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Im gleichen Maße wie informatisches Wissen mehr und mehr in den wissenschaftlichen Alltag aller Lebenswissenschaften Einzug gehalten hat, hat sich der Schwerpunkt bioinformatischer Forschung in stärker mathematisch und informatisch-orientierte Themengebiete verschoben. Bioinformatik heute ist mehr als die computergestützte Verarbeitung großer Mengen an biologischen Daten, sondern hat einen entscheidenden Fokus auf der Modellierung komplexer biologischer Systeme. Zur Anwendung kommen hierbei insbesondere Theorien aus dem Bereich der Stochastik und Statistik, des maschinellen Lernens und der theoretischen Informatik. In der vorliegenden Dissertation beschreibe ich in Fallstudien die systematische Modellierung biologischer Systeme aus einem informatisch - mathematischen Standpunkt unter Anwendung von Verfahren aus den genannten Teilbereichen und auf unterschiedlichen Ebenen biologischer Abstraktion. Ausgehend von der Sequenzinformation über Transkriptom, Metabolom und deren regulatorischer Interaktion hin zur Modellierung von Populationseffekten werden hierbei aktuelle biologische Fragestellungen mit mathematisch - informatischen Modellen und einer Vielzahl experimenteller Daten kombiniert. Ein besonderer Augenmerk liegt dabei auf dem Vorgang der Modellierung und des Modellbegriffs als solchem im Rahmen moderner bioinformatischer Forschung. Im Detail umfassen die Projekte (mehrere Publikationen) die Entwicklung eines neuen Ansatzes zur Einbettung und Visualisierung von Multiplen Sequenz- und Sequenz-Strukturalignments, illustriert am Beispiel eines Hemagglutininalignments unterschiedlicher H5N1 Varianten, sowie die Modellierung des Transkriptoms von A. thaliana, bei welchem mit Hilfe einer kernelisierten nicht-parametrischen Metaanalyse neue, an der Infektionsabwehr beteiligten, Gene ausfindig gemacht werden konnten. Desweiteren ist uns mit Hilfe unserer Software YANAsquare eine detaillierte Untersuchung des Metabolismus von L. monocytogenes unter Aktivierung des Transkriptionsfaktors prfA gelungen, dessen Vorhersagen durch experimentelle 13C Isotopologstudien belegt werden konnten. In einem Anschlußprojekt war der Zusammenhang zwischen Regulation des Metabolismus durch Regulation der Genexpression und der Fluxverteilung des metabolischen Steady- State-Netzwerks das Ziel. Die Modellierung eines komplexen organismischen Phänotyps, der Zellgrößenentwicklung der Diatomee Pseudo-nitzschia delicatissima, schließt die Untersuchungen ab.
Thrombozyten (Blutplättchen) sind die Vermittler der zellulären Hämostase. Ihre Fähigkeit zu Aggregieren und sich an das umgebende Gewebe verletzter Blutgefässe anzulagern, wird durch ein komplexes intrazelluläres Signaltransduktionsnetzwerk bestimmt, das sowohl aktivierende, als auch inhibierende Subnetzwerke beinhaltet. Das Verständnis dieser Prozesse ist von hoher medizinischer Bedeutung. Im Rahmen dieser Arbeit wurde die thrombozytäre Signaltransduktion sowohl mittels eines Boole'schen, als auch verschiedener dynamischer Modelle analysiert. Die Boole'sche Modellierung führte zu interessanten Erkenntnissen über das Zusammenwirken einzelner Subnetzwerke bei der Vermittlung irreversibler Plättchenaktivierung und zeigte Mechanismen der Interaktion mit dem hemmenden Prostaglandinsystem auf. Das Modell beinhaltet unter Anderem wichtige Systemkomponenten wie Calciumsignalgebung, Aktivierung von Schlüsselkinasen wie Src und PKC, Integrin-vermitteltes outside-in sowie inside-out Signalgebung und autokrine ADP- und Thromboxan-Produktion. Unter Verwendung dieses Boole'schen Ansatzes wurde weiterhin das System-eigene Schwellenwertverhalten analysiert. Dabei stellte sich eine umgekehrt proportionale Abhängigkeit des relativen aktivierenden Reizes, der notwendig ist um den Schwellenwert zu überschreiten, vom absoluten hemmenden Input heraus. Das System adaptiert demnach an höhere Prostaglandinkonzentrationen durch eine Erhöhung der Sensitivität für Aktivatoren wie dem van-Willebrandt-Faktor und Kollagen, und ermöglicht somit auch unter lokal hemmenden Bedingungen eine Plättchen-vermittelte Hämostase. Der nächste Schritt bestand in der Implementierung eines Differentialgleichungs-basierten Modells der thrombozytären Prostaglandin-Signaltransduktion, um einen detaillierten Überblick über die Dynamik des inhibierenden Netzwerkteils zu erhalten. Die kinetischen Parameter dieses Modells wurden teilweise der Literatur entnommen. Der andere Teil wurde anhand einer umfassenden Kombination dosis- und zeitabhängiger cAMP und phospho-VASP Messdaten geschätzt. Der Prozess beinhaltete mehrere Iterationen aus Modellvorhersagen einerseits und experimentellem Design andererseits. Das Modell liefert die quantitativen Effekte der Prostaglandinrezeptoren IP, DP1, EP3 und EP4 und des ADP-Rezeptors P2Y12 auf die zugrunde liegende Signalkaskade. EP4 zeigt den stärksten Effekt in der aktivierenden Fraktion, wohingegen EP3 einen stärkeren inhibitorischen Effekt ausübt, als der durch Clopidogrel hemmbare ADP-Rezeptor P2Y12. Weiterhin wurden die Eigenschaften des negativen feedback-loops der PKA auf den cAMP-Spiegel untersucht, und eine direkte Beeinflussung der Adenylatzyklase durch die PKA festgestellt, in Form einer Reduzierung der maximalen katalytischen Geschwindigkeit. Die Identifizierbarkeit der geschätzten Parameter wurde mittels profile-Likelihood-Schätzung untersucht. In einem dritten Schritt wurde ein sowohl die aktivierenden, als auch die hemmenden Netzwerkteile umfassendes dynamisches Modell implementiert. Die Topologie dieses Modells wurde in Anlehnung an die des Boole'schen Modells auf der Basis von a priori Wissen festgelegt. Die Modellparameter wurden anhand von Western-Blot, Calcium- und Aggregationsmessungen geschätzt. Auch hier wurde die Identifizierbarkeit der Modellparameter durch profile-likelihood-Schätzung überprüft. Die bei niedrigen Ligandenkonzentrationen auftretende Reversibilität der Plättchen-Aggregation konnte mittels dieses Modells reproduziert werden. Jedoch zeigte sich bei mittleren ADP-Konzentrationen ein Fließgleichgewicht in einem teilweise aktivierten Zustand, und damit kein bistabiles Schwellenwertverhalten. Inwiefern dieses Verhalten durch einen Umgebungs-basierteren Mechanismus des Alles-Oder-Nichts-Verhaltens begründet wird, bei dem der Übergang von reversibler zu irreversibler Aggregation mehr durch parakrine Effekte des gesammten Thrombus bestimmt wird, als durch spezifische Signaltransduktionseigenschaften der einzelnen Zelle, müssen zukünftige Experimente zeigen. Insgesamt geben die erstellten Modelle interessante Einblicke in die Funktionsweise der Thrombozyten und ermöglichen die Simulation von pharmakologischen und genetischen Einflüssen, wie Rezeptormodulationen und knock-outs. Sie geben damit Implikationen zur Entstehung und Behandlung pathophysiologischer Zustände, und wertvolle Denkanstöße für die weitere Forschung.
Verbleibende Unsicherheiten im Kohlenstoffhaushalt in Ökosystemen der hohen nördlichen Breiten können teilweise auf die Schwierigkeiten bei der Erfassung der räumlich und zeitlich hoch variablen Methanemissionsraten von Permafrostböden zurückgeführt werden. Methan ist ein global abundantes atmosphärisches Spurengas, welches signifikant zur Erwärmung der Atmosphäre beiträgt. Aufgrund der hohen Sensibilität des arktischen Bodenkohlenstoffreservoirs sowie der großen von Permafrost unterlagerten Landflächen sind arktische Gebiete am kritischsten von einem globalen Klimawandel betroffen. Diese Dissertation adressiert den Bedarf an Modellierungsansätzen für die Bestimmung der Quellstärke nordsibirischer permafrostbeeinflusster Ökosysteme der nassen polygonalen Tundra mit Hinblick auf die Methanemissionen auf regionalem Maßstab. Die Arbeit präsentiert eine methodische Struktur in welcher zwei prozessbasierte Modelle herangezogen werden, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen den Kompartimenten Pedosphäre, Biosphäre und Atmosphäre, welche zu Methanemissionen aus Permafrostböden führen, zu erfassen. Es wird ein Upscaling der Gesamtmethanflüsse auf ein größeres, von Permafrost unterlagertes Untersuchungsgebiet auf Basis eines prozessbasierten Modells durchgeführt. Das prozessbasierte Vegetationsmodell Biosphere Energy Hydrology Transfer Model (BETHY/DLR) wird für die Berechnung der Nettoprimärproduktion (NPP) arktischer Tundravegetation herangezogen. Die NPP ist ein Maß für die Substratverfügbarkeit der Methanproduktion und daher ein wichtiger Eingangsparameter für das zweite Modell: Das prozessbasierte Methanemissionsmodell wird anschließend verwendet, um die Methanflüsse einer gegebenen Bodensäule explizit zu berechnen. Dabei werden die Prozesse der Methanogenese, Methanotrophie sowie drei verschiedene Transportmechanismen – molekulare Diffusion, Gasblasenbildung und pflanzengebundener Transport durch vaskuläre Pflanzen – berücksichtigt. Das Methanemissionsmodell ist für Permafrostbedingungen modifiziert, indem das tägliche Auftauen des Permafrostbodens in der kurzen arktischen Vegetationsperiode berücksichtigt wird. Der Modellantrieb besteht aus meteorologischen Datensätzen des European Center for Medium-Range Weather Forecasts (ECMWF). Die Eingangsdatensätze werden mit Hilfe von in situ Messdaten validiert. Zusätzliche Eingangsdaten für beide Modelle werden aus Fernerkundungsdaten abgeleitet, welche mit Feldspektralmessungen validiert werden. Eine modifizierte Landklassifikation auf der Basis von Landsat-7 Enhanced Thematic Mapper Plus (ETM+) Daten wird für die Ableitung von Informationen zu Feuchtgebietsverteilung und Vegetationsbedeckung herangezogen. Zeitserien der Auftautiefe werden zur Beschreibung des Auftauens bzw. Rückfrierens des Bodens verwendet. Diese Faktoren sind die Haupteinflussgrößen für die Modellierung von Methanemissionen aus permafrostbeeinflussten Tundraökosystemen. Die vorgestellten Modellergebnisse werden mittels Eddy-Kovarianz-Messungen der Methanflüsse validiert, welche während der Vegetationsperioden der Jahre 2003-2006 im südlichen Teil des Lena Deltas (72°N, 126°E) vom Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) durchgeführt wurden. Das Untersuchungsgebiet Lena Delta liegt an der Laptewsee in Nordostsibirien und ist durch Ökosysteme der arktischen nassen polygonalen Tundra sowie kalten kontinuierlichen Permafrost charakterisiert. Zeitlich integrierte Werte der modellierten Methanflüsse sowie der in situ Messungen zeigen gute Übereinstimmungen und weisen auf eine leichte Modellunterschätzung von etwa 10%.