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Die spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine monogenetische Erkrankung, bei der es durch den Verlust des SMN Proteins zur Degeneration der α-Motoneurone im Rückenmark kommt. Abhängig vom Schweregrad zeigen die Patienten bereits innerhalb der ersten Lebensmonate ausgeprägte Lähmungen der Skelettmuskulatur und eine Zwerchfellparese einhergehend mit einer reduzierten Lebenserwartung. Mithilfe von Mausmodellen für die SMA konnte gezeigt werden, dass der Motoneuronenverlust bei Smn-defizienten Mäusen mit Störungen der Neurotransmission an der motorischen Endplatte und mit Differenzierungsstörungen der Motoneurone einhergeht. Die Differenzierungs-störungen primärer Smn-defizienter Motoneurone sind eng gekoppelt mit einer verminderten Clusterbildung spannungsabhängiger Kalziumkanäle im distalen axonalen Bereich. Dies wiederum führt zu einer verminderten Frequenz spontaner Kalziumeinströme am Axonterminus und hat eine veränderte axonale Elongation zur Folge.
Es wurden folgende Aspekte in Bezug auf die Verstärkung und die Induktion spontaner Kalziumeinströme in Mausmodellen für spinale Muskelatrophien in dieser Arbeit adressiert:
1) Lassen sich spontane Kalziumeinströme in Smn-defizienten Motoneuronen durch die externe Applikation von Kalziumkanalagonisten verstärken?
2) Sind spontane Kalziumeinströme in primären Motoneuronen durch den Brain-derived-neurotrophic-factor (BDNF) induzierbar?
3) Zeigen primäre Motoneurone eines Mausmodells für spinale Muskelatrophie mit Ateminsuffizienz Typ 1 (SMARD1) ebenfalls veränderte Kalziumtransienten?
Die Ergebnisse meiner Arbeit zeigen, dass durch den Kalziumkanalagonisten R-Roscovitine die Frequenz der spontanen Kalziumeinströme im distalen Axon von Smn-defizienten Motoneuronen signifikant erhöht wird. Dies hat wiederum einen regulierenden Effekt auf die Differenzierung der SMA Motoneurone zur Folge. Smn-defiziente Motoneurone zeigen somit keine Unterschiede mehr in Bezug auf Axonlängen und Wachstumskegelflächen im Vergleich zu Kontrollzellen. Für R-
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Roscovitine ist neben der agonistischen Wirkung am Kalziumkanal auch ein inhibitorischer Effekt auf die Cyclin-abhängige Kinase 5 beschrieben. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass die erhöhten Kalziumtransienten unter der Behandlung mit R-Roscovitine durch eine direkte Bindung an die Cav2 Kalziumkanäle verursacht werden und nicht durch eine Cdk5 Blockade. Dafür spricht die schnelle und reversible Wirkung von R-Roscovitine, sowie die Aufhebung des R-Roscovitines Effekts bei gleichzeitiger Gabe des Cav2.2 Antagonisten ω-Conotoxin MVIIC.
Der zweite Aspekt dieser Arbeit behandelt den Einfluss der neurotrophen Faktoren BDNF, CNTF und GDNF auf die Kalziumtransienten am Wachstumskegel wildtypischer Motoneurone. Der Vergleich der neurotrophen Faktoren zeigt, dass nur BDNF eine induzierende Wirkung auf spontane Kalziumtransienten am Wachstumskegel hat.
Der letzte Abschnitt dieser Arbeit beschäftigt sich mit den Kalziumtransienten bei Motoneuronen aus dem Nmd2J (SMARD1) Mausmodell. Die SMARD1 gilt als eigenständige Form der spinalen Muskelatrophien mit unterschiedlicher Genetik und unterschiedlichen klinischen Merkmalen. Die Motoneurone weisen in Bezug auf die Kalziumtransienten keine Unterschiede zwischen Wildtyp und Nmd2J Mutante auf. Es ergibt sich somit kein Hinweis darauf, dass die Degeneration der Motoneurone bei der SMARD1 von einer Störung der Kalziumhomöostase im distalen axonalen Bereich ausgeht.
Die spinale Muskelatrophie ist nach der zystischen Fibrose die zweithäufigste Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang und Todesfolge bei Kindern. Der Mangel an intaktem SMN-Protein führt zu einer retrograden Degeneration der Motoneurone. Je nach prozentualem Mangel des SMN-Proteins ergeben sich unterschiedliche Verlaufsformen. Im Falle der schwersten Form liegt die Lebenserwartung unter zwei Jahren für Neugeborene. Die genaue Ursache der spinalen Muskelatrophie ist nicht abschließend geklärt. Klar ist jedoch, dass eine Differenzierungsdefekt an der muskulären Endplatte der Motoneurone vorliegt. In Zusammenschau der hier generierten Ergebnisse und zahlreicher Vorarbeiten zeigt sich, dass eine gestörte Kalziumhomöostase mitverantwortlich für diese Differenzierungsstörung ist. Dies ist am ehesten durch gestörte lokale Kalziumtransienten und eine veränderte Mikrostruktur der Endplatte, im Sinne des Fehlens der für die Differenzierung essentiellen Kalziumkanal-Cluster, zu erklären. Auch wenn die Wiederherstellung der Kalziumhomöostase keinen Einfluss auf die Menge an vorhandenem SMN-Protein hat, zeigt der Einsatz des Kalziumkanalagonisten R-Roscovitine eine restitutio des Phänotyps kultivierter Motoneurone in vitro, sowie auch eine signifikante Lebensverlängerung von murinen Tieren mit einer der SMA I äquivalenten Verlaufsform in vivo. Auch wenn es sich im Falle des Einsatzes von Kalziumkanalagonisten nicht um eine kausale Therapie, wie zum Beispiel im Falle gentechnologischer Ansätze, handelt, stellen sie trotzdem eine vielversprechende Ergänzung des Portfolios an therapeutischen Optionen dar. Die Stärke liegt hierbei in dem sofortigen Wirkeintritt nach Applikation mit antizipiert rascher Symptomverbesserung.