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Ein Kind, das mit einer orofazialen Spalte geboren wird, ist in seiner Sprech- und Sprachentwicklung einer Reihe von erschwerten Bedingungen ausgesetzt. Neben einer gestörten Muskelbalance der orofazialen Muskulatur, können die typischen Zungenbewegungen beim Trinken vom Säugling nicht ausgeführt und damit wichtige feinmotorische Trainingsschritte nicht absolviert werden. Nicht selten kommt es auch zu Störungen des Schluckvorgangs und zu einer, durch pathologische Druck-Volumenverhältnisse auftretenden, hypernasalen Resonanz. Um die Auswirkungen der offenen Mund-Nasenraum-Verbindung zu mindern, sehen viele Therapiekonzepte den Einsatz einer Gaumenplatte vor, die den Spaltbereich abdeckt. Auch die vorsprachliche Lautproduktion wird durch den fehlenden oder mangelhaften Verschluss zwischen Velum und Rachenhinterwand bereits erheblich eingeschränkt. Um die im direkten oder indirekten Zusammenhang mit der Spalte entstehenden Entwicklungsstörungen in Bezug auf den Sprech- und Spracherwerb zukünftig bei Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalten früher als bisher zu diagnostizieren und geeignete Therapiekonzepte entwickeln zu können, sind prospektive Längsschnittstudien, die engmaschig vorsprachliche und sprachliche Entwicklungsschritte dokumentieren, unerlässlich. Vorliegende Arbeit versucht einen Mosaikstein dazu beitzutragen, zukünftig geeignete Entwicklungsmarker durch eine objektive vorsprachliche Entwicklungsdiagnostik zu identifizieren. Würde es zukünftig gelingen, neben bekannten Risikomarkern für neurophysiologische Störungen am Schrei auch Risikomarker für potentielle spätere Sprech- und Sprachstörungen zu identifizieren, könnte dies grundlegend für neue Frühförderkonzepte in der Behandlung von Kindern mit orofazialen Spalten sein. Im Rahmen dieser Longitudinalstudie wurde die vorsprachliche Lautentwicklung von sechs Säuglingen mit einer orofazielen Spalte im zweiten Lebenshalbjahr aufgezeichnet und quantitativ analysiert. Um dabei u.a. auch einen Zusammenhang zwischen ausgewählten Schreieigenschaften und der Gaumenplatte zu untersuchen, wurden zu jedem Termin Aufnahmen mit und ohne eingesetzte Platte gemacht. Zur objektiven Beurteilung des Lauterwerbs und des Platteneinflusses wurden so in zeitlich dichten Intervallen insgesamt 2752 Signale mittels qualitativ hochwertiger Aufnahmetechnik und standardisierter Analysen aufgezeichnet und ausgewertet und mit 1940 Signalen einer altersentsprechenden Kontrollgruppe ohne orofaziale Spalte verglichen. Die Signal-analyse erfolgte unter Verwendung des CSL-4300 Sprachanalysesystems der Firma KAY Elemetrics/ USA. Anschließend wurden eine quantitative und eine qualitative Strukturanalyse nach Wermke (2004) durchgeführt. Diese Art der Analyse ermöglichte einen direkten und objektiven Vergleich prosodierelevanter Eigenschaften vorsprachlicher Laute der Gruppe von Säuglingen mit orofazialen Spalten zur Kontrollgruppe. Es wurde gefunden, daß die untersuchte Gruppe von Säuglingen mit orofazialen Spalten im Vergleich zur Kontrollgruppe eine deutliche Entwicklungsverzögerung in bestimmten Aspekten der Zeitorganisation der Phonation sowohl von Schreien als auch von Übergangs- und Babbellauten aufweist. Diese Unterschiede bestanden unabhängig vom Tragen einer Gaumenplatte. Dies bedeutet, daß der potentielle positive Effekt, den die Gaumenplatte auf die früheste Sprech- und Sprachentwicklung hat im untersuchten Altersbereich bereits stabil verankert ist. Die gefundenen Unterschiede bestehen vor allem in einer verspäteten, bzw. deutlich selteneren spontanen Produktion von intentional segmentierten Lauten verschiedener Vokalisationstypen und in stark verlängerten Lauten bei den Säuglingen mit orofazialen Spalten. Derartige Besonderheiten sind bisher bei Säuglingen mit orofazialen Spalten nicht beschrieben worden, da vergleichbare quantitative Analysen nach unserer Kenntnis nicht vorliegen. Die Arbeit vergleicht eigene Befunde, soweit sinnvoll und möglich, mit bisherigen Erkenntnissen und versucht anhand der Daten Erklärungsansätze für die teilweise sehr widersprüchlichen Befunde anderer Autoren zu zeigen. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung liefern erstmalig wissenschaftliche Argumente für die Annahme, daß neben den rein morphologischen Besonderheiten des Vokaltrakts der Säuglinge mit orofazialen Spalten auch neurophysiologische Besonderheiten bei diesen Patienten auftreten. Weiterführende Studien an einer größeren Stichprobe unter strengerer Standardisierung sind erforderlich, um die Befunde zu evaluieren. Sollte sich dabei zeigen, daß die Zeitorganisation der Phonation tatsächlich, wie hier vermutet, eine essentielle Komponente zur Charakterisierung abweichender vorsprachlicher Entwicklungsverläufe ist, hätte man die Möglichkeit, daraus einen klinisch relevanten Indikator zu entwickeln.