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In dieser erziehungswissenschaftlichen Arbeit wurden Lebensläufe chronisch mehrfach beeinträchtigter Abhängigkeitskranker unter besonderer Berücksichtigung der Eigen – und Fremdsicht der Betroffenen untersucht. Der zugrunde liegende pädagogische Gedankengang geht auf Pestalozzi zurück: „Das Leben bildet“ (Pestalozzi) – der Lebensverlauf, wie er vor allem im autobiographischen Rückblick Betroffener versprachlicht vorliegt, kann als Bildungsprozess gesehen werden – als Lebensweg, der den Betroffenen dorthin geführt hat wo er sich heute befindet. Somit kann auch chronischer Alkoholismus in einem wertfreien und deskriptiven Sinne als Bildungsereignis verstanden werden. Forschungsmethodisch wurden 17 qualitative Interviews (Ich - Narrationen) erhoben welche nach dem Konzept der „hermeneutischen Psychologie“ (Bittner) ausgewertet wurden. Zusätzliche Therapeuteninterviews über die Betroffenen haben das Verständnis für das subjektive Erleben der Probanden vertieft. Die qualitative Auswertung betrachtete vor allem den Ich - Bezug zur Suchterkrankung. Meist zeigte sich eine sehr negative, oftmals selbstabwertende Sicht auf den Krankheitsverlauf. Auffällig waren auch die teils starken Divergenzen bezüglich der Fremdperspektive.
1. Forschungsproblem
Heterogene wie normative Orientierungsmuster im Kontext individueller Lebensverläufe bilden den Ausgangspunkt der qualitativ-empirischen Studie zur Lebensgestaltung von Frauen mit ländlich-katholischer Herkunft. Während innerhalb der pädagogischen Biographieforschung gegenwärtige Lebensführung als biographische Eigenleistung gefasst wird (vgl. Alheit, 1990), werden von der soziologischen Lebenslaufforschung vor allem Verflechtungsprozesse hervorgehoben, die den Lebenslauf offen oder verdeckt strukturieren (vgl. Born/Krüger/Lorenz-Meyer, 1996). Gegenwärtige Lebensführung ist im Kontext vervielfältigter und zugleich normativer Orientierungsmuster zu sehen.
Angesichts ländlich-religiöser Beharrungsstrukturen (vgl. Becker, 1997a/b) wie geschlechts- und generationsspezifischen Strukturierungsprozesse (vgl. Dausien, 1996; 1997) tritt das Verflechtungspotential über Struktur und Norm im Lebensverlauf zweier Frauengenerationen mit ländlicher und katholischen Herkunft verstärkt zu Tage, weshalb die hier untersuchte biographische Eigenleistung in der Auseinandersetzung mit ländlicher, intergenerativer und kirchlich-religiöser Traditionenverhaftung untersucht wird.
2. Fragestellung
In der Studie wird der Forschungsfrage nachgegangen, wie Frauen zweier Generationen mit ländlich-katholischer Herkunft ihre Lebensgestaltung im Kontext heterogener und normativer Orientierungsmuster bewerkstelligen. Dabei wird sowohl die Rolle geschlechtsspezifischer, ländlicher, intergenerativer sowie religiös konnotierter Orientierungsmuster im Kontext gegenwärtiger Lebensführung erforscht als auch nach biographischen Ressourcen gefragt.
3. Methode
Die Studie verwendet ein qualitativ-empirisches Verfahren, das auf leitfadengesteuerten Interviews beruht und in der Auswertung dem methodischen Vorgehen der `Revised Grounded Theory´ (Strauss/Corbin, 1996) folgt. Die Befragung umfasst vierzehn Frauen mit ländlicher und katholischer Herkunft zweier Generationen. Dabei wurden sieben Mutter-Tochter-Paare jeweils getrennt voneinander interviewt.
Die qualitative Erhebung individueller Lebensführung im Kontext heterogener wie normativer Orientierungsmuster wurde über Erzählungen biographischer Diskrepanzerfahrungen eingeholt. Die Konzeptualisierung biographischer Eigenleistungen im Kontext sozialer Strukturierung erfolgte mit Hilfe handlungstheoretischer und soziologischer Konzepte, die im Auswertungsprozess zur Typenbildung biographischer Organisation geführt wurden.
Die Rolle ländlich- oder religiöskonnotierter sowie geschlechtsspezifischer oder intergenerativer Orientierungsmuster wurde über die Rekonstruktion verflechtender Prozesse im Umgang mit Diskrepanzerfahrungen ermittelt.
4. Empirische Erkenntnisse
Biographische Eigenleistungen der Befragungsgruppe lassen sich in vier verschiedene Formen differenzieren (selbstbestimmt, rational, vereinfacht, zufallshaft), wobei die subjektive Einstellung zur Handlungs- oder Lösungsorientierung eine maßgebliche Rolle bei der Ausgestaltung spielt. Die ermittelten Typen unterscheiden sich über das zugrunde liegende Selbstkonzept, die subjektiv wahrgenommene Handlungskapazität sowie über verschiedene zum Tragen kommende biographische Gestaltungsmodi.
Die Rekonstruktion relevanter Orientierungsmuster ergab sowohl in Form von subjektiven Wertmaßstäben als auch über die Relevanz sozialer Beziehungen zum Teil eine strukturwirksame Rolle in den untersuchten Lebensverläufen. Ebenso nehmen vor allem geschlechtsspezifisch konnotierte Orientierungsmuster in biographischen Entscheidungssituationen mitunter eine diskrepanzbehaftete Rolle ein.
5. Einordnung in den Forschungskontext
Angesichts der ermittelten Selbstkonzepte, die biographischen Eigenleistungen zugrunde liegen, liefert die Studie empirisches Anschauungsmaterial vielfältiger und variabler Selbstbilder, von denen in der gegenwärtigen Selbstkonzeptforschung ausgegangen wird.
Darüber hinaus konnten subjektive Einstellungen zur Handlungs- und Lösungsorientierung als wesentliche Parameter biographischer Eigenleistungen für die Biographieforschung identifiziert werden.
Ebenso leisten die Ergebnisse einen Beitrag zur Diskussion biographischer Ressourcen gegenwärtiger Lebensführung. Im Umgang mit biographischen Diskrepanzerfahrungen wurden ein authentisches Selbstkonzept, die Arbeit am Selbst sowie die Fähigkeit zur diskursiven Reflexivität als biographische Ressourcen ermittelt.
Im Kontext der Geschlechterforschung weisen die vier Typen biographischer Organisation auf reproduzierende wie modifizierende Prozesse gesellschaftlicher Verhältnisse über den Lebensverlauf hin.
Die hier vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zur Erforschung von Lernprozessen in biographischen Zusammenhängen. Im Zentrum der Betrachtung stehen kritische Lebensereignisse als Impulsgeber. Konkret wird die Untersuchung an dem kritischen Lebensereignis ‚Nichtbestehen eines Assessment Centers (ACs) zur Zulassung einer Führungsaufgabe’ durchgeführt. Ziel der Untersuchung ist es, herauszufinden, welche Lernprozesse bei unterschiedlichen Individuen in Folge des Nichtbestehens des ACs zu beobachten sind. Im Rahmen der Untersuchung stehen dabei drei unterschiedliche Analyseebenen im Fokus: die Einzelfallanalyse, die fallübergreifende und die fallvergleichende Analyse. Darüber hinaus ist die Untersuchung in einem Paneldesign angelegt, um zusätzlich einen Beitrag über die Veränderungen jener Lernprozesse im zeitlichen Verlauf leisten zu können. Im Rahmen der Datenerhebung sind dafür zwölf Interviews in der Panelwelle t1 und aufgrund der Panelmortalität elf Interviews in der Panelwelle t2 mit AC-Teilnehmer(inne)n, die das Verfahren nicht bestanden haben, geführt worden. Für alle drei Ebenen gilt, dass Lernprozesse sowohl auf mentaler als auch auf aktionaler Ebene eintreten und zudem im zeitlichen Verlauf und durch weitere (Lebens-) Ereignisse einer Veränderungsdynamik unterliegen.