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Säuglinge speichern und erwerben schon in den ersten Lebensmonaten bzw. teilweise sogar vor der Geburt prosodische Informationen über ihre Muttersprache. Somit gilt es als unbestritten, dass die spracherwerbsrelevante Entwicklung bereits auf dem Weg zum ersten Wort im ersten Lebensjahr beginnt (Grimm & Weinert, 2002; Sachse, 2007). Die vorsprachliche produktive Entwicklung verläuft in einer geordneten und zeitlich relativ klar definierten Abfolge von als universal postulierten Entwicklungsstufen (Koopmans-van Beinum & van der Stelt, 1986; Oller, 1980, 2000; Roug et al., 1989; Stark, 1980). Allerdings liegen bisher wenige Erkenntnisse zu den akustischen und phonetischen Eigenschaften der für die einzelnen Entwicklungsstufen charakteristischen Vokalisationstypen vor.
Hier setzt die vorliegende Arbeit an. Während die Phase der Schreivokalisationen sowie die Phase zielsprachlich geprägter Silbenbabbler (Kanonisches Babbeln) bereits ausführlich untersucht wurden (Pachtner, 2016; Wermke, 2007), legt die vorliegende Arbeit nun erstmalig Referenzwerte für akustische und artikulatorische Eigenschaften von Komfortvokalisationen bei deutsch erwerbenden Kindern im Alter zwischen 3 und 7 Monaten vor und schließt damit die Lücke zwischen Schreivokalisationen und Kanonischem Babbeln.
Längsschnittlich wurden 11 monolingual deutsch-sprachig aufwachsende Kinder im Alter zwischen drei und sieben Lebensmonaten untersucht. Die Anfertigung der digitalen Lautaufnahmen erfolgte im wöchentlichen Rhythmus. Insgesamt standen 7375 Komfortvokalisationen für die Signalanalyse der melodischen und artikulatorischen Eigenschaften zur Verfügung.
Die Spektralanalysen konnten u.a. zeigen, dass es im Untersuchungszeitraum zu einer Zunahme komplexer Strukturen auf laryngealer Ebene kommt. Es wurde belegt, dass die Komplexität der Melodiestruktur der Komfort-Vokalisationen kontinuierlich zunimmt.
Die Komplexitätssteigerung innerhalb der prosodisch relevanten Kategorien (Melodie) wurde auch in artikulatorisch relevanten Kategorien gefunden: Es wurden quantitative Daten vorgelegt, die zeigen, dass die Häufigkeit der Produktion artikulatorischer Elemente in Komfort-Vokalisationen im Untersuchungszeitraum ansteigt und gleichzeitig eine Verschiebung von der hinteren zur vorderen und mittleren Artikulationszone erfolgt.
Des Weiteren fanden sich Belege dafür, dass die Melodie in Komfort-Vokalisationen als „Baugerüst“ für erste artikulatorische Bewegungen fungiert und eine Zunahme der Komplexität auf supralaryngealer Ebene von einer Zunahme der Komplexität auf laryngealer Ebene abhängig ist. Anhand einer Häufigkeitsanalyse der artikulierten Melodiestrukturen konnte gezeigt werden, dass die Produktion von artikulatorischen Elementen in Vokalisationen mit einfacher Melodiestruktur mit zunehmendem Alter kontinuierlich abnimmt. Hingegen nimmt die Produktion von artikulatorischen Elementen in Vokalisationen mit komplexen Melodiestrukturen im Untersuchungszeitraum kontinuierlich zu.
Neben der melodischen und artikulatorischen Komplexität kristallisierte sich in vorliegender Arbeit v.a. die mittlere Vokalisationslänge als vielversprechender Untersuchungsparameter für weitere Forschungsprojekte. Es zeigten sich Hinweise auf einen potenziellen Zusammenhang zur Melodiekomplexität in den untersuchten Komfortvokalisationen: Kinder, welche eine größere Melodiekomplexität zeigten, zeigten auch größere mittlere Vokalisationslängen. Um diesen Zusammenhang zu belegen, müsste die Untersuchung allerdings an einer größeren Stichprobe wiederholt werden. Sollte sich gleichzeitig in weiterführenden Untersuchungen die Melodiekomplexität als geeigneter Risikomarker zur Identifikation von Risikokindern für spätere Sprachprobleme erweisen, wäre die mittlere Lautlänge ein schnell und verlässlich erfassbarer Parameter zur Prädiktion von Risikokindern.
In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob laryngeale Konstriktionsphänomene regelhaft bei gesunden Säuglingen mit deutscher Umgebungssprache auftreten, ob es eine altersabhängige oder geschlechtsabhängige Entwicklung in der Auftrittshäufigkeit der Phänomene gibt und ob diese zusätzlich durch den Vokalisationstyp beeinflusst wird. Dazu wurden hier vier typische Vokalisationstypen im vorsprachlichen Alter definiert: spontanes Säuglingsweinen vor einer Mahlzeit in zwei Ausprägungsformen (Typ C und UC, letzterer als Typ weniger intensiven Säuglingsweinens) sowie Nichtschreivokalisationen in zwei Ausprägungsformen (UB: Übergangslaut zwischen UC und silbenartigem Vokalisieren (BB)).
In der vorliegenden Arbeit wurden solche Konstriktionsphänomene untersucht, die in der medizinischen Fachliteratur häufig mit pathologischen Zuständen der respiratorischen Regelung sowie Vokaltraktmalformationen bei Säuglingen mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalten beschrieben werden. Es wurde hier untersucht, ob ähnliche Phänomene auch bei gesunden Säuglingen regelhaft auftreten.
Dazu wurde in einem kombinierten Längs- und Querschnittsdesign eine deskriptive Analyse von 20.406 Einzelvokalisationen von 20 Säuglingen in den ersten sieben Lebensmonaten vorgenommen. Die Vokalisationen lagen anonymisiert im Zentrum für vorsprachliche Entwicklung & Entwicklungsstörungen an der Poliklinik für Kieferorthopädie des Universitätsklinikums Würzburg vor. Es handelt sich um eine explorative, retrospektive Analyse.
Unter Verwendung von Frequenzspektren und Audiofiles wurden alle Einzelvokalisationen audio-visuell analysiert und drei Stufen mit unterschiedlicher Ausprägung der Konstriktionen einsortiert (Kategorie 1 – 3; Kategorie 0 = keine Konstriktionen in der Vokalisation). Die Kategoriendefinition wurde vom Autor der vorliegenden Arbeit in einer Voruntersuchung erarbeitet und durch weitere Kodierer getestet und als geeignet befunden.
Im Ergebnis der Arbeit konnte gezeigt werden, dass die hier untersuchten Konstriktionsphänomene regelhaft bei allen gesunden Säuglingen im Untersuchungszeitraum vorkommen. Die Auftrittshäufigkeit war dabei teilweise vom Geschlecht, vom Alter und vom Vokalisationstyp abhängig. Eine vergleichbare systematische Analyse lag bisher in der Literatur nicht vor. Die Ergebnisse werden aus physiologischer und linguistisch-phonetischer Perspektive interpretiert. Es konnte gezeigt werden, dass die im spontanen Weinen beobachteten Konstriktionsphänomene auch bei den Komfortvokalisationen (Nichtschreivokalisationen) vorkamen.
Dies stützt die Kontinuitätshypothese in der vorsprachlichen Entwicklung.
Die Arbeit hat auch widerlegt, dass alle Konstriktionsphänomene im Säuglingsweinen ein Pathologiemarker sind. Die Differenzierung zwischen physiologischen und pathologischen Konstriktionsphänomenen, die z.B. durch respiratorische Dysfunktion entstehen können (Stridor), ist eine Aufgabe für nachfolgende Arbeiten.
Für weiterführende Arbeiten mit dem Ziel der Anwendung von Stimmregisterphänomenen in der Vorsprachlichen Diagnostik sind methodisch erweiterte Ansätze bei gleichzeitig größerer Stichprobe erforderlich.
Schon vor der Geburt beginnen komplexe Reifungs- und auditive Lernprozesse, die den Grundstein für die spätere Sprachentwicklung legen. Im letzten Trimester der Schwangerschaft ist der Fetus sensibel für akustische Stimuli der Umgebung, hauptsächlich für prosodische (melodische und rhythmische) Spracheigenschaften. Ergebnisse der Sprachperzeptionsforschung (z. B. Byers-Heinlein et al., 2010) zeigen, dass Neugeborene bereits über erstaunliche prosodierelevante Leistungen verfügen. Analog dazu konnte die Forschung von Wermke (z. B. Wermke & Mende, 2011) belegen, dass die Entwicklung der späteren Sprachfähigkeit auf Seiten der Produktion direkt nach der Geburt beginnt. So konnte gezeigt werden, dass sich die Säuglingsschreimelodien nach einem universellen Entwicklungsprogramm in den ersten Lebenswochen von einfachen zu komplexen Melodien verändern. Die Untersuchungen von Mampe et al. (2009) und Mampe (2012) haben darüber hinaus gezeigt, dass sich pränatal wahrgenommene prosodische Eigenschaften der Muttersprache in der Melodiekontur der Schreie von 1 Woche alten Neugeborenen widerspiegeln.
Gegenstand der vorliegenden Querschnittstudie ist die signalanalytische Untersuchung der Schreimelodien von schwedischen und deutschen Neugeborenen hinsichtlich eines Einflusses der pränatal wahrgenommenen muttersprachlichen Prosodie auf die Melodiekomplexität.
Insgesamt wurden 2795 Spontanschreie von 52 schwedischen und 1907 Spontanschreie von 79 deutschen gesunden, reifen und eutrophen 1 Woche alten Neugeborenen mit signalanalytischen Methoden untersucht. Auf Basis der Melodiekontur wurde für jeden Schrei die Melodiestruktur identifiziert und kategorisiert. Darauf basierend wurde für jedes Kind und jede Gruppe ein Melodiekomplexitätsindex (MCI; Wermke et al., 2007) berechnet. Zusätzlich wurden quantitativ die melodischen Parameter mittlere Grundfrequenz und Hubverhältnis sowie der zeitliche Parameter Einzelschreilänge berechnet und statistisch ausgewertet.
Die Ergebnisse der quantitativen Analyse melodischer und zeitlicher Parameter ergaben keine Hinweise auf Unterschiede zwischen den Probandengruppen hinsichtlich des gesundheitlichen Zustands bzw. Reifegrades der Neugeborenen. Die Ergebnisse zeigten weiterhin einen signifikant höheren MCI für die Schreie der schwedischen als für die Schreie der deutschen Neugeborenen. Die schwedischen Neugeborenen produzierten also verglichen mit den deutschen Neugeborenen mehr Schreie mit komplexer Melodiestruktur. Eine mögliche Erklärung dafür könnte der Einfluss der pränatal wahrgenommenen Muttersprache auf die Melodiekomplexität sein. Schwedisch und Deutsch gehören beide zu den germanischen Sprachen. Beide Sprachen unterschieden sich allerdings hinsichtlich bestimmter prosodischer Eigenschaften. Die pränatale Perzeption dieser prosodischen Eigenschaften könnte sich – darauf weisen die Ergebnisse hin – fördernd auf die Melodieentwicklung der schwedischen Neugeborenen auswirken. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung liefern einen Beitrag zur Erforschung der frühen Schreimelodieentwicklung von Neugeborenen als grundlegender Bestandteil der vorsprachlichen Entwicklung – insbesondere zur Erforschung des Einflusses der pränatalen Perzeption von Melodie und Rhythmus auf die Schreimelodien Neugeborener.
Die Vorsprachliche Diagnostik beschäftigt sich mit der Aufzeichnung, Auswertung und therapiebegleitenden Verwendung akustischer Lautäußerungen von Säuglingen und Kleinkindern, insbesondere für jene mit einem erhöhten Risiko für eine Sprech- und/oder Sprachentwicklungsstörung.
Zielsetzung dieser Arbeit war die semi-automatische, computergestützte Analyse von Säuglingslauten im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit einer Forschungsgruppe der Universität Iowa. Dafür wurden neurobiologische Untersuchungen durchgeführt und aufgezeichnete akustische Lautäußerungen von Kindern mit und ohne Lippen- Kiefer- Gaumen- Segelspalten untersucht.
Für die Analyse der aufgezeichneten Lautäußerungen wurden im Rahmen dieser Arbeit für die Phonetiksoftware PRAAT Skripte (Programmroutinen) entwickelt, getestet und am Zentrum für Vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen (ZVES) implementiert. Diese sollen einen Beitrag zur Automatisierung der Vorsprachlichen Diagnostik leisten.
Eine ausführliche Dokumentation der erstellten Skripte sollte zukünftigen Anwendern das Verständnis und die Anwendung der Skripte erleichtern. Die Funktion der Skripte wurde an geeigneten Testsignalen aus dem Archiv des ZVES überprüft und mit bisher gebräuchlichen manuellen Analyseroutinen am selben Datensatz verglichen. Schließlich wurden die erstellen Skripte erfolgreich auf die Projektdaten angewendet sowie die Ergebnisse im Journal „Pediatric Research“ veröffentlicht.
Die Ergebnisse stellen erstmals einen potenziellen Zusammenhang zwischen dem Segmentierungsverhalten und der Hirnreifung von Säuglingen mit LKGS-Spalten her, die in Nachfolgestudien mit größerer Probandenzahl überprüft werden müssen.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den frühen Vokalisationen von Säuglingen mit orofazialen Spalten. Das Interesse galt dabei dem zeitlichen Ablauf der vorsprachlichen und frühen sprachlichen Entwicklung dieser Patientengruppe im Vergleich zu gesunden Säuglingen, sowie den Unterschieden der realisierten Lautproduktionen zwischen den beiden Gruppen. Dazu wurden individuelle Entwicklungsprofile der vorsprachlichen Entwicklung für die untersuchten Probanden erstellt und ausgewertet. Die akustische Ausführungsqualität und charakteristischen Lauteigenschaften der von den Säuglingen mit orofazialen Spalten hervorgebrachten Vokalisationen wurden zusätzlich anhand von Frequenzspektrogrammen und einer Transkription unter Verwendung der Zeichen des Internationalen Phonetischen Alphabets dargestellt. Zusammenfassend konnte man feststellen, dass der Großteil der untersuchten Säuglinge mit orofazialen Spalten die frühe sprachliche Entwicklung im gleichen zeitlichen Rahmen durchlief wie gesunde Säuglinge. Es war aber gleichzeitig zu beobachten, dass einzelne Phasen bei bestimmten Patienten Besonderheiten in ihrem zeitlichen Verlauf zeigten. Interindividuelle Unterschiede sind jedoch auch bei gesunden Säuglingen bekannt. Dies berücksichtigend war jedoch bei den hier untersuchten Säuglingen eine deutliche Tendenz zu einem verspäteten Sprechbeginn zu erkennen, d. h. das Auftreten der ersten Wörter wurde bei der Mehrheit (78,57%) der Säuglinge verzögert registriert. Im Unterschied zu der relativ hohen Übereinstimmung im Phasenablauf der frühen sprachlichen Entwicklung von Patienten mit orofazialen Spalten zu dem von Säuglingen ohne orofaziale Spaltbildung konnte man hinsichtlich der „Ausführungsqualität“ erzeugter Vokalisationen deutliche Unterschiede feststellen. Dies zeigte sich vor allem in einem eingeschränkten Lautinventar und einer undeutlichen, rückverlagerten und nasalen Aussprache. Die Untersuchung belegt, dass Säuglinge mit orofazialen Spaltbildungen prinzipiell die gleichen vorsprachlichen Entwicklungsprogramme durchlaufen. Es gibt während dieser frühen sprachlichen Entwicklung jedoch bedingt durch die Fehlbildungsanomalie selbst, transitorisch verminderte Hörleistungen und andere Co-Faktoren Besonderheiten im Repertoire und der phonetischen Charakteristik geäußerter vorsprachlicher Vokalisationen.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, intervallartige Substrukturen (Melodieintervalle) auf der Melodiekontur von Säuglingslauten im Längsschnitt über die ersten vier Lebensmonate zu analysieren. Melodieintervalle werden als eine Messgröße für die Kurzzeitvariabilität der Grundfrequenz (F0) und damit der laryngealen Regelleistung angesehen. Es sollte belegt werden, dass gesunde Säuglinge Melodieintervalle regelhaft erzeugen. Dabei war auch die Frage zu beantworten, ob Melodien mit Intervallen häufiger vorkommen als Melodien ohne Intervall über den Untersuchungszeitraum der ersten vier Lebensmonate. Neben Häufigkeitsanalysen sollten auch Analysen temporaler Eigenschaften erfolgen und Frequenzratios (Intervallgrößen) ermittelt werden. Langzeitziel dieser Analysen ist es, potenzielle Risikokinder einer späteren Sprech- und Sprachentwicklungsstörung so früh wie möglich anhand einer nicht-invasiven Vorsprachlichen Diagnostik identifizieren zu können.
Aus einem Gesamtdatenkorpus von 6130 Vokalisationen wurden in einer komplexen Vorselektierungs-Routine mittels audio-visueller Analyse insgesamt 3114 Vokalisationen für die finalen Melodieintervallanalysen als geeignet befunden. Unter Methodenmodifikation zu Vorarbeiten, wie einer herabgesetzten Plateaumindestlänge auf 50 ms und unter Einbezug rhythmisch-segmentierter Vokalisationen in die Analysen wurden die Aufnahmen anhand von Melodie- und Intensitätsdiagrammen sowie semi-automatisch zugehörigen Messroutinen im Cry-Data-Analysis-Program (CDAP) analysiert und Melodieintervalle vermessen. Des Weiteren wurden Analysen der Melodiestrukturkategorien, die den Komplexitätsgrad der Konturen reflektieren, und der Bogenformen (Intonation) durchgeführt, um das Auftreten identifizierter Intervallcodes und deren Muster zu diesen in Bezug zu setzen. Das melodische Einzelintervall (Plateau-Übergang-Plateau) wurde als Modul definiert, das zu Doppelintervallen und noch komplexeren Kombinationen unterschiedlicher Codes und Muster zusammengesetzt wird. Das Repertoire dieser Kombinationsmuster wurde in der Arbeit detailliert aufgezeigt. Ein Modul-Vergleich der steigenden und fallenden Einzelintervalle in Einfach- und Doppelbögen konnte eine hohe Übereinstimmung hinsichtlich spezieller Messgrößen, insbesondere der steigenden Intervalle, belegen. Für die über den Untersuchungszeitraum analysierten Auftrittshäufigkeiten der Intervalle konnte mittels einer verallgemeinerten Schätzgleichung (GEE-Model) eine signifikante Zunahme des Intervallauftretens festgestellt werden, die durch einen nichtlinearen Alterseffekt gekennzeichnet war. Die Intervallkomplexität nahm linear signifikant mit dem Lebensalter zu. Es wurden keine Geschlechtseffekte festgestellt. Als vorherrschende Intervallgröße wurde die kleine Sekunde (Halbton) über den Untersuchungszeitraum gefunden. Die Intervallgrößen und ein Großteil der Analysen der temporalen Messgrößen erfolgte auf signalbasierter Ebene und wurde deskriptiv vergleichend zwischen den Richtungen bzw. den Mustern der Intervalle untersucht und als Referenzwerte in umfangreichen Tabellen berichtet. Die Ergebnisse vorliegender Arbeit belegten durch Analysen unterschiedlicher Messgrößen, wie z.B. dem Komplexitätsgrad der Melodie und deren regelrechter Entwicklung mit dem Alter, dass alle hier analysierten Vokalisationen von Probanden stammten, die sich unauffällig entwickelten. Somit wurde sichergestellt, dass die erarbeiteten Referenzwerte für nachfolgende Studien die Verhältnisse bei gesunden Säuglingen widerspiegeln. Die Ergebnisse vorliegender Arbeit sollen als vorläufige Vergleichswerte für geplante Analysen an Vokalisationen von Säuglingen mit orofazialen Spaltbildungen dienen.
Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit waren 3041 Lautäußerungen der ersten zwölf Lebenswochen von 14 Säuglingen mit orofazialen Spalten (OFS-Gruppe). Diese wurden, soweit die Indikation dazu vorlag, kieferorthopädisch mit einer Oberkieferplatte frühbehandelt, die sie auch während der Lautaufnahmen trugen. Um die Ergebnisse mit Referenzdaten von Säuglingen ohne Spaltbildungen vergleichen zu können, wurde eine Kontrollgruppe von 17 Säuglingen hinzugezogen. Im Anschluss an die Spektralanalyse mit dem CSL-System wurden die aufgenommenen Laute bezüglich ihrer Melodiestruktur und ausgewählter spektraler Eigenschaften mit Hilfe des Programms CDAP (Cry-Data-Analysis- Program) analysiert und klassifiziert. Dabei stand die Klassifizierung der Melodiestruktur anhand der Frequenz- und Intensitätsverläufe der Vokalisationen im Fokus der Untersuchung, denn es sollte überprüft werden, ob sich die Melodieentwicklung als Frühindikator bei der Diagnostik einer Sprachentwicklungsstörung bei Kindern mit orofazialen Spalten eignet. Dazu wurde der von Wermke et al. (2007) beschriebene Melody-Complexity- Index (MCI) bestimmt, der den Anteil der Vokalisationen mit einer komplexen Melodiestruktur angibt. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie haben gezeigt, dass sich der MCI, speziell des 2. Lebensmonats, prinzipiell auch bei Säuglingen mit Spaltbildungen als Frühindikator für eine Sprachentwicklungsstörung eignet. Allerdings zeigte knapp die Hälfte der Säuglinge der OFS-Gruppe eine Verzögerung in ihrer Melodieentwicklung um etwa vier Wochen, sodass jene Säuglinge eine adäquate Melodiekomplexität in ihren Lautäußerungen erst in der 9. – 12 Lebenswoche erreichten. Dadurch wäre es für eine valide vorsprachliche Diagnostik bei diesen Säuglingen notwendig, den MCI in der 9. – 12. Lebenswoche erneut zu evaluieren. Sollte auch dann noch der Grenzwert von 0,45 unterschritten sein, liegt ein potentiell zusätzliches Risiko für eine Sprachentwicklungsstörung vor. Auf die Bestimmung des MCI in den ersten vier Lebenswochen kann hingegen bei der Diagnostik verzichtet werden, da hier der indikative Wert der Melodieentwicklung durch postnatale Anpassungsvorgänge vergleichsweise gering ist. Nicht nur bei der Entwicklungsgeschwindigkeit, sondern auch bei der Art der komplexen Strukturbildungen zeigte die OFS-Gruppe Besonderheiten. Bei der differenzierten Analyse der komplexen Strukturen zeigten die Säuglinge mit orofazialen Spalten signifikant häufiger die Melodiestruktur vom Typ 1S (Vokalisation mit zwei Melodiebögen, die durch eine Vokalisationspause getrennt sind) und signifikant seltener das Melodiemuster KS (Vokalisation mit drei oder mehr Melodiebögen und einer Pause). Inwieweit diese Unterschiede von Relevanz für die Frühdiagnostik sind, müsste durch weitere Studien untersucht werden. Dabei wäre insbesondere von Interesse, in welcher Weise die einzelnen Melodiemuster als Bausteine für die spätere Babbelphase und erste Worte und Sätze dienen. Des Weiteren würde eine Identifizierung weiterer sensibler Phasen der Sprachentwicklung, wie es eben der 2. Monat für die Melodieentwicklung ist, eine kontinuierliche Diagnostik und Überwachung der Kinder mit orofazialen Spalten erlauben und eine optimierte individuelle Therapie ermöglichen. Die vorliegende Arbeit demonstriert Besonderheiten in der frühen vorsprachlichen Lautentwicklung bei Säuglingen mit orofazialen Spalten, die in keinem direkten Zusammenhang mit den Malformationen des Vokaltrakts stehen. Unabhängig vom Spalttyp und lange bevor eine kieferchirurgische Intervention stattgefunden hat, sind bereits Besonderheiten in der Melodieentwicklung nachweisbar. Diese zeigen interindividuelle Variationen, die es erlauben, für einzelne Säuglinge angepasste Betreuungspläne zu erstellen bzw. Risikokinder zu identifizieren.
Der Spracherwerb beginnt lange vor der Produktion der ersten bedeutungstragenden Wörter. In der Fachliteratur besteht Einigkeit darüber, dass die vorsprachliche produktive Entwicklung in einer geordneten und zeitlich relativ klar definierten Abfolge von als universal postulierten Entwicklungsstufen verläuft (Koopmans-van Beinum & van der Stelt, 1986; Oller, 1980, 2000; Roug et al., 1989; Stark, 1980). Allerdings liegen bisher vergleichsweise wenige Erkenntnisse zu den akustischen und phonetischen Eigenschaften der für die einzelnen Entwicklungsstufen charakteristischen Vokalisationstypen vor.
Hier setzt die vorliegende Arbeit an. Untersucht wurde ein Vokalisationstyp, der als Meilenstein der vorsprachlichen Erwerbsphase gilt: das kanonische Babbeln. Das kanonische Babbeln tritt bei sich normal entwickelnden Kindern erstmals zwischen dem 5. und 10. Lebensmonat auf und zeichnet sich dadurch aus, dass es entsprechend der temporalen und spektralen Eigenschaften der Erwachsenensprache phonetisch wohlgeformte Silben aufweist (Oller, 2000). Darüber hinaus findet sich bezüglich der phonetischen Eigenschaften von kanonischen Babblern und ersten bedeutungstragenden Wörtern ein hohes Maß an Kontinuität (Elbers & Ton, 1985; Kent & Bauer, 1985; Locke, 1989; Majorano & D'Odorico, 2011; Stoel-Gammon & Cooper, 1984; Vihman et al., 1986; Vihman et al., 1985).
Zielstellung der vorliegenden explorativen Längsschnittstudie war es, die Eigenschaften von kanonischen Babblern von sich normal entwickelnden Kindern mit deutscher Umgebungssprache erstmalig quantitativ zu charakterisieren. Hierfür wurden von 15 gesunden deutschen Kindern (sieben Jungen und acht Mädchen) vom vierten Monat bis zum 13. Lebensmonat im Rhythmus von zwei bis vier Wochen digitale Lautaufnahmen angefertigt. Insgesamt wurden 4992 kanonische Babbler mittels speziell auf die Zielstellung der Untersuchung zugeschnittener signalanalytischer Verfahren untersucht. Für jeden kanonischen Babbler wurden die akustischen Messgrößen Vokalisationslänge und Vokallänge sowie die mittlere Grundfrequenz (F0) und der F0-Range berechnet. Darüber hinaus wurden die Silbenanzahl pro Babbler, die Konsonant-Vokal-Struktur der Silben (CV-Struktur) sowie Artikulationszone und –art der konsonantischen Elemente analysiert. Die längsschnittliche Auswertung erfolgte anhand des kanonischen Babbelalters, das ausgehend vom individuellen Alter bei Einsetzen der kanonischen Babbelphase bestimmt wurde.
Die längsschnittliche Auswertung der zeitlichen Messgrößen ergab eine kontinuierliche Abnahme der Vokalisationslänge. Gleichzeit verringerte sich in einem ähnlichen Maß der Anteil an mehrsilbigen kanonischen Babblern, während sich der der einsilbigen kanonischen Babbler deutlich erhöhte. Dieses Entwicklungsmuster markiert möglicherweise den Übergang zur Wortproduktion (Vihman et al., 1985). Im Unterschied zur Vokalisationslänge wurden für die Vokallänge keine systematischen Veränderungen im Entwicklungsverlauf festgestellt. Die längsschnittliche Auswertung der melodischen Messgrößen ergab sowohl für die mittlere F0 als auch für den F0-Range zwischen dem 2. und 5. Monat nach Beginn der kanonischen Babbelphase ein erhöhtes Maß an Variabilität. Dies steht möglicherweise mit der Feinabstimmung der laryngealen und der supralaryngealen Aktivität im kanonischen Babbeln in Zusammenhang. Bezüglich der CV-Struktur und der Eigenschaften der konsonantischen Elemente fanden sich ähnliche Befunde wie in früheren Untersuchungen (z.B. Davis & MagNeilage, 1995). Während CV-Silben während des gesamten Untersuchungszeitraums und bei allen Kindern klar dominierten, fand sich hinsichtlich der Eigenschaften der konsonantischen Elemente im Rahmen universeller Tendenzen ein hohes Maß an inter- und intraindividueller Variabilität.
Die vorliegende Untersuchung stellt erstmalig objektive Variationsbereiche für typische quantitative und qualitative Eigenschaften von kanonischen Babblern von Deutsch lernenden Kindern bereit. Die ermittelten vorläufigen Referenzwerte könnten die Grundlage für nachfolgende Untersuchungen bei Risikokindern für Sprech- und Spracherwerbsstörungen liefern und so zur Identifizierung valider frühdiagnostischer Risikomarker beitragen.
In der vorliegenden Arbeit wurden erstmalig laryngeale Konstriktionen quantitativ und qualitativ in den frühesten Lautäußerungen von Säuglingen mit angeborenen Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalten (LKGS) in den ersten 3 Lebensmonaten im Längsschnitt untersucht. Als theoretische Grundlage diente Eslings Modell des Laryngealen Artikulators, wonach artikulatorische Entwicklungsvorgänge bereits in den ersten Lebensmonaten der Säuglinge mit der Erzeugung einer Vielzahl laryngealer Lautphänomene beginnen. Potenzielle Einflüsse auf diese präartikulatorischen Vorgänge durch den Ausprägungsgrad der Spaltbildung, das Lebensalter und die kieferorthopädische Frühbehandlung mit Gaumenplatte wurden mittels deskriptiver und interferenzstatistischer Verfahren analysiert.
Von einer sorgfältig ausgewählten Stichprobe, bestehend aus 27 Säuglingen, wurden mehr als 10.000, im Rahmen der interdisziplinären Spaltsprechstunde routinemäßig aufgezeichneten Einzelsignale, retrospektiv untersucht.
Das regelhafte Auftreten von laryngealen Konstriktionen konnte im Untersuchungszeitraum nachgewiesen werden und bestätigt, dass präartikulatorische Übungen primitiver Artikulationsmuster bei Säuglingen mit LKGS in gleicher Weise erfolgen wie bei Säuglingen ohne LKGS.
Die Bedeutung der propriozeptiven Rückkopplung für die Erzeugung von laryngealen Konstriktionen wurde herausgearbeitet und potenzielle marginale Einflüsse der Vokaltraktmalformation diskutiert. Es wird ein früher artikulatorischer Substitutionsmechanismus für die präartikulatorische Entwicklung der Säuglinge mit ausgeprägten Spaltbildungen postuliert.
Hinsichtlich der temporalen Eigenschaften laryngealer Konstriktionen bestätigte ein Vergleich mit Silbenlängen aus der Fachliteratur die Annahme, dass laryngeale Konstriktionen möglicherweise ein konstantes Element zur Rhythmisierung von Lauten im Sinne der artikulatorischen Silbenentwicklung sein könnten.
SGA (“small for gestational age”)-Neugeborene weisen eine intrauterine Wachstumsretardierung auf. Die weitere Entwicklung vieler dieser Kinder ist von veränderten physiologischen Mechanismen beeinflusst und unterscheidet sich dadurch von der ehemaliger AGA(“appropriate for gestational age”)-Neugeborener. Diese Unterschiede betreffen beispielsweise biochemische, hormonelle, neurologische und kognitive Funktionen. Die Absicht dieser Studie war heraus zu finden, ob sich SGA-Neugeborene außerdem in speziellen Schreieigenschaften von AGA-Neugeborenen unterscheiden. Die Klassifikation Neugeborener in SGA, AGA und LGA ("large for gestational age”) basiert auf somatischen Werten Neugeborener in Bezug auf ihr Gestationsalter. SGA-Neugeborene liegen mit ihrem Geburtsgewicht unter der 10. Perzentile. In dieser Studie wurden spontane Schreie von 16 gesunden Neugeborenen (davon 9 weibl.) untersucht (ohne Dysmorphien, ohne Intubation, ohne schwere Asphyxie). Es wurden pro Kind 2-3 Aufnahmen während des Aufenthaltes in der Universitäts-Kinderklinik angefertigt. Der erste Aufnahmezeitraum erfolgte während des 1.-3. Lebenstages, der zweite während des 4.-5.d, und in einigen Fällen erfolgte eine dritte Aufnahme während des 6.-14.d. Die Schreieigenschaften der SGA-Neugeborenen wurden mit denen der AGA-Neugeborenen verglichen. Die Ergebnisse bestätigen unsere Hypothese, dass eine intrauterine Wachstumsretardierung die Schreimuster beeinflusst. Die Entwicklung während der ersten 2 Lebenswochen von einfachen zu komplexeren Melodiestrukturen zeigten sowohl die SGA- als auch die AGA-Neugeborenen. Allerdings benötigten die SGA-Neugeborenen einen längeren Zeitraum, um die gleiche Melodiekomplexität wie die AGA-Neugeborenen zu erreichen.