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Bei dem Deletionssyndroms 22q11.2 (DS 22q11.2) als eines der häufigsten menschlichen Mikrodeletionssyndrome wurde in den letzten Jahren zunehmend über Symptome aus dem neuropsychiatrischen Spektrum berichtet, insbesondere Schizophrenie und die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Eine gestörte Inhibitionsfähigkeit und Aufmerksamkeitsdefizite, wie sie bei ADHS anzutreffen sind, wurden mit einer Funktionsstörung des Anterioren Cingulären Cortex (ACC) in Zusammenhang gebracht. Mit einer einfachen und nebenwirkungsfreien computergestützten neurophysiologischen Methode ist es möglich, ein elektrophysiologisches Korrelat der ACC-Funktion, die sogenannte NoGo-Anteriorisierung (NGA) zu messen. Eine reduzierte NGA wurde in früheren Untersuchungen u.a. bei Patienten mit ADHS und Schizophrenie als auch DS 22q11.2 als Hinweis auf eine verminderte Aktivität des ACC gefunden. Basierend auf erhobenen Vorbefunden stellten wir die Hypothese auf, dass bei Patienten mit DS 22q11.2 eine präfrontale Dysfunktion, untersucht mittels computergestützter elektrophysiologischer CPT-Testung, im Sinne einer verminderten Fähigkeit zur Antwortinhibition durch den neurophysiologischen Parameter NGA nachzuweisen ist. Zusätzlich wurde eine Kontrollgruppe gesunder parallelisierter Probanden sowie eine klinische Kontrollgruppe mit ADHS untersucht. Zum Anderen sollte in dieser Doktorarbeit explorativ der Frage nachgegangen werden, inwiefern die NGA die Suszeptibilität für psychische Störungen widerspiegelt und langfristig als potentieller Surrogatmarker für die erhöhte psychiatrische Komorbidität dienen könnte. Obwohl eine hypothesenkonforme NGA-Reduktion bei den Patienten mit DS 22q11.2 nachgewiesen werden konnte, war diese nicht auf eine verminderte Antwortinhibition zurückzuführen. Im Gegensatz zu früheren Befunden bei Schizophrenie und ADHS beruhte die NGA-Reduktion nicht auf einer verminderten Anteriorisierung des NoGo-Centroids, sondern auf einer isolierten Anteriorisierung des Go-Centroids. Die Topographie der Centroide ist bislang als spezifisch für DS 22q11.2 anzusehen und sollte im Weiteren hinsichtlich seiner Relevanz bei der psychiatrischen Disposition untersucht werden. Des Weiteren zeigte sich in der Quellenlokalisation LORETA bei DS 22q11.2 eine unveränderte Aktivität des ACC während der Antwortinhibition, jedoch eine verminderte linkstemporale Aktivität während der Go-Bedingung. Die klinische Kontrollgruppe von ADHS-Patienten, die aufgrund der hohen Komorbidität mit ADHS untersucht wurde, zeigte dieses Aktivierungsmuster nicht. Unterschiedliche Aktivierungsmuster unterstützen die Annahme, dass die beobachteten Veränderungen bei DS 22q11.2 nicht auf das komorbide Vorliegen von ADHS zurückzuführen sind, sondern vielmehr spezifische Defizite widerspiegeln könnten.
In der vorliegenden Arbeit wurde ein Vergleich der klinischen Erscheinungsbilder des vorwiegend unaufmerksamen Subtypus mit dem Mischtypus der ADHS nach DSM-IV-Kriterien vorgenommen. Ausgehend von Ergebnissen vorangehender Studien wurde der Frage nachgegangen, ob die Subtypen unterschiedliche Verteilungsmuster komorbider Störungen zeigen. So wurde überprüft, ob der Mischtypus insgesamt schwerer von Komorbidität betroffen ist und häufiger externale Störungen (Störung mit oppositionellem Trotzverhalten bzw. Sozialverhaltensstörungen) aufweist. Beim vorwiegend unaufmerksamen Subtypus hingegen wurde eine stärkere Belastung mit internalen Störungsbildern (Angst- und depressive Störungen) und der Lese- Rechtschreibstörung angenommen. Der Stichprobenumfang (n=124) erlaubte zusätzlich eine getrennte Betrachtung der Geschlechter sowie von Kindern und Jugendlichen. Dadurch sollten geschlechts- und entwicklungsabhängige Einflüsse aufgezeigt werden, die in der Literatur bisher unberücksichtigt blieben. Erstmals wurden in dieser Untersuchung neben den Tic- und den Ausscheidungsstörungen auch weitere psychiatrische Diagnosen (Substanzmissbrauch, Zwangs- und Essstörungen sowie Belastungsreaktionen) mitberücksichtigt, um empirische Erkenntnisse über eine potentiell differente Assoziation derselben mit den ADHS-Subtypen zu gewinnen. Zur Beurteilung der klinischen Subtypen wurde mit allen Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern ein halbstrukturiertes Interview durchgeführt (K-SADS-PL) und somit die entsprechenden psychiatrischen Lebenszeitdiagnosen der Probanden erhoben. Zur dimensionalen Beurteilung der psychischen Auffälligkeiten der Kinder wurde von den Eltern ein Breitbandfragebogen (CBCL) ausgefüllt; zusätzlich schätzten die Probanden ihre aktuelle depressive Symptomatik mittels eines Selbstbeurteilungsbogens ein. Die ADHS-Symptomatik wurde sowohl klinisch als auch anhand eines störungsspezifischen Lehrerfragebogens (FBB-HKS) beurteilt. Durch diese multimodale Vorgehensweise konnten informanten- und instrumentenabhängige Verzerrungen der Ergebnisse minimiert werden. Alle Ergebnisse der kategorialen Diagnostik mittels K-SADS-PL wurden durch die dimensionale Auswertung des Elternurteils (CBCL) gestützt, was auf eine hohe Validität der durchgeführten Interviews verweist. Die Variablen Alter, Geschlecht sowie kognitives Leistungsniveau wurden im Rahmen dieser Dissertationsarbeit erstmals in einer Studie zur Komorbidität der ADHS-Subtypen ausführlich untersucht. Zudem wurden diese im Rahmen der Parallelisierung der Vergleichsgruppen berücksichtigt, ein Vorgehen was sich aus den in der Literatur beschriebenen Interaktionen dieser Variablen mit komorbiden Störungen ergibt. Des Weiteren ist die im Rahmen der Untersuchung durchgeführte differenzierte Leistungstestung der schriftsprachlichen Fertigkeiten bei einer ADHS-Population als Neuerung zu betrachten, da bisher noch keine Untersuchung zur differenten Komorbidität der ADHS-Subtypen mit Legasthenie durchgeführt wurde. Es konnte gezeigt werden, dass die genannten Faktoren signifikanten Einfluss auf die Ergebnisse der Komorbiditätsforschung haben, weshalb deren Berücksichtigung in zukünftigen Forschungsprojekten dringend zu empfehlen ist. Diese Studie widerlegt die Annahme, dass sich die ADHS bei den Geschlechtern in gleicher Weise manifestiert: Nach unseren Ergebnissen ist davon auszugehen, dass eine höhere komorbide Gesamtbelastung des Mischtypus im Vergleich mit dem vorwiegend unaufmerksamen Subtypus nur beim männlichen Geschlecht besteht. Bei Mädchen ist ADHS-U ebenso stark von Komorbidität betroffen wie ADHS-M; der unaufmerksame Subtypus zeigte hier nach Elternurteil sogar stärkere Probleme im sozialen Bereich als der Mischtypus. Eine höhere Rate an externalisierenden Störungsbildern beim Mischtypus war für Gesamtstichprobe und für die männliche Stichprobe nachzuweisen – bei den weiblichen Probanden waren die Subtypen diesbezüglich gleich schwer betroffen. Die im Rahmen dieser Studie gefundenen hohen Komorbiditätsraten mit affektiven Störungen decken sich mit der Annahme, dass eine Assoziation zwischen Unaufmerksamkeit und depressiver Symptomatik besteht. Ob dies zu einer unterschiedlichen Belastung der von Unaufmerksamkeit gekennzeichneten Subtypen ADHS-U und ADHS-M führt, kann nach bisheriger Datenlage nicht beantwortet werden. Hinweise darauf, dass ADHS-U stärker mit depressiven Störungen belastet ist, ergaben sich in unserer Stichprobe in der Altersgruppe unter 12 Jahren. Im Kindesalter war der vorwiegend unaufmerksame Subtypus zudem signifikant häufiger von Lese-Rechtschreibstörung betroffen als der Mischtypus; beide Ergebnisse waren in der Altersgruppe zwischen 12 und 17 Jahren nicht nachweisbar. In Zusammenschau mit Voruntersuchungen lassen sich diese Befunde im Sinne einer heterogenen ADHS-U-Gruppe im Jugendalter deuten: Sie setzt sich sowohl aus Patienten zusammen, die seit Kindheit vorwiegend unaufmerksam klassifiziert wurden sowie aus solchen, die ursprünglich die Kriterien für ADHS-M erfüllten und als Jugendliche – nach entwicklungsbedingtem Rückgang der motorischen Hyperaktivität – ADHS-U zugeordnet werden. Die höchste Rate an affektiven Störungen in unserer Stichprobe war für die weibliche ADHS-U-Gruppe nachzuweisen; diese war auf allen internalen Skalen der CBCL signifikant stärker betroffen als Mädchen vom Mischtypus. Für die Angststörungen zeigte sich hingegen beim Mischtypus eine signifikant stärkere Betroffenheit des männlichen Geschlechts; im Vergleich mit männlichen Versuchsteilnehmern des vorwiegend unaufmerksamen Subtypus deutete sich ein entsprechender Unterschied an. Insofern ergeben sich aus der vorliegenden Untersuchung neue Hypothesen, bei denen besonders die gefundenen Interaktionen zwischen ADHS-Subtyp und Geschlecht und die Entwicklungsaspekte zu berücksichtigen sind.