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Vulnerabilitätsabschätzung der erdbebengefährdeten Megacity Istanbul mit Methoden der Fernerkundung
(2008)
Urbane Räume zählen zu den dynamischsten Regionen dieser Erde. Besonders Megacities zeigen bereits heute Trends und Dimensionen der Urbanisierung, deren regionale und globale Folgen noch kaum vorhersehbar, und erst ansatzweise erforscht sind. Die enorme räumliche Konzentration von Menschen, Werten und Infrastruktur auf engem Raum ist für diese urbanen Räume die Grundlage einer hohen Verwundbarkeit (Vulnerabilität). Gerade im Kontext von Naturgefahren potenzieren sich die Risiken, die durch den schnellen strukturellen, sozioökonomischen und ökologischen Wandel entstehen. Das übergeordnete Ziel dieser Dissertation ist daher die Analyse von Potentialen der Fernerkundung zur Abschätzung von Risiko und Vulnerabilität am Beispiel der erdbebengefährdeten Megacity Istanbul. Um die Zielstellung systematisch zu verfolgen, wird ein konzeptioneller, thematischer Leitfaden entwickelt. Dieser besteht aus einer Systematisierung der abstrakten Überbegriffe ‚Risiko’, ‚Vulnerabilität’ und ‚Gefährdung’ in einem Indikatorensystem. Konkrete, messbare Indikatoren für das System ‚urbaner Raum’ erlauben eine quantitative Abschätzung von Einzelaspekten, addieren sich aber auch zu einer ganzheitlichen Perspektive des Risikos. Basierend auf dieser holistischen Idee, erlaubt das Indikatorensystem Potentiale, aber auch Limitierungen der Fernerkundungsdaten und Bildverarbeitungsmethoden für die Abschätzung von Risiko und Vulnerabilität zu identifizieren. Anhand des Leitfadens werden zielgerichtet Methoden zur automatisierten Extraktion räumlicher Informationen aus Fernerkundungsdaten entwickelt. Ein objektorientierter, modularer Klassifikationsansatz ermöglicht eine Landbedeckungsklassifikation höchst aufgelöster Daten im urbanen Raum. Dieses modulare Rahmenwerk zielt auf eine einfache und schnelle Übertragbarkeit auf andere höchst auflösende Sensoren bzw. andere urbane Strukturen. Zur Anpassung der Methoden werden neben IKONOS Daten der Megacity Istanbul und der erdbeben- und tsunamigefährdeten Küstenstadt Padang in Indonesien, Quickbird Daten für die zukünftige Megacity Hyderabad in Indien getestet. Die Resultate zeigen die detaillierte und hochgenaue Erfassung kleinräumiger, heterogener urbaner Objekte mit Genauigkeiten von über 80 %. Auch mittel aufgelöste Landsat Daten werden mit einem objektorientierten modularen Rahmenwerk mit hohen Genauigkeiten klassifiziert, um komplementäre temporale und gesamtstädtische Analysen hinzuzufügen. Damit wird eine aktuelle, flächendeckende und multiskalige Informationsbasis generiert, die als Ausgangsprodukt zur Analyse urbaner Vulnerabilität dient. Basierend auf diesen Informationsebenen werden dem konzeptionellen Leitfaden folgend Indikatoren zur Abschätzung von Vulnerabilität und Risiko extrahiert. Der Fokus ist dabei die Entwicklung von Methoden zur automatisierten, interpreterunabhängigen Ableitung vulnerabilitäts- und gefährdungsrelevanter Indikatoren. Die physische Analyse des kleinräumigen urbanen Raums konzentriert sich dabei auf die Typisierung des Gebäudebestandes mit Parametern wie Dichte, Höhe, Alter, Größe, Form sowie Dachtyp. Indirekt wird zudem mittels dieser Parameter die Bevölkerungsdichteverteilung abgeleitet. Weitere Standortfaktoren ergeben sich aus Lageparametern wie Distanzen zu Hauptverkehrsachsen, Freiflächenanalysen oder der Geländeoberfläche. Schließlich führt die Vulnerabilitätsabschätzung den modellhaften, thematischen Leitfaden mit den abgeleiteten Indikatoren zusammen. Dazu erfolgt eine Normierung der unterschiedlichen abgeleiteten Indikatoren auf einen einheitlichen Vulnerabilitätsindex. Dieser zielt auf eine räumliche und zeitliche Vergleichbarkeit und die Möglichkeit, die vielfältigen Informationsebenen zu kombinieren. Damit wird das Zusammenspiel verschiedenster Indikatoren simuliert und erlaubt daraus Identifizierung und Lokalisierung von Brennpunkten im Desasterfall. Über das fernerkundliche Potential hinaus, werden die Resultate in einer interdisziplinären Methode zu einem synergetischen Mehrwert erhoben. Statt einer quantitativen Abschätzung der physischen Gebäudeparameter, ermöglicht eine Methode des Bauingenieurwesens in Kombination mit der fernerkundlichen Gebäudetypisierung eine Abschätzung der wahrscheinlichen Schadensanfälligkeit von Gebäuden im Falle eines Erdbebens. Exemplarisch wird das Potential der Resultate für Entscheidungsträger anhand eines Erdbebensszenarios aufgezeigt. Risiko und Vulnerabilität lassen sich dadurch räumlich sowohl nach betroffenen Häusern und betroffenen Menschen als auch nach räumlichen Standortfaktoren wie beispielsweise Zugänglichkeit quantifizieren. Dies ermöglicht gezielt präventiv zu agieren oder während und nach einem Desaster gezieltes Krisenmanagement zu betreiben. Im Hinblick auf die zentrale Fragestellung dieser Dissertation lässt sich resümieren, dass die Aktualität sowie die geometrische und thematische Qualität der Resultate aus Fernerkundungsdaten, den Anforderungen des komplexen, kleinräumigen und dynamischen urbanen Raums gerecht werden. Die Resultate führen zu der Erkenntnis, dass das Potential der Fernerkundung zur Abschätzung von Vulnerabilität und Risiko vor allem in der direkten Ableitung physischer Indikatoren sowie der indirekten Ableitung demographischer Parameter liegt.
Informationen über die Landbedeckung und die mit der anthropogenen Komponente verbundenen Landnutzung sind elementare Bestandteile für viele Bereiche der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Darunter fallen beispielsweise die Strukurentwicklungsprogramme der EU, die Schadensregulierung im Versicherungswesen und die Modellierung von Stoffkreisläufen. CORINE Land Cover (CLC) wurde infolge eines erweiterten Bedarfs an einem europaweit harmonisierten Datensatz der Landoberfläche erstellt. Das CORINE Projekt weist für diese Arbeit eine hohe Relevanz durch die regelmäßigen Aktualisierungen von 10 Jahren, dem Einsatz der Daten in vielen europäischen und nationalen Institutionen und der guten Dokumentation der CORINE Nomenklatur auf. Die Erstellung der Daten basiert auf der computergestützten manuellen Interpretation, da automatische Verfahren durch die Komplexität der Aufgabenstellung und Thematik nicht in der Lage waren, den menschlichen Interpreten zu ersetzen. Diese Arbeit stellt eine Methodik vor, um CORINE Land Cover aus optischen Fernerkundungsdaten für eine kommende Aktualisierung abzuleiten. Hierzu dienen die Daten von CLC 1990 und der Fernerkundungsdatensatz Image 2000 als Grundlage, sowie die CLC 2000 Klassifikation als Referenz. Die entwickelte und in dem Softwarepaket gnosis implementierte Methodik wendet die objektorientierte Klassifikation in Kombination mit Theorien aus der menschlichen Bildwahrnehmung an. In diesen Theorien wird die Bildwahrnehmung als informationstechnischer Prozess gesehen, der den Klassifikationsprozess in die drei folgenden Subprozesse unterteilt: Bildsegmentierung, Merkmalsgenerierung und Klassenzuweisung. Die Bildsegmentierung generiert aus den untersten Bildprimitiven (Pixeln) bedeutungsvolle Bildsegmente. Diesen Bildsegmenten wird eine Anzahl von bildinvarianten Merkmalen aus den Fernerkundungsdaten für die Bestimmung der CLC Klasse zugewiesen. Dabei liegt die wichtigste Information in der Ableitung der Landbedeckung durch den überwachten Stützvektor-Klassifikator. Die Landoberfläche wird hierzu in zehn Basisklassen untergliedert, um weiteren Merkmalen einen semantischen Unterbau zu geben. Zur Bestimmung der anthropogenen Komponente von ausgewählten Landnutzungsklassen, wie beispielsweise Ackerland und Grünland, wird der phänologische Verlauf der Vegetation durch die Parameter temporale Variabilität und temporale Intensität beschrieben. Neben dem jahreszeitlichen Verlauf der Vegetation können Nachbarschaftsbeziehungen untersucht werden, um weitere anthropogene Klassen und heterogen aufgebaute Sammelklassen beschreiben zu können. Der Versiegelungsgrad als Beispiel für eine Reihe von unscharfen Merkmalen dient der weiteren Differenzierung der verschiedenen Siedlungsklassen aus CORINE LC. Mit Hilfe dieser Merkmale werden die CLC Klassen in abstrakter Form im Klassenkatalog (a-priori Wissensbasis) als Protoklassen beschrieben. Die eigentliche Objekterkennung basiert auf der Repräsentation der CORINE Objekte durch ihre einzelnen Bestandteile und vergleicht die gefundenen Strukturen mit der Wissensbasis. Semantisch homogen aufgebaute Klassen, wie Wälder und Siedlungen oder Protoklassen mit eindeutigen Merkmalen, beispielsweise zur Bestimmung von Grünland durch die Phänologie, können durch den bottom–up Ansatz identifiziert werden. Das übergeordnete CLC Objekt kann direkt aus den Bestandteilen zusammengebaut und einer Klasse zugewiesen werden. Semantisch heterogene Klassen, wie zum Beispiel bestimmte Sammelklassen (Komplexe Parzellenstrukur), können durch ihre Bestandteile validiert werden, indem die Bestandteile eines existierenden CLC Objektes mit der Wissensbasis auf Konsistenz untersucht werden (top–down Ansatz). Eine a-priori Datengrundlage ist für die Erkennung dieser Klassen essentiell. Die Untersuchung der drei Testgebiete (Frankfurt, Berlin, Oldenburg) zeigte, dass von der CORINE LC Nomenklatur 13 Klassen identifiziert und weiteren 14 Klassen validiert werden können. Zehn Klassen können durch diese Methodik aufgrund fehlender Merkmale oder Zusatzdaten nicht klassifiziert werden. Die Gesamtgenauigkeit der automatisierten Klassifikation für die Testgebiete beträgt zwischen 70% und 80% für die umgesetzten Klassen. Betrachtet man davon einzelne Klassen, wie Siedlungs-, Wald- oder Wasserklassen, wird aufgrund der verwendeten Merkmale eine Klassifikationsgenauigkeit von über 90% erreicht. Ein möglicher Einsatz der entwickelten Software gnosis liegt in der Unterstützung einer kommenden CORINE Aktualisierung durch die Prozessierung der identifizierbaren Klassen. Diese CLC Klassen müssen vom Interpreten nicht mehr überprüft werden. Für bestimmte CLC Klassen aus dem Top-down Ansatz wird der Interpret die letzte Entscheidung aus einer Auswahl von Klassen treffen müssen. Weiterhin können die berechneten Merkmale, wie die temporalen Eigenschaften und der Versiegelungsgrad dem Bearbeiter als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt werden. Der Einsatz dieser neu entwickelten Methode führt zu einer Optimierung des bestehenden Aufnahmeverfahrens durch die Integration von semi-automatisierten Prozessen.