Philosophische Fakultät (Histor., philolog., Kultur- und geograph. Wissensch.)
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Die Untersuchung beschäftigt sich mit der Entwicklung der Berichterstattung über das Judentum in Seesen. Das Hauptaugenmerk liegt auf auf Israel Jacobson, der einst Begründer des Reformjudentums in Seesen war, in Vergessenheit geriet und seit einigen Jahren wieder von einigen engagierten Seesenern mit Ausstellungen, Büchern und Vorträgen geehrt wird. Zudem stellt sich der Arbeit die Frage, wie es zu dem "Vergessen" dieser berühmten Seesener Persönlichkeit kam und was zu einem Umdenken geführt haben könnte.
Als Systemsprenger menschlicher Ordnungen und Wissenschaftstraditionen finden sich Flechten auf der ganzen Welt und bleiben doch oft unbemerkt. Das macht den Symbionten aus Pilz und Alge in urbanen, ländlichen und digitalen Räumen interessant für eine alltagswissenschaftliche Untersuchung.
Menschliche Geschichten über Flechten sind gefüllt mit Vermutungen, Hörensagen und Assoziationen. Denn augenscheinlich sind Flechten in Deutschland wieder auf dem Vormarsch, sitzen vermehrt in den geliebten Obstbäumen, erobern Denkmäler oder die heimischen Terrassen. Der Pilz im Symbionten wird als Gefahr für Leib und Leben erzählt, die pflanzliche Alge hingegen als Schmuck und natürliches Heilmittel. Ihre Auf- und Abwertung gibt viel über die Ordnungen des Anthropozäns preis.
Kommen die Flechten selbst zu Wort, verfliegen diese kurzweiligen Narrative. Unbemerkt schaffen sie es durch das Bewachsen und Einfärben von Oberflächen, dass Menschen Räume anders lesen. Flechten geben uns nicht nur ein Gefühl von Zeit, die schon vergangen ist, sondern formen redundante Wege von Wasser, Licht und Berührung nach. Anhand der Flechte als ästhetischer Erfahrung wird hier ihre enorme Wirkmacht auf menschliche Alltage herausgearbeitet.
Diese Arbeit stellt die Ergebnisse der stratigraphischen und tektonischen Aufnahme des Blattes 5827 Maßbach vor. Sie erfolgte im Rahmen der geologischen Landesaufnahme von Bayern 1:25.000 sowie im Auftrag des Bayerischen Landesamts für Umwelt und beruht auf einer geologischen Detailkartierung im Maßstab 1:10.000. Die wesentlichen Ergebnisse sind folglich in der Geologischen Karte 1:25.000 und in der Strukturkarte 1:50.000 dargestellt.
Zur Aufgabenstellung gehörten ebenfalls eine moderne Erfassung und Darstellung der Schichtenfolge unter stratigraphischen und faziellen Gesichtspunkten sowie die Aufnahme und Interpretation geologischer Strukturen und deren Einbindung in den regionalen Rahmen (Anlage 7). Dieser Arbeit kommt somit nicht nur akademisches Interesse zu. Vielmehr ist sie auch für angewandte Fachbereiche wesentlich: u.a. für Hydrogeologie, Geothermie oder für Fragen der Raumplanung.
Das Kartenblatt 5827 Maßbach liegt im nordöstlichen Unterfranken im Norden Bayerns. Die nächstgrößere Stadt, südlich des Blattgebietes, ist Schweinfurt. Das Gebiet zeigt einen Ausschnitt des südwestdeutschen Schichtstufenlandes innerhalb der Südwestdeutschen Großscholle sensu CARLÉ (1955). Geomorphologen rechnen es der Hochfläche der „Schweinfurter Rhön“ zu. Ein naturräumlicher Überblick über Geographie, Geologie, Hydrogeologie, Rohstoffgeologie und Bodenkunde sowie ein erdgeschichtlicher Abriss werden im ersten Teil der Arbeit (S. 2–15) gegeben.
Die Kartierung erfolgte als Lesesteinkartierung; denn die Aufschlussverhältnisse waren schlecht. Auch existieren nur wenige auswertbare Bohrungen. Vor diesem Hintergrund stellt der zweite Teil der Arbeit die zu Tage ausstreichende mesozoische Schichtenfolge vor (S.16–76). Die Schichtenfolge gehört ausschließlich in die Trias, reicht vom Unteren Muschelkalk bis zum Unteren Gipskeuper und umfasst etwa 270 bis 280 Meter. Hinzu kommen verschiedene quartäre Sedimente geringer Mächtigkeit.
Der dritte Teil der Arbeit (S. 77–95) befasst sich mit den Lagerungsverhältnissen und der tektonischen Zergliederung des Gebietes. Das tektonische Relief auf Blatt 5827 Maßbach misst etwa 260–270 m. Prägendes Element ist der Kissingen–Haßfurter Sattel, dessen Sattelachse das Blattgebiet von NW nach SE quert. Im SW–Quadranten ist die in Südwestdeutschland bedeutsame Kissingen–Haßfurter–Störungszone wirksam
Im regionalen Rahmen verbinden sich eine Vielzahl von nachgewiesenen tektonischen Elementen zu sich überlagernden tektonischen Strukturen. Deren Ausgestaltung verlief mehrphasig und sie erhielten ihre heute bestehende Form wohl durch die Fernwirkung der alpidischen Orogenese. Die Anlage der tektonischen Hauptelemente hingegen reicht wahrscheinlich bis in die ausgehende variszidische Gebirgsbildung zurück. Die zusammen-fassende Analyse und Darstellung der Ergebnisse führt in dieser Arbeit zur Einarbeitung des Blattes 5827 Maßbach in den regionalen stratigraphischen wie tektonischen Rahmen der umliegenden Blätter der GK 25.
Der Regierungsbezirk Unterfranken, das Untersuchungsgebiet des Sprachatlas von Unterfranken (SUF), ist dialektologisch dadurch gekennzeichnet, dass durch ihn von Südwesten nach Nordosten (Spessart, Rhön) die Grenze zwischen dem Oberdeutschen und dem Mitteldeutschen verläuft. Diese Grenze wird im nördlichen Teil Rhönschranke genannt. Allerdings gibt es keine scharfen Dialektgrenzen, sondern nur Übergangsgebiete zwischen zwei dialektalen Kernräumen. Übergangsgebiete sind dadurch gekennzeichnet, dass Merkmale eines (Kern-)Raums ab- und die des anderen zunehmen. Auf der Basis des SUF-Materials wird dieses Übergangsgebiet beschrieben und dialektgeographisch interpretiert.
„Joseph Willibald Michl – Ein Komponist von vielem Kopfe“, so schrieb einst Christian Friedrich Daniel Schubart über den wohl bedeutendsten Spross einer Musikerfamilie, die über mindestens vier Generationen das Musikgeschehen der Oberpfalz, Bayerns und darüber hinaus mitgestaltete. Neben dem deutschen Dichter, Organisten, Komponisten und Journalisten Schubart, sprechen sich auch andere Zeitgenossen wie der englische Musikforscher Charles Burney oder der Historiker und Schriftsteller Lorenz von Westenrieder sprechen sich lobend über den „Churfürstlichen Kammer-Compositeur“ von Maximilian III. Joseph aus. Diese Studie untersucht die Genealogie, die Biographie und das Werk von Joseph Willibald Michl anhand neuer Quellen und schließt darüber hinaus Lücken in seinem Curriculum Vitae. Erstmals wird ein systematisch-thematisches Werkverzeichnis des Komponisten vorgelegt, um das heute noch greifbare musikalische Œuvre zu erfassen bzw. zur Klärung fraglicher oder offensichtlicher Falschzuweisungen beizutragen. In einer Analyse repräsentativ ausgewählter Werke der von Michl verwenden musikalischen Gattungen wird die Kompositionsart und Musiksprache Michls näher betrachtet
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der historischen Genese des Gewohnheitsrechts des Einzelnen, Petitionen an die Obrigkeit bzw. an die Staatsregierung einzureichen. Der besondere Fokus liegt hierbei auf den Zusammenhängen im modernen Bayern. Die Bedeutung des Petitionswesens für die parlamentarische Entwicklung im Königreich Bayern stellt den zentralen Forschunggegenstand dar. Die dieser Studie zugrundeliegende Sichtung umfangreicher Archivalien des Hauptstaatsarchivs München geht einher mit der Auswertung und der kritischen Beleuchtung eines Forschungsprojekts zum vorliegenden Thema, welches an der Universität Würzburg durchgeführt wurde.
In der Arbeit wurde die Besiedelung eines künstlich begrenzten Kleinraumes in seinen Beziehungen zu Landschaft und Umwelt diachron über 60 Jahrhunderte seit der Sesshaftwerdung untersucht. Im Mittelpunkt standen Siedlungen, die vor allem anhand von Lesefunden mit Methoden der geographischen Landesforschung erforscht wurden. Zusätzlich wurden mehrphasige Siedlungen im allgemeinen und mehrphasige Siedlungen der Linienbandkeramik hinsichtlich ihrer Einstufung als "Zentraler Ort" untersucht. Neben dem Gesamtuntersuchungsgebiet wurden zusätzlich drei Kleinregionen in ihrer Beziehung zu drei Flusslandschaften betrachtet. Hierbei zeigte sich bereits in der frühen Linienbandkeramik eine Regionalisierung mit enger Bindung an das Flusssystem, bestehend aus jeweils zwei Bächen. Außerdem wurden zwei in Fläche und Forschungsstand vergleichbare Kleinstregionen miteinander verglichen, die sich hinsichtlich des geologischen Untergrundes unterscheiden. Hierbei wurde festgestellt, dass stichbandkeramische Siedlungen immer dort gegründet wurden, wo bereits lange persönliche Beziehungen mit Siedlungen der jüngeren Linienbandkeramik (ausweislich der Funde) bestanden hatten. Die ostunterfränkische Altsiedellandschaft weist ein analoges Präferenzverhalten bei der Wohnplatzwahl und eine ähnliche Siedlungsdynamik wie benachbarte Vergleichsräume auf. Abweichungen fallen vor allem in der älteren Latènezeit auf. Besondere kleinräumige Verhaltensprofile lassen sich nur bei Einzelfallprüfung verstehen, wobei auch nicht mehr auszumachende Unterschiede im Naturraum und spirituelle oder kulturelle Aspekte zu beachten sind
Die vorliegende Arbeit analysiert im Rahmen von Leben und Werk des Hundemalers Richard Strebel Spezialisierung als Marktstrategie auf dem Münchner Kunstmarkt in der Prinzregentenzeit. Eine Untersuchung der lebensgeschichtlichen Fallstudie des Künstlers und seines Werks erbrachte Erkenntnisse zu seinem unternehmerischen Handeln, die über eine wirtschaftswissenschaftliche Analyse zu einem Kriterienkatalog der künstlerischen Spezialisierung führten. Über dieses Kriteriensystem konnte Strebels Verhalten im Markt, seine künstlerische Entwicklung und seine Bildproduktion erklärt und interpretiert werden. Das gewonnene Modell kann auch auf andere Künstler, die in engen Marktsegmenten arbeiten, übertragen werden.
Der Künstler entschloss sich 1886 nach seiner Ausbildung als Tiermaler an der Kunstakademie in Karlsruhe im Zuge einer Chancenwanderung in die Kunststadt München zu übersiedeln, wo die Gattung Tiermalerei traditionell gepflegt wurde, durch den internationalen Kunsttourismus ein großes Marktsegment für sich reklamieren konnte und Entwicklungspotential versprach. In München als dem Kunststandort im Deutschen Reich schienen alle Standortfaktoren zum Gelingen eines künstlerischen Aufbruchs vorhanden, vor allem machten Angebot und Nachfrage den Eindruck eines ausgewogenen Gleichgewichts.
Der wettbewerbsintensive Münchner Kunstmarkt gestaltete jedoch eine erfolgreiche Einführung des jungen Künstlers im Marktsegment Tiermalerei mit Schwerpunkt auf Nutztiere als schwierig, weil hier bereits eine große Anzahl von Tiermalern arbeitete. Strebel verfügte als Kaufmannsohn über einen guten Marktinstinkt und eine positive Grundeinstellung zu ökonomischem Verhalten. Er entschloss sich nach einer Phase der künstlerischen Orientierung, Chancenauslotung und Markterprobung zu einer inneren Spezialisierung in der Tiermalerei auf das Sujet Hund. Die sich entwickelnde deutsche Rassehundezucht mit einer deutlichen Nachfrage auf dem Kunstmarkt nach Hundebildern, wissenschaftlichen Illustrationen und Gebrauchsgrafik für die Organe der Rassehundevereine hatte zur Bildung einer offenen Marktnische geführt. Strebels persönliches Interesse, sein intuitiver Zugang zu der Tierart sowie seine Einschätzung der Rentabilität und des Wachstumspotentials in der Nische führten sukzessive zu einer Ausrichtung auf die Kundengruppe der Kynolo¬gen und Hundeliebhaber, die Gefallen an seinen Bildern fand. Mit deren nationalem Projekt der Entwicklung deutscher Hunderassen konnte er sich identifizieren und seine künstlerische Arbeit als unterstützenden Beitrag zur Visualisierung der angestrebten Ziele einbringen und interpretieren. Künstlerische Einschränkungen nahm er zugunsten des Verbleibs in wirtschaftlicher Sicherheit in der Marktnische hin. Für die von den Kynologen als höchste künstlerische Kompetenz nachgefragte Wiedergabe der idealen Rassehundetypologie eignete sich Strebels künstlerische Ressource, nämlich seine hohe zeichnerische Qualität in besonderer Weise. Strebel verstand es, sich mit seiner Verortung im bürgerlichen Stand auf seine Kundschaft im unmittelbaren Kontakt einzustellen, sie zu gewinnen und sich in seiner Nische als Künstler in einer honorierten Sonderstellung zu positionieren. Er bediente sich eines gemäßigten, von der bürgerlichen Gesellschaft erwarteten äußerlichen Künstler-Habitus, den er öffentlichkeitswirksam einsetzte.
Strebel erkannte die Bedürfnisse und Erwartungen seiner Kunden, welche die Darstellung ihrer rassereinen Hunde in kostspieligen Tierporträts immer mit einer Repräsentation ihrer Person verband. Er optimierte seine Hundedarstellungen qualitativ und kontinuierlich und erhöhte seine Kundeneffizienz durch zahlreiche persönliche Qualifizierungsmaßnahmen, die auf den Hund zugeschnitten waren. Dazu gehörte auch ein kundenorientierter Service. Wichtig war dabei seine wissenschaftliche Arbeit zur Erforschung der Abstammung der deutschen Hunde, die er in zwei Bänden veröffentlichte. In Anlehnung an die in England gängigen Produktkategorien entwickelte Strebel ein Sortiment aus fünf verschiedenen Typen, die er zwischen 1890 und 1905 auf dem Markt anbot. Diese schnitt er auf den deutschen Kunden zu und verbesserte sie. Dabei blieb er in engem Kontakt sowohl mit den Kundenerwartungen als auch mit der Kunstkritik und griff Stilentwicklungen und -merkmale in seiner Kunst in einer von ihm vertretbaren Art und Weise auf, um seine Marktakzeptanz zu erhalten und modern zu bleiben. Als eigene Produktinnovation kann besonders das individuelle Hundeporträt gelten, in dem er sich als Alleinstellungsmerkmal unter den Hundemalern intensiv mit der Psyche der ihm vertrauten Tierart auseinandersetzte und diese im Bild wiedergab.
Strebels Markteintrittszeitpunkt in die Nische Hundebild war in deren Reifephase erfolgt. Ab 1905/06 begann sich die Nische zu verengen. Der Künstler wurde durch die geringere Produktnachfrage in die Defensive getrieben und musste auf den stagnierenden Absatz reagieren. Wirtschaftliche Rezession und das günstige Substitutionsprodukt Fotografie veränderten den Markt und senkten die Nachfrage nach Kunstwerken. Dazu kamen persönliche Gründe, die die Anerkennung des Künstlers in der Nische einschränkten. Unter anderem wollte der Künstler aus tierethischen Gründen seine Kunst nicht mehr in der gewünschten Art und Weise in den Dienst züchterischer Bestrebungen der Kynologen stellen. Die Entscheidung, sich auf den freien Kunstmarkt als Absatzort zu konzentrieren, schien Strebel konsequent. Der Einsatz von Marketingstrategien wie eine auf das ganze Deutsche Reich ausgedehnte Absatz- und gelenkte Preispolitik sowie eine Erschließung neuer Geschäftsfelder und Kundengruppen durch die Marktausdeh¬nung in den Bereich des Massenbilddrucks sollten die fehlende Nachfrage der Marktnische ausgleichen. Allerdings konnte Strebel trotz dieser Maßnahmen den sinkenden Absatz seiner Hundebilder nur mehr bis zum Beginn des ersten Weltkrieges kompensieren. Nach 1918 war das Produkt vom Markt eliminiert, wiewohl der Künstler bis zu seinem Lebensende an der Spezialisierung festhielt.
Die Einzelfalluntersuchung von Leben und Werk eines Münchner Künstlers in der Prinzregentenzeit unter dem Aspekt eines vom wettbewerbsintensiven Kunstmarkt herausgeforderten ökonomischen Verhaltens ermöglicht einen neuen, erhellenden Zugang zur Künstlerschaft und ihrer Kunstausübung. Die durch die wirtschaftliche Schwerpunktsetzung herbeigeführte Demontage der glorifizierenden Aura der Kunststadt um 1900 lässt einen direkten Blick auf die Lebenswirklichkeit der Künstlerexistenz zu und zeichnet ein realitätsnahes und nüchternes Bild. Entgegen der gerne gepflegten sozialromantischen Vorstellung des Künstlers als unabhängiger, marktferner und nur einer authentischen Kunst verpflichteter Außenseiter war er bereits um 1900 als Mitglied einer bürgerlichen erwerbsorientierten Leistungsgesellschaft herausgefordert, sich der Möglichkeiten wirtschaftlichen Verhaltens in allen Intensitätsstufen von der bloßen Sicherung des Lebensunterhalts bis zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anerkennung zu bedienen. Mit dem Warencharakter seines Kunstwerks war der Künstler mitten im Markt angesiedelt und diesem wie jeder andere Akteur unterworfen. Er konnte sich der ökonomischen Abhängigkeit nur im Einzelfall entziehen, da er und seine Kunst vom Markt getragen wurden. Dass dieser Tatbestand Folgen für die Münchner Künstler und ihre Kunstproduktion hatte, ist an Richard Strebels Fallstudie deutlich geworden. Das Spektrum künstlerischer Positionierung reichte dabei von bewusster Marktferne bis zur völligen Marktkonformität. Die genaue Kenntnis individueller und kollektiver Abhängigkeit vom Markt als Restriktion menschlicher und künstlerischer Existenz ermöglicht über den interdisziplinären, sozialgeschichtlich-wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungsansatz und seine Ergebnisse eine umfassendere Beurteilung von Kunstwerken in ihrem Entstehungskontext.
„Raus aus dem Grau, aus der hektischen Enge der Stadt. Sehnsucht nach der grünen Alternative“ (Linnenbrink 2013). Der Slogan des Internetportals „Landleben“, das gegenseitigen Informationsaustausch, Hilfe bei der Suche nach einer Immobilie sowie Ratschläge zur Gartenpflege für derzeitige und zukünftige Landbewohner bietet, bringt eine aktuelle Tendenz zum Ausdruck: Die Sehnsucht nach dem Landleben bzw. die Wiederentdeckung des Ruralen. Das Leben auf dem Lande ist wieder „In“, nachdem es jahrzehntelang kaum eine Alternative zum urbanen Leben darstellte (Hoppe 2010. 7ff.; Franzen et al. 2008. 1). Im Zuge des sozialen und kulturellen Wandels, einer Beschleunigung der Lebensverhältnisse und einer zunehmenden Orientierungslosigkeit sehnen sich viele Menschen nach Ruhe, Nähe zur Natur und einer engen Gemeinschaft (Richter 2004. 118ff.; Grothues 2006. 21). Häufig besteht die verklärte Vorstellung einer ländliche Idylle, welche wenig mit dem tatsächlichen Leben auf dem Lande gemein hat (Valentine 2001. 256). Das Landleben kann nicht mehr nur durch Landwirtschaft, Tradition, Solidarität und Natur beschrieben werden. Der Zuzug von Stadtbewohnern führte zu einer Herausbildung unterschiedlichster Lebensstile. Eine ländliche Lebensweise ist nicht mehr nur durch strukturelle Bedingungen vorgegeben, sondern die freie Entscheidung der Menschen. Die Kommunikation des Landlebens und der Landbewohner durch neue Medien, wie in dem genannten Beispiel ein Internetportal, zeigt, dass die moderne Welt in Form von neuen Kommunikationstechniken in die Dörfer eingezogen ist (Schneider 2004. 9; Richter 2004. 118ff.; Reinecke 1983. 115f.; Hauptmeyer, Henkel 2005. 43). Der ländliche Raum hat sich in vielerlei Hinsicht der Stadt angenähert. Er ist moderner geworden. Stadt und Land stellen keinen extremen Gegensatz mehr dar (GROTHUES 2006. 13; SCHMIDT-THOMÉ 2005. 14f.). Nichtsdestotrotz bestehen nach wie vor Unterschiede: Menschen, die urbanes Leben suchen, werden dies in einem ländlichen Dorf kaum finden. Bars, Diskotheken, Museen, Kinos oder Edelboutiquen sind in ruralen Regionen eher selten anzutreffen. Die Verkehrsinfrastruktur, vor allem die Ausstattung mit öffentlichem Personennahverkehr, ist oftmals defizitär. Für tägliche Erledigungen sind mitunter weite Wege zurückzulegen. Das Einkaufen z.B. kann zu einer regelrechten Tortur werden, wenn der Tante-Emma-Laden um die Ecke geschlossen wurde und sogar für die Deckung des Grundbedarfs die nächste Stadt aufgesucht werden muss (Grothues 2006. 25; Reinecke 1983. 116f.). Während das Dorfleben von vielen Personen, wie den Nutzern des Internetportals, als positiv und erstrebenswert angesehen wird, bedeutet es für andere, z.B. Großstadtliebhaber, Einschränkungen und ist negativ konnotiert (Hauptmeyer, Henkel 2005. 44; Menzl 2007 340f.). Ländliche Räume und ihre Bewohner haben viele Gesichter.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich die forschungsleitende Fragestellung der Arbeit: Wie können die Dorfbewohner des 21. Jahrhunderts vor dem Hintergrund postmoderner Veränderungen charakterisiert werden? Konkretisiert man diese Frage, ergeben sich folgende Teilfragestellungen:
- Wie werden die Einschränkungen und Möglichkeiten ländlicher Räume von den Bewohnern wahrgenommen?
- Welche Muster der Lebensführung (Lebensstile) herrschen in ländlichen Räumen vor?
- Welche Bedeutung hat der (ländliche) Raum für die Menschen in der Postmoderne?
- Welche Konsummuster bestehen vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung des Konsums sowie der eingeschränkten Konsummöglichkeiten in ländlichen Räumen?
Das Ziel der Arbeit ist eine Annäherung an die Dorfbewohner, ihrer Raumwahrnehmung und -bewertung. Zudem sollen ländliche Lebensstile und Konsummuster untersucht werden. Zunächst werden die Wechselbeziehungen der Dorfbewohner zum Raum herausgearbeitet, um zu analysieren, welche Rolle dieser in der Postmoderne spielt. Zudem werden die Beziehungen zum Wohnort beschrieben. Ein weiteres zentrales Thema bilden ländliche Konsummuster, da die mangelnde Einzelhandelsausstattung ein Hauptproblem ländlicher Räume darstellt und die Kenntnis der Konsumgewohnheiten die Voraussetzung für eine angemessene Reaktion darstellt. Schließlich werden ländliche Lebensstile gebildet, wobei Raumbeziehungen und Konsummuster im Zentrum stehen. Die Fragestellung wird durch einen Mix quantitativer und qualitativer Methoden beantwortet. Eine standardisierte schriftliche Haushaltsbefragung liefert die Basis für eine erste Annäherung an die Raumbeziehungen und Konsummuster der Dorfbewohner und dient als Grundlage für die Lebensstilbildung. Zur weiterführenden Interpretation der Raumbeziehungen werden qualitative Leitfadeninterviews mit Bewohnern ländlicher Gemeinden durchgeführt. Eine standardisierte Einzelhandelskartierung dient als Grundlage für die Bewertung des örtlichen Handels. Die Untersuchungsgemeinden Großaitingen und Scheuring befinden sich im ländlichen Raum im Umfeld der Städte München und Augsburg.