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Die klinische Symptomatik verschiedener erblicher Muskelerkrankungen verläuft oft erstaunlich ähnlich mit Muskelschwäche und -schwund als den hervorstechenden Alltagsproblemen. Dem gegenüber sind die genetischen Grundlagen sehr vielfältig mit > 250 bisher identifizierten Genen (musclegenetable.org). Auch innerhalb eines definierten Krankheitsbildes werden verschiedene genetische Ursachen nebeneinander gefunden, was durch die Verknüpfung in einem gemeinsamen Pathomechanismus begründet sein kann. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten dieser genetischen Heterogenität am Beispiel der beiden häufigen Muskelerkrankungen Myotone Dystrophie (DM) und Facioscapulohumerale Muskeldystrophie (FSHD), bei denen alternative genetische Ursachen, sowie anknüpfende Fragestellungen untersucht wurden.
Das erste Projekt dieser Arbeit beschäftigt sich mit Fragestellungen, welche die DM betreffen. Die DM Typ 1 und Typ 2 (DM1 und DM2) bilden zusammen die häufigste Muskelerkrankung im Erwachsenenalter. Sie ist durch die gemeinsamen Symptome Myotonie, Muskelschwäche und Katarakt sowie die Beteiligung weiterer Organsysteme gekennzeichnet, was sie zu einer multisystemischen Erkrankung macht. Die genetische Ursache liegt für beide Formen in einer Repeatexpansion eines Mikrosatelliten in der untranslatierten Region zweier Gene (DMPK in DM1, CNBP in DM2). Dem gemeinsamen Pathomechanismus liegt eine toxische Funktionsgewinn-Mutation des expandierten RNA-Transkripts zugrunde.
Die beiden bekannten Formen der DM sind phänotypisch häufig nicht unterscheidbar, weshalb in vielen Fällen beide Erkrankungen molekulargenetisch untersucht werden müssen. Dabei ist die Diagnostik der DM durch die Notwendigkeit des Nachweises von sehr großen Repeatexpansionen recht aufwändig und die Bestimmung der Repeatlänge im Fall der DM2 nur eingeschränkt möglich. Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein Test zum Nachweis der Repeatexpansionen auf der Basis der Methode des Molecular Combing entwickelt, welche den gleichzeitigen Nachweis der beiden Loci von DM1 und DM2 erlaubt und zusätzlich eine direkte Messung der Repeatlänge ermöglicht. Das Molecular Combing ist eine fluoreszenz-mikroskopische Einzelmolekül-Analysemethode, durch die es erstmals möglich wurde, die vermutete somatische Instabilität bei DM2 darzustellen.
Das zweite DM-Teilprojekt beschäftigt sich mit der Identifikation möglicher alternativer genetischer Ursachen für die Erkrankung. Dies wurde anhand einer Kohorte von 138 DM1- und DM2-negativen Indexpatienten mit dem typischen DM-Phänotyp untersucht. Ausgehend von dem gemeinsamen Pathomechanismus wurden die primären Krankheitsgene DMPK und CNBP, sowie CELF1 und MBNL1, welche wichtige Rollen auf sekundärer Ebene des Pathomechanismus spielen, mittels Next Generation Sequencing untersucht. Dabei wurde eine auffällige Variante in DMPK gefunden, keine Varianten in CNBP oder CELF1 und drei Varianten in MBNL1, was auf MBNL1 als Kandidatengen einer alternativen Ursache für DM hinweist. MBNL1 ist ein gewebespezifischer Spleißregulator, welcher einen Wechsel von einem fetalen zu einem adulten Spleißmuster im Muskel steuert. Die Pathogenität einer der Varianten wurde in einem RNA-Spleißassay mit MBNL1-Targetgenen untersucht. Dabei konnten keine spezifischen Spleiß-Effekte festgestellt werden, aber eine Verminderung des Expressionsniveaus im Sinne einer Haploinsuffizienz. Die 3D-Modellierung dieser Variante deutet auf Änderungen der Oberflächenladungen in MBNL1 hin. Der Nachweis der Pathogenität der Varianten und somit die Ursächlichkeit von MBNL1-Mutationen für DM konnte hiermit nicht abschließend geklärt werden. Die gefundenen Ergebnisse regen jedoch hoffentlich zu nachfolgenden Studien an.
Das zweite Projekt dieser Arbeit beschäftigt sich mit Fragestellungen um die FSHD. Diese bildet die dritthäufigste Muskelerkrankung, charakterisiert durch eine oft asymmetrische Schwäche der Muskulatur von Gesicht, Schultergürtel und Oberarmen. Genetisch ist die FSHD Typ 1 (FSHD1) mit einer Kontraktion des Makrosatelliten D4Z4 verknüpft, was eine Relaxation der Chromatinstruktur der Region mit sich bringt und damit die ektopische Expression des apoptotisch wirkenden Proteins DUX4 ermöglicht. Die pathogene Ausprägung dieser Funktionsgewinn-Mutation findet dabei nur in Verbindung mit einem FSHD-permissiven Haplotyp statt.
Auf der Grundlage des gleichen Pathomechanismus wurde eine zweite Form der FSHD (FSHD2) vorgestellt, bei der die Chromatinrelaxation unabhängig von der Länge von D4Z4 durch einen Defekt in dem an der DNA-Methylierung beteiligten Gen SMCHD1 assoziiert sein soll. Die Vererbung von FSHD2 verläuft digenisch mit Mutationen in SMCHD1 und dem FSHD-permissiven Haplotyp auf zwei unabhängigen Loci. Im Rahmen dieser Arbeit wurde eine Kohorte von 55 FSHD1-negativen Patienten mit dem typischen FSHD-Phänotyp untersucht. Dabei wurden der Haplotyp, die Methylierung von D4Z4 sowie das SMCHD1-Gen analysiert. Es konnten neun Patienten mit einem Defekt in SMCHD1 identifiziert werden. In einer zweiten Kohorte von 45 FSHD1-positiven Patienten wurde untersucht, ob SMCHD1-Mutationen auch in Kombination mit einer Kontraktion von D4Z4 vorkommen. Dieser Fall von FSHD1+2 konnte für drei Patienten gezeigt werden, welche außerdem einen auffällig schweren Phänotyp zeigten. SMCHD1 kann also als Modifier-Gen für die Schwere der Erkrankung bei FSHD1 angesehen werden. Damit wurden insgesamt zwölf SMCHD1-Mutationsträger identifiziert, davon sind zehn der Varianten noch nicht beschrieben worden. Für alle erkrankten Mutationsträger konnte eine Methylierung von D4Z4 ≤ 20 % ermittelt werden, was als diagnostisches Kriterium verwendet werden kann. Mit einem Anteil von 16,3 % Mutationsträger in der FSHD1-negetiven Kohorte bildet FSHD2 einen bedeutenden Anteil an dem Krankheitsbild der FSHD, weshalb die entwickelten Analysen in die Routinediagnostik eingegliedert wurden.
Das zweite Teilprojekt der FSHD beschäftigt sich mit der Funktion des SMCHD1-Gens bei der X-Inaktivierung (XI). Es ist bekannt, dass SMCHD1 bei weiblichen Mäusen an der Aufrechterhaltung der XI mitwirkt. Die Untersuchung der XI bei FSHD2-Frauen ergab eine extreme Verschiebung der erwarteten XI von 50:50 auf 0:100 oder 100:0 bei sechs von 13 Patientinnen. Die übrigen sieben zeigten eine XI im Normalbereich von > 20:80 oder < 80:20. Der Befund der einseitigen Verschiebung könnte auf einen negativen Selektionsdruck gegenüber Zellen mit unvollständiger XI hindeuten. Es wäre interessant zu untersuchen, ob sich der gleiche Effekt auch in einer größeren Kohorte wiederfindet und ob er sich mit der Art der Mutation korrelieren lässt.