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Zum Zusammenhang von Staatlichkeit und lokalen Selbstregelungen: Einige theoretische Überlegungen
(2020)
Dieses Working Paper widmet sich dem Zusammenhang von Staatlichkeit und lokalen Selbstregelungen. Mittels eines deduktiven Zugangs werden verschiedene theoretische Szenarien dieses Zusammenhangs durchgespielt. Hierbei handelt es sich neben den generellen Zusammenhängen der beiden Regelungsformen um den Umfang der Regelungen, die Beziehungsformen zwischen den Regelungsvarianten, den Voraussetzungen zur Implementierung von Regelungen sowie der Verknüpfung der Regelungsformen mit dem Konzept der Staatlichkeit.
Die Studie erweitert das Forschungsfeld um drei wesentliche Erkenntnisse: Erstens, dass es neben dem postulierten negativen Zusammenhang von staatlichen Regulierungen und lokalen Selbstregelungen noch weitere hypothetisch anzunehmende Zusammenhänge geben kann. Zweitens, dass neben staatlicher Regulierung und lokalen Selbstregelungen auch regelungsfreie Regelungsbedarfe existieren und stärker in den Blick genommen werden sollten. Drittens, dass der Grad der Staatlichkeit unabhängig vom Ausmaß staatlicher Regulierung betrachtet werden sollte.
Der Nucleus von Staatlichkeit liegt auf der lokalen Ebene, im Dorf, im Viertel, in der Nachbarschaft. Hier entwickelt eine Gemeinschaft jenseits der Familie zuerst kollektive Regeln, die ihren Fortbestand sichern sollen. Meist ist aber nicht nur diese Regelungsebene vorhanden. Über ihr stehen überlokale Herrschaftsformationen – von regionalen Verbünden bis zum Imperium –, welche die Ordnungsangebote vor Ort ergänzen oder mit ihnen konkurrieren. Örtliche Selbstregelungen sind, so die Prämisse dieser Forschungsgruppe, dann besonders vielfältig und ausgeprägt, wenn überlokale Staatlichkeit im Modus der schwachen Durchdringung existiert. Wie lokale Selbstregelungen in diesem Kontext funktionieren, ist unsere zentrale Forschungsfrage. Wir untersuchen die Relationen zu den staatlichen Ebenen wie zu anderen lokalen Gruppen in ihrem zeitlichen Verlauf, wir analysieren die Reichweite und die räumliche Bedingtheit von Selbstregelungen, fragen nach ihrer Legitimierung sowie nach der Interdependenz zu Organisation und kollektiver Identität der sie tragenden Gruppen; schließlich wenden wir uns der Bedeutung der Selbstregelungen für die Ordnungsform der schwachen Staatlichkeit zu. Der empirische Fokus liegt auf der lokalen Ebene, die in der bisherigen Forschung zum Regieren jenseits des Staates wenig beachtet wurde. Dazu wird in kategorial strukturierten Fallstudien gearbeitet, die in räumlichen und zeitlichen Bereichen außerhalb der europäischen (Sonder-)Entwicklung von Staatlichkeit seit dem Hochmittelalter situiert sind: in der griechisch-römischen Antike und im Globalen Süden der Gegenwart. Mit der unterschiedlichen Zeitstellung möchten wir zur Überwindung der oft als kanonisch geltenden Dichotomie zwischen Moderne und Vormoderne beitragen. Angestrebt wird sowohl die komparative Analyse der verschiedenen Ordnungsarrangements als auch die typologische Erfassung lokaler Regelungsmuster. Allein von der Anlage des empirischen Vergleichs erwarten wir methodischen Ertrag, denn es gilt disziplinäre Beschränkungen zu erkennen, mit ihnen umzugehen und sie zu überwinden. Ausgehend von der Identifizierung typischer Muster und Prozesse, möchten wir theoriebildend die Mechanismen für das Gelingen lokaler Ordnungsarrangements im Ganzen besser abschätzen. Somit leisten wir einen entscheidenden interdisziplinären Beitrag zum Verständnis basaler Elemente von Staatlichkeit, die gerade im Kontext schwacher Staatlichkeit von elementarer Bedeutung sind. Diese in historischer Perspektive gewonnenen Erkenntnisse sollen helfen, die Gegenwart nicht nur aus ihren eigenen, scheinbar völlig neuartigen Voraussetzungen heraus zu begreifen, und so die politische Analyse diverser Governance-Formen erheblich schärfen.