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Pulssynchrone Ohrgeräusche – Befunderhebung bei einer standardisiert untersuchten Patientengruppe
(2021)
Die Arbeit umfasst die Auswertung der klinischen Daten von 108 konsekutiv am Kopf- und Schädelbasis-Zentrum, Klinikum Fulda, zwischen Juli 2013 und September 2015 nachuntersuchten Patienten mit pulssynchronen Ohrgeräuschen. Die Patienten waren gemäß eines einheitlichen, strukturierten und routinemäßigen Diagnose- und Behandlungspfads untersucht worden. Die notwendige Bildgebung umfasste die Computertomographie, die Magnetresonanztomographie sowie die Magnetresonanzangiographie und die Sonographie der Halsgefäße. Eine digitale Subtraktionsangiographie wurde nach strenger Indikationsstellung in ausgewählten Fällen vorgenommen. Ziel war es, zugrundeliegende Ursachen und Diagnosen für das Symptom pulssynchrones Ohrgeräusch festzumachen. Die erhobenen Befunde wurden je nach Plausibilitätsgrad in 4 Gruppen klassifiziert: eindeutig, wahrscheinlich, plausibel, und unklar. Zusätzlich erfolgte die Auswertung der angewandten therapeutischen Behandlungsansätze und ihrer Ergebnisse.
Die häufigsten Ursachen waren ein hochstehender Bulbus der Vena jugularis interna mit 19%, eine Schleife der Arteria cerebelli inferior anterior im inneren Gehörgang mit 15% gefolgt von einer arteriovenösen Fistel mit 10% und Gefäßstenosen mit 9%. Bei ca. 30% unseres Patientenkollektivs konnte keine Quelle für das pulsierende Ohrgeräusch eruiert werden. Bei 29% der Patienten konnte die Ursache als eindeutig klassifiziert werden, bei 25% als plausible Ursache und bei 17% als wahrscheinlich. Bei den insgesamt 14 Patienten, die entweder eine konservative oder eine interventionell/chirurgische Behandlung erhielten, kam es bei 71% zu einer Beseitigung des Ohrgeräusches. 5 von 7 Patienten mit einer a.v. Fistel waren, nach einer erfolgreichen endovaskulären Intervention, postoperativ beschwerdefrei. Eine angioplastische Intervention mittels Stenting führte bei zwei Patienten mit einer ACI Stenose (>70%) zur Beseitigung des Ohrgeräusches. Jeweils ein Patient profitierte von der Behandlung einer Bogengangsdehiszenz, einer intrakraniellen Hypertension sowie einer chirurgischen Sanierung eines Paraganglioms, nach vorgegangener endovaskulärer Embolisation, mit der daraus resultierenden Auslöschung des Ohrgeräusches. Bei den restlichen Patienten persistierte es trotz Behandlung.
Ein pulssynchrones Ohrgeräusch hat viele äußerst unterschiedliche Ursachen. Für eine sachgerechte Evaluation und adäquate Behandlung von Patienten mit pulssynchronem Ohrgeräusch ist eine enge multidisziplinäre Zusammenarbeit unabdingbar. Eine eindeutige Diagnose kann oft nur gestellt werden, wenn alle klinischen sowie alle bildmorphologischen Befunde, die auf einem einheitlichen, routinemäßigen Untersuchungsprotokoll basieren, zusammengetragen und kritisch abgestimmt werden.
Der subjektive Tinnitus ist ein Symptom unterschiedlicher Ursachen. Trotz vielversprechender Ansätze und deutlicher Fortschritte beim Verständnis der Pathophysiologie konnte sich bislang keine einheitliche Therapie durchsetzen. Es gibt ein Vielzahl von Therapieansätzen, deren klinische Wirksamkeit häufig nicht ausreichend untersucht sind. Ziel dieser Arbeit war es deshalb, eine Bilanz zur Anwendung des modifizierten antiphlogistisch-rheologischen Stennert-Schemas und des Infusionsschemas mit Procain bei der Behandlung des subjektiven Tinnitus (mit oder ohne begleitende Hörminderung) zu ziehen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgte deshalb eine retrospektive Auswertung von 281 Patienten, die im Zeitraum vom 01.01.1997 bis 14.12.2000 an der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Universität Würzburg behandelt wurden. In einem zweitem Schritt wurden das modifizierte antiphlogistisch-rheologische Infusionsschema nach Stennert und das Infusionsschema mit Procain gegenüber einem Placebo (NaCl-Infusionen) im Rahmen einer prospektiven Studie untersucht. Dabei handelte es sich um die erste prospektive, randomisierte Doppelblindstudie zum Tinnitus, die verschiedene Infusionsschemata gegenüber einer Placebomedikation untersuchte. In der prospektiven Untersuchung lagen Ergebnisse von 34 Patienten vor, die in der Zeit vom 05.08.1999 bis 20.07.2002 behandelt wurden. Im retrospektiven Kollektiv zeigte sich bei der Behandlung akuter Ohrgeräusche mit dem modifizierten Stennert-Schema bei 45 (21%) der 216 Patienten eine Vollremission und bei 58% (n=125) der Fälle verringerte sich die Tinnituslautheit. In der Procain-Therapiegruppe wurde bei 60% (n=15) der 25 Patienten im retrospektiven Untersuchungsteil eine Abnahme der Tinnituslautheit beobachtet (Vollremission bei 4%; n=1). Bei 40 Patienten der retrospektiven Untersuchung mit chronischem Tinnitus konnte mit dem modifizierten Stennert-Schema bei 50% (n=16) und mit Procaininfusionen bei 63% (n=5) der Patienten eine Verringerung der Tinnituslautheit erzielt werden. Dabei sistierte bei 6% (n=2) der Patienten aus der mod. Stennert-Therapiegruppe das Ohrgeräusch komplett. Die Patienten im retrospektiven Kollektiv mit einer Hörminderung zeigten nach der Therapie mit dem mod. Stennert-Schema eine durchschnittliche Hörerho-lung von 18,7 dB. Bei 29% (n=26) dieser Patienten erholte sich das Hörvermö-gen vollständig und 44% (n=40) hatten eine Teilerholung. In der Procain-Therapiegruppe konnte bei Patienten mit einer Hörminderung eine Besserung in 71% der Fälle (n=5) registriert werden, eine Restitutio ad Integrum wurde nicht beobachtet. Das Hörvermögen erholte sich in dieser Therapiegruppe im Durchschnitt um 20,0 dB. 42 Patienten des retrospektiven Kollektivs, die initial mit dem mod. Stennert-Schema therapiert wurden, unterzogen sich einer Anschlussbehandlung mit Procain. Bei 45% (n=19) der Patienten verringerte sich das Ohrgeräusch, ein Sistieren des Tinnitus trat dabei nicht auf. Auf das Therapieergebnis hatte die Zeitspanne zwischen Symptom- und Therapiebeginn einen hochsignifikanten Einfluss (p=0,00002). Je eher mit der Infusionstherapie begonnen wurde, desto günstiger war die Prognose. Die besten Therapieergebnisse zeigten sich bei Latenzzeiten von weniger als 24 Stunden. Lagen zwischen Symptom- und Therapiebeginn über 28 Tage, zeigten sich Behandlungsergebnisse wie bei einem chronischen Tinnitus. Alio loco vorbehandelte Patienten zeigten schlechtere Therapieergebnisse als Patienten ohne vorherige Therapie (p=0,00003). Bei Patienten mit einem Tinnitusrezidiv lag der Anteil an Vollremissionen deutlich unter dem erstmalig erkrankter Patienten. Dies war statistisch jedoch nicht signifikant. Keinen Ein-fluss auf die Prognose hatten hingegen das Alter und Geschlecht der Patienten. Im prospektiven Untersuchungsteil konnte durch die Infusionstherapie mit dem mod. Stennert-Schema bei 57% (n=8) der 34 Patienten eine Restitutio ad Integrum und bei 43% (n=6) der Fälle eine Teilremission des Tinnitus erzielt werden. In der Procain-Therapiegruppe zeigten 50% (n=4) der Patienten eine Vollremission und 25% (n=2) der Fälle eine Teilremission. In der Kontrollgruppe mit NaCl kam es nur bei 16% (n=2) der Fälle zu einer Vollremission und bei 42% (n=5) der Patienten zu einer Teilremission des Tinnitus. Auch die Veränderung des WHF-Scores konnte die besseren Ergebnisse in der mod. Stennert-Therapiegruppe (Besserung von 15,8 Gra-den) und in der Procain-Therapiegruppe (Besserung von 14,5) darlegen. In der NaCl-Therapiegruppe fand sich nur eine Besserung um 9,8 Grade. 15 Patienten der prospektiven Untersuchung hatten einen Tinnitus und gleichzeitig eine akute Hörminderung. Nach der Infusionstherapie mit dem mod. Stennert-Schema verbesserte sich das Hörvermögen im Durchschnitt um 22,0 dB. In der Procain-Therapiegruppe ergab sich eine durchschnittliche Hörverbesserung um 22,8 dB, und in der NaCl-Therapiegruppe zeigte sich eine Verbesserung des Hörvermögens um 15,4 dB. Die Infusionstherapie mit dem modifizierten antiphlogistisch-rheologischen Stennert-Schemas und dem Infusionsschemas mit Procain waren gut verträg-lich. Nebenwirkungen, die einen Abbruch der Behandlung erfordert hätten, traten nicht auf. Die hier vorgestellten Therapieergebnisse zeigen deutlich, dass das modifizierte antiphlogistisch-rheologische Infusionsschema nach Stennert eine gute Wirksamkeit bei der Behandlung von Ohrgeräuschen hat. Dabei ist diese Wirkung einem Placebo deutlich überlegen. Das Infusionsschema mit Procain stellt eine zusätzliche Therapieoption bei chronischem Tinnitus, sowie als Anschlußbehandlung nach erfolgter Behandlung mit dem modifizierten Stennert-Schema dar.