenboranen haben sich auf den sterischen Einfluss der borgebundenen Arylsubstituenten konzentriert. Hierdurch konnte gezeigt werden, dass eine Ph-Substitution keine ausreichende Stabilisierung der entstehenden Borylkomplexe liefert. Im Gegensatz dazu erwies sich der sterische Anspruch von Duryl- und Mesitylsubsituenten als ideal für die Bildung stabiler Borylkomplexe, wohingegen die sterische Überfrachtung der Supermesityl- und Terphenylsubstituenten eine Salzeliminierungsreaktion von vornherein verhindert.
Der Einfluss des Halogensubstituenten in X2BDur (X = Cl, Br) wurde anhand der Reaktivität gegenüber 81 näher untersucht. In beiden Fällen konnten die entsprechenden Borylkomplexe 84 und 85 isoliert und charakterisiert werden. Da bei der Umsetzung mit Br2BDur auch noch weitere Produkte zu erkennen waren, wurde der sterische Einfluss des Silylsubstituenten in 82 und 83 auf die Produktverteilung bei Reaktion mit Br2BDur untersucht. Es hat sich gezeigt, dass die Wahl der Reaktionsbedingungen einen starken Einfluss auf den Reaktionsverlauf ausübt. So konnte durch regelmäßiges Entgasen der Reaktionslösung der Rutheniumborylenkomplex 86 erhalten werden, während eine thermische Reaktionsführung unter CO-Atmosphäre selektiv zu einer Silylboraneliminierung führte, dessen Produkt indirekt über die Bildung von [(OC)4Ru(PMe3)] (75) nachgewiesen werden konnte (Schema 59).
Während die Umsetzung der analogen Eisenspezies K[(OC)3Fe(PMe3)(SiEt3)] (92) mit Cl2BDur lediglich zu Zersetzung führte, konnte im Verlauf der Reaktion mit Br2BDur eine neue, sehr interessante Reaktivität beobachtet werden. Hier war die Salzeliminierungsreaktion mit einer Alkylboraneliminierung verbunden, wobei der intermediär entstehende Silylenkomplex (95) in situ zum dinuklearen, zweifach-verbrückten Bis(silylen)komplex 94 dimerisierte (SCHEMA 60). Unter photolytischen Bedingungen konnte 94 weiter in den dreifach-verbrückten Bis(silylen)komplex 96 überführt werden, welcher den ersten strukturell charaktersierten Komplex dieser Art darstellt.
In SCHEMA 61 sind alle relevanten Reaktivitäten des Systems K[(OC)3M(PMe3)(SiR3)] gegenüber X2BDur (X = Cl, Br) zusammen mit den Ergebnissen vorangegangener Arbeiten in einer Übersicht dargestellt.
Der zweite Teil dieser Arbeit beschäftigte sich mit der Reaktivität des Eisenbis(borylen)komplexes [(OC)3Fe(=BDur){=BN(SiMe3)2}] (45). Zunächst wurde 45 mit verschiedenen Lewis-Basen umgesetzt. Während die Umsetzungen mit verschiedenen NHCs (IMe, IMes, IDipp) nur zu Zersetzung führte, konnte durch die Reaktion mit cAACMe der außergewöhnliche Komplex 98 isoliert und vollständig charakterisiert werden (SCHEMA 62). Dieser stellt das erste Beispiel für eine intramolekulare Spaltung eines Carbonylliganden in einem einkernigen Komplex dar.
Anschließend wurde die Reaktivität von 45 gegenüber den Lewis-Säuren BBr3, AlBr3 und GaBr3 untersucht. Während die Umsetzung von 45 mit AlBr3 lediglich zu Zersetzung führte, konnte mit GaBr3 als Hauptprodukt Br2BDur nachgewiesen werden. In einem möglichen Reaktionsmechanismus ist die Reaktion mit einer 1,2-Addition des GaBr3 unter Bildung eines Gallylkomplexes verbunden, welcher nach Abspaltung von Br2BDur in einen instabilen Gallylenkomplex übergeht (SCHEMA 63).
Die Umsetzung von 45 mit BBr3 lieferte bei tiefen Temperaturen den zweikernigen Tris(borylen)komplex 100 (SCHEMA 64), welcher ein Analogon des wohlbekannten Fe2(CO)9 darstellt.
Das abschließende Kapitel dieser Arbeit befasste sich mit der Insertion von Metallfragmenten der Gruppe 8-Übergangsmetalle in die M=B-Doppelbindung von [(OC)5Mo=BN(SiMe3)2] (28). Während bei den Umsetzungen von 28 mit [(OC)4Fe(PMe3)] (90) und [(OC)4Ru(PMe3)] (75) die MOLPs 104 und 105 nur NMR-spektroskopisch nachgewiesen werden konnten, war die Isolierung des MOLPs 103 sowie dessen strukturelle Charakterisierung möglich (SCHEMA 65). Bemerkenswert ist hierbei, dass die Reaktion sowohl unter thermischen als auch unter photolytischen Bedingungen durchgeführt werden kann.
Room temperature hydrogenation of an SIDep-stabilized diboryne (SIDep = 1,3-bis(diethylphenyl)-4,5-dihydroimidazol-2-ylidene) and a CAAC-supported diboracumulene (CAAC = 1-(2,6- diisopropylphenyl)-3,3,5,5-tetramethylpyrrolidin-2-ylidene) provided the first selective route to the corresponding 1,2-dihydrodiborenes. DFT calculations showed an overall exothermic (ΔG = 19.4 kcal mol\(^{-1}\) two-step asynchronous H\(_2\) addition mechanism proceeding via a bridging hydride.
Treatment of an anionic dimanganaborylene complex ([{Cp(CO)\(_2\)Mn}\(_2\)B]\(^-\)) with coinage metal cations stabilized by a very weakly coordinating Lewis base (SMe\(_2\)) led to the coordination of the incoming metal and subsequent displacement of dimethylsulfide in the formation of hexametalladiborides featuring planar four-membered M\(_2\)B\(_2\) cores (M = Cu, Au) comparable to transition metal clusters constructed around four-membered rings composed solely of coinage metals. The analogies between compounds consisting of B\(_2\)M\(_2\) units and M\(_4\) (M = Cu, Au) units speak to the often overlooked metalloid nature of boron. Treatment of one of these compounds (M = Cu) with a Lewis-basic metal fragment (Pt(PCy\(_3\))\(_2\)) led to the formation of a tetrametallaboride featuring two manganese, one copper and one platinum atom, all bound to boron in a geometry not yet seen for this kind of compound. Computational examination suggests that this geometry is the result of d\(^{10}\)-d\(^{10}\) dispersion interactions between the copper and platinum fragments.
The bis(N-heterocyclic carbene)(diphenylacetylene)palladium complex Pd(ITMe)\(_2\)(PhCCPh)] (ITMe=1,3,4,5-tetramethylimidazol-2-ylidene) acts as a highly active pre-catalyst in the diboration and silaboration of azobenzenes to synthesize a series of novel functionalized hydrazines. The reactions proceed using commercially available diboranes and silaboranes under mild reaction conditions.
Die vorliegende Arbeit umfasst die Synthese, die Untersuchung von Struktur-Eigenschafts-Beziehungen und Eigenschaftsmodifikationen von Komplexen und Koordinationspolymeren basierend auf den 3d-Übergangsmetallchloriden von Mn, Fe, Co sowie Zn und N-heterozyklischen Liganden.
Durch die Kombination von mechanochemische Umsetzungen, mikrowellenassistierten Synthesen, solvensassistierten, solvothermalen und solvensfreien Reaktionen zu verschiedenen Synthesestrategien wurden 23 neue Koordinationsverbindungen synthetisiert und charakterisiert.
Ausgehend von den auf mechanochemischem Weg synthetisierten, monomeren Precursor-Komplexen [MCl2(TzH)4] (M = Mn und Fe) konnten die höhervernetzten Koordinationspolymere 1∞[FeCl(TzH)2]Cl und 1∞[MCl2(TzH)] (M = Fe und Mn) durch thermische und mikrowelleninduzierte Konversionsreaktionen als phasenreine Bulkprodukte erhalten werden. Die sukzessive Abgabe organischer Liganden und die damit verbundene Umwandlung in die höhervernetzten Spezies wurden dabei mittels temperaturabhängiger Pulverdiffraktometrie und simultanem DTA/TG-Verfahren analysiert.
Durch gezielte Variation der Lösungsmittel beim Liquid-assisted grinding, der mechanochemischen Synthese unter Zugabe einer flüssigen Phase, konnten die beiden polymorphen Koordinationspolymere α-1∞[MnCl2(BtzH)2] und β-1∞[MnCl2(BtzH)2] erhalten werden, die im monoklinen bzw. orthorhombischen Kristallsystem kristallisieren.
Solvensassistierte Umsetzungen von MnCl2 mit 1,2,4-1H-Triazol (TzH) unter Zugabe von Hilfsbasen resultierten unter anderem in der Bildung der dreidimensionalen Koordinationspolymere 3∞[MnCl(Tz)(TzH)] und 3∞{[Mn5Cl3(Tz)7(TzH)2]}2·NEt3HCl.
Die Untersuchung von Struktur-Eigenschafts-Korrelationen erfolgte systematisch an ausgewählten Verbindungen hinsichtlich ihrer dielektrischen Eigenschaften. Dabei wurden die Einflüsse intra- und intermolekularer Wechselwirkungen auf die strukturelle Rigidität und die daraus folgenden Polarisierbarkeitseigenschaften analysiert und miteinander verglichen. Die gemessenen dielektrischen Konstanten erstrecken sich von Werten im high-k-Bereich für monomere Komplexe bis hin zu den nahezu frequenzunabhängigen low-k-Werten der eindimensionalen Koordinationspolymere 1∞[MnCl2(TzH)] und 1∞[MnCl2(BtzH)2] sowie der Komplexe [ZnCl2(TzH)2] und [ZnCl2(BtzH)2]·BtzH.
Eigenschaftsmodifikationen und -optimierungen der synthetisierten Verbindungen er-folgten zum einen durch Erzeugung flexibler Kunststofffilme, in welche die eindimensionalen Koordinationspolymere 1∞[MCl2(TzH)] (M = Fe und Mn) eingebettet wurden. Zum anderen konnten in mechanochemischen Umsetzungen superparamagnetische Kompositpartikel bestehend aus einem Fe3O4/SiO2-Kern und einer kristallinen [ZnCl2(TzH)2]-Hülle erhalten werden, die in situ aus den Edukten ZnCl2 und TzH synthetisiert wurde.
Die vorliegende Arbeit stellt einen Beitrag zur Chemie Donor-stabilisierter Silylene mit Guanidinato-Liganden dar. Im Vordergrund standen die Synthese, Charakterisierung und Reaktivitäts-Untersuchungen der beiden neuartigen Silicium(II)-Komplexe 23 und 24, die sterisch unterschiedlich anspruchsvolle Ligand-Systeme besitzen. Ein weiterer Schwerpunkt betrifft die Charakterisierung daraus resultierender tetra-, penta- und hexakoordinierter Silicium(II)- bzw. Silicium(IV)-Komplexe.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden die Donor-stabilisierten trikoordinierten Silylene 23 und 24, die neutralen tetrakoordinierten Silicium(II)-Komplexe 25·C4H8O und 26, die neutralen tetrakoordinierten Silicium(IV)-Komplexe 27–36, 38, 47–49 und 51, die neutralen penta-koordinierten Silicium(II)-Komplexe 39·0.5C6H5CH3, 40–42 und 46, die neutralen pentakoordinierten Silicium(IV)-Komplexe 18, 19, 37 und 56, die kationischen penta-koordinierten Silicium(IV)-Komplexe 52 und 53 sowie die neutralen hexakoordinierten Silicium(IV)-Komplexe 20, 55·0.5C6H5CH3, 57 und 58 erstmalig dargestellt.
Die Charakterisierung dieser Verbindungen erfolgte durch Elementaranalysen (außer 33), NMR-Spektroskopie im Festkörper (15N-, 29Si-, 31P- (nur 27) und 77Se-VACP/MAS-NMR (nur 32, 35, 50 und 53) sowie 11B- (nur 39·0.5C6H5CH3), 27Al- (nur 40 und 41) und 125Te-HPDec/MAS-NMR (nur 33, 36 und 51)) und in Lösung (außer 39, 40, 52 und 53; 1H-, 13C-, 27Al- (nur 41), 29Si-, 31P- (nur 27), 77Se- (nur 32, 35 und 50) und 125Te-NMR (nur 33, 36 und 51)) sowie durch Kristallstrukturanalysen.
Synthese und Charakterisierung zweier neuartiger Donor-stabilisierter Mono- und Bis(guanidinato)silylene
Die Donor-stabilisierten Silylene 23 und 24 wurden im Sinne einer reduktiven HCl-Eliminierung durch Umsetzung des pentakoordinierten Dichlorohydrido(guanidinato)-silicium(IV)- (18) bzw. hexakoordinierten Chlorohydridobis(guanidinato)silicium(IV)-Komplexes (20) mit Kaliumbis(trimethylsilyl)amid dargestellt. Die entsprechenden Vorstufen 18 und 20 wurden durch Umsetzung von Trichlorsilan mit einem Moläquivalent Lithium-N,N´´-bis(2,6-diisopropylphenyl)-N´N´-dimethylguanidinat bzw. zwei Moläquivalenten N,N´,N´,N´´-tetraisopropylguanidinat erhalten. Jegliche Versuche, das Donor-stabilisierte Silylen 22 durch Reduktion des entsprechenden pentakoordinierten Trichloro(guanidinato)-silicium(IV)-Komplexes 19 mit Alkalimetallen zu erhalten, schlugen fehl.
Die Si-Koordinationspolyeder der pentakoordinierten Silicum(IV)-Komplexe 18 und 19 sind stark verzerrte trigonale Bipyramiden mit einem Chlor- und Stickstoff-Atom in den axialen Positionen. Das Si-Koordinationspolyeder von 20 ist ein stark verzerrter Oktaeder mit dem Chloro- und Hydrido-Liganden in cis-Stellung.
Das Silicium-Atom der beiden Silylene 23 und 24 ist verzerrt pseudotetraedrisch von drei Stickstoff-Atomen sowie dem freien Elektronenpaar als vierten „Liganden“ umgeben. Beide Verbindungen liegen sowohl im Festkörper als auch in Lösung trikoordiniert vor (ein bidentater Guanidinato- und ein monodentater Amido-/Guanidinato-Ligand). Die Trikoordination von 24 in Lösung wurde auch durch quantenchemische Rechnungen bestätigt. Im Unterschied zu 24 ist das analoge Bis(amidinato)silylen 1 im Festkörper trikoordiniert und in Lösung tetrakoordiniert.
Reaktivitätsstudien des Donor-stabilisierten Mono(guanidinato)silylens 23
Ausgehend von dem Silylen 23 wurden die tetrakoordinierten Silicium(II)-Komplexe 25 und 26, die tetrakoordinierten Silicium(IV)-Komplexe 27–36 und 38 sowie der pentakoordinierte Silicium(IV)-Komplex 37 dargestellt. Die Bildung dieser Produkte basiert auf Lewis-Säure/Base- (25, 26) bzw. oxidativen Additionsreaktionen (27–38). Mit Ausnahme der Bildung von 25, 27 und 34–36 ist das typische Reaktivitätsspektrum des Silylens 23 an zusätzliche Reaktivitätsfacetten gekoppelt: (i) eine Änderung des Koordinationsmodus von einem bidentat an ein Koordinationszentrum bindenden zu einem bidentat an zwei Koordinationsstellen bindenden Guanidinato-Liganden (26), (ii) eine 1,3-SiMe3-Verschiebung einer der beiden SiMe3-Gruppen des Amido-Liganden (28–33) oder (iii) eine nukleophile Reaktion einer der beiden Stickstoff-Ligand-Atome des Guanidinato-Liganden als Teil einer Umlagerungs-reaktion (38).
Silylen 23 reagierte mit Zink(II)chlorid und Diethylzink unter Bildung der neutralen tetrakoordinierten Silicium(II)-Verbindungen 25 (isoliert als 25·C4H8O) bzw. 26 mit einer Silicium–Zink-Bindung. Hierbei reagiert 23 mit Zink(II)chlorid und Diethylzink im Sinne einer Lewis-Säure/Base-Reaktion unter Bildung des Lewis-Säure/Base-Adduktes 25 und – nach einer zusätzlichen Umlagerung – Verbindung 26.
Die Si-Koordinationspolyeder von 25·C4H8O und 26 im Kristall sind (stark) verzerrte Tetraeder, wobei im Falle von 25·C4H8O der Guanidinato-Ligand bidentat und bei 26 monodentat an das Silicium-Atom gebunden ist.
Die tetrakoordinierten Silicium(IV)-Komplexe 27–36 und 38 sowie der pentakoordinierte Silicium(IV)-Komplex 37 wurden im Sinne einer oxidativen Additionsreaktion durch Umsetzung von 23 mit Diphenylphosphorylazid (→ 27), 2,4-Hexadiin (→ 28), 1,4-Diphenyl-butadiin (→ 29), Distickstoffmonoxid (→ 30), Diphenyldisulfid (→ 31), Diphenyldiselenid
(→ 32), Diphenylditellurid (→ 33), Schwefel (→ 34), Selen (→ 35), Tellur (→ 36), Kohlenstoffdioxid (→ 37) bzw. Kohlenstoffdisulfid (→ 38) dargestellt. Verbindung 37 konnte außerdem durch Umsetzung von 30 mit Kohlenstoffdioxid synthetisiert werden.
Die Reaktion von 23 mit Diphenylphosphorylazid verläuft unter Eliminierung von Stickstoff und Bildung von Verbindung 27 mit einer Silicium–Stickstoff-Doppelbindung, wobei 27 als ein intramolekular Donor-stabilisiertes Silaimin beschrieben werden kann.
Bei den Verbindungen 28 und 29 handelt es sich um Donor-stabilisierte Silaimine mit einer an das Silicium-Atom gebundenen dreifach substituierten Vinylgruppe. Es wird angenommen, dass 23 zunächst mit einer der beiden C–C-Dreifachbindungen der Diine in einer [2+1]-Cycloaddition zu den entsprechenden Silacyclopropenen reagiert, welche danach zu 28 bzw. 29 umlagern. Hierbei wandert jeweils eine der beiden SiMe3-Gruppen in einer 1,3-Verschiebung vom Stickstoff-Atom des Amido-Liganden zum Kohlenstoff-Atom des intermediär gebildeten Silacyclopropenringes.
Die Verbindungen 30–33 stellen die ersten thermisch stabilen Donor-stabilisierten Silaimine mit einem SiN3El-Gerüst dar (El = O, S, Se, Te). Es wird angenommen, dass bei der Reaktion von 23 mit Distickstoffmonoxid unter Eliminierung von Stickstoff, zunächst ein tetrakoordinierter Silicium(IV)-Komplex mit einer Silicium–Sauerstoff-Doppelbindung gebildet wird, der dann im Sinne einer 1,3-SiMe3-Verschiebung vom Stickstoff- zum Sauerstoff-Atom zu Verbindung 30 umlagert. Für die Bildung von 31–33 postuliert man zunächst eine homolytische El–El-Bindungsaktivierung (El = S, Se, Te) der entsprechenden Diphenyldichalcogenide (Bildung von zwei Si–ElPh-Gruppen). Die anschließende 1,3-Verschiebung einer der beiden SiMe3-Gruppen des Amido-Liganden zu einem der beiden ElPh-Liganden führt dann unter Abspaltung von Me3SiElPh zur Bildung von 31–33.
Die Reaktion von 23 mit den elementaren Chalcogenen Schwefel, Selen und Tellur verläuft ebenfalls im Sinne einer oxidativen Addition unter Bildung der Verbindungen 34–36 mit einer Silicium–Chalcogen-Doppelbindung.
Für die Bildung von 37 wird ein dreistufiger Mechanismus postuliert, wobei in einem ersten zweistufigen Schritt durch Reaktion von 23 mit einem Molekül Kohlenstoffdioxid unter Eliminierung von Kohlenstoffmonoxid zunächst Verbindung 30 als Zwischenstufe gebildet wird. Durch Addition eines zweiten Moleküls Kohlenstoffdioxid an die Silicium–Stickstoff-Doppelbindung von 30 resultiert dann der pentakoordinierte Silicium(IV)-Komplex 37 mit einem N,O-chelatisierenden Carbamato-Liganden. Der postulierte Mechanismus wird von der Tatsache gestützt, dass 37 ebenfalls durch Umsetzung von 30 mit einem Überschuss an Kohlenstoffdioxid synthetisiert werden kann.
Aus der Reaktion des Silylens 23 mit Kohlenstoffdisulfid resultiert die cyclische Verbindung 38.
Die Si-Koordinationspolyeder von 27–36 im Kristall sind stark verzerrte Tetraeder mit einem bidentaten Guanidinato-, einem Amido- (nur 27 und 34–36) bzw. Imino-Liganden (nur 28–33) sowie einer Si–El-Einfachbindung (28, 29: El = C; 30: El = O; 31: El = S; 32: El = Se; 33: El = Te) bzw. Si–El-Doppelbindung (27: El = N, 34: El = S; 35: El = Se; 36: El = Te).
Das Si-Koordinationspolyeder von 37 ist eine stark verzerrte trigonale Bipyramide, wobei sich das Sauerstoff-Atom des Carbamato-Liganden und ein Stickstoff-Atom des Guanidinato-Liganden in den axialen Positionen befinden.
Das Si-Koordinationspolyeder von 38 lässt sich als verzerrtes Tetraeder beschreiben.
Reaktivitätsstudien des Donor-stabilisierten Bis(guanidinato)silylens 24
Silylen 24 reagiert mit den Lewis-Säuren Triphenylboran, Triphenylalan und Zink(II)chlorid unter Bildung der entsprechenden pentakoordinierten Silicium(II)-Komplexe 39, 40 und 42, welche eine Silicium–Bor-, Silicium–Aluminium- bzw. Silicium–Zink-Bindung besitzen. Silylen 24 reagiert hierbei als Lewis-Base unter Ausbildung von Lewis-Säure/Base-Addukten.
Die Si-Koordinationspolyeder von 39, 40 und 42 im Kristall sind stark verzerrte trigonale Bipyramiden, wobei sich das Bor-, Aluminium- und Zink-Atom jeweils in einer äquatorialen Position befindet. Aus NMR-spektroskopischen Untersuchungen geht hervor, dass die Silicium–Zink-Verbindung 42 auch in Lösung stabil ist, während die Silicium–Bor- und Silicium–Aluminium-Verbindung 39 bzw. 40 in Lösung nicht stabil sind. Beide Komplexe dissoziieren quantitativ zu 24 und ElPh3 (El = B, Al).
Die Bis(guanidinato)silicium(II)-Komplexe 39 und 40 besitzen ähnliche Strukturen wie ihre Bis(amidinato)-Analoga 3 und 41, die jeweiligen Amidinato/Guanidinato-Analoga 3/39 bzw. 41/40 unterscheiden sich aber signifikant in ihrer chemischen Stabilität in Lösung. Da 39 und 40 in Lösung auch bei tieferer Temperatur (T = –20 °C) dissoziiert vorliegen und die entsprechenden Amidinato-Analoga 3 und 41 selbst bei höherer Temperatur (T = 70 °C) noch stabil sind, wird vermutet, dass das Bis(amidinato)silylen 1 bessere σ-Donor-Eigenschaften besitzt und somit eine stärkere Lewis-Base im Vergleich zum Bis(guanidinato)silylen 24 ist.
Des Weiteren reagiert Silylen 24 als ein Nukleophil mit den Übergangsmetallcarbonyl-verbindungen [M(CO)6] (M = Cr, Mo, W) und [Fe(CO)5] unter Bildung der entsprechenden tetrakoordinierten Silicium(II)-Komplexe 43–45 bzw. des pentakoordinierten Silicium(II)-Komplexes 46.
Die Si-Koordinationspolyeder der spirocyclischen Silicium(II)-Verbindungen 43–45 im Kristall sind stark verzerrte Tetraeder, wobei jeweils ein Guanidinato-Ligand bidentat an das Silicium-Atom bindet und der andere Guanidinato-Ligand das Silicium- mit dem Metall-Atom verbrückt. Die beiden Si-Koordinationspolyeder von 46 sind stark verzerrte trigonale Bipyramiden mit dem Eisen-Atom in einer äquatorialen Position.
Beim Vergleich der Bis(guanidinato)silicium(II)-Komplexe 43–46 mit den jeweiligen Amidinato-Analoga 4–7 fällt auf, dass sich lediglich die Eisen-Verbindungen 7 und 46 entsprechen. Die Umsetzung des Bis(amidinato)silylens 1 mit [M(CO)6] (M = Cr, Mo, W) führt dagegen im Sinne einer nukleophilen Substitution eines Carbonyl-Liganden zu den pentakoordinierten Silicium(II)-Komplexen 4–6, während die analoge Umsetzung des Bis(guanidinato)silylens 24 zur Substitution von zwei CO-Liganden führt und sich die tetrakoordinierten Silicium(II)-Verbindungen 43–45 mit einem verbrückenden Guanidinato-Liganden bilden.
Die tetrakoordinierten Silicium(IV)-Komplexe 47–51 wurden im Sinne einer oxidativen Additionsreaktion durch Umsetzung von Silylen 24 mit Azidotrimethylsilan (→ 47), Distickstoffmonoxid (→ 48), Schwefel (→ 49), Selen (→ 50) bzw. Tellur (→ 51) dargestellt. Die Bildung von 47 und 48 wird dabei von einer Stickstoff-Eliminierung begleitet.
Die Si-Koordinationspolyeder von 47–51 im Kristall sind stark verzerrte Tetraeder. Der zweikernige Komplex 48 besitzt jeweils zwei Silicium-gebundene monodentate Guanidinato-Liganden sowie einen Si2O2-Ring. Die Verbindungen 47 und 49–51 sind die ersten tetrakoordinierten Bis(guanidinato)silicium(IV)-Komplexe mit einer Silicium–Stickstoff- bzw. Silicium=Chalcogen-Doppelbindung (S, Se, Te).
Am Beispiel der Verbindungen 47–51 wird erneut die unterschiedliche Reaktivität der Amidinato/Guanidinato-analogen Silylene 1 (im Festkörper tri- und in Lösung tetrakoordiniert) und 24 (sowohl in Lösung als auch im Festkörper trikoordiniert) deutlich. Interessanterweise führen die oxidativen Additionsreaktionen der Amidinato/Guanidinato-Analoga 1 und 24 mit Azidotrimethylsilan, Distickstoffmonoxid, Schwefel, Selen und Tellur zu Produkten mit unterschiedlichen Koordinationszahlen des Silicium-Atoms. Die Verbindungen 8 und 10–12 repräsentieren hierbei pentakoordinierte Silicium(IV)-Komplexe mit zwei bidentaten Amidinato-Liganden, wohingegen es sich bei den entsprechenden Analoga 47 und 49–51 um tetrakoordinierte Silicium(IV)-Komplexe mit einem monodentaten und einem bidentaten Guanidinato-Liganden handelt. Zugleich stellt 9 einen dinuklearen pentakoordinierten Silicium(IV)-Komplex mit jeweils einem monodentaten und einem bidentaten Amidinato-Liganden dar, während der zweikernige tetrakoordinierte Komplex 48 jeweils zwei monodentate Guanidinato-Liganden trägt.
Ebenfalls im Sinne einer oxidativen Additionsreaktion wurden die kationischen penta-koordinierten Silicium(IV)-Komplexe 52 und 53 durch die Umsetzung von Silylen 24 mit Diphenyldisulfid (→ 52) bzw. Diphenyldiselenid (→ 53) dargestellt.
Die Si-Koordinationspolyeder von 52 und 53 sind stark verzerrte trigonale Bipyramiden, wobei sich das Schwefel- bzw. Selen-Atom jeweils in einer äquatorialen Position befindet. Die Reaktion des Bis(guanidinato)silylens 24 mit Diphenyldisulfid und Diphenyldiselenid verläuft formal unter heterolytischer Aktivierung einer Chalcogen–Chalcogen-Bindung und führt zur Bildung der kationischen pentakoordinierten Silicium(IV)-Komplexe 52 und 53. Im Gegensatz dazu führt die Reaktion des analogen Bis(amidinato)silylens 1 mit Diphenyldiselenid unter homolytischer Se–Se-Bindungsaktivierung zu der neutralen hexakoordinierten Silicium(IV)-Verbindung 13.
Des Weiteren wurde die Reaktivität des Silylens 24 gegenüber kleinen Molekülen untersucht. Die hexakoordinierten Silicium(IV)-Komplexe 55, 57 und 58 sowie der pentakoordinierte Silicium(IV)-Komplex 56 wurden im Sinne einer oxidativen Additionsreaktion durch Umsetzung von 24 mit einem Überschuss an Kohlenstoffdioxid (→ 55; isoliert als 55·C6H5CH3), einer äquimolaren Menge an Kohlenstoffdisulfid (→ 56), einer stöchio-metrischen Menge an Schwefeldioxid (→ 57) bzw. einem sehr großen Überschuss an Schwefeldioxid (welches auch als Solvens diente; → 58) dargestellt.
Verbindung 58 wurde als ein Cokristallisat der Isomere cis-58 und trans-58 isoliert, die sich hinsichtlich der relativen Anordnung der beiden exocyclischen Sauerstoff-Atome voneinander unterscheiden. Die Si-Koordinationspolyeder von 55·C6H5CH3, 57 und 58 im Kristall sind stark verzerrte Oktaeder. Die Sauerstoff-Ligand-Atome der bidentaten O,O´-chelatisierenden Carbonato- (55), Sulfito- (57) und Dithionito-Liganden (58) stehen jeweils in cis-Position zueinander.
Verbindung 58 ist die zweite strukturell charakterisierte Silicium-Verbindung mit einem bidentat O,O´-chelatisierenden Dithionito-Liganden, und die Verbindungen 55, 57 und 58 repräsentieren sehr seltene Beispiele für Hauptgruppenelement-Verbindungen mit einem O,O´-chelatisierenden Carbonato-, Sulfito- und Dithionito-Liganden. Der Komplex 57 und sein Amidinato-Analogon 16 repräsentieren zwei von drei Hauptgruppenelement-Verbindungen mit einem O,O´-chelatisierenden Sulfito-Liganden. Die Komplexe 55 und 58 stellen zusammen mit ihren Amidinato-Analoga 14 und 17 die einzigen bekannten Verbindungen mit einem O,O´-chelatisierenden Carbonato- bzw. nicht verbrückenden Dithionito-Liganden dar.
Die Bildung von 55, 57 und 58 ist eines der wenigen Beispiele für Reaktionen der Amidinato/Guanidinato-analogen Silylene 1 und 24, die zu Struktur-analogen Produkten führen (Amidinato/Guanidinato-Analoga 14/55, 16/57 und 17/58), während in der Mehrzahl der Fälle unterschiedliche Reaktionsprofile beobachtet wurden.
Das Si-Koordinationspolyeder von 56 ist eine stark verzerrte trigonale Bipyramide, mit dem Kohlenstoff-Ligand-Atom in einer äquatorialen Position. Der pentakoordinierte Silicium(IV)-Komplex 56 repräsentiert mit seinem über das Kohlenstoff-Atom bindenden CS22–-Liganden eine bisher einzigartige Koordinationsform in der Siliciumchemie, und die Bildung von 56 ist ein weiteres Beispiel für das unterschiedliche Reaktionsprofil der Amidinato/Guanidinato-analogen Silylene 1 und 24. Das Bis(amidinato)silylen 1 reagiert mit Kohlenstoffdisulfid zu dem hexakoordinierten Silicium(IV)-Komplex 15 mit einem S,S´-chelatisierenden Trithiocarbamato-Liganden und unterscheidet sich damit von seinem Guanidinato-Analogon sowohl in der Silicium-Koordinationszahl als auch in der Bindungsform.
Die vorliegende Arbeit stellt einen Beitrag zur Chemie höherkoordinierter Silicium(II) und Silicium(IV)-Verbindungen dar. Ein wesentlicher Teilaspekt der durchgeführten Untersuchungen betraf das Studium der Reaktivität der beiden donorstabilisierten Silylene 1 und 2.
Im Einzelnen wurden die folgenden Teilprojekte bearbeitet: Die neutrale, hexakoordinierte Silicium(IV)-Verbindung 10 und die ionische, pentakoordinierte Silicium(IV)-Verbindung 11 wurden Umsetzung von 5 (dem Chloro-Analogon von 10) mit Me3SiBr bzw. Me3SiI in Transsilylierungsreaktionen dargestellt. Die mit 10 verwandten Verbindungen 5–9 wurden bereits früher synthetisiert und im Rahmen dieser Arbeit zusammen mit 10 erstmalig bezüglich ihrer Moleküldynamik in Lösung untersucht. Die Verbindungen 5–10 zeigten in Lösung bei Raumtemperatur unterschiedlich stark ausgeprägte Dynamikphänomene, die mittels VT-NMR-Experimenten untersucht wurden.
Die neutralen, hexakoordinierten Silicium(IV)-Verbindungen 12 und 16 wurden durch sequentielle Umsetzung der entsprechenden sekundären Amine Ph2NH bzw. iPr2NH mit n-Butyllithium und Kohlenstoffdisulfid sowie anschließende Umsetzung mit Tetrachlorsilan dargestellt und als die Acetonitrilsolvate 12·MeCN bzw. 16·MeCN isoliert. Es handelt sich hierbei um die ersten hexakoordinierten Silicium(IV)-Komplexe mit einem SiS4Cl2-Gerüst.
Die neutrale, hexakoordinierte Silicium(IV)-Verbindung 17 mit einem SiN4Cl2-Gerüst wurde durch Umsetzung des Silylens 2 mit Chlor dargestellt. Im Gegensatz zu dieser oxidativen Addition schlug die Synthese von 17 durch Umsetzung von Tetrachlorsilan mit zwei Moläquivalenten des entsprechenden Lithiumguanidinats [iPrNC(NiPr2)NiPr]Li fehl: Es entstand lediglich der entsprechende pentakoordinierte Mono(guanidinato)silicium(IV)-Komplex mit drei Chloroliganden. Die Umsetzung von 1,2-Diphenylethin mit dem Silylen 1 lieferte den neutralen, hexakoordinierten Silicium(IV)-Komplex 19.
Der neutrale, pentakoordinierte Silicium(IV)-Komplex 20 wurde in einer Redoxreaktion durch Umsetzung des Silylens 2 mit Dimangandecacarbonyl dargestellt. Dabei wurde das Silicium(II)- zu einem Silicium(IV)-Fragment oxidiert und das Dimanganfragment unter Verlust von zwei Carbonylliganden reduziert. Die neutralen, tetrakoordinierten Silicium(II)-Übergangsmetallkomplexe 22, 23 und 24 (isoliert als 24·THF) konnten durch Umsetzung des Silylens 2 mit den entsprechenden Übergangsmetalldibromiden bzw. Nickel(II)-bromid–1,2-Dimethoxyethan dargestellt werden. Im Fall von Nickel gelang die Umsetzung mit dem freien NiBr2 nicht. Die Verbindungen 22 und 23 stellen paramagnetische Komplexe mit jeweils tetraedrisch koordinierte Übergangsmetallatomen dar. Das Nickelatom in Verbindung 24·THF ist dagegen quadratisch-planar koordiniert und damit diamagnetisch, wie es für d8-Metalle auch zu erwarten ist. Den drei Verbindungen 22, 23 und 24·THF gemeinsam ist der besondere Bindungsmodus einer der beiden Guanidinatoliganden, der das Siliciumatom und das Übergangsmetallatom miteinander verbrückt, was zur Ausbildung einer spirocyclischen Struktur führt. Der neutrale, pentakoordinierte Zink–Silylen-Komplex 25 wurde in einer Lewis-Säure/Base-Reaktion durch Umsetzung des Silylens 2 mit Zink(II)-bromid dargestellt und als das Solvat 25·0.5Et2O isoliert. Obwohl sich das Reaktionsprodukt wie auch bei den Verbindungen 22–24 als ein Lewis-Säure/Base-Addukt verstehen lässt, ist der Koordinationsmodus von Verbindung 25 anders: Beide Guanidinatoliganden sind bidentat an das Siliciumatom gebunden.
Die neutralen Bis(silylen)palladium(0)- bzw. Bis(silylen)platin(0)-Komplexe 28 und 29 repräsentieren die ersten homoleptischen, dikoordinierten Bis(silylen)-Komplexe dieser Metalle mit N-heterocyclischen Silylenliganden und im Fall des Platin(0)-Komplexes 29 den ersten homoleptischen, dikoordinierten Platin(0)–Silylen-Komplex überhaupt. Verbindung 28 wurde durch Umsetzung von drei Moläquivalenten des Silylens 2 mit dem Palladium(II)-Komplex [PdCl2(SMe2)2] dargestellt. Dabei reduziert ein Moläquivalent des Silylens den Palladium(II)-Komplex und wird selbst zu Verbindung 17 oxidiert und die beiden verbliebenen Moläquivalente des Silylens substituieren die Dimethylsulfidliganden am Palladiumatom. Dieselbe Synthesestrategie ließ sich jedoch nicht auf die Darstellung von Verbindung 29 übertragen. Offenbar reicht das Reduktionspotenzial des Silylens 2 hier nicht aus. Zur Darstellung von Verbindung 29 wurde zunächst der Platin(II)-Komplex [PtCl2(PiPr3)2] mit Natrium/Naphthalin reduziert und anschließend wurden die beiden Triisopropylphosphanliganden durch Silylenliganden substituiert.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden Untersuchungen zur Lewis-Basizität von Carbonylkomplexen der Gruppe 8 durchgeführt. Hierzu wurde eine Reihe von Komplexen mit GaCl3 als Lewis-Säure zu den entsprechenden Lewis-Addukten umgesetzt. Durch Analyse der experimentell ermittelten spektroskopischen und strukturellen Parameter sowie auf der Basis von Transferexperimenten wurde die relative Lewis-Basizität dieser Verbindungen zueinander bestimmt.
Durch Umsetzung von Eisenpenta-, -tetra- und -tricarbonylkomplexen mit den sterisch anspruchslosen Liganden PMe3, IMe und CNtBu mit der Lewis-Säure GaCl3 wurde eine Serie von GaCl3-Addukten dargestellt und diese durch NMR- und IR-Spektroskopie sowie Röntgenstruktur- und Elementaranalyse vollständig charakterisiert.
Während die Eisentetracarbonyladdukte 36-38 die gleiche cis-Geometrie aufweisen ist die Adduktbildung bei den Eisentricarbonylen 43-45 mit Konformationsänderungen in den Addukten 46, 48 und 49 verbunden. Hierbei zeigen die GaCl3-Addukte 46, 48 und 49 drei unterschiedliche Geometrien. Vergleicht man die Fe-Ga-Bindungslängen beziehungsweise die Winkelsummen der ClGa-Cl-Winkel, so zeichnet sich ein Trend für die Lewis-Basizität in Abhängigkeit von der Natur der σ-Donorliganden ab. Demnach weisen die IMe-substituierten Eisencarbonyle im Vergleich zu den PMe3- beziehungsweise tBuNC-substituierten Analoga die höchste Lewis-Basizität auf. Zudem konnte belegt werden, dass die Lewis-Basizität auch durch die Anzahl an σ-Donorliganden im Komplex erhöht wird.
Die schrittweise Erhöhung des sterischen Anspruchs der Liganden in den Eisencarbonylen erschwert die Adduktbildung und äußert sich auch in der trans-ständigen Anordnung der Lewis-Säure. Die Gegenwart von zwei sterisch anspruchsvollen Liganden verhindert indes die Adduktbildung mit GaCl3 und es kommt zu einer Disproportionierung der Lewis-Säure in eine kationische [GaCl2]+-Einheit, welche an das Eisenzentrum koordiniert und eine anionische [GaCl4]--Einheit, die als Gegenion fungiert.
Neben dem elektronischen und sterischen Einfluss der Liganden auf die Lewis-Basizität und die Adduktbildung in Eisencarbonylen wurde auch der Einfluss des Zentralatoms untersucht. Hierzu wurden analoge Ruthenium- und Osmiumcarbonyle dargestellt und mit der Lewis-Säure GaCl3 umgesetzt. Hierbei wurde die Ligandensphäre im Vergleich zu den Eisencarbonylen nicht verändert.
Um die M-Ga-Bindungsabstände untereinander vergleichen zu können, wurde aufgrund der unterschiedlichen Kovalenzradien der Zentralmetalle der relative Abstand (drel) herangezogen, wodurch die relativen Lewis-Basizitäten abgeschätzt werden konnten. Hierbei konnte der gleiche Trend wie bei den Eisencarbonyladdukten beobachtet werden, dass mit steigender Anzahl an σ-Donorliganden die Lewis-Basizität erhöht wird. Weiterhin liegt aufgrund der kleineren drel-Werte die Vermutung nahe, dass sowohl Ruthenium-, als auch Osmiumcarbonyle Lewis-basischer sind als die entsprechenden Eisencarbonyle.
Diese Befunde wurden weiterhin durch Transferexperimente untermauert. Hierzu wurden verschiedene GaCl3-Addukte mit Carbonylkomplexen in CD2Cl2 umgesetzt und eine eventuelle Übertragung der Lewis-Säure GaCl3 NMR-spektroskopisch verfolgt. Hierdurch konnte gezeigt werden, dass die Lewis-Säure GaCl3 jeweils erfolgreich auf die Komplexe mit der höheren Anzahl an σ-Donorliganden übertragen wird, was deren höhere Lewis-Basizität belegt. Zudem konnte bestätigt werden, dass Ruthenium- und Osmiumcarbonyle Lewis-basischer als die analogen Eisencarbonyle sind, zwischen Ruthenium und Osmium bei gleicher Ligandensphäre jedoch kaum Unterschiede in der Lewis-Basizität vorgefunden werden. Zusätzlich wurden auch ausgewählte Gruppe 8-Carbonyladdukte mit dem literaturbekannten Platinkomplex [(Cy3P)2Pt] (7) umgesetzt. Hierbei wurde in allen Fällen ein Transfer von GaCl3 auf die Platinverbindung beobachtet, welche demnach die stärkste Lewis-Base in dieser Studie darstellt.
Neben einkernigen GaCl3-Addukten wurden auch dinukleare Gruppe 8-Carbonyle dargestellt. Hierzu wurde anstelle von GaCl3 die Lewis-Säure Ag+ eingesetzt, was zur Bildung der zweikernigen Addukte 83-86 führte. Hierdurch konnte gezeigt werden, dass neben den Hauptgruppenmetallen wie Gallium auch Gruppe 8-Addukte mit Übergangsmetallen zugänglich sind.
Des Weiteren konnten die zweikernigen Komplexe 87-89 mit chelatisierenden beziehungsweise verbrückenden Liganden dargestellt und deren Reaktivität gegenüber GaCl3 untersucht werden. Der Unterschied zwischen diesen beiden Ligandenarten besteht darin, dass der M-M-Abstand bei Verwendung von chelatisierender Liganden eher gering ist, weshalb hier immer noch M-M-Wechselwirkungen möglich sind, während diese bei Verwendung eines Brückenliganden verhindert werden.
Ausgewählte Gruppe 8-Carbonyle wurden auch in Bezug auf ihre katalytische Aktivität in der Hydrosilylierung von Benzaldehyd (90) mit Phenylsilan (91) untersucht. Hierbei konnte gezeigt werden, dass NHC-substituierte Carbonylkomplexe einen höheren Umsatz ermöglichen als Phosphan- oder Isocyanid-substituierte Verbindungen. Zudem wurde deutlich, dass die analogen Ruthenium- und Osmiumcarbonyle eine wesentlich geringere Aktivität bei der Hydrosilylierung aufweisen als die Eisenanaloga, trotz einer höheren Lewis-Basizität.
Abschließend konnten Halogenidabstraktionsreaktionen exemplarisch an den GaCl3-Addukten 46, 66 und 76 durch Umsetzung mit GaCl3 demonstriert werden, wodurch die kationischen dimeren Komplexe 104-106 erhalten wurden. In diesen Komplexen sind formal zwei [(Me3P)2(OC)3M-GaCl2]+-Einheiten durch Ga-Cl-Wechselwirkungen miteinander verbrückt. Im Gegensatz dazu führte die Umsetzung von 46, 66 und 76 mit Na[BArCl4] (101) zu keiner Chloridabstraktion. Stattdessen konnte eine Verbrückung zweier GaCl3-Adduktfragmente durch zwei Natriumkationen beobachtet werden.
Ziel der vorliegenden Doktorarbeit war die Stabilisierung und Isolierung von Alkalimetall-Carbenoiden sowie die Entwicklung neuer Anwendungsgebiete dieser Verbindungen. Dabei konzentrierte sich der erste Teil auf die thermische Stabilität und die Kontrolle der Reaktivität dieser Verbindungen, während der zweite Teil die Stabilitäts-Reaktivitäts-Beziehung der Verbindungsklasse beinhaltet.
Stabilität von M/X-Carbenoiden
Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Synthese, den Eigenschaften und der Reaktivität Silyl-substituierter Carbenoide. Diese wurden durch Deprotonierung der Fluor- und Chlorvorstufen mit einer geeigneten Alkalimetall-Base zunächst in situ erzeugt (Abb. 4.1), da sie trotz stabilisierender Gruppen thermisch instabil waren und sich meist bei Temperaturen über –40 °C zersetzten. Durch die Einführung der Thiophosphoryl- und Silylgruppe konnten erstmals systematische Studien zu den Eigenschaften und Stabilitäten der Carbenoide mit unterschiedlichen M/X-Kombinationen durchgeführt werden. Hierbei gelang es neben dem Einfluss der Abgangsgruppe auch den Einfluss der unterschiedlichen Alkalimetalle zu untersuchen, welcher in der Literatur bisher nahezu unbeachtet geblieben war.
Abb. 4.1. (oben) Synthese von 52-M und 53-M; (unten) Molekülstrukturen der Carbenoide 53-Na und 53-K im Festkörper.
Durch NMR-spektroskopische Untersuchungen konnte die erfolgreiche Synthese der Fluor- bzw. Chlor-Carbenoide 52-M und 53-M (mit M = Li, Na, K) nachgewiesen werden. Diese zeigten im 31P{1H}-NMR-Spektrum nur eine geringe Verschiebung verglichen mit den protonierten Vorstufen, allerdings bestätigte das Fehlen des Signals für das Brückenwasserstoffatom im 1H-NMR-Spektrum die erfolgreiche Synthese der Verbindungen. Das Signal des carbenoiden Kohlenstoffatoms im 13C{1H}-NMR-Spektrum zeigte bei den Chlor-Carbenoiden nur eine geringe Änderung verglichen mit der protonierten Ausgangsverbindung. Die um etwa 35 Hz erhöhte 1JCP-Kopplungskonstante ließ jedoch auf einen erhöhten s-Charakter der P–C-Bindung und damit auf ein sp2-hybridisiertes Kohlenstoffatom schließen. Durch VT-NMR-Messungen konnte die thermische Instabilität der Carbenoide bestätigt und die genauen Zersetzungstemperaturen bestimmt werden. Dabei zeigte sich, dass 53-Li mit einer Zersetzungstemperatur von TD = 0 °C thermisch am instabilsten ist. Durch das Ersetzten von Lithium durch Natrium konnte die Stabilität des Carbenoids drastisch erhöht werden, was sich in einer Zersetzungstemperatur von TD = 30 °C widerspiegelt. Diese Beobachtung ist entgegen des Trends der Stabilität von einfachen Alkalimetallorganylen und hebt die Besonderheit der Alkalimetall-Carbenoide hervor. Es konnte dabei auch gezeigt werden, dass durch Kalium keine weitere Stabilisierung erzielt werden konnte. Allgemein ähneln sich die beobachteten Natrium- und Kalium-Carbenoide 53-Na und 53-K sowohl in ihrer thermischen Stabilität als auch in ihren NMR-spektroskopischen Eigenschaften. 53-Na und 53-K konnten – im Gegensatz zur Lithiumverbindung – in sehr guten Ausbeuten als gelbe Feststoffe isoliert und kristallographisch untersucht werden (Abb. 4.1). Damit stellen 53-Na und 53-K die ersten isolierten Carbenoide der schweren Alkalimetalle dar. 53-Na bildet ein Monomer, 53-K ein zentrosymmetrisches Dimer im Festkörper. Beide Carbenoide bilden sogenannte Carben-Donor-Komplexe mit einem M–Cl-Kontakt, aber keinerlei Wechselwirkung zwischen dem Metall und dem carbenoiden Kohlenstoffatom aus. Die beobachtete C1–Cl-Bindungsverlängerung um Δd = 0.05 Å (53-Na) bzw. Δd = 0.03 Å (53-K) bestätigt die erhöhte Polarisierung der C1–Cl-Bindung, was typisch für den carbenoiden Charakter ist. Durch elektrostatische Wechselwirkungen und negativer Hyperkonjugation wird die negative Ladung am carbenoiden Kohlenstoff stabilisiert, was sich in einer Verlängerung der C1–P- bzw. C1–Si-Bindung und einer Verkürzung der P–S-Bindung äußert. Die erhöhte Stabilität von 53-Na und 53-K verglichen mit der Lithiumverbindung wurde auf die erhöhte Polarität, geringere Lewis-Acidität und den erhöhten ionischen Charakter der M–C-Wechselwirkung zurückgeführt. Diese Vermutung führte zur Annahme, dass eine Manipulation der M–C-Wechselwirkung die Möglichkeit bietet, die Stabilität von Carbenoiden zu kontrollieren. Durch die Koordination starker Donorliganden wie 12-Krone-4 im Fall von Lithium bzw. 18-Krone-6 für Kalium konnten die entsprechenden Carbenoide synthetisiert und strukturell charakterisiert werden. Dabei bildeten sich durch die Koordination des Kronenethers separierte Ionenpaare im Festkörper, was zur gewünschten thermischen Stabilisierung führte. So zeigte 53-Li•(12-Krone-4)2 eine erhöhte Zersetzungstemperatur von TD = 20 °C im Vergleich zum THF-Addukt [(53-K)2•(18-Krone-6): TD = 40 °C].
Die für die Chlor-Carbenoide 53-M durchgeführten Untersuchungen wurden im Anschluss auf die Fluor-Carbenoide 52-M erweitert. Dabei belegten NMR-spektroskopische Studien die erwartungsgemäß geringere thermische Stabilität der Fluor-Systeme. Im Fall von 52-Li konnte eine Zersetzungstemperatur von TD = –70 °C bestimmt werden, während sich 52-Na und 52-K mit Zersetzungstemperaturen von TD = 10 °C (52-Na) bzw. 30 °C (52-K) – analog zu den Chlor-Carbenoiden – als thermisch deutlich stabiler erwiesen. Das carbenoide Kohlenstoffatom erfährt im 13C{1H}-NMR-Spektrum eine für Carbenoide typische Tieffeldverschiebung im Vergleich zur protonierten Vorstufe. Diese fällt im Fall von 52-Li (ΔC = 33 ppm) etwas größer aus als für 52-Na (ΔC = 32 ppm) bzw. 52-K (ΔC = 30 ppm).
Neben der Bestimmung der Zersetzungstemperatur der Carbenoide gelang es ebenfalls, die Zersetzungsprodukte der M/Cl- und M/F-Carbenoide aufzuklären und zu charakterisieren. So konnte gezeigt werden, dass sich die Chlor-Carbenoide selektiv zur sesselartigen Verbindung 57 zersetzen (Abb. 4.2). Bei den Fluor-Carbenoiden 52-M kommt es hingegen zur Bildung unterschiedlicher Verbindungen. Diese werden jedoch vermutlich alle über das Thioketon-Intermediat TK gebildet, das durch Wanderung des Schwefels der Thiophosphorylgruppe zum carbenoiden Kohlenstoffatom entsteht und durch Abfangreaktion mit Methyllithium zum lithiierten Thioether 60 nachgewiesen werden konnte. In Abhängigkeit vom Metall und Abgangsgruppe werden anschließend unterschiedliche Reaktionswege durchlaufen. Gemäß des HSAB-Konzepts erfolgt im Fall des Lithium-Carbenoids der Angriff am Schwefelatom des Thioketons, wobei die zyklische Verbindung 57 gebildet wird. Beim weicheren Kalium-Carbenoid 52-K kommt es selektiv zur Bildung des Thioenolats 65, während für 52-Na ein Gemisch aus 57 und 65 beobachtet wird.
Abb. 4.2. (oben) Zersetzungsreaktionen der M/X-Carbenoide 52-M und 53-M; (unten) Molekülstrukturen der Verbindungen 60 und 65 im Festkörper.
Die zu 52 analogen bromierten und iodierten Ausgangsverbindungen eigneten sich nicht zur Darstellung von Carbenoiden. Hier gelang es nicht durch Deprotonierung die Carbenoide zu synthetisieren.
Le Floch und Mitarbeiter konnten bereits 2007 zeigen, dass durch eine zweite stabilisierende Thiophosphorylgruppe das Li/Cl-Carbenoid 14 bis zu einer Temperatur von 60 °C keine Zersetzungsreaktionen zeigt. Basierend auf diesen Überlegungen wurden – analog zu den Silyl-substituierten Carbenoiden – der Einfluss der unterschiedlichen Alkalimetalle und Halogene auf die Eigenschaften und die Stabilität der entsprechenden Carbenoide untersucht. Zur Darstellung der Carbenoide wurden die protonierten Vorstufen 69-71 mit einem leichten Überschuss an Alkalimetallhexamethyldisilazan umgesetzt. Die Fluor-Carbenoide 69-M zeigten dabei wieder die für Carbenoide typische Tieffeldverschiebung des carbenoiden Kohlenstoff-atoms im 13C{1H}-NMR-Spektrum verglichen mit der protonierten Vorstufe. Im Fall der Chlor- und Brom-Carbenoide 70-M bzw. 71-M sind ähnliche Signalverschiebungen zu beobachten, allerdings fallen diese schwächer aus. Erneut sind starke spektroskopische Ähnlichkeiten zwischen den Natrium- und Kalium-Vertretern festzustellen, während die Lithium-Carbenoide eine gewisse Ausnahmestellung einnehmen.
Abb. 4.3. (oben) Synthese von 69-M, 70-M und 71-M; (unten) Molekülstrukturen der Bis(thiophosphoryl)-substituierten Carbenoide 69-Na•PMDTA, 70-Na und 70-K im Festkörper.
Durch VT-NMR-Messungen konnte gezeigt werden, dass alle Carbenoide bis Temperaturen von 60 °C keine Zersetzungsreaktionen eingehen. So gelang es, alle Carbenoide als gelbe Feststoffe zu isolieren. Einzig das Li/F-Carbenoid erwies sich bei Raumtemperatur als instabil und wies eine Zersetzungstemperatur von TD = 0 °C auf. Damit ist es das bis heute stabilste Li/F-Carbenoid das in der Literatur bekannt ist. Durch röntgenkristallographische Untersuchungen konnten alle Chlor- bzw. Brom-Carbenoide 70-M bzw. 71-M sturkturell charakterisiert werden. Dabei ist es gelungen, zusätzlich zu den bereits bekannten Strukturen schwerer Alkalimetall-Carbenoide, einige Metall-Halogen-Kombinationen erstmalig strukturell zu charakterisieren. Durch den Zusatz von PMDTA gelang es auch das erste Na/F-Carbenoid zu charakterisieren. Abbildung 4.3 zeigt exemplarisch einige Vertreter der neuen Strukturen. Auffällig ist dabei, dass in Abhängigkeit des Metalls ähnliche Strukturen erhalten wurden. So bilden die Kalium-Vertreter 70-K und 71-K wieder ein zentrosymmetrisches Dimer aus, während die Natrium-Vertreter 69-Na•PMDTA, 70-Na, 71-Na und 71-Li als Monomere vorliegen. Bei den beschriebenen Carbenoiden ist nur bei 69-Na•PMDTA und 70-Na die für Carbenoide typische C1–X-Bindungsverlängerung beobachtbar, was auf deren erhöhten carbenoiden Charakter im Vergleich mit den anderen Systemen schließen lässt.
Zusammenfassend lässt sich folgender allgemeiner Trend formulieren: Der carbenoide Charakter fällt in der Gruppe der Halogene von F zu I und in der Gruppe der Alkalimetalle gemäß Li > Na ≥ K. Die thermische Stabilität zeigt gleichzeitig einen inversen Trend (Abb. 4.4).
Reaktivität, carbenoider Charakter
Thermische Stabilität
Abb. 4.4. Tendenzen in den Eigenschaften von Carbenoiden.
Reaktivität und Anwendung
Nachdem die Carbenoide auf ihre Stabilitäten, NMR-spektroskopischen und strukturellen Eigenschaften untersucht wurden, stand in weiteren Studien die Reaktivität der Carbenoide im Vordergrund. Hierbei lag der Fokus vor allem auf E–H-Bindungsaktivierungsreaktionen, da es bislang nur wenige Beispiele für Carbenoide mit Hauptgruppenelementverbindungen gibt. Zunächst sollte die Reaktivität von 53-Li gegenüber Boranen untersucht werden. Hierbei kommt es zur selektiven Bildung des Lithiumborats 79 (Abb. 4.5). An das ehemalige carbenoide Kohlenstoffatom ist dabei eine BH3-Einheit und ein weiteres Wasserstoffatom gebunden. Durch theoretische und experimentelle Untersuchungen konnte der Reaktionsmechanismus zu 79 aufgeklärt werden, der als schrittweise B–H-Aktivierung beschrieben werden kann. So kommt es zunächst zur Boratbildung und anschließend zum Cl/H-Austausch mit Hilfe eines weiteren Boran-Moleküls. Dies konnte durch Deuterierungsexperimente mit BD3•THF experimentell bestätigt werden. Die Lithiumboratbildung zeigte sich dabei abhängig von der Stabilität der Lewis-Basen-Addukte, da mit den stabileren Amin- bzw. Phosphan-Boran-Addukten keine Umsetzung zu 79 beobachtet werden konnte.
Abb. 4.5. (links) B–H-Aktivierung durch Carbenoid 53-Li; (rechts) Molekülstruktur des Lithiumborats 79 im Festkörper.
Im nächsten Schritt wurde die Reaktivität gegenüber Phosphanen getestet. Dabei kam es interessanterweise nicht zu einer analogen P–H-Bindungsaktivierung, sondern vielmehr zu einer Dehydrokupplung der sekundären Arylphosphane zu den entsprechenden Diphosphanen unter Bildung der zweifach protonierten Vorstufe (Abb. 4.6). Diese Reaktion ist bisher einzigartig in der Chemie der Carbenoide und hebt deren großes Potenzial für weitere Anwendungen hervor. Das entwickelte Syntheseprotokoll stellt eine sehr selektive und effektive Methode dar, Phosphane zu Diphosphanen zu kuppeln. Es war so möglich die Diphosphane nach der Abtrennung der zweifach protonierten Vorstufe, die anschließend recycelt werden kann, in sehr guten Ausbeuten von über 90% zu isolieren. Dabei erlaubte das Syntheseprotokoll die Gegenwart funktioneller Gruppen, z.B. Methoxy-, Dimethylamino- oder Trifluoromethyl-Substitutenten. Überraschenderweise zeigten die Umsetzungen der Lithium-Carbenoide mit Chlorsubstituierten Arylphosphanen keinerlei Substitutionsreaktionen am Aromaten sondern führten ebenfalls selektiv zu den Diphosphanen. Einzig das sterisch anspruchsvolle sekundäre Arylphosphan Mes2PH oder aliphatische Phosphane wie tBu2PH oder Cy2PH eigneten sich nicht zur Dehydrokupplung. Im Fall des 3,5-Dichlorsubstiuierten Phosphans war es möglich neben dem Diphosphan das entsprechende P–H-Aktivierungsprodukt zu beobachten und in einer Ausbeute von 22% zu isolieren. Diese Aktivierung zeigte sich abhängig von der Konzentration der Reaktionslösung und konnte durch hohe Verdünnung unterdrückt werden.
Abb. 4.6. (links) Carbenoid-vermittelte Dehydrokupplung von Ar2PH; (rechts) Molekülstruktur von (p-C6H4Me)4P2 im Festkörper.
Bemerkenswerterweise zeigten quantenchemische Studien, dass die einfachen und nicht-stabilisierten Carbenoide, wie beispielsweise LiC(H)Cl2, nicht für die Dehydrokupplung von Phosphanen geeignet sind und eine ausreichende elektronische Stabilisierung für selektive Umsätze erforderlich ist. So ist zwar im Experiment für alle untersuchten Carbenoide die Diphosphan-Bildung beobachtbar, allerdings für unstabilisierte Systeme nur als Nebenreaktion. Mechanistische Studien zeigten, dass der erste Schritt der Reaktion die Deprotonierung des Phosphans und die Bildung einer Phosphid-Spezies ist. Dieser Schritt ist im Fall der stabilisierten Carbenoide bevorzugt. Bei den nicht-stabilisierten Carbenoiden stellt die Bildung des Carbens unter Salzeliminierung den ersten Reaktionsschritt dar, was im Anschluss zu unselektiven Folgereaktionen führt.
Die synthetisierten Diphosphane besitzen großes Potenzial für weitere Anwendungen, beispielsweise als Liganden in der Übergangsmetallkatalyse. Basierend auf diesen Überlegungen wurden in anfänglichen Studien die Diphosphane an Gold(I)-Fragmente koordiniert (Abb. 4.7). Es gelang dabei die Diphosphan-Bisgold-Komplexe in nahezu quantitativen Ausbeuten als farblose Feststoffe zu isolieren und mittels Multikern-NMR-Spektroskopie und hochaufgelöster Massenspektrometrie zu charakterisieren. Einzig die Chlor-substituierten Diphosphane zeigten nach der Zugabe von Gold(I) bereits Kupplungsreaktionen mit sich selbst. Röntgenkristallographische Untersuchungen zeigten, dass die beiden Gold-Zentren eine trans-Stellung zueinander einnehmen, in der keine intramolekulare Au•••Au-Wechselwirkung beobachtet werden konnte. Auch in der Kristallpackung zeigte sich, dass die Bildung der Festkörperstrukturen von C–H•••X- und π•••π-Wechselwirkungen dominiert wird. Studien zum Einsatz in der Katalyse stehen noch aus. Da die Komplexe in allen geläufigen Lösungsmitteln schwer löslich sind, besteht weiter Optimierungsbedarf, um die Löslichkeit, z.B. durch Einführung von Alkylgruppen, zu erhöhen.
Abb. 4.7. (links) Syntheseweg zu Diphosphan-Bisgold-Komplexen; (rechts) Molekülstruktur des Bisgold-Komplexes von (p-C6H4Me)4P2 im Festkörper.
Neben der einzigartigen Reaktivität Silyl-substituierter Carbenoide gegenüber element-organischen Verbindungen wie Boranen oder Phosphanen wurde auch die Reaktivität gegenüber späten Übergangsmetallkomplexen, hier exemplarisch [Pd(PPh3)4] untersucht. Ziel sollte es sein mit Carbenoiden als selektiven Carbentransferreagenzien Zugang zu Carbenkomplexen zu erhalten, die schwer über alternative Routen zugänglich sind. Bei Verwendung der Silyl-substituierten Systeme kam es dabei jedoch zunächst nicht zur selektiven Synthese des Carbenkomplexes C, sondern vielmehr zu Produktgemischen aus Thioketon-komplex T und Carbenkomplex C. Die Verhältnisse erwiesen sich jedoch als abhängig vom Metall, Halogen und der Silylgruppe des Carbenoids sowie von der Reaktionstemperatur. Tabelle 4.1 zeigt eine Übersicht. Je tiefer die Temperatur und je größer die Substituenten der Silylgruppe desto mehr Carbenkomplexbildung kann beobachtet werden. Theoretische Berechnungen der Trimethylsilyl- bzw. Triphenylsilyl-Systeme konnten die experimentellen Befunde bestätigen. Der Thioketonkomplex T stellt so das thermodynamisch stabilere Produkt dar, während der Carbenkomplex C kinetisch bevorzugt ist. Erfreulicherweise gelingt bei Verwendung der im Vergleich zum Lithiumsystem stabileren Natrium- bzw. Kalium-Carbenoide die selektive Synthese des Palladium-Carbenkomplexes C (Einträge 3 und 4). Durch die Stabilisierung des Li/Cl-Carbenoids durch Kronenether kann ebenfalls die Carbenkomplex-bildung forciert werden (Eintrag 5). Je stabiler die Carbenoide, desto selektiver wird der Carbenkomplex C gebildet. Das zeigt auch die Reaktion des sehr reaktiven Li/F-Carbenoids, das vollständig zum Thioketonkomplex T reagiert (Eintrag 11). Bei den Kalium-Carbenoiden der sterisch anspruchsloseren Silyl-Systeme tritt noch ein weiteres Reaktionsprodukt auf, das als das Ylid Y identifiziert wurde. Dieses tritt auch bei Kristallisationsversuchen des Carben-komplexes auf und wurde röntgenkristallographisch untersucht.
Tabelle 4.1. Reaktivität unterschiedlicher Silyl-substituierter Carbenoide gegenüber [Pd(PPh3)4].
Eintrag Metall Halogen Silylgruppe Temperatur Thioketon-komplex [%]a Carben-komplex [%]a Ylid [%]a
1 Li Cl SiPh3 RT 80 20 -
2 Li Cl SiPh3 –78 °C 48 52 -
3 Na Cl SiPh3 RT - >99 -
4 K Cl SiPh3 RT - >99 -
5 Li•(12-Krone-4) Cl SiPh3 RT - 93 -
6 K•(18-Krone-6) Cl SiPh3 RT - 75 25
7 K Cl SiMePh2 –40 °C - 71 29
8 K Cl SiMe2Ph –40 °C - 43 57
9 K Cl SiMe3 –10 °C 70 30 -
10 K Cl SiMe3 –40 °C 40 33 26
11 Li F SiPh3 –78 °C >99 - -
[a] Verhältnis der Produkte durch 31P{1H}-NMR-Spektroskopie bestimmt.
Trotz selektiver Synthese des Carbenkomplexes 119 erwies sich die Aufreinigung als problematisch, da das gebildete Triphenylphosphan vermutlich aufgrund der Koordination an das Metallsalz schwer abgetrennt werden konnte. Überraschenderweise zeigte sich beim Erwärmen des Gemisches auf 80 °C die Bildung einer neuen Verbindung, die als Diphosphanphosphonium-Komplex 121 identifiziert wurde. Dieser konnte mittels NMR-spektroskopischer Untersuchungen und hochauf-gelöster Massenspektrometrie charakterisiert werden. Studien zur Strukturanalyse und zur Reaktivität stehen hier allerdings noch aus.
Da der Carbenkomplex zunächst nicht selektiv dargestellt werden konnte, wurde eine alternative Syntheseroute entwickelt. Diese beinhaltete die oxidative Addition der halogenierten Liganden an das Übergangsmetall und anschließende Dehydrohalogenierung. Hierzu wurden analog Abbildung 4.9 zuerst die Palladium-Komplexe in einer oxidativen Additionsreaktion synthetisiert. Dabei gelang es sowohl unterschiedliche Halogenatome als auch unterschiedliche Silyl-Reste in der Synthese der Palladium-Komplexe zu etablieren. Die luftstabilen Verbindungen 129-134 konnten in moderaten bis guten Ausbeuten (52-91%) als gelbe Feststoffe isoliert und durch Multikern-NMR-Spektroskopie, hochaufgelöste Massen-spektrometrie und Röntgenstrukturanalyse charakterisiert werden. Sie besitzen in allen Fällen das sehr ähnliche Strukturmotiv eines nahezu quadratisch-planar koordinierten Palladium-atoms. Zur Dehydrohalogenierung wurden die Komplexe 129-134 mit verschiedenen Basen umgesetzt. Mit Hilfe der Alkalimetallhexamethyldisilazan-Basen gelang die gewünschte HX-Eliminierung, jedoch nicht unter Bildung des Carbenkomplexes, sondern biscyclo-metallierter Produkte. Beim Triphenylsilyl-substituierten System 129 konnte nach der Aufarbeitung Verbindung 135 isoliert werden, bei der ein an das Siliciumatom gebundener Phenylring metalliert wurde. Bei den Methyl-substituierten Vertretern 131 und 133 fand hingegen selektiv die Metallierung einer Methylgruppe unter Ausbildung ungewöhnlicher Palladacyclobutane statt. Dies konnte im Fall von 137 eindeutig durch Röntgenstrukturanalyse bestätigt werden (Abb. 4.9).
Abb. 4.9. (links) Syntheseweg zu den Palladium-Komplexen 129-138; (rechts) Molekülstrukturen der Palladium-Komplexe 130 und 137 im Festkörper.
Da cyclometallierte Palladium-Komplexe als effektive Katalysatoren in C–C-Knüpfungs-reaktionen eingesetzt werden, sollte auch das Potenzial der synthetisierten Komplexe getestet werden. Dabei zeigte sich, dass alle Komplexe eine höhere Aktivität als [Pd(PPh3)4] in der Suzuki-Miyaura-Kupplung von 4-Bromanisol mit Phenylboronsäure aufweisen. Aus Tabelle 4.2 wird aber auch ersichtlich, dass die zweite Cyclisierung einen negativen Effekt auf die Aktivität hat. Verbindung 129, das Produkt der einfachen oxidativen Addition, zeigte bereits nach vier Stunden nahezu vollständigen Umsatz. Dabei konnten TON's von etwa 17000 bei nahezu gleichbleibendem Umsatz erzielt werden (Eintrag 5).
Tabelle 4.2. Palladium-katalysierte Suzuki-Miyaura-Kupplung von 4-Bromanisol und Phenylboronsäure.
Eintrag Katalysator Katalysator-Ladung [mol %] Reaktionszeit [h] NMR-Ausbeute [%]a
1 [Pd(PPh3)4] 0.5 2 25
2 129 0.5 1.75 79
3 129 0.5 4 95
4 129 0.5 8 98
5 129 0.005 3 85
6 137 0.5 4 71
7 137 0.5 8 87
8 137 0.5 10 92
9 135 0.5 8 92
[a] Ausbeuten bestimmt durch NMR-Spektroskopie bezogen auf 4-Bromanisol.
Insgesamt konnten in dieser Doktorarbeit zahlreiche neue Erkenntnisse im Bereich der Carbenoidchemie erarbeitet werden. Diese lassen sich wiefolgt zusammenfassen:
• Anhand von Silyl- und Thiophosphoryl-stabilisierter Carbenoide konnte erstmals systematisch der Einfluss der M/X-Kombination auf die Stabilität und Reaktivität von Carbenoiden untersucht werden.
• Erstmals konnten Na- und K-Carbenoide isoliert und strukturell charakterisiert werden.
• Mit Hilfe der Stabilisierung konnten neue Anwendungsgebiete im Bereich der element-organischen Chemie erschlossen werden, darunter die B–H-Bindungsaktivierung am carbenoiden Kohlenstoffatom und die Kupplung von Phosphanen.
• Beim Einsatz von Carbenoiden als Carbentransferreagenzien zur Darstellung ungewöhnlicher Carbenkomplexe konnte gezeigt werden, dass Selektivitäten von zahlreichen Faktoren abhängen und beeinflusst werden können.
Mit diesen Studien konnte folglich ein Kreis von der Stabilisierung und Isolierung der normalerweise hochreaktiven Carbenoide zu deren Anwendungen geschlossen werden. Die Studien zeigen zudem das Potenzial dieser Verbindungsklasse und lassen vermuten, dass durch ein weiteres Einstellen von Stabilität und Reaktivität noch bisher unbekannte Reaktionsmuster ermöglicht werden können.
Ein Teil der hier vorliegenden Arbeit beschäftigte sich mit der Synthese und Charakterisierung neuer Boran-Addukte. Dabei wurden neben den NHCs IMe und IMeMe die Phosphane PEt3 und PMe3 als stabilisierende Lewisbasen eingesetzt. Neben dem Liganden wurde auch der borgebundene organische Rest variiert (Phenyl und n-Butyl), um deren Einfluss auf die Eigenschaften der Addukte zu untersuchen. Die NHC-stabilisierten Monoborane IMe∙B(nBu)Cl2 (99) und IMeMe∙B(Ph)Cl2 (100) konnten in guten Ausbeuten isoliert und vollständig charakterisiert werden. Zusammen mit dem bereits bekannten Addukt IMe∙B(Ph)Cl2 (98) wurden die analytischen Daten dieser drei Spezies miteinander verglichen, wobei sich die strukturellen Parameter im Festkörper stark ähneln. Die vergleichsweise lange B–CCarben-Bindungen (98: 1.621(3) Å; 99: 1.619(5) Å; 100: 1.631(3) Å) konnten hierbei als Beleg für den dativen Charakter dieser Wechselwirkungen herangezogen werden.
Auch bei den Phosphan-Boran-Addukten Et3P∙B(Ph)Cl2 (112), Et3P∙B(nBu)Cl2 (113) und Me3P∙B(Ph)Cl2 (114) wurden relativ lange dative B–P-Bindungen (112: 1.987(2) Å; 113: 1.980(2) Å; 114: 1.960(3) Å) gefunden, wobei diese in Me3P∙B(Ph)Cl2 (114) deutlich kürzer ist als bei den PEt3-Addukten 112 und 113. Da die Lewisbasizität von PMe3 geringer ist als von PEt3 konnte dieser Befund auf den geringeren sterischen Anspruch von PMe3 zurückgeführt werden.
Die reduktive Umsetzung der Phosphan-Boran-Addukte 112, 113 und 114 mit 1,2-Diphenyl-1,2-dinatriumethan (Na2[C14H12]) verlief in allen Fällen unselektiv und führte nicht zur Bildung eines Phosphan-stabilisierten Borirans. Das gleiche Ergebnis lieferte das NHC-stabilisierte Boran IMe∙B(Dur)Cl2. Im Gegensatz dazu konnten die Addukte 98, 99 und 100 mit NHC-Liganden und kleineren organischen Resten selektiv in die Borirane IMe∙B(Ph)(C14H12) (101), IMe∙B(nBu)(C14H12) (102) und IMeMe∙B(Ph)(C14H12) (103) durch Umsetzung mit Na2[C14H12] überführt werden. Hierbei wurden jene als racemische Gemische erhalten, wobei die Phenylgruppen am C2B-Dreiring ausschließlich trans zueinander orientiert sind. Die sterisch gehinderte Rotation um die B–CCarben-Bindung resultiert in einer Verbreiterung bzw. Aufspaltung der Signale des NHCs im 1H NMR-Spektrum. Die Strukturparameter der Molekülstrukturen im Festkörper von 101, 102 und 103 unterscheiden sich nur geringfügig.
Die NHC-stabilisierten Borirane 101, 102 und 103 weisen trotz der enormen Ringspannung eine erstaunlich hohe Stabilität sogar gegenüber Luft und Wasser auf. Während gegenüber [Pt(PCy3)2] keine Reaktivität beobachtet wurde, erfolgte bei Umsetzung von IMe∙B(Ph)(C14H12) (101) mit [Pt(PEt3)3] eine langsame und unvollständige C–H-Bindungsaktivierung am NHC-Rückgrat unter Bildung des Platin(II)-Komplexes 105. Aufgrund der gehinderten Rotation um die B–CCarben-Bindung wurde hierbei ein racemisches Gemisch von jeweils zwei Rotameren erhalten, welche in den NMR-Spektren in Form zweier Signalsätze zu beobachten waren. Die chemische Verschiebung des platingebundenen Hydrid-Signals bestätigt zudem eine vinylartige Natur des Boriran-Liganden mit starkem trans-Effekt. Die Konstitution von 105 im Festkörper konnte durch eine Einkristallröntgenstrukturanalyse belegt werden, wobei die geringe Qualität des Datensatzes keine Strukturdiskussion zulässt. Erwartungsgemäß ging das Boriran IMeMe∙B(Ph)(C14H12) (103) mit [Pt(PEt3)3] keine Reaktion ein, da der IMeMe-Ligand keine C–H-Einheiten im NHC-Rückgrat aufweist.
Basenfreie Borirane konnten hingegen weder durch Basenabstraktion aus dem NHC-stabilisierten Boriran 101 mit Hilfe starker Lewissäuren (PPB, B(C6F5)3, AlCl3 oder [Lu∙BCl2][AlCl4]), noch durch Reduktion einfacher Dihalogenborane mit Na2[C14H12] realisiert werden. Während die Umsetzungen mit Lewissäuren entweder mit keiner Reaktion oder mit Zersetzung verbunden waren, bestand eine Schwierigkeit des reduktiven Ansatzes in der Wahl des Lösungsmittels, in welchem das Reduktionsmittel generiert wurde. Die meisten polaren Lösungsmittel führten hierbei direkt zur Zersetzung des Borans und lediglich DME erwies sich als geeignet. Jedoch wurde bei der Umsetzung von DurBCl2 mit Na2[C14H12] in DME kein Boriran, sondern das Borolan 109 mit syndiotaktisch angeordneten Phenylgruppen gebildet. Die Molekülstruktur im Festkörper offenbarte hierbei ein planar-koordiniertes Boratom.
Ein weiterer Fokus dieser Arbeit lag auf der Synthese und Reaktivität neuer Phosphan-stabilisierter Diborene. Hierbei konnte zunächst gezeigt werden, dass das sterisch anspruchsvolle Bisphosphan dppe mit ( B(Mes)Br)2 (115) bei Raumtemperatur kein Addukt ausbildet. Bei –40 °C konnten neben freiem dppe auch ein Mono- und ein Bisaddukt im 31P NMR-Spektrum nachgewiesen werden. Im Gegensatz dazu lieferte die Umsetzung von 115 mit dmpe einen nahezu unlöslichen Feststoff, welcher sich in nachfolgenden Reduktionsversuchen als ungeeignet erwiesen hat. Deshalb wurde eine Eintopfsynthese entwickelt, mit der 115 mit KC8 in Gegenwart der jeweiligen Bisphosphane zu den cis-konfigurierten Diborenen (=BMes)2∙dmpe (123), (=BMes)2∙dmpm (126) und (=BMes)2∙dppm (127) umgesetzt werden konnte. Ebenfalls konnte ( B(Mes)Cl)2 (124) selektiv zum Diboren 123 reduziert werden, wobei kein signifikanter Unterschied in Selektivität oder Reaktionszeit beobachtet wurde. Das trans-konfigurierte Diboren (=B(Mes)∙PMe3)2 (122) wurde hingegen durch Reduktion des einfach-stabilisierten Diborans ( B(Mes)Br)2∙PMe3 (119) dargestellt. Anhand der Molekülstrukturen von 122, 123, 126 und 127 im Festkörper konnten die Abstände der B=B-Doppelbindungen (1.55(2)-1.593(2) Å) ermittelt werden. Dabei sind die Boratome nahezu planar von ihren Substituenten umgeben. Durch Analyse der P1–B1–B2-Winkel konnte zudem gezeigt werden, dass das trans-konfigurierte Diboren (=B(Mes)∙PMe3)2 (122) (116.6(3)°) und das cis-konfigurierte Diboren (=BMes)2∙dmpe (123) (118.7(1)°) nahezu ungespannte Spezies darstellen, wohingegen die Fünfring-Systeme (=BMes)2∙dmpm (126) (110.6(2)°) und (=BMes)2∙dppm (127) (110.4(1)°) eine signifikante Ringspannung aufweisen. Mit Hilfe von NMR-Spektroskopie, Cyclovoltammetrie, DFT-Rechnungen und UV-Vis-Spektroskopie konnte der Einfluss der Konfiguration, der Ringgröße und der Lewisbase auf die elektronischen Eigenschaften des Diborensystems untersucht werden.
Hierbei wurde bei nahezu allen Parametern eine Tendenz in der Reihenfolge 122, 123, 126 zu 127 beobachtet. 127 nimmt aufgrund der phosphorgebundenen Phenyl-Substituenten eine gesonderte Rolle im Hinblick auf den HOMO-LUMO-Abstand ein, und es wurde für dieses Diboren erstmals eine Reduktionswelle im Cyclovoltammogramm beobachtet. Einige NMR-Signale der Diborene 122, 123, 126 und 127 wurden aufgrund des Spinsystems höherer Ordnung als virtuelle Signale detektiert, bei denen bei geeigneter Auflösung bzw. Signalüberlappung nur die Summe an Kopplungskonstanten ausgewertet werden konnte. Das HOMO ist bei allen Diborenen auf die B–B-Bindung lokalisiert und weist -Charakter auf.
Versuche, analoge Diborene mit den Lewisbasen dppe, dppbe, dmpbe, (-PR2)2 (R = p MeOC6H4) oder HP(o-Tol)2 zu realisieren und vollständig zu charakterisieren, schlugen fehl. Lediglich die Diborene (=BMes)2∙dppe (132) und (=BMes)2∙dppbe (133) konnten spektroskopisch nachgewiesen werden.
Auch durch reduktive Kupplung von Monoboranen mit chelatisierenden Phosphanen wurde versucht, Diborene darzustellen. Hierzu wurde zunächst die Adduktbildung von Monoboranen und Bisphosphanen untersucht. Während mit dppm kein Addukt nachgewiesen werden konnte, lieferte die Umsetzung von dmpe mit MesBBr2 das Bisaddukt 148.
Als Nebenprodukt dieser Reaktion wurde jedoch auch das Boreniumkation 149 beobachtet, welches sich nicht zur reduktiven Kupplung zum Diboren 123 eignet. Auch bei der Umsetzung von MesBCl2 mit dmpe wurde neben dem Bisaddukt 151 eine zu 149 analoge Spezies gebildet. Die nachfolgende Reduktion von 148 mit KC8 in Benzol war mit der Bildung des Diborens (=BMes)2∙dmpe (123) verbunden, welches allerdings nicht isoliert werden konnte. Auch die Variation des Lösungsmittels, des Reduktionsmittels, der Zugabe, des organischen Restes und der Lewisbase ermöglichte keine selektivere Umsetzung bzw. eine Isolierung des Diborens. Im Gegensatz dazu konnte das Diboren 123 durch reduktive Kupplung des Bisadduktes 151 mit KC8 in Benzol dargestellt und isoliert werden. Im Vergleich zur Synthese von 123 durch Reduktion von ( B(Mes)Br)2 (115) benötigt dieser Ansatz jedoch deutlich längere Reaktionszeiten (zwanzig Tage statt einen Tag) und lieferte schlechtere Ausbeuten (31 % statt 54 %).
Durch Umsetzung mit Wasser konnte (=B(Mes)∙PMe3)2 (122) selektiv in das Hydrolyseprodukt 154 überführt werden. Dieses Produkt konnte, aufgrund geringer Spuren Wasser im Reaktionsgemisch, ebenfalls durch freeze-pump-thaw Zyklen einer Lösung von 122 erhalten werden. Die Identität von 154 als gemischtes sp2-sp3-Diboran konnte mit Hilfe von NMR-Spektroskopie eindeutig erklärt werden.
Zusätzlich konnten zwei weitere mögliche Zersetzungsprodukte durch Einkristallröntgen-strukturanalysen als ( B(Mes)(H)∙PMe3)2 (156) und MesB(OH)2 (155) identifiziert werden.
Die Versuche die Liganden der Diborene (=B(Mes)∙PMe3)2 (122) und (=BMes)∙dppm (127) durch Mono- oder Bisphosphane bzw. IMe auszutauschen verlief nur für 122 mit IMe erfolgreich zum Diboren (=B(Mes)∙IMe)2 (49).
Auch Cycloadditionsreaktionen unter Beteiligung der B=B-Doppelbindung wurden im Detail untersucht. Es hat sich jedoch gezeigt, dass weder eine [4+2]-Cycloaddition von Isopren (mit 122) oder Cyclopentadien (mit 122 oder 123), noch eine [2+2]-Cycloaddition von Acetylen (mit 127), 2-Butin (mit 123 oder 127), Bis(trimethylsilyl)acetylen (mit 122), Di-tert-butyliminoboran (mit 122), Acetonitril (mit 122), Cyclohexen (mit 122), Aceton (mit 127) oder Methacrolein (mit 123 oder 127), sowie eine [2+1]-Cycloaddition von Kohlenstoffmonoxid (mit 123 oder 127) oder Ethylisonitril (mit 127), noch eine [3+2]-Cycloaddition von Trimethylsilylazid (mit 123 oder 127) möglich ist.
Lediglich mit 2-Butin konnte eine selektive Reaktion von (=B(Mes)PMe3)2 (122) zum Phosphan-stabilisierten 1,3-Diboreten 157 herbei geführt werden.
Diese ungewöhnliche Reaktion beinhaltet formal die Spaltung der C≡C-Dreifachbindung, wobei als möglicher Reaktionsmechanismus eine [2+2]-Cycloaddition zum 1,2-Diboreten mit nachfolgender Isomerisierung zum 1,3-Derivat 157 postuliert werden konnte. DFT-Rechnungen an 157 zufolge besitzt das HOMO artigen Charakter und ist über die beiden Boratome und die CMe-Einheit delokalisiert. Demnach konnte 157 als homoaromatisches System mit zwei Elektronen identifiziert werden, was durch die negativen NICS-Werte (NICS(0) = –20.62; NICS(1) = –6.27; NICS(1)` = –14.59) und den unterschiedlich langen B–C-Bindungen des Vierrings in der Molekülstruktur im Festkörper (B–C1: 1.465(4) bzw. 1.486(4) Å; B–C3: 1.666(4) bzw. 1.630(4) Å) weiter bestätigt wurde. Eine Einkristallröntgen-strukturanalyse belegte zudem eine Butterfly-Struktur des 1,3-Diboretens 157 mit einem Kippwinkel = 34.4°. Die Bindung zwischen Phosphoratom und dem Kohlenstoffatom im Vierring liegt mit 1.759(2) Å im Bereich einer dativen Bindung.
Durch Basenabstraktion mit PPB konnte das stabilisierte Diboreten 157 in das basenfreie 1,3-Diboreten 164 überführt werden, welches jedoch nicht isoliert werden konnte. Die NMR-spektroskopischen Parameter von 164 belegen hingegen eindeutig dessen Natur.
Neben Cycloadditionsreaktionen wurde auch das Redoxverhalten des Diborens (=BMes)2∙dppm (127) untersucht. So verlief die Umsetzung von 127 mit Iod hochselektiv zu einer in Lösung vermutlich diamagnetischen Spezies (NMR-aktiv/ESR-inaktiv). Durch Bestimmung der Molekülstruktur im Festkörper stellte sich jedoch heraus, dass diese Umsetzung zu einer Oxidation der elektronenreichen B=B-Doppelbindung unter Bildung des Radikalkations 166 führte (B–B: 1.633(3) Å). Somit wurde eine signifikante Diskrepanz zwischen kristallographischen und spektroskopischen Befunden beobachtet, weshalb die Natur des Reaktionsproduktes in Lösung nicht eindeutig ermittelt werden konnte.
Aus diesem Grund wurde (=BMes)2∙dppm (127) auch mit dem Einelektronenoxidationsmittel [Cp2Fe][PF6] umgesetzt und ESR-spektroskopisch analysiert. Hierbei konnte im ESR-Spektrum das typische 1:2:1-Triplett bei giso = 2.0023 mit A(31P) = 21 G (58 MHz) für ein derartiges Radikalkation detektiert werden.
Die Reduktion von 127 mit Lithium und Natriumnaphthalid lieferte entweder keinen Umsatz (Lithium) oder eine unselektive Zersetzung des Diborens (Natriumnaphthalid). Die Umsetzung mit KC8 verlief jedoch äußerst selektiv zu einer neuen borhaltigen Spezies (11B: = 22.4 ppm; 31P: = 18.6 ppm), welche sich in Anwesenheit des Reduktionsmittels jedoch als nicht stabil erwies und somit nicht isoliert werden konnte. Auch der Versuch durch einen Kationenaustausch mit Li[BArCl4] ein stabileres Produkt zu erhalten schlug fehl.
Im Gegensatz dazu führte die Umsetzung der Diborene (=B(Mes)∙PMe3)2 (122) und (=BMes)2∙dppm (127) mit Cu(I)Cl zur Bildung der Kupferkomplexe 167 und 168, deren Molekülstrukturen im Festkörper vergleichbar zu dem analogen NHC-stabilisierten Kupferkomplex 63 sind (B–B: 1.626(3) Å (167); 1.628(3) Å (168); 1.633(4) Å (63)). Beide Spezies zeigen hierbei erwartungsgemäß ein interessantes photophysikalisches Verhalten, wobei dieses lösungsmittelunabhängig ist und Fluoreszenzprozesse für die Emission verantwortlich sind.
Durch analoge Umsetzung von 127 mit Ag(I)Cl konnte der entsprechende Silberkomplex 169 generiert und NMR-spektroskopisch nachgewiesen werden (11B: = 26.7 ppm; 31P: = 5.4 ppm). 169 erwies sich jedoch als nicht stabil und zersetzte sich im Verlauf der Aufarbeitung zu der bekannten tetranukleare Silberverbindung 170.
Im Rahmen der Reaktivitätsstudien wurden die Diborene 122, 123 und 127 auch noch mit einer Reihe weiterer Reagenzien wie Catecholboran (mit 122 oder 127), THF∙BH3 (mit 127), Brom (mit 127), Iodchlorid (mit 123), ZnCl2 (mit 127), GaCl3 (mit 127), Na[BArF4] (mit 122), ( SPh)2 (mit 127), HCl (127), Wasserstoff (mit 122), Natriumhydrid (mit 127) und Methanol (mit 127) versetzt. Hierbei konnte entweder keine Reaktion oder Zersetzung beobachtet werden. Lediglich bei der Umsetzung von 127 mit Methanol konnte das Zersetzungsprodukt Mesityldimethoxyboran (171) eindeutig charakterisiert werden.