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Globale Wertschöpfungsketten stellen nicht nur hochkomplexe Beziehungsgefüge dar, sondern unterliegen auch einem ständigen Wandlungsprozess. Ein zentraler Treiber dieser Wandlungsprozesse ist der technologische Fortschritt. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere die Phänomene der Digitalisierung und des Online-Handels, sind derzeit von besonderer Bedeutung für Wertschöpfungsketten, da unterschiedliche Fortschritte in der Digitalisierung nicht nur zu wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen von Unternehmen führen können, sondern auch zu Up- bzw. Downgradingprozessen innerhalb der Wertschöpfungsketten.
In der vorliegenden Studie wird der Fokus auf den handels- bzw. konsumentennahen Teil von Wertschöpfungsketten gelegt, um die Folgen der Digitalisierung für Hersteller, Händler und Konsumenten näher zu betrachten. Als konkretes Forschungsbeispiel dient die deutsche Schuhbranche, da sich diese gegenwärtig – von Industrie bis Handel – in einem umfassenden Strukturwandel befindet. Die Analyse zeigt, dass sich die Komplexität von Wertschöpfungsketten im Zuge der Digitalisierung deutlich erhöht (hat). In der Schuhbranche drängen neue Akteure auf den Markt, bestehende Akteure müssen sich anpassen. Direkte Folgen sind nicht nur eine neue Akteurskonstellation, sondern auch ein sich neu bildendes Machtgefüge. Es kommt somit zur Restrukturierung bisheriger Wertschöpfungsketten.
Die Covid-19-Pandemie gilt in vielen gesellschaftlichen Teilbereichen als Beschleuniger für Transformationsprozesse. Auch im Bereich der Organisation urbaner Logistik und Einzelhandelslandschaften etablieren sich neue Akteur*innen und Funktionen. Logistiker*innen integrieren lokale Onlinemarktplätze in ihre Profile und der stationäre Einzelhandel generiert Wettbewerbsfähigkeit gegenüber großen Onlinehändler*innen über die Nutzung lokaler Radlogistiknetzwerke, mittels derer Lieferungen noch am Tag der Bestellung (Same-Day-Delivery) verteilt werden können. Damit leisten die involvierten Akteur*innen potenziell auch einen Beitrag zur Nachhaltigkeitstransformation im Bereich urbaner Logistiksysteme. Im Fokus steht das Fallbeispiel WüLivery, ein Kooperationsprojekt des Stadtmarketingvereins, der Wirtschaftsförderung, Radlogistiker*innen sowie Einzelhändler*innen in Würzburg, welches während des zweiten coronabedingten Lockdowns im November 2020 umgesetzt wurde. Die entstehenden Dynamiken und Organisationsformen werden auf Basis von 11 Expert*inneninterviews dargestellt und analysiert. Es kann gezeigt werden, dass städtische Akteur*innen grundlegende Mediator*innen für Transformationsprozesse darstellen und Einzelhändler*innen und lokale Onlinemarktplätze als Katalysator*innen fungieren können. Das ist auch vor dem Hintergrund planerischer und politischer Kommunikationsprozesse zur Legitimation neuer Verkehrsinfrastrukturen nutzbar, da die einzelnen Akteur*innengruppen in Austausch kommen und ein gesteigertes Bewusstsein für die jeweiligen Bedarfe entsteht.
"Die Innenstadt braucht den Handel, der Handel aber nicht die Innenstadt", lautet eine oft formulierte These bezüglich des Verhältnisses von Handel und Innenstadt – nicht erst seit der Covid-19-Pandemie. Die Krise hat die Herausforderungen des Strukturwandels im Einzelhandel erneut offengelegt und teils Entwicklungen beschleunigt. Besonders hervorzuheben sind zum einen Handlungsbedarfe im Bereich der Digitalisierung sowie die dringende Notwendigkeit einer überdachten Auseinandersetzung über das Verhältnis von Innenstadt und Einzelhandel. Neben Fragen zur zukünftigen Gestaltung des Einzelhandels und seiner Bedeutung für Innenstädte, sind auch Fragen zur Bedeutung anderer Branchen/Einrichtungen/Angebote (z.B. Gastronomie, Handwerk, Kultureinrichtungen, Kitas, Sport- und Bildungseinrichtungen, aber auch Freiräume, Grünflächen, verkehrsberuhigte Bereiche oder lokale Kurierdienste) für den Einzelhandel vermehrt aus Perspektive der geographischen Handelsforschung zu beantworten. Mit der Krise wurden Defizite und Handlungsfelder in den Blick gerückt, deren Bearbeitung schon lange ansteht. Die Chance liegt darin, diesen Aufmerksamkeitsschub konstruktiv zu nutzen und realistische fall- und standortspezifische Perspektiven für Innenstädte und ihre Akteur*innen jetzt zu verhandeln und nicht weiter auf die lange Bank zu schieben. Der vorliegende Band vereint neun handelsgeographische Beiträge von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen, die die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie erörtern und damit einen wichtigen Beitrag für die notwendige Diskussion der Zukunft von Innenstädten und Handel leisten.